Mauli will kein "Spielverderber" mehr sein. Rund zweieinhalb Jahre nach dem Erscheinen seines Debütalbums hat sich der Berliner dazu entschlossen, seine Musik frei von Rundumschlägen gegen die halbe Szene und andere Rapper zu halten. Stattdessen fokussiert er sich auf der neuen Platte "autismus x autotune" mehr auf aussagekräfte Zeilen, das Transportieren von Gefühlen und einen möglichst eigenständigen Sound. Im Interview verriet uns Mauli, nach welchen Kriterien er für diesen Zweck seine Samples auswählt, was für ihn einen guten Albumtitel ausmacht und welche Aspekte ihn am vermehrten Aufkommen von "Streaming-Rap" nerven.
MZEE.com: Dein neues Album "autismus x autotune" wurde komplett von dir selbst produziert, der Vorgänger "Spielverderber" von morten. Ist es dir wichtig, dass ein Album stringent und durchweg von einem Produzenten ausgearbeitet wird?
Mauli: Na ja, was heißt stringent? Man kann ja auch einen Sound durchziehen, ohne immer den gleichen Typen zu beanspruchen. Das ist schwer zu beschreiben, aber ich wollte soundtechnisch nicht an "Spielverderber" anknüpfen. Weil ich irgendwie an vielen Dingen etwas zu meckern hatte, dachte ich, dass ich es vielleicht besser selbst machen sollte. Beim letzten Album habe ich auch mit morten zusammen produziert, das wurde nur nicht so nach außen kommuniziert. Allgemein wirken viele Leute überrascht, wenn sie erfahren, dass ich Beats mache. morten war jetzt ein bisschen überrumpelt davon, dass ich etwas anderes wollte, und wusste dadurch auch nicht, in welche Richtung es gehen soll. Als wir zusammengesessen haben, habe ich einfach gemerkt, dass mir Produzieren gerade sehr viel Spaß macht. Und ja, ich finde es schon wichtig, dass man einen stringenten Sound auf einem Album hat und es eben nicht so klingt, als würde man in alle Richtungen mal reinschnuppern, die gerade funktionieren.
MZEE.com: Du hast mal erwähnt, dass du das Album zu einem großen Teil in deinem Auto produziert hast. Wie hast du denn gemerkt, dass du dort alle Freiheiten hast und ungestört arbeiten kannst?
Mauli: Mein Auto hat einfach die besten Boxen, die ich momentan zur Verfügung habe. Wenn ich zu Hause meine Boxen laut aufdrehen würde, wären meine Nachbarn schon mit der Klage unterwegs. In der Endphase der Albumproduktion habe ich mich in mein Auto geflüchtet und tatsächlich viel dort gemacht. Die Beats sind im Auto entstanden, aufgenommen habe ich da natürlich nicht. Wobei, das erste Snippet damals habe ich auch im Auto aufgenommen, weil es egal war, wie die Qualität der Aufnahme war. Aber ja: Größtenteils ist das Album tatsächlich im Auto auf dem Beifahrersitz entstanden.
MZEE.com: Bist du ausschließlich durch Berlin gefahren oder auch quer durch Deutschland?
(Maulis Freundin lacht im Hintergrund)
MZEE.com: Oh, deine Freundin lacht schon …
Mauli: Ja, sie hat allen Grund zu lachen! Alina war nämlich die ganze Zeit meine Fahrerin. Größtenteils sind wir in Berlin rumgefahren, aber wir waren auch in Ecken, an denen wir jetzt nicht jeden Tag sind, zum Beispiel in Köpenick. Wir haben uns einfach ein bisschen treiben lassen, das gibt einem ein gutes Gefühl. Wobei ich jetzt weniger die Inspiration in Köpenick gesucht habe. Unterwegs hat man automatisch einen guten Drive, weil man kreieren kann, ohne direkt zum Schluss kommen zu müssen. Wir sind auch mal übers Land gefahren. Wenn zum Beispiel ein Auftritt in Hannover anstand, habe ich auf dem Weg was gemacht. Das Meiste entstand allerdings schon in Berlin und Potsdam.
MZEE.com: Das klingt, als wärst du jemand, der zum Arbeiten raus aus seinem gewohnten Umfeld muss.
Mauli: (grinst) Ja, schon. Wobei ich auch oft zu Hause gesessen habe. Aber irgendwann guckt man immer auf die gleichen Gegenstände und denkt sich, dass jetzt mal etwas anderes gut wäre. Ich finde es natürlich cool, wenn man eine Base hat und weiß, dass man dort hingehen kann, um ungestört Musik zu machen. Aber ich fand das Rumfahren schon wichtig.
MZEE.com: Hat dir das nur bei deinen Produktionen geholfen oder auch kreativen Input für deine Texte gegeben?
Mauli: Ich habe im Auto auch ein bisschen geschrieben, aber doch mehr zu Hause oder im Studio. Das hatten wir für eine Woche gemietet. Viele Texte sind erst kurz vor der Aufnahme entstanden. Ich hab' das teilweise vor mir hergeschoben und oft nur einzelne Zeilen oder Stichworte notiert. Die finalen Texte habe ich dann unter Druck geschrieben. (lacht)
MZEE.com: Du hast bei den Beats auch mit Samples gearbeitet. Haben diese für dich bestimmte Bedeutungen? Nach welchen Kriterien wählst du sie aus?
Mauli: Auf der Suche nach Samples habe ich viele Sachen heruntergeladen, die ich in meiner Kindheit gehört habe oder die meine Eltern mir gezeigt haben. Ich wollte schon, dass sie nicht einfach random sind und am besten noch aus einem vorgefertigten Sample-Pack stammen. Ich find's für mich auch schöner, wenn ich zu einem Song eine Geschichte habe. Wenn ich weiß, wo mir das Sample zum ersten Mal begegnet ist. Bei "Klepto" zum Beispiel wollte ich unbedingt noch eine Harfe drin haben und habe bei YouTube einfach "Harp" eingegeben. Das erste Video war ein Harfen-Cover von "Fire Flies" von Owl City. (grinst) Das ist ein total trashiger Song, aber die Geschichte macht den Song für mich persönlich cooler.
MZEE.com: Die Begriffe "Autismus" und "Autotune" haben auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun. Spiegeln sie für dich zwei Pole deiner Persönlichkeit wieder?
Mauli: (überlegt) Ja, musikalisch definitiv. Wenn man meine Musik runterbrechen und verstehen möchte, helfen diese beiden Worte auf jeden Fall sehr. Ich fand den Titel irgendwie schön, der war prädestiniert dafür, ein Albumtitel zu werden. Er ist wie ein Leitfaden, der sich durchzieht. Wenn man die beiden Worte vorher sieht, kann man sich nicht darüber beschweren, was man bekommt. Man wurde ja gewarnt. (grinst)
MZEE.com: Ab wann ist etwas denn für dich prädestiniert dafür, ein Albumtitel zu werden?
Mauli: Ehrlich gesagt kann ich das nur ganz schwer beschreiben. Beim letzten Album hatte ich das Wort "Spielverderber" auch einfach im Kopf und dachte mir, dass es passt. Es hat das Gefühl am ehesten auf den Punkt gebracht. Musik zu benennen und zu betiteln, ist ja schwer genug, weil sie aus einem Gefühl entsteht und transportiert wird. Die Worte, die wir für Gefühle haben, sind auch mehr oder weniger ausgedacht, kommen aber nah ran. Man hat sich darauf verständigt, dass man mit einem Wort ungefähr ein bestimmtes Gefühl meint. Ein guter Albumtitel umreißt für mich grob, was jemand kurz und prägnant vermitteln will.
MZEE.com: Als ich "autismus x autotune" das erste Mal gelesen habe, war ich mir nicht ganz sicher, was zu erwarten ist. Das macht einen Titel auch ein bisschen aus …
Mauli: Dass er neugierig macht?
MZEE.com: Ja, genau. Ich habe gestern mit jemanden über deinen Albumtitel gesprochen und er hat ihn mit "808s & Heartbreak" verglichen. Es sind zwei komplett verschiedene Komponenten, aber am Ende ergeben sie eine schlüssige Beschreibung für den Sound. Ich denke, dass das bei dir auch so ist.
Mauli: Danke für das Kompliment! Das sehe ich nämlich ähnlich. Dass man eine 808 im Kopf nicht mit etwas Sentimentalem verbindet, ist schon klar. Und wahrscheinlich ist es mit Autismus und Autotune genauso. Da denkt man erst mal nicht an Autotune, wenn man Autismus liest.
MZEE.com: Ich würde mit dir gerne über den Begriff "Autismus" sprechen. Diese Entwicklungsstörung kennzeichnet sich durch folgende Charakteristika: Probleme im sozialen Umgang, Auffälligkeiten bei der Kommunikation und eingeschränktes Interesse mit stereotypen, sich wiederholenden Verhaltensweisen – fühlst du dich in diesem Zusammenhang innerhalb der deutschen Musikszene mit deinem künstlerischen Schaffen und als Person gelegentlich missverstanden?
Mauli: Das ist eine wirklich gute Frage, vor allem auch schön, dass es keine Standard-Frage ist. Bisher wurde ich nämlich oft gefragt, was ich unter Autismus verstehen würde und ob ich mich als Autist sehe. Um deine Frage zu beantworten: Ja, voll! Nicht ausschließlich in der Musikszene, aber gerade in der Rapszene fühle ich mich, als würden alle anderen sich auf etwas einigen können, an dem ich voll vorbeilebe und -fühle. Alle geben sich mit dem zufrieden, was schon da ist – und mich berührt das irgendwie gar nicht. Bevor ich den Titel gefunden habe, bin ich in einer Dokumentation auf den Begriff "Autismus" gestoßen und da wurden auch diese Verhaltensweisen erklärt. Ich kam mir dadurch ein bisschen verstanden vor. Ich habe oft das Gefühl, dass ich an Leuten vorbeirede oder sie nicht verstehen, wie ich etwas meine.
MZEE.com: Ich habe hier noch folgendes Zitat von Hans Asperger für dich, das ich ganz interessant finde: "Es scheint uns, als wäre für gewisse wissenschaftliche oder künstlerische Höchstleistungen ein Schuss Autismus geradezu notwendig."
Mauli: Krasses Zitat. Ich glaube, das sehe ich ähnlich. Kunst darf nicht zu konstruiert und bedacht sein. Sie sollte kein manipulatives Ziel verfolgen, sondern aus dem Bedürfnis entstehen, etwas mitteilen oder Leute wachrütteln zu wollen. Das passiert ja bei Leuten, die sich missverstanden und in der Gesellschaft nicht recht aufgehoben fühlen.
MZEE.com: Ich kann mir vorstellen, dass einige Menschen beim Lesen deines Titels etwas stutzig reagiert haben könnten. Allgemein bist du ja dafür bekannt, gerne mal auszuteilen und zu provozieren. Gibt es für dich Grenzen, die du nicht überschreiten würdest?
Mauli: (überlegt) Man hätte etwas in den falschen Hals bekommen können, wenn man denkt, dass ich mich über eine Krankheit lustig mache. Sowas wäre schon eine persönliche Grenze. Da muss jeder für sich selbst entscheiden, ob er das lustig findet und sich über kranke Leute erheben will, um deren Struggle für einen schnellen Gag zu nutzen. Das ist jetzt auch nicht total verwerflich und ich bin niemand, der dann mit erhobenem Zeigefinger spricht. Ich find' das einfach nicht lustig. Ich würde auch die Familie aus dem Spiel lassen und als Grenze sehen, weil das nur das Ziel verfolgt, jemanden noch härter zu triggern oder zu verletzen. Eine Familie zu beleidigen, die man gar nicht kennt, und das als wunden Punkt auszunutzen, find' ich schwach.
MZEE.com: Hat es in deinen Augen vielleicht auch eine gute Seite, wenn bestimmte Themen enttabuisiert werden?
Mauli: Es bringt keinen so richtig voran, den ganzen Tag Stereotypen zu bedienen. Oder auch Klischee-Witze zu machen – zum Beispiel, dass Polen ständig klauen würden. Selbst, wenn es nur scherzhaft gemeint ist. Wenn man sich zum Ziel nimmt, etwas zu enttabuisieren, was soll man dann den ganzen Tag machen? Etwa Hitler- oder Juden-Witze? Was ist da der Punkt? Ich finde, dass eine Enttabuisierung wahrscheinlich passieren muss. Aber wie ruft man diese herbei, ohne in eine Debatte zu verfallen? Das ist verzwickt!
MZEE.com: Du selbst warst ja nicht zurückhaltend, wenn es darum ging, andere Künstler auf deinen Tracks zu erwähnen. Fans nehmen solche Beef-Geschichten manchmal ernster als die Künstler selbst und schieben eine richtige Hatewelle gegen einzelne Rapper. Wie siehst du das?
Mauli: Ich glaube, dass Fans das oft machen, weil sie denken, dass ihr favorisierter Rapper das sieht und sie durch diesen vermeintlich gemeinsamen Insider anerkennen wird. Ich hatte ja nie wirklich Beef-Geschichten, ich habe nur ein paar Namen auf relativ harmlose Art und Weise erwähnt. Aber selbst diese Sachen ziehen sich auch nach zwei Jahren noch. Leute labern mich darauf an oder jemand schreibt unter einem Bild, dass ich ein Feature mit Timeless machen soll. Unter Posts von eRRdeKa schreiben manche Zitate von mir. Das lässt den seit zwei Jahren nicht los. Ich finde es krass unlustig und nervig, wenn sich Fans in dieses Ding reinsteigern.
MZEE.com: Wie kommt es, dass du es nervig findest, wenn deine Fans das machen, aber es selbst als Teil deines künstlerischen Schaffensprozesses siehst?
Mauli: (lacht) Das war wahrscheinlich die Erkenntnis des Jahres: Wenn man Witze über Leute macht, treiben es die Fans auf die Spitze und hören damit gar nicht mehr auf – selbst, wenn es schon lange nicht mehr witzig ist. Mir muss ja auch niemand den gleichen Witz dreimal erzählen und erst recht nicht zehnmal oder tausendmal unter irgendwelchen Posts. Das ist wohl auch ein Grund, warum ich auf dem neuen Album komplett darauf verzichtet habe, andere Leute zu erwähnen. Es ist mir einfach irgendwann auf die Nerven gegangen, dass Fans etwas rauspicken und es bei jeder Gelegenheit irgendwo hinschreiben.
MZEE.com: Bleiben wir doch bei Dingen, die dich nerven. Was geht dir denn im Moment in der deutschen Rapszene am meisten auf die Nerven?
Mauli: Ich glaube, wenn man das Wort etablieren möchte, wäre es "Streaming-Rap". Der geht mir am meisten auf die Nerven, weil er Künstler aus dem Boden zieht, denen man anhört, dass sie gerne bei Spotify in der Playlist "Deutschrap Brandneu" ganz oben stehen wollen. Die machen dann einfach Songs, die es genau so schon in Grün gibt. Es geht mir nicht auf die Nerven, dass Rap so groß ist, sondern dass Leute anfangen, zu rappen, weil Rap so groß ist. Dann wollen sie so klingen wie die ganz Großen, um so schnell wie möglich finanziellen Erfolg zu haben. Musik auf Basis von Marktforschung zu produzieren, ist für mich die größte Abart. Deswegen klingen jetzt alle wie RAF vor zwei Jahren und probieren, den nächsten Dancehall-Hit zu landen.
MZEE.com: Privat hörst du so dir gut wie alles an deutschem Rap an, gerne auch Dinge, die aus deiner Sicht eher wack sind. Genießt du es ein wenig, Sachen schlecht zu finden?
Mauli: Ja klar, zu einem gewissen Teil auf jeden Fall. Aber es nimmt auch ab. Denn die Masse an Leuten, die einen großen Erfolg hatten, dann wieder weg sind und keiner weiß, wohin, nimmt einfach zu. Da kann man sich gar nicht den ganzen Kosmos geben. Oder man hört sich halt jeden Tag den ganzen Trash an, aber dann wird man, glaube ich, sehr depressiv. Das führt auch nirgendwo hin, denn es ist einfach zu viel, um daran noch Spaß zu haben. Und es ist alles zu gleich, um wirklich unterhaltend zu sein. Wenn du eine kleinere Szene hast, was vor zwei Jahren noch der Fall war, pickst du dir deine Favoriten raus und verfolgst die – dann hat man einfach Spaß daran. Mittlerweile ist das nicht mehr zu stemmen.
MZEE.com: Würdest du sagen, dass du wegen deiner Radioshow mit Marcus Staiger nicht mehr das Bedürfnis hast, dich in deiner Musik explizit über Leute lustig zu machen und Namen zu nennen?
Mauli: Wahrscheinlich wären Zeilen, die ich dieses Jahr geschrieben hätte, einfach Zitate aus der Sendung gewesen. (grinst) Dann denke ich mir auch, dass man sich das sparen kann, habe ich ja schon mal gesagt.
MZEE.com: Bevor wir uns verabschieden hätte ich noch eine letzte Frage an dich …
Mauli: Burger King oder McDonald's? (lacht)
MZEE.com: Nicht ganz. Ich würde gerne wissen, für welchen Track von dir selbst du dich heute "fremdschämst" und warum?
Mauli: Boah, viele. (lacht) Im Prinzip braucht es nach der Musterabgabe nur drei bis vier Wochen und dann ist es meistens schon soweit. Das Einzige, das dagegen hilft, sind die Touren. Wenn es live Spaß macht, zu performen, kann ich mir die Songs auch wieder anhören. Ich habe jede Woche das Gefühl, dass ich die Tracks jetzt anders aufgenommen hätte und sie auch anders klingen würden. Um jetzt aber mal einen rauszupicken: Ich glaube, es wäre "Zupati". Es gibt wirklich viele, aber wenn ich jetzt Feature-Tracks nennen würde, fühlen die sich angegriffen. (lacht) "Zupati" ist für mich unmöglich anzuhören, ohne innerlich zusammenzukrampfen. Schöne letzte Worte!
(Laila Drewes)
(Fotos von Mandarinka)