Für wohl kaum einen anderen Artist dürfte der Auftritt auf der Tapefabrik 2018 derart emotional gewesen sein wie für Pilz. Genau ein Jahr zuvor ereignete sich im Schlachthof Wiesbaden der bisher einschneidenste Moment in der Karriere der Rapperin, als sie im Battle gegen Nedal Nib ein Kopftuch anzog und einige Lines in Bezug auf den muslimischen Hintergrund ihres Kontrahenten abfeuerte. Es folgten ein Shitstorm sondergleichen, tausende geschmacklose Nachrichten inklusive Morddrohungen an Pilz und eine umfassende Berichterstattung auch außerhalb der Rapmedien. Wir wollten von der Rapperin aus Lübeck nach ihrem Auftritt auf der diesjährigen Tapefabrik wissen, inwieweit sie die Eindrücke aus dem vergangenen Jahr auf ihrem Album verarbeitet hat. Außerdem sprachen wir über ein mögliches Leben nach dem Tod, den Wert jedes einzelnen Lebens und die politische Situation in Deutschland.
MZEE.com: Du hast an deinem Geburtstag dein kommendes Album "Todgeburt" angekündigt – man möchte fast sagen, ein in sich widersprüchliches Announcement. Hattest du das länger geplant oder war der dazugehörige Livestream auf Facebook eher spontan?
Pilz: Geplant war das Album ursprünglich mal für Februar. Ich war selbst daran schuld, das Datum nicht einhalten zu können. (lacht) Seitdem habe ich versucht, die Platte so schnell wie möglich raushauen zu können. Die Ankündigung per Livestream kam dann eher gezwungenermaßen. Ich finde sowas eigentlich immer total unangenehm, aber das muss man eben machen, um gegen den Algorithmus bei Facebook anzukommen.
MZEE.com: Über "Todgeburt" hast du bereits verraten, dass du es – im Gegensatz zu deinen anderen Werken – aktuell selbst pausenlos hörst. Was unterscheidet das neue Album von den Vorgängern?
Pilz: Ich glaube, das liegt hauptsächlich daran, dass man sich von Release zu Release immer weiterentwickelt. Ich würde nicht sagen, frühere Releases wären schlecht – die finde ich auch geil –, aber bei diesem Album war ich voll im Modus. Erst einmal ist es komplett rund, aus einer Produzentenhand und viel zusammenhängender. Ich finde, auch wenn Eigenlob stinkt, dass man eine krasse Steigerung bemerkt. (grinst) Beispielsweise weiß ich natürlich, dass meine markante Stimme ein Markenzeichen ist, aber ich habe das negative Feedback dazu durchaus wahrgenommen und mal probiert, stimmlich etwas weniger auszubrechen. In den Tracks ist jetzt auch mehr Ruhe und es ist allgemein angenehmer zu konsumieren. Man hat nicht mehr das Gefühl, vier Tracks zu hören und dann piepst es im Ohr. (lacht)
MZEE.com: Wir hatten einmal Morlockk Dilemma im Interview, der sinngemäß gesagt hat: "Egal, wie viele Leute meine Stimme hassen, ich ändere auf gar keinen Fall etwas daran." Hat es dich Überwindung gekostet, dein "Markenzeichen" einzuschränken?
Pilz: Die Veränderungen sind eher im Detail. Ich klinge jetzt nicht komplett anders auf dem Album. Ein Beispiel: Ich nehme nur selten Sechzehner am Stück auf, sondern cutte zwischendrin. Und wenn ich die Zeile früher fertig eingerappt hatte, habe ich gemerkt, wie ich zum Ende hin immer mit der Stimme hochgegangen bin. An solchen Kleinigkeiten habe ich gearbeitet, aber das Gesamtprodukt ist eben immer noch Pilz. Ich habe mich nicht komplett verbogen oder sowas, eher mich mehr den Beats angepasst.
MZEE.com: In unserem letzten Interview hast du verraten, dass du recht bibelfest bist. Wir haben mal ein Bibelzitat zum Thema "Leben und Tod" herausgesucht: "Denn die Lebenden wissen, dass sie sterben werden. Die Toten aber wissen nichts, sie haben auch keinen Lohn mehr, denn ihr Andenken ist vergessen." Das klingt für uns eher atheistisch als nach der christlichen Vorstellung des Paradieses.
Pilz: (liest sich den Vers noch mal genau durch und überlegt) Ich verstehe voll, was ihr meint. Generell widerspricht sich da meiner Meinung nach Vieles. Ich glaube, man müsste den Vers im Zusammenhang lesen, was davor und danach geschrieben steht. Meistens ergibt es so mehr Sinn. So klingt das für mich auch sehr widersprüchlich. Mehr kann ich dazu gar nicht sagen, ich stimme euch zu. (lacht)
MZEE.com: Glaubst du denn an so etwas wie das Paradies oder das Leben nach dem Tod? Oder, dass da schlicht ein großes Nichts sein wird?
Pilz: Ich muss sagen, dass das für mich ein sehr zwiespältiges Thema ist. Ich denke vor dem Einschlafen sehr oft darüber nach und habe da immer verschiedene Phasen. Mal denke ich so darüber, mal so. Grundsätzlich bin ich da Realist und denke mir oft: Wenn du tot bist, bist du eben tot. Ohne Scheiß – ich steigere mich total häufig in diese Frage rein und überlege dann, wie es ist, einfach weg zu sein. Einfach weg, das ist doch irre. Ich hatte dahingehend neulich ein Gespräch mit einem Professoren: Es ging um Abtreibung und er behauptete, ein Leben mit einer Behinderung sei kein lebenswertes Leben. Da ging es vor allem um den philosophischen Aspekt. Er sagte auch, ein Fötus würde noch nicht richtig leben, zumindest nicht, bis er einen Herzschlag hat. Ich finde aber, sobald das Kind im Bauch wächst, lebt es ja quasi schon. Irgendwann kamen wir aber zu der Kernfrage: Was ist man dann, bevor man anfängt, zu leben? Ist man da tot?
MZEE.com: Dahingehend könnte man auch gleich fragen, ab welchem Zeitpunkt Leben überhaupt einen Wert hat. Findet sich dieser Aspekt auf deiner Platte wieder?
Pilz: Sowieso. Vieles in diese Richtung verbinde ich aber auch mit dem Battle letztes Jahr, denn natürlich thematisiere ich das auf dem Album. Das war prägend für meine Karriere, wenn man so will. All die Nachrichten, die ich bekommen habe … Das war einfach zu krass. Ich hatte nie Todesangst, aber ich saß teils acht Stunden am Stück vor dem PC und habe nur Hass durchgelesen. Viele meinten, ich solle das gar nicht machen, aber das fasziniert auch ein Stück weit. Da wurde mir eben bewusst, wie viele Menschen mich tot sehen wollen. Ich habe den Gedanken dann weitergesponnen, weil viele Künstler ja erst nach dem Tod richtig bekannt werden. Würde ich also mehr Aufmerksamkeit bekommen als zu Lebzeiten? Wie groß muss man sein, damit das passiert? Das waren Fragen, die ich mir im Albumprozess ernsthaft gestellt habe.
MZEE.com: Wie bewertest du diesbezüglich rückblickend dein DLTLLY-Battle gegen Nedal Nib? Würdest du alles noch mal genauso machen?
Pilz: Voll. Ohne zu zögern. Wenn ich das nicht machen würde, wäre es ja erst komisch. Das wäre ein Eingeständnis für eine Sache, derer ich mich nie schuldig bekannt habe. Das ist meine Kunstfreiheit und wer das nicht checkt, soll sich ficken. (lacht)
MZEE.com: Vor Kurzem hast du auf Facebook das Bild einer Wand geteilt, auf die jemand "PILZ 4 PRESIDENT" geschrieben hatte. Könntest du dir denn wirklich vorstellen, nicht nur politisch aktiv, sondern auch in der Politik aktiv zu sein?
Pilz: (grinst) Ich bin tatsächlich schon aktiv. Mehr sage ich dazu besser nicht. (lacht)
MZEE.com: Wie kam es denn dazu?
Pilz: Bei uns in der Gegend ist der Anteil an AfD-Wählern sehr hoch. Ich rege mich immer sehr über diese Partei auf und will etwas gegen diesen Fakt unternehmen – aber das kann man eben nicht, außer man wird selbst proaktiv.
MZEE.com: Lass uns auf ein weiteres politisches Thema eingehen: Was ist deine Meinung über die Große Koalition, die wir nun wieder in Deutschland haben?
Pilz: Ich kann darüber leider nur den Kopf schütteln. Auch über das Verhalten der SPD. Zuerst sagen, man würde sich nie darauf einlassen, um am Ende doch klein beizugeben. Das ist alles lächerlich und zeigt mir nur noch mehr, dass man viele Politiker nicht allzu ernst nehmen sollte.
MZEE.com: Was hättest du dir denn gewünscht?
Pilz: Die Frage ist ein bisschen utopisch. Im Endeffekt kann man da ja sogar sagen, man fände Anarchie ganz schön. Da sind die Grenzen nicht gesetzt.
MZEE.com: Schon die Bildung einer neuen Regierung hat sechs Monate gedauert – meinst du, dass sie überhaupt eine ganze Legislaturperiode überstehen wird?
Pilz: Ich finde das total schwierig zu beantworten. Ich versuche, so viel zu sagen, wie mir möglich ist, aber häufig grenzt das auch an gefährliches Halbwissen. Vom Gefühl her kann ich es mir nicht vorstellen. Ich werde auch dafür belächelt, dass ich manchmal denke, dass das alles ein abgekartetes Spiel ist. Ich bin kein großer Verschwörungstheoretiker, aber Politiker drehen sich alles oft so hin, wie sie es gerne hätten, und ignorieren die größten Probleme. Das Wichtigste wäre doch eigentlich Bildung, meiner Meinung nach zumindest. Wenn man sich darauf konzentrieren würde, könnte das langfristig für Verbesserung sorgen und andere Baustellen würden sich wie von selbst lösen. Im Prinzip müssten dafür alle Parteien an einem Strang ziehen, aber keiner sucht nach den Ursprüngen. Irgendwie schwierig, darüber zu reden. Viele Leute brüllen hier auch etwas von Inklusion, aber davon sind wir noch weit entfernt. Weil man in Deutschland oftmals nur das Symptom behandelt, nicht die Ursachen. In allen Bereichen.
MZEE.com: Gerade eben und auch in unserem letzten Interview ging es um die AfD. Jetzt, wo diese Partei im Bundestag sitzt, musste sie sich schon ein paar Mal rhetorisch auseinandernehmen lassen. Glaubst du, dass es Politikern gelingen kann, den Rechtsruck argumentativ zu stoppen?
Pilz: (überlegt) Bezogen darauf, dass die AfDler irgendwann einknicken gegen etablierte Parteien? Oder dass Wähler irgendwann bemerken, wie viel Quatsch hinter dieser Partei steckt?
MZEE.com: Letzteres. Wenn man im Bundestag sitzt, hat sich die Meinung vermutlich schon zu sehr gefestigt, als dass so ein Einknicken noch möglich wäre.
Pilz: Das glaube ich nämlich auch. Ich denke, es wird immer dumme Menschen geben. Dumme Menschen vermehren sich auch immer sehr schnell. (lacht) Was natürlich nicht heißt, dass alle Menschen, die das tun, dumm sind …
MZEE.com: … und damit haben wir das titelgebende Zitat dieses Interviews gefunden! (alle lachen)
Pilz: Zurück zur Frage: Ich hoffe es, aber glaube es nicht wirklich. Bis vor einigen Jahren haben wir von der achten bis zur zwölften Klasse immer über die Nazi-Zeit gesprochen. Viele haben gesagt: "Leute, wir haben es jetzt verstanden. Das war schrecklich und wird nie wieder passieren." Jetzt reden wir wieder über genau solche Umstände. Das hätte ich vor zehn Jahren nicht zu träumen gewagt. Ich hoffe aber natürlich auch, dass der Gegenwind für die AfD nicht abnimmt. Viele AfD-Anhänger sind ja sehr empfänglich für diese Art von Brainwash und so entsteht ein gewisser Fanatismus in ihrer eigenen, kleinen Welt. Die wirst du nicht mehr überzeugen können. Andere Wähler denken aber wirklich nur nicht weit genug, da sind noch Chancen. Die sind aktuell eben sauer, vielleicht wegen der Flüchtlingsproblematik oder anderen Dingen, aber verlieren schon bald das Interesse an der Partei und Politik allgemein. "Jetzt haben wir einmal gemeckert, wir Deutschen, und jetzt sind wir wieder stolz und setzen uns vor den Fernseher!" (lacht)
MZEE.com: Das ist natürlich ein sehr interessantes Thema, über das man Stunden reden könnte. Wir möchten mit dir aber auch noch ein bisschen über Rap sprechen und von dir als ausgewiesene Battlerap-Expertin gern deine aktuelle Lieblings-Punchline eines anderen Rappers wissen.
Pilz: (lacht) Ich bin furchtbar schlecht in sowas. Das sind die Fragen, bei denen ich mich im Nachhinein über meine blöden Antworten ärgere. Spontan habe ich ein riesiges Brett vor dem Kopf und würde mich später ärgern.
MZEE.com: Wüsstest du denn von deinem eigenen Album eine Line, die du zitieren könntest?
Pilz: Ich weiß, das kommt ganz eklig rüber und alle Künstler sagen das, aber das Album ist irgendwie so geil, ich kann mich auf keine festlegen.
MZEE.com: Okay, das ist jetzt aber wirklich das titelgebende Zitat dieses Interviews! (alle lachen)
(Laila Drewes & Alexander Hollenhorst)
(Fotos von Timo Leichert)