HipHop lebt von Geschichten. Manche erzählen von Partys in Nizza, andere von Gewalt in der Bronx. Die eine hat eine tolle Moral, die andere hinterlässt nichts als Fragen. In all ihrer Unterschiedlichkeit bereichern sie dennoch unsere Kultur. Diese Geschichte erzählt von Saarbrücken, Post Malone und Herbert Grönemeyer. Und liefert gleichzeitig wertvolle Einblicke in Themen wie Migration in Deutschland, Alltagsrassismus und große wie kleine Meilensteine im Leben zweier aufstrebender Musiker. Ihr Masterplan? Der Fokus auf das Livegeschäft, unerschöpfliche Energie und tiefe Liebe zur Musik. Das erklärte Ziel dabei lautet "beständige Musik für die Ewigkeit". Vor Kurzem nahmen sich die Genetikk-Protegés Tiavo Zeit für uns, sie ein wenig besser kennenzulernen.
MZEE.com: Zu Beginn des Interviews wüssten wir gerne erst mal eure wichtigsten gemeinsamen Meilensteine bis heute.
Lucy: (überlegt) Auf jeden Fall die EP-Releaseshow. Generell die Produktion von der EP. Das war das Erste, das wir beide zusammen gemacht haben. Wir haben ewig lang daran gefeilt, das Ding dann rausgebracht und danach unsere Releaseshow in einer kleinen Location in Saarbrücken gespielt. 200 Leute waren da, die Show war superschnell ausverkauft … Das war der erste Meilenstein, der das Ganze regional angekurbelt hat – vor zwei Jahren.
Deon: Am 27. März 2016 … (grinst)
Lucy: Danach kam dann Circus Halligalli – als wir da aus dem Schrank gekrochen sind. Damit hat sich dann auch megaviel getan. Auf einmal haben wir gemerkt: "Oh, was passiert denn da?!" Gerade Social Media-mäßig war das für unsere Verhältnisse damals sehr groß. Und dann gab es noch den Music Award.
Deon: Darauf kam dann die nächste Single im März 2017, "Ouzo" …
Lucy: Damit waren wir dann das erste Mal in der Garage in Saarbrücken. Auf der "Fukk"-Tour von Genetikk als Special Guest. Und das haben wir dann noch mal wiederholt auf dem Splash!, drei, vier Monate danach. Apropos Splash!: noch ein Meilenstein. Dieses Jahr im März kam dann das Album und jetzt unsere erste richtige Festival-Saison diesen Sommer, in der wir ordentlich unterwegs waren.
MZEE.com: Wie seid ihr denn eigentlich an diesen Schrank-Auftritt gekommen – war das so ein richtiges Newcomer-Ding?
Lucy: Das war immer unterschiedlich. Manchmal waren welche dabei, die ein bisschen größer waren. Manchmal welche, die kleiner waren. Ich glaub' aber, das kam auch durch ein bisschen Vitamin B. Die haben angefragt und wir haben natürlich sofort alles eingepackt, sind da hin und haben das gemacht. Das war sehr, sehr lustig und hat uns in dem Moment eine ordentliche Spritze gegeben. Mit dem Auftritt gab es ja auch das Single-Release von "Huckleberry Finn", was der erste Schritt in Richtung Rap war. Die EP davor war schon sehr unrappig, was die Instrumentals anging.
Deon: Es war schon ziemlich rockig.
Lucy: Deon kommt ja komplett aus dem Rock und hat die Instrumentals erst mal so gemacht, wie er das gewohnt war. Ich hab quasi auf Rock-Instrumentals gerappt und gesungen. Und "Huckleberry Finn" war das erste Mal, dass wir angefangen haben, das Ganze in eine andere Richtung zu bringen und ein bisschen rappiger zu machen. Auf dem Album haben wir das Ganze dann perfektioniert …
MZEE.com: Soweit wir das mitbekommen haben, geht es in Interviews oft darum, wie ihr zu Genetikk gefunden habt – aber weniger darum, woher ihr beide euch eigentlich kennt. Könnt ihr uns kurz die Geschichte dazu erzählen?
Lucy: Wir beide haben uns über Freunde kennengelernt. Saarbrücken ist halt megaklein. Zuerst hab' ich alleine Rap gemacht und Tiavo daher auch in das Ganze mitgebracht. Ich hatte aber Bock, nicht nur Rap zu machen, sondern mich auch mal ein bisschen auszutoben. Dann hab' ich Deon kennengelernt, wir haben recht schnell einen Song zusammen gemacht und sehr bald festgestellt, dass wir das Ganze auf jeden Fall zusammen weitermachen.
MZEE.com: Und was war euer jeweiliger musikalischer Weg vor eurer Zusammenarbeit?
Deon: Ich hab' eigentlich einen klassischen Band-Weg hinter mir. Ich hab' in verschiedensten Bands gespielt – über Punk-Bands, Ska-Bands, Reggae-Bands bis hin zu Rock-Bands. Darunter auch härtere Sachen. Auch das, was ich selber an Musik konsumiert hab', war sehr Rock-lastig. Deswegen kam dann mit der Tiavo-Sache eine sehr gelegene Abwechslung ins Haus. Es hat direkt Spaß gemacht, mal andere Wege zu gehen, seinen Horizont zu erweitern und sich auf neue Stilrichtungen einzulassen.
Lucy: Ähnlich wie bei mir, ich hab' aber nicht in Bands gespielt. (grinst) Mit zwölf hab' ich angefangen, zu schreiben. Mit 13 dann im JUZ in Homburg aufgenommen. Da hatten die ein Studio, das man benutzen durfte. Ich hab' damals auf Freebeats gerappt – das war noch die rappers.in-Zeit, in der sich jeder einfach Freebeats gepickt hat. Das hab' ich echt ewig gemacht, mit 14, 15 kleine Auftritte gespielt. Mit 16 hab' ich dann versucht, mal was anderes zu machen und ein Jahr gebraucht, den richtigen Partner zu finden, um auch was anderes zu machen. Als ich 17 war, haben wir dann angefangen, gemeinsam Musik zu machen.
MZEE.com: Habt ihr denn musikalische Vorbilder? Möglicherweise auch außerhalb der Rapszene …
Deon: Auf jeden Fall – es gibt viele, die ein sehr großes Vorbild sind. Da sind Größen dabei wie Nirvana und andere aus der Grunge-Ecke. Ich hab' halt auch superviel Technischen Metal gehört, das denkt man jetzt vielleicht nicht. Es ist einfach so, dass ich mich in sehr komplexe Aufbauten von Instrumentals reingesteigert hab'. Irgendwann war dann aber der Punkt erreicht, an dem ich gesagt hab': "Okay, vielleicht macht es die Komplexität nicht unbedingt aus. Vielleicht solltest du deinen Horizont mal ein bisschen in andere Stilrichtungen erweitern."
Lucy: Dann hast du ja komplett deine Inspiration gewechselt. Du hörst ja gar nicht mehr die Sachen von früher.
Deon: (lacht) Nee, die hab' ich ja abgefrühstückt. Die kenn' ich alle mittlerweile …
Lucy: Du hörst ja heute eher die ganzen Rap-Sachen. Und was ich mittlerweile hör', hab' ich früher auch komplett abgelehnt. Mit "Gitarrenmusik" konntest du mich komplett jagen. "Gitarrenmusik" ist auch immer noch so ein Wort … (lacht) Mittlerweile hol' ich mir aber aus dem Bereich viel mehr Inspiration als aus dem Rapbereich. Ich hab' auch gemerkt, dass es schwierig ist, wenn man sich viele Deutschrap-Sachen anhört, die man richtig feiert. Man neigt dann schnell dazu, ähnlich zu flowen. Gerade am Anfang habe ich gemerkt: Du hörst jetzt besser mal andere Sachen. Meine Inspirationsquellen sind mittlerweile vor allem Nirvana, Highly Suspect, eine megakrasse Band … viel, viel Rock. Und ich hab' das Herz mittlerweile auch für amerikanische Trap-Sachen geöffnet. Das hab' ich lange verweigert – aber mittlerweile hör' ich die ganze Palette: A$AP Rocky, Travi$ Scott, Post Malone.
MZEE.com: Wenn sich Künstler gegenseitig zu sehr inspirieren, gibt es manchmal das Phänomen, dass sich auf einmal eine ganze Strömung innerhalb einer Szene extrem gleich anhört. Ich hab' auch in den letzten Jahren im deutschen Rap das Gefühl, dass es zwar viele Genres gibt, vieles aber auch immer "gleicher" wird …
Lucy: Ja, das ist ja aktuell absolut so. Dass viele Künstler, die vorher eine eigene Farbe hatten, ihre Farbe jetzt gefühlt ablegen und auf einem anderen Zug mitfahren. Man darf sich modernisieren und weiterentwickeln – das machen wir auch. Aber ich finde, man sollte immer einen Weg finden, bei dem das, was man ist und was man vorher war, nicht außer Acht gelassen wird. Sodass man ein Match findet zwischen dem, was man vorher gemacht hat, und dem, was man jetzt machen möchte. Es ist in der Tat so, dass viele Sachen momentan sehr gleich klingen. Wenn man sich die ein oder andere Playlist anhört und denkt: "Oh, krass. Das klang jetzt wie der eine Song vorher und so wie der, der danach kommt …"
MZEE.com: Aber von unterschiedlichen Künstlern.
Lucy: Ja, genau.
MZEE.com: Ihr seid ja der erste gesignte Act auf Genetikks Label "Outta This World". Verspürt ihr dadurch einen bestimmten Druck oder die Erwartungshaltung, besonders erfolgreich sein zu müssen?
Lucy: Ich denke, diese Erwartungshaltung hat man sich selbst gegenüber immer. Man will das ja unbedingt. Aber bei uns ist es eher so, dass vor allem ich derjenige bin, der sagt: "Muss mehr!" Und die Jungs von Genetikk sind so: "Digga, beruhig dich. Es ist alles gut. Es läuft alles wunderbar." Wenn man sich aussucht, zu machen, was wir machen – also etwas Eigenes zu finden und das zu etablieren –, dann ist das schwieriger als zu machen, was alle gerade machen. Denn damit hast du es einfacher, schnell viele Leute zu überzeugen. Natürlich ist unser Weg im ersten Moment der schwierigere. Aber langfristig gesehen hat man dann am Ende genau die Leute, die sagen: "Deswegen mag ich die, weil die ihr eigenes Ding machen."
Deon: Wir bekommen von unserem Label auch sehr viele Freiheiten. Wir bedienen ja auch nicht den Genetikk-Sound, sondern haben eine ganz eigene Sound-Welt. Deshalb lassen uns die Jungs einfach unser Ding machen.
Lucy: Genau deswegen haben sie uns ja aber auch gesignt.
MZEE.com: Ist es manchmal eine bequemere Position, wenn man eine Art "Schützling" ist, der bei einem erfolgreichen Label unter Vertrag steht? Oder meint ihr, dass es grundsätzlich eher schwerer ist?
Lucy: Ich denke, es macht uns den Weg auf jeden Fall besser, dass wir da sind. Dass man trotzdem superviel arbeiten und weiterhin 'nen Hustle schieben muss – das ist halt auch da. Und das wird auch nicht gehen. Insofern hat man irgendwie auch wiederum eine schwierige Position. Aber genau so ist es schon ziemlich cool.
MZEE.com: Lebt ihr denn mittlerweile von der Musik oder macht ihr noch was nebenbei?
Deon: Wir machen beide noch was nebenbei.
Lucy: Ich würde eigentlich noch studieren, aber mache gerade Urlaubssemester nach Urlaubssemester. Und ich mach' noch ein kleines bisschen was nebenbei. Aber die Musik bietet uns mittlerweile auf jeden Fall eine finanzielle Stütze, sodass wir mehr Zeit haben, Musik zu machen. Wir müssen nicht komplett anderen Jobs nachgehen, um überleben zu können. Das muss man auch am meisten wertschätzen. Ich denk' mir immer wieder: "Ey, du hast einfach die Möglichkeit, Musik zu machen. Machst du halt nebenbei noch was anderes …" Mein Vater ist Maurer, ich geh' manchmal noch mit ihm auf der Baustelle werkeln. Das ist voll in Ordnung, das erdet mich immer noch ein bisschen. Es ist nicht so, dass ich den lieben langen Tag mit was anderem verbringe und die Musik das Hobby ist. Das hat sich komplett gedreht. Und das ist supercool.
MZEE.com: Es ist eine große Freiheit, Kunst zu machen und nicht die ganze Zeit über Geld nachdenken zu müssen.
Deon: Das stimmt. Den Schritt muss man aber halt auch gehen. Den hat man vielleicht auch immer am Anfang als Künstler. Du musst dir zunächst alles selbst finanzieren und schauen, dass du die Sachen an den Start bekommst. Bis du erst mal den Schritt machen kannst, dass du sagst: "Das gibt mir jetzt ein Polster, da kann ich meine Arbeit mal 'nen Tick runterfahren oder ganz weglassen."
Lucy: Und man muss das auch erst mal bezahlen können. Das Geld, das wir vorher verdient haben, haben wir immer in das gesteckt, was wir machen. Wir haben von Anfang an auch dick aufgefahren, live mit Band gespielt, ständig viel Equipment gekauft … Deon ruft mich dann immer an und sagt: "Wir müssen das und das jetzt holen!" (grinst) Ich hab' da von Tuten und Blasen keine Ahnung. Aber das ist auch nicht schlimm – er weiß es ja.
MZEE.com: Er darf also das Geld ausgeben …
Deon: (grinst) Wenn es um Equipment geht, auf jeden Fall.
Lucy: Wenn es um Equipment geht, dann ist Deon verantwortlich. Man muss dazu auch bereit sein, wenn man das Ganze wirklich machen will … Ich hab' so viele Leute am Anfang kennengelernt, die auch Musik machen wollten. Und hatte oft das Gefühl, dass der gewisse Funke, zu opfern, nicht da war. Sich gerade in den Anfangszeiten viele Sachen nicht zu leisten, sondern alles in die Mucke zu stecken, damit man irgendwann mal wohin kommt. Und genauso werden wir das auch weitermachen.
MZEE.com: Es ist vermutlich gerade wichtig, sich auch immer wieder zu erden. Am einen Tag stehen eben Tausende vor deiner Bühne. Und am nächsten Tag hilft man dann seinem Vater …
Lucy: Absolut. Nach dem Splash!-Auftritt zum Beispiel. Ich kann mich noch erinnern: In der achten Klasse stand ich in der Schule mit einer Gruppe von Jungs und Mädels und die haben vom Splash! erzählt: "Ja, es gibt das Splash!-Festival, da sind ganz viele Rapper. Lasst uns da mal hinfahren." Diese Hirngespinste in dem Alter halt. Und ich hab' gesagt: "Ich fahr' erst hin, wenn ich da spiele." Da haben mich natürlich alle ausgelacht. Und ein paar Jahre später mach ich's halt. Da kommst du schon nach Hause und denkst dir: "Boah, krass. Hast halt heftig gerockt gerade, ne …" Dann stehst du ein paar Tage später wieder auf der Baustelle und weißt: Jetzt bist du halt hier. Und hier ist es auch lustig und cool. Das schätzen auch die Leute um einen rum. Gerade die Familie, die engen Freunde – die sehen das und sagen: "Cool, dass du immer noch derselbe Kerl bist, der nur ab und an mal einen Gastauftritt auf dem Splash! oder Frauenfeld spielt."
MZEE.com: Ihr habt letztens einen kostenlosen Gig bei "Rock gegen Rechts" gespielt. Ist es euch grundsätzlich wichtig, euch politisch zu positionieren?
Lucy: Ja, schon. Um politisch sehr ins Detail zu gehen, haben wir, glaube ich, nicht genug Zeit, um uns mit Politik zu beschäftigen. Es gibt natürlich die Dinge, die jeder mitbekommt. Bei Themen wie Rechtspopulismus kann man schon mal den Mund aufmachen und sagen: "Das ist nicht gut." Wir haben mittlerweile die Möglichkeit, dass uns einige Leute zuhören und gucken, was wir sagen. Wenn man dann gerade jungen Hörern auf Instagram vermitteln kann: "Leute, das ist kacke, was die da machen!", und sie dann abends mit ihren Eltern am Tisch sitzen, die vielleicht eine andere Meinung haben, und die Kids dann aufgrund einer Insta-Story sagen: "Nee, das ist schlecht!" – dann hat man doch was Gutes gemacht. Ich denke, das ist unsere Position zu der Sache.
MZEE.com: Erwartet ihr von anderen Künstlern, dass sie das machen? Es gibt ja das Thema der Verantwortung von Künstlern den Hörern gegenüber …
Lucy: Ich denke, wir finden das gut. Aber zum einen oder anderen passt es auch nicht. Vielleicht ist er sich nicht sicher, was er denkt, oder hat keine Meinung zu politischen Themen. Oder will sich einfach gar nicht mit Politik auseinandersetzen. Dann ist das sein gutes Recht. Ist immer noch besser als die falsche Meinung … (grinst)
MZEE.com: Es gibt momentan Rapper, die in die andere Richtung abdriften. Was sagt ihr dazu, wenn Künstler ihren Status verwenden, um rechtspopulistisches Gedankengut unter die Leute zu bringen? Oder bewusst doppeldeutige Aussagen machen, die leicht falsch interpretiert werden können?
Deon: Eine Position auszunutzen, ist natürlich immer schlecht …
Lucy: Das ist allgemein ein schwieriges Thema. Da muss man teilweise schon viel drüber reden und auch den Kontakt zu den Personen suchen, die sowas gesagt haben. Wer weiß, was in ihren Köpfen vorgeht – vielleicht sind manche Sachen auch gar nicht so oder ganz anders gemeint. Ich finde, man sollte den Dialog suchen und sie nicht direkt ablehnen. Das macht das Ganze ja oft nur noch schlimmer.
Deon: Ich denke, als Künstler muss man generell einschätzen können, dass man die Macht hat, sowas zu machen. Man muss sehr vorsichtig damit umgehen, weil man ja doch eine große Masse anspricht. Es ist gut, dass du als Sprachrohr deiner Fans fungieren kannst, aber du musst gleichzeitig vorsichtig mit dem sein, was du machst. Man muss sich als Künstler dessen bewusst sein, dass man diese Position hat und dass man, wenn man wächst, einen immer stärkeren Hebel hat. Und dann muss man eben richtig damit umgehen. Ob man sich letztlich für Politik einsetzt, ist jedem selbst überlassen.
MZEE.com: Der Punkt mit dem Dialog ist sehr wichtig. Anstatt jemanden auszuschließen und mit dem Finger auf ihn zu zeigen, ist es erst mal wichtig, mit den Leuten zu reden. Viele möchten das leider auch nicht – gerade nicht mit einem Magazin …
Lucy: Richtig. Wenn man gar nicht redet, schafft man auch genau das Gegenteil. Das bewirkt dann direkt dieses: "Schaut mal, die wollen uns nicht!" Damit wollen sie aber nicht nur drei, vier Rapper nicht, sondern noch eine Million Kids dahinter … Und das ist natürlich der falsche Weg, an die Sache ranzugehen. Man weiß ja vorher nie: Wie ist das Ganze gemeint? Hat derjenige vielleicht eine ganz andere Meinung und man hat ihn falsch verstanden? Oder es war irgendwas überspitzt oder so. Aber genau deswegen ist es wichtig, dass man das Gespräch sucht und nicht direkt auf Ablehnung geht. Ich glaube, das verstehen auch die jungen Hörer teilweise nicht.
MZEE.com: Wir wissen, dass ihr beide mehrere Sprachen sprecht, teilweise auch im Ausland gewohnt habt und nicht beide eurer jeweiligen Elternteile ursprünglich aus Deutschland kommen. Auf Basis dessen wüssten wir gerne, was ihr von der aktuellen politischen Lage in Deutschland in Bezug auf Flüchtlings- und Migrationsfragen haltet.
Lucy: Mein Vater wohnt in einem Dorf im Saarland. Wir haben da ein Haus. Deswegen bekomm' ich immer wieder einen Unterschied zu spüren: Einerseits sehe ich mein Zuhause in Saarbrücken und wie die Leute dort denken und sprechen. Und andererseits, wie anders das 15 Kilometer weiter im Dorf ist. Ich hab' genau da auch selber Erfahrungen mit Rassismus gemacht. Ich bin damals ziemlich schnell in die Stadt verschwunden – da war halt Rap und das Coole. Irgendwann hab' ich gedacht: "Such doch noch mal den Anschluss zu den Menschen im Dorf" – und hab' schnell gemerkt, dass das nicht möglich ist. Als die Griechenland-Krise war, haben die Menschen im Dorf gespottet: "Ah, dein Vater ist ein Sozial-Schmarotzer!" Mein Vater hat eine Baufirma, einige Hartz IV-Empfänger leben wahrscheinlich von den Steuergeldern meines Vaters. Und dann sagen solche Trottel, dass er ein Sozial-Schmarotzer ist, nur weil er Grieche ist. Dann die Sache mit den Flüchtlingen. Du kommst da aufs Dorf und dann fragen sie dich: "Wie stehst'n du zu den Flüchtlingen?" Und dann sagst du: "Nur her damit! Am besten hierher, damit sie direkt unter deutschen Leuten aufwachsen, das Ganze hier kennenlernen und verstehen." Ja, da kamen dann manchmal Meinungen raus … Das Schlimme ist, dass genau diese Leute größtenteils keine Berührungspunkte mit Flüchtlingen und Ausländern haben. Sie sagen Sachen wie: "Die Türken gehen ja gar nicht!" Und dann sag' ich: "Du gehst doch im Nebenort jede Woche mindestens einmal bei Memo Kebap essen." Und dann heißt es: "Ja, der Memo! Der Memo ist ja was anderes!" Ich hab' mich dann auch immer indirekt beleidigt gefühlt, weil viele mir gesagt haben, dass sie AfD wählen. Und ich war so: "Wenn du mir sagst, dass du AfD wählst, dann sagst du, dass du mich irgendwie nicht so richtig hier haben willst. Irgendwie gefällt dir das nicht, dass ich deine Kultur entfremde durch mein Dasein." Und da hieß es auch immer: "Nee, bei dir ist das ja was anderes!" – Es ist eben nichts anderes. Im Gegensatz zur ganzen medialen Ausschlachtung finde ich, dass Deutschland die Aufnahme von einer Million Menschen ziemlich gut hinbekommen hat. Natürlich passieren auch mal schlechte Sachen und natürlich sind da auch ein paar schlechte Leute drunter. Aber insgesamt hat das doch eigentlich ziemlich gut funktioniert. Ich kenne einige junge Flüchtlinge in Saarbrücken, auch Syrer, die schon Anschluss gefunden haben und nach nur zwei Jahren die Sprache schon super sprechen. Leute, die richtig willens sind, das zu lernen und hinzubekommen. Und da denke ich mir dann: Wenn man auf dem Dorf sitzt und gar keine Ahnung hat, dann sollte man einfach auch nichts sagen.
Deon: Das ist auch ein Bildungsthema. Es gibt Leute, die sich einfach komplett auf die Medien verlassen. Die zwei, drei Medien für sich auswählen und sich davon berieseln lassen. Diese Medien sind halt komplette Meinungsmacher. Ich glaube, auf dem Dorf ist man generell im eingeschweißten Kreis, hat seine Freunde und alles, was außerhalb von dreißig Kilometern ist – oder weniger –, funktioniert dann nicht. Man fühlt sich dann quasi in seiner Wohlfühl-Zone schlecht verstanden.
Lucy: Die Leute aus dem Dorf 15 Kilometer rechts von Saarbrücken regen sich ja schon auf, wenn Leute aus dem Dorf 15 Kilometer links von Saarbrücken dahin kommen. Und sagen: "Was will der hier? Der ist aus Saarlouis!" Was sollen die mit jemandem anfangen, der von 3 000 Kilometer Entfernung hierher kommt … Das ist dann natürlich eine Sache von Bildung, eine Sache von dem, wie das Ganze kommuniziert wird und in welchen Kreisen du eigentlich sitzt. Bei uns in Saarbrücken habe ich noch nie mit jemandem gesprochen, der eine rechte Meinung oder sowas hatte.
Deon: Ich glaube, das ist generell eine Sache, die auch ein bisschen Zeit braucht. Wenn ich für mich spreche: Mein Dad ist Italiener und ist irgendwann mit seinem Vater zusammen in der 70er-Bewegung rübergekommen. Er hat dann hier Arbeit gefunden und es hat gut funktioniert über die Jahre hinweg. Ich glaub', das braucht halt alles ein bisschen. Dem Ganzen muss man auch ein bisschen Zeit geben.
Lucy: Das Ding ist aber auch, dass dein Vater und mein Vater als Gastarbeiter hier rübergekommen sind. Das war ein bisschen was anderes. Weil erst mal klar war: Okay, die kommen jetzt, um zu arbeiten – und gehen dann wieder. Es sind natürlich auch viele geblieben: Es leben, meine ich, knapp eine Million Italiener in Deutschland und knapp 600 000 Griechen. Was man in Saarbrücken zum Beispiel gar nicht merkt, weil da fast keine sind … Das waren aber immer noch Europäer. Und da sind viele, die ein fremdenfeindliches Denken haben, glaube ich, noch eher zufrieden mit, wenn es sich um Europäer handelt.
Deon: Die Europäer kommen ja aus den ganzen Urlaubsländern – da haben die Menschen dann einen Berührungspunkt.
Lucy: Vor allem, wenn sie gebraucht werden, um das Land wiederaufzubauen. Dann mag man sie natürlich.
MZEE.com: Die Menschen sind es natürlich heutzutage gewohnt, dass es hier auch Italiener gibt. Aber jetzt kommt was Neues und dann …
Lucy: … und dann ist das schlecht. Die anderen sind ja in Ordnung – jetzt. Die kennt man schon. Meine Oma zum Beispiel ist Österreicherin, die größtenteils in Deutschland aufgewachsen ist. Mein Opa war Gastarbeiter und als die zusammenkamen, war auch nicht jeder einverstanden damit. Mein Vater wurde dann in Deutschland geboren und als er fünf war, sind sie noch mal nach Saloniki gezogen. Jetzt lebt meine Oma auch in Griechenland und man sieht: Es kann auch gut funktionieren. Meine Mutter hingegen ist aus Tschechien. Mein Vater hat sie auf einer Europareise kennengelernt. Es ist alles total multikulti bei uns. Nur merke ich aber auch, dass das beim österreichischen Teil meiner Familie noch mal was anderes ist. Hier in Deutschland hast du immer das Gefühl, dass die Leute mit weniger Bildung teilweise ein schlechtes Weltbild haben. Oder es passiert, dass sie rechts denken. Meine gesamte Familie in Österreich besteht aus Akademikern. Die haben alle einen Titel. Und da hatte ich auch schon Situationen, in denen ich mal laut geworden bin, wenn wir mit dem österreichischen Teil meiner Familie große Feste hatten. Und mein Vater mich dann von der Stelle verwiesen hat, weil ich zu laut wurde, da die Meinung nicht klargeht. Mein Vater und ich haben lange zu zweit in unserem Haus gelebt. Wenn dann Verwandte aus Österreich da sitzen und herablassend über Ausländer reden … Da sag' ich dann: "Ey, Leute. Ihr sitzt hier und habt gerade gefüllte Paprika gegessen, die wir gemacht haben. Ihr seid beim Ausländer im Nest – was redet ihr denn eigentlich?!" Das ist leider mein Gefühl von Österreich: Dass es vielleicht sogar noch ein bisschen schwieriger ist als bei uns.
MZEE.com: Ich finde, aus all diesen Erfahrungen und Erzählungen kann man auf jeden Fall das Fazit ziehen: Man muss in solchen Situationen immer aufstehen und sagen, dass das nicht geht. Egal, ob in der Straßenbahn oder zu Hause, egal, wer das Gegenüber ist.
Lucy: Und zwar genau aus einem Grund: Wenn man das nicht macht, wird es irgendwann normal. Dann darf man diese Sachen auf einmal sagen. Und dann bewegt man sich ganz schnell in einer ganz, ganz unangenehmen Situation.
MZEE.com: Manchmal muss man dabei auch über seinen Schatten springen. Und manchmal hat man auch keinen Nerv mehr drauf, wieder und wieder die gleichen Sachen zu erklären. Weil man sie schon so oft gesagt hat und es einem als logisch erscheint, dass andere doch die Dinge wissen und genauso sehen müssen wie man selbst. Ich denke, man darf nie davon absehen, etwas dagegen zu halten – egal, wie es einen nervt oder sauer macht …
Lucy: Ja, total. Das ist absolut richtig.
MZEE.com: Zum Abschluss haben wir noch eine Frage abseits von Politik für euch. Stellt euch mal vor, wo ihr in fünf Jahren am liebsten wärt, wenn ihr euch größenwahnsinnig zwischen andere Künstlern einreihen dürftet. Wo würdet ihr euch da am liebsten sehen?
Lucy: In fünf Jahren? Weiß ich nicht. Aber in zehn Jahren …
Deon: … Herbert …
Lucy: Ja. Herbert Grönemeyer. Dieser Mann ist ein richtiger König. Wir machen in meinen Augen Musik, die man sehr gut in Stadien spielen könnte. (grinst) Und bis dahin spielen wir sehr, sehr gerne ganz viel in Clubs. Wir spielen jetzt im September unsere erste Tour und freuen uns mega. Die Ticketverkäufe laufen super – gerade für so einen kleinen Newcomer. Saarbrücken wurde hochverlegt, Köln, München und Hamburg ziehen wahrscheinlich bald nach … Wir machen halt Musik für live. Gerade im deutschen Rap habe ich aktuell oft das Gefühl, Sachen hören sich auf Platte gut an und sind dann live irgendwie komisch. Ich denke, was unsere Liveperformance angeht, haben wir diese Rock-Attitude: Wir spielen und spielen und spielen uns den Arsch ab. Wir waren letztens beim Out4Fame und sind sehr früh aufgetreten. Da war 'ne Handvoll Leute, das war fast nichts. 20 Leute vielleicht. Aber sieben haben uns danach geschrieben: "Ey, wie krass war denn bitte die Energie?" Weil es einfach wichtig ist, dass, selbst wenn da nur 20 stehen, du komplett alles abreißt. Mit kompletter Energie. Denn wenn du das Ding für dich nicht fühlst – dann können die es auch nicht fühlen. Ich seh' andere Rapper, die bekannter sind als wir und vor viel größeren Mengen spielen … Und die dann abgefuckt sind, weil es ihnen nicht genug ist, was zurückkommt. Das liegt aber daran, dass sie es nicht verkörpern können. Genau deswegen sage ich: in zehn Jahren Herbert Grönemeyer. Weil wir beständige Musik für die Ewigkeit machen. Wollen. Und werden.
(Florence Bader und Laila Drewes)