Ob man auf der Autobahn oder im Zug unterwegs ist, durch die verlassensten Fabrikhallen oder dicht bebaute Innenstädte läuft – Graffiti-Kunst ist überall. Während die verschiedenen Tags, Character und Styles mal mehr, mal weniger prominent vorzufinden sind, ist über deren Erschaffer oft wenig bis gar nichts bekannt. Zum einen, weil sie als Künstler durch ihre Bilder sprechen und anderweitig nicht zu Wort kommen möchten, zum anderen aber auch, weil sie sich mit ihren Arbeiten häufig am Rande der Legalität bewegen und deshalb im Hintergrund bleiben müssen. Doch während für einige Menschen Graffiti immer noch verpönt ist und als Sachbeschädigung und Vandalismus gilt, erkennen seit geraumer Zeit viele andere diese Ausdrucksweise als eigenständige und ernstzunehmende Kunstform an – immerhin ist sie wie kaum eine zweite maßgeblich für die Wahrnehmung unseres öffentlichen Raums mitverantwortlich. Vor diesem Hintergrund möchten wir erneut Bezug auf die bisherigen Streetart- und Graffiti-Specials unseres "Wir haben 10 Rapper gefragt …"-Formats nehmen. Daher haben wir ein weiteres Mal zehn Writer befragt, um von ihnen zu erfahren: "Was ist dein absolutes Lieblingsbild, das von dir selbst stammt? Aus welchem Grund ist es für dich so besonders?"
NORM: Einen Alltime-Favorite zu benennen, finde ich recht schwer bis unmöglich, denn jedes Bild hat seine Story und etwas Besonderes. Sei es der Spot, die Leute, die dabei waren, ein netter Sommertag oder einfach nur ein schönes Foto. Etwas anders ist es allerdings bei diesem Schuss aus dem Jahr 2013. Noch heute teilen Leute diesen Beitrag. Ich stoße immer wieder über Artikel und Werbeanzeigen in Magazinen, zuletzt während meines Südafrika-Trips beim Durchblättern eines Graffitimagazins in einem Dosenshop in Johannesburg. Natürlich freut man sich, seine Arbeit über Doppelseiten gedruckt in den größten Magazinen wie zum Beispiel "Stylefile" oder "Down by law" zu sehen. Auch wenn ich dadurch schmerzlich lernen musste, wie Business und das "Recht am Bilde" funktioniert, danke ich Molotow für die damalige Anfrage und diese Chance, gesehen zu werden. Und danke auch an Euch für diese nette Anfrage!
Citer: Das Piece an sich zählt zwar zu meinen Favoriten, ist aber dennoch nicht mein Lieblingswerk, gerade weil ich sehr selbstkritisch und nicht immer zufrieden mit meinen Arbeiten bin. Trotzdem hab' ich mich für das hier entschieden, weil ich wahnsinnig stolz auf meine eigene Leistung bin und trotz selbstgestellter hoher Ansprüche alles recht easy von der Hand gelaufen ist. Das Piece ist in meinem Atelier in Koblenz und ist eigentlich im Rahmen eines Projekts entstanden, für welches ich mal etwas Neues ausprobieren wollte. Aber dass dann aus einem einfachen Übungspiece einer meiner Lieblinge geworden ist, hätte ich nicht gedacht.
Crek Hougen: Es ist nicht immer wichtig, dass eine Produktion perfekt und rund wird. Natürlich lehnt man sich gerne nach getaner Arbeit zurück, genießt ein kühles Helles und erfreut sich an seiner Arbeit. Aber inzwischen stehen für mich die Menschen und Kontakte im Vordergrund, mit denen eine gelungene Wand entstanden ist. Daher steht das Bild für alle Freunde und unsere gemeinsamen fetten Zeiten, die wir bis heute genießen. Danke an dieser Stelle.
Jerooone: Eigentlich denke ich immer, dass mein nächstes Bild mein bestes werden wird. Es ist am neuesten, es hat den freshesten Style und es stehen noch alle Möglichkeiten offen, weil es ja erst im Kopf existiert. Das motiviert mich seit 25 Jahren jeden Tag aufs Neue, rauszugehen und zu malen. Graffiti ist eine stetige Style-Entwicklung und es wäre auch langweilig, zu denken, dass man das beste Bild schon gemalt hat. Dennoch gibt es natürlich manche Bilder, die mir aus anderen Gründen gut gefallen. Location, Komposition und Qualität des Fotos, Größe und so weiter spielen auch eine Rolle und so habe ich mich für dieses Foto entschieden. Es ist relativ aktuell und zeigt drei meiner Styles in der Hall of Fame Stuttgart-Vaihingen …
Horst: Das Bild war schnell gemalt. Ich mag die reduzierte Farbgebung und den Spot. Außerdem sehe ich Spontanität im Bild. Das gefällt mir daran.
Some: Mein Lieblingspiece der letzten paar Jahre. Das liegt zum einen daran, dass ich davor seit Jahren kein Bild komplett mit Dosen gemalt hatte und zum anderen, dass ich den Spot genial finde: ein alter Hochbunker aus den 40er Jahren mitten im Ruhrpott. Direkt in meiner Hood. Die alte Wandfarbe aus den 70ern auf der Fassade leicht abgeblättert und verblichen, Moos, zusammen mit meinem Style, den frischen Farben … Das feier' ich.
Syck: Wenn man ein Bild auswählen soll, denkt man lange darüber nach, welches "das eine Bild" sein könnte. Das neueste mit der aktuellsten Entwicklung? Oder das größte Projekt, an dem man je gearbeitet hat? Oder die Wand, an der man mit netten Menschen eine wirklich gute Zeit hatte? Am liebsten würde ich gerne mehrere Bilder zeigen. Letztendlich habe ich mich für ein Bild entschieden, welches für mich bis heute etwas Besonderes darstellt. Denn auch wenn man irgendwann ältere Bilder nicht mehr so gut findet wie die neueren, erinnere ich mich doch gerne an bestimmte Aktionen, da der Ort oder die Aktion besonders war. Und dieses Bild ist an einem Ort entstanden, an dem es einfach genial war, zu malen. In Australien direkt an einem Fluss, an einer Hall, an der nur richtig krasse Bilder standen von zum Beispiel Sofles und Basix und auch von Freunden wie Pork und Sbek. Mit Basix diese Wand zu malen und die Atmosphäre dort – das war eines der Highlights meiner Australien-Reise. Deswegen schaue ich es mir immer wieder gerne an und habe es ausgewählt.
Buddy115: Die Wände sind für mich besonders, da hier vieles angefangen hat. Wir sprechen von einem Betriebshaus der örtlichen Autobahn, welches in einem Park steht, dessen Grundboden der Deckel des Autobahntunnels bildet und Eigentum der ortsansässigen Autobahn-Betriebsgesellschaft ist. Das Haus liegt im Rücken eines Spielplatzes, was damals ideal für jugendlichen Unsinn war. Da die Zustände der Spielplätze zu der Zeit leider sehr unbefriedigend waren, wozu man rückblickend sicherlich selbst auch einen Teil beigetragen hat, waren weniger Eltern mit Kindern, sondern mehr Jugendliche vor Ort, die nichts Besseres mit Ihrer Zeit anzufangen wussten. Da war es schon fast logisch, dass wir hier täglich unsere Zeit vergeudeten und dann auch irgendwann die ersten Gehversuche mit Graffiti unternahmen. Motiviert von dem Bruder einer meiner besten Freunde, der gerade selber die ersten Berührungspunkte mit dem Thema hatte, lernte man schnell einige Leute kennen, die die gleiche Faszination zu Graffiti teilten. Eine Handvoll gehört heute immer noch zu den engeren Vertrauten … Inzwischen waren die Bedingungen auf den Spielplätzen glücklicherweise deutlich besser, sodass diese auch wieder von der gewünschten Zielgruppe genutzt werden konnten. Die bemalten Wände sahen allerdings immer noch grauenvoll aus, da selbst richtig geile Bilder schnell von der herrschenden Schmierflut Unwissender immer wieder zerstört wurden. Genervt von der Situation und ehrlicherweise ein bisschen eigensinnig motiviert, da ich das Haus von dem Balkon meiner damaligen Wohnung sehen konnte, habe ich über einige Umwege herausgefunden, wer für das Betriebshaus zuständig ist – und einfach mal angeklopft. Die Freigabe war relativ easy zu erhalten. Allerdings ist die Gestaltung komplett eigenfinanziert, sodass die ziemlich blöd gewesen wären, wenn sie die Flächen nicht freigegeben hätten. Es war mir einfach eine Herzensangelegenheit! Aus diesem Grund schreiben die Styles auch den Namen meines Stadtteils beziehungsweise das Synonym dafür, in dem ich mich sehr wohl fühle. Der Vorteil ist, dass ich noch immer einen unbefristeten Nutzungsvertrag besitze, sodass ich mir ein bisschen Zeit lassen konnte, bis das Haus komplett umrundet war und heute bei Verlangen die ein oder andere Wand neu machen könnte, wenn ich wollte.
Searok: Ich habe spontan diese Wand hier ausgewählt, welche Rowdy, Posa, Mone und ich gemeinsam in Hamburg gemalt haben. Was hebt sie von all den anderen Arbeiten ab? Um ehrlich zu sein, nicht viel! Sie hat ein schönes Format und entspricht nicht dem Standard-Hall-Konzept "Jeder malt sein Piece brav neben dem anderen". Die Styles sind supernice und mir gefällt die Interaktion der Character untereinander. Diese leuchtende Rot-Grün-Killer-Farbkombo ist wahrscheinlich das i-Tüpfelchen und wie so oft haftet auch diesem Bild die Erinnerung an ein geiles Wochenende mit den Jungs an. Doch ehrlich gesagt gab es da wohl einige Wände, die diese Kriterien ebenso erfüllt hätten. Graffiti war und ist für mich immer eine Reise gewesen. Als ich zum ersten Mal mit HipHop in Berührung kam, war ich fasziniert von dem Wettkampfcharakter, den diese Kultur mit sich bringt, dem permanenten Battle und Streben nach Verbesserung. Auch wenn ich hart an mir gearbeitet habe, schlief die Konkurrenz natürlich nicht, sondern entwickelte sich ebenso weiter und lieferte mir den nächsten Motivationsschub. Graffiti verändert sich, wird immer ausgefeilter, atemberaubender sowie differenzierter – dies wird auch in Zukunft so sein. Daher ist es für mich eine niemals endende Reise. Auf jede fertiggestellte Wand folgt hoffentlich eine noch bessere. Ich empfinde meist tiefe Zufriedenheit, wenn ein neues Bild vollendet ist. Doch hält dieses Hochgefühl meist nicht lange an. Spätestens nach ein paar Tagen verblasst es und weicht einem Feuer, welches nur gelöscht werden kann, indem ich die Dose in die Hand nehme und ein neues Werk beginne. Meine Lieblingswand ist eine Momentaufnahme. Noch hält die Begeisterung an, die Erinnerung ist noch frisch, aber in ein paar Wochen würde ich wohl eine andere Arbeit wählen.
(Florence Bader)
(Fotos von den Künstlern, Grafik von Puffy Punchlines)