Deutschrap-Journalismus. Schon über das Wort lässt sich streiten. Die einen meinen, "richtiger" Journalismus im deutschen Rap existiere doch gar nicht. Außerdem könne ja jeder selbst bessere Artikel schreiben als "diese Praktikanten". Die anderen finden, jeder, der im deutschen Rap journalistische Tätigkeiten ausführt, sei auch ein Journalist. Die nächsten führen auf: Ja, im deutschen Rap sind Redakteure unterwegs – aber keinesfalls Journalisten. Zusammenfassen lässt sich: Fast jeder hat zumindest eine Meinung dazu. Aber wie steht es um die Meinung der Journalisten selbst? Denn die hat kaum jemand mal gefragt. Und so startet unsere neue Serie – eine kleine Interviewreihe mit aktuell relevanten und aktiven Journalisten der deutschen Rapszene. Dabei möchten wir darüber reden, warum die Deutschrap-Medien von so vielen Seiten – auch von der der Künstler – immer wieder unter Beschuss stehen und wie die Journalisten diese Seitenhiebe persönlich empfinden. Wir besprechen, wie einzelne Journalisten ihren Platz in der Rapszene wahrnehmen und ob deutscher Rapjournalismus in Gossip-Zeiten noch kritisch ist. Wir möchten erfahren, ob sie die Szene noch unter dem Kultur-Begriff verstehen oder das Ganze für sie ausschließlich ein Beruf (geworden) ist. Es kommen Fragen auf, ob es vereinbar ist, in diesem Aufgabenbereich Geld zu verdienen und wie der aktuelle Deutschrap-Journalismus und seine Entwicklung gesehen wird. Und: Wie steht es überhaupt um die Entwicklung der Rapszene an sich? Das und vieles mehr werden wir in über zehn Interviews besprechen, in welchen es verständlicherweise immer nur um einen Teilbereich dieser großen Themenwelt gehen kann. Für das vierte Interview unserer Reihe sprachen wir mit Ralf Theil, der einige Jahre als Teil der "Mixery Raw Deluxe"-Redaktion arbeitete und als freier Autor unter anderem für das Splash! Mag und ALL GOOD tätig ist. Seine jahrelange Arbeit in der deutschen Rapszene und die zusätzliche Betätigung als Künstler-Manager machten es für uns umso spannender, seinen Blick auf den deutschen Rapjournalismus zu erfahren.
MZEE.com: Fangen wir doch mal ganz von vorne an: Wann bist du das erste Mal mit Journalismus als Job in Berührung gekommen?
Ralf Theil: Ich glaube, es muss 1999 oder 2000 gewesen sein, als ich das erste Mal über HipHop geschrieben habe. Ich habe in Konstanz studiert und dort relativ zufällig für ein kleines Magazin namens "Scope" zu schreiben angefangen, darüber bin ich dann in ein paar Sachen reingerutscht. Das war aber auch in einer Zeit, in der sich relativ schnell herauskristallisiert hat, dass ich mich jobtechnisch in Richtung Musik bewegen möchte. 2001 bin ich dann nach Hamburg gegangen und habe angefangen, in einer Promo-Agentur zu arbeiten. Dort habe ich für die Breakbeat geschrieben – ich weiß nicht, ob das noch jemand kennt. Das war ein Nachfolger vom Hamburger Wicked Magazin.
MZEE.com: Hattest du damals schon geplant, im Deutschrap-Journalismus beziehungsweise im deutschen Rap allgemein Fuß zu fassen?
Ralf Theil: "Geplant" ist vielleicht übertrieben. Wenn du mich mit 15 oder 16 gefragt hättest, dann hätte ich mich auch ohne HipHop sehr für Journalismus interessiert. Ich hatte das auch immer als Jobvorstellung, weil ich es generell interessant fand, zu schreiben und journalistisch zu arbeiten. Ich glaube, letztendlich sind HipHop und Musik generell daran schuld, dass sich diese ganzen Optionen für mich aufgetan haben. Und ich weitere Betätigungsfelder gefunden habe, die mit Musik zusammenhängen, aber nicht alle mit dem Schreiben zu tun haben …
MZEE.com: Würdest du deutschen Rap denn als deine Leidenschaft bezeichnen?
Ralf Theil: Das wäre jetzt nicht die Formulierung, die ich wählen würde – weil ich vielleicht nicht leidenschaftlich genug bin. Aber klar, es ist eine extrem feste Größe, die mich seit der Pubertät begleitet und viel von dem bestimmt hat, was in meinem Leben passiert ist. Das klingt jetzt ein bisschen pathetisch. Aber sowohl was mein Berufsleben seit Anfang 2000 als auch meinen Freundeskreis angeht … Ohne HipHop wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin.
MZEE.com: Im Zuge dessen fände ich es interessant zu wissen, ob es immer eine gute Idee ist, seine größte Leidenschaft zum Beruf zu machen?
Ralf Theil: Dazu müsste ich in ein Parallel-Universum gucken können, indem ich etwas Seriöses gemacht hätte. Vielleicht würde ich da jetzt bei der Süddeutschen Zeitung arbeiten oder so was. (überlegt) Ich arbeite jetzt auch schon echt lang als Freiberufler in diesem Bereich und man befasst sich natürlich immer damit. Ich glaube, dass es eine Frage der Perspektive ist. Gerade, weil es für mich ein emotionales Thema ist und mich Musik persönlich interessiert. Ich lasse nicht um 16 Uhr den Stift als Sachbearbeiter in einer Versicherung fallen. Da ich mich sowohl beruflich als auch privat mit dem gleichen Thema beschäftige, hat es viel mehr Potenzial, einen in den Wahnsinn zu treiben. Es ist viel schwieriger, eine Grenze zu ziehen zwischen "hier nervt mich mein Job" und "hier habe ich privat mein Vergnügen daran". Darüber hinaus denke ich mir, dass jeder, der berufstätig ist und seinen Kram macht, irgendwann mal Ärger damit hat. Ich hab' für mich total meinen Frieden mit dem Umstand gemacht, dass die Sachen, die mir mal Stress bereiten, auch die sind, die mir persönlich wahnsinnig wichtig sind. Ich lass' mich im Zweifelsfall lieber von einer Sache stressen, auf die ich Bock habe und mit der ich gerne meine Zeit verbringe.
MZEE.com: Vielleicht ist das auch genau der Mittelweg, den es braucht. Wenn einem der Job keinen Spaß machen und man sich nicht mit ihm identifizieren würde, würde man sicher auch eingehen.
Ralf Theil: Es gibt auch viele Faktoren, die da mit reinspielen. Ich glaube, dass es einem manchmal den Spaß oder die Freude verdirbt, wenn man es professionalisiert. Bei mir habe ich nicht das Gefühl, dass es so ist. Aber wenn du dich 10, 15 Jahre mit so was beschäftigst, hast du ein anderes Verhältnis dazu als zu einem Hobby, das überhaupt nicht deinen Alltag bestimmt. Du bist dann auch schwerer aus der Reserve zu locken oder zu begeistern von vermeintlich neuen Sachen – das ist einfach ein ganz normaler Nebeneffekt. Ich bin aber auf jeden Fall froh, dass es so ist, wie es ist.
MZEE.com: Wie kam es denn dazu, dass du dich nicht nur auf deine journalistische Arbeit beschränken wolltest?
Ralf Theil: Der Weg hat ja nicht nur beim Schreiben angefangen. Das Erste, das ich hauptberuflich gemacht habe, war, für eine Promo-Agentur zu arbeiten. Und nebenbei habe ich geschrieben. Das war sozusagen mein erster Job in diesem Musikzirkus. Als ich mich dann nach der Agentur selbstständig gemacht habe, war es auch das, mit dem ich mich hauptsächlich weiterbeschäftigte – dann hat es sich immer weiterbewegt. Die einzige Phase, in der ich die meiste Zeit damit verbracht habe, redaktionell zu arbeiten, kam viel später. Und zwar 2009, als ich von Falk Schacht ins Team geholt wurde und mit ihm zusammen fünf Jahre lang die Redaktion von "Mixery Raw Deluxe" gemacht habe. Direkt im Anschluss kamen dann zwei Jahre, in denen ich sehr viel geschrieben und auch viel für die JUICE gearbeitet habe. Das heißt, es sind bei mir ungefähr sieben Jahre, in denen redaktionelles und journalistisches Arbeiten den großen Teil ausgemacht haben. Das hat sich danach wieder in eine andere Richtung bewegt und es haben sich neue Möglichkeiten aufgetan.
MZEE.com: Konntest du dich in der Zeit, in der du redaktionell tätig warst, mit dem deutschen HipHop-Journalismus identifizieren? Kannst du es vielleicht auch heute noch?
Ralf Theil: Finde ich ehrlich gesagt immer noch schwer zu beantworten, weil "der deutsche HipHop-Journalismus" nicht so ein homogenes Ding ist. Darum ist es für mich generell schwer, das zu beantworten. Zur damaligen Zeit gab es sicherlich nicht so viel wie heute, wo es tausend verschiedene Formate im Internet gibt. Ich glaube, diese ganze Entwicklung, die in den letzten Jahren vermehrt kritisiert wurde, hat damals noch nicht so viel Raum eingenommen. In dieser Zeit tauchte zum Bespiel auch Rapupdate auf. Man hat sich das damals nicht so eingestanden und es relativ lange als kleines, unangenehmes Rand-Phänomen abgetan. Es war schon eine krasse Verschiebung, die da stattgefunden hat. Das ist uns aber auch erst nach und nach klar geworden. Es zeigt, dass es damals diese extremen Ausreißer in Richtung Gossip nicht gegeben hat.
MZEE.com: Was hältst du denn persönlich von diesen Ausreißern?
Ralf Theil: Ich empfinde es als eine logische Konsequenz. Ganz nüchtern betrachtet: So, wie das ganze Marktsegment HipHop gewachsen ist, gibt es auch eine berechtigte Nachfrage nach solchen Sachen. Ohne Nachfrage bedient die auch niemand – das sind ja ganz einfache Mechanismen, die man hat. Ich finde das als Konsument in ganz vielen Fällen uninteressant, aber ich beweg' mich ja auch immer mehr weg davon, Teil der konsumierenden Zielgruppe zu sein. Ich bin vielleicht einfach ein paar Jahre älter und nehm' solche Sachen anders wahr. Ganz viel davon finde ich persönlich schade, weil der Fokus an eine Stelle rückt, an die er für mich nicht hingehört. Aber solange es Leute interessiert und gewisse Grenzen nicht überschritten werden, ist das völlig normal. Warum sollte HipHop frei von solchen Entwicklungen und Mechanismen sein, wenn es der Rest der Gesellschaft nicht ist? Wenn Gala oder Bunte seit Jahren wahnsinnige Auflagen haben, ist ja einfach ein Bedarf da. Und wenn HipHop groß genug wird und auch den Stoff bietet, sich mit so was zu beschäftigen, interessiert es irgendwen.
MZEE.com: Wenn du den Ist-Zustand der Deutschrap-Medien mit deinem Wunschbild vergleichst: Wo liegen die Unterschiede?
Ralf Theil: Ich glaube, ich habe gar nicht so viele offene Wünsche. Ich habe mich damit angefreundet, dass wir nicht mehr die eine Szene haben. Es gibt keine homogene Masse mehr von HipHop als Kultur, um diesen Begriff noch mal aus der Mottenkiste zu holen. (grinst) Es gibt so viele Sachen, die parallel existieren und irgendwie unter diesem Oberbegriff laufen, aber eigentlich komplett unabhängig voneinander sind. Genauso ist es auch auf der Seite der Medien und Berichterstatter. So wenig, wie ich mich mit allem identifiziere, was an neuer Musik auf den Markt kommt, identifiziere ich mich mit allem, was in der Berichterstattung passiert. Das eröffnet ja einfach nur die Möglichkeit, dass man für sich herausfindet, was man respektiert, was einem irgendwie sinnvolle Informationen oder einen Mehrwert bietet und was in die eigene Richtung geht. Ich denke, es ist eine Dauer-Weisheit von mir, dass das Verhältnis von cool zu scheiße über ganz lange Zeit eine Konstante ist. Aber wenn du plötzlich hundertmal so viel Output hast, dann hast du auch mehr Sachen, die scheiße sind. Man fällt auf eine selektive Wahrnehmung rein und erinnert sich dann an die fünf Sachen von früher, an die man sich gerne erinnert und die man hochhält. Aber es gab vor 15 oder 20 Jahren auch Leute, die auf lächerliche Art und Weise über HipHop berichtet haben. Man hat es einfach nur vergessen. Deshalb glaube ich nicht, dass das Kräfteverhältnis oder die Prioritäten sich krass verschoben haben. Aber dadurch, dass dieses Segment in seinen ganzen Ausprägungen über die letzten zehn Jahre hinweg so krass gewachsen ist, passiert halt auch auf der Medienseite mehr.
MZEE.com: Gibt es für dich einen Unterschied zwischen HipHop-Journalismus, Journalismus anderer Musik-Genres oder Journalismus im Allgemeinen? Ich habe oft das Gefühl, dass es in anderen Genres kaum um Themen wie Gossip geht.
Ralf Theil: Ich befasse mich mit wahnsinnig viel Musik, möchte mir aber nicht anmaßen zu sagen, wie es in anderen Szenen ist. Mein subjektiver Eindruck ist schon auch das, was du gesagt hast – und zwar, dass es im HipHop-Bereich besonders ausgeprägt ist. Ich glaube, man muss aber auch anerkennen, dass da eine Verschiebung stattgefunden hat, die dazu führt, dass nicht alles, was auf Seiten der Medien passiert, Journalismus ist. Es ist halt ein riesiges Feld von Entertainment und viele Leute, die Berichterstattung machen oder im Umfeld davon stattfinden, ohne aktiv Musik zu machen, sind Teil von diesem Entertainmentsystem. Da verschwimmen gerade extrem viele Grenzen. Ich denke dabei an Charaktere, die zwar auch journalistisch arbeiten können, aber – um eine gewisse Relevanz zu erreichen und zu behalten – sich nach ganz anderen Maßstäben messen. Diese Maßstäbe haben dann nichts mehr mit Journalismus zu tun, sondern funktionieren wie bei Instagram-Influencern oder YouTubern. Dann hat man halt den klassischen Journalismus-Bereich längst verlassen. Es gibt ganz viel, das sehr gut darüber funktioniert, dass jemand einem Musiker Fragen stellt und Antworten bekommt. Was aber am Ende eine Art "Hofberichterstattung" geworden ist. Oli Marquart hat das in seinem Interview mit euch recht schön erklärt. Musiker sind ja nicht doof. Sie haben entweder selbst Ahnung von Vermarktung oder Leute um sich herum, die davon Ahnung haben, weil es einfach krass wichtig ist. Irgendwann haben sie verstanden: Wenn sie von jedem Album so und so viel verkaufen, müssen sie nicht vier Interviewtage mit der Zeit, der Süddeutschen und dem Musikexpress machen, sondern es reicht aus, wenn sie ein einziges Interview geben. Über die üblichen Kanäle erreicht es sowieso die Leute, die es erreichen muss, und man selbst hat eine viel stärkere Reichweite als jedes dieser Medien. Man ist also überhaupt nicht darauf angewiesen, sich in eine klassische kritische Art von Journalismus hineinzubegeben, sondern man kann Verlautbarungen von sich geben. Irgendwo gibt es dann diese Hofberichterstatter, die das stolz und exklusiv ans Volk weitergeben. Das soll kein kulturpessimistisches Geplapper sein, aber das ist einfach ein anderes Handwerk, das Musikjournalismus von außen gesehen recht ähnlich sieht. Letzteren muss man jetzt nicht auf so ein übertriebenes Podest packen. Wir sprechen ja nicht über den Nahost-Konflikt – auch wenn wir das vielleicht manchmal sollten. Aber dieses verschobene Mächteverhältnis hat schon sehr viel mit der Szene und der Berichterstattung gemacht.
MZEE.com: Würdest du denn sagen, dass Interviews aktuell eher Promo sind als ein interessantes Gespräch oder kritisches Nachfragen?
Ralf Theil: Ich glaube, dass der Mechanismus, den ich vorhin angesprochen habe, dazu beiträgt, dass viele Interviews wieder interessanter werden. Da, wo es nur Promo ist, herrscht irgendwann auch das Bewusstsein dafür, dass man das gar nicht so ausufernd machen muss. Ganz viele Künstler müssen nicht dreißigmal das gleiche Interview geben, um ein bisschen Öffentlichkeit zu erreichen, sondern haben diese Öffentlichkeit sowieso schon. Die Leute, die Interviews lesen, um Input und ein Bild von einem Menschen oder Künstler zu bekommen, interessieren sich auch für Inhalte, Deepness und mehr als die 2 500 Zeichen, die man sich noch traut, online zu veröffentlichen. Da, wo es nur um Promo und Reichweite geht, gibt es halt so viele andere Mittel und Wege, dass das Interview gar kein so wichtiger Punkt mehr ist.
MZEE.com: Kommen wir mal zu deinen aktuellen Projekten: Du arbeitest im Kommunikationsbereich von Red Bull Music und bist im Management-Team von Fatoni. Bist du der Meinung, dass du gewisse HipHop-Grundeinstellungen bei deiner aktuellen Tätigkeit an den Tag legst?
Ralf Theil: Bei Grundeinstellungen müsste ich kurz überlegen. Es sind ja alles Projekte, die in einem HipHop-Kontext stattfinden. Das hat einfach damit zu tun, dass das immer noch der Bereich ist, in dem ich mich am ehesten traue, eine fundierte Meinung zu haben, mich hinzustellen und Dinge besser zu wissen als andere – zumindest meiner Wahrnehmung nach … (grinst) Das sind alles Sachen, die mal mehr, mal weniger mit HipHop zu tun haben. Aber ob das jetzt mit HipHop-Grundwerten zu tun hat … Es ist für mich nicht so ein "Each one teach one"-Ding. Ich finde es für mich selber interessant, ganz viele verschiedene Sachen mitzubekommen und zu lernen, dass es auch nach der ganzen Zeit noch Betätigungsfelder und kleine Nischen gibt, in denen ich etwas dazulernen kann. Ich mache lauter Sachen, die für mich interessant sind und die ganze Zeit mit HipHop zu tun haben. Und ich kann außerdem immer noch mein Leben davon bezahlen, was eigentlich eine ganz gute Position ist.
MZEE.com: Inwiefern ist es denn vereinbar, im deutschen Rapjournalismus tätig zu sein und gleichzeitig als Künstler-Manager zu arbeiten?
Ralf Theil: Es ist natürlich ein vorbelastetes Thema. Auf jeden Fall ist das ein Grund dafür, dass ich in den letzten zwei Jahren sehr wenig journalistisch über deutschen Rap geschrieben habe. Wenn ich nämlich von deinem Label irgendwann mal Summe X dafür bekommen habe, einen Pressetext über dein Album zu schreiben, muss ich nicht mehr das JUICE-Interview mit dir führen. Darauf habe ich keinen Bock und es ist auch eine Vorsichtsmaßnahme, weil ich weiß, wie es von außen wirkt, wenn andere Leute das machen. Ich habe früh aufgehört, Reviews über Platten von Künstlern zu schreiben, die ich mehr als nur flüchtig kenne. Das heißt nicht, dass ich mir nicht zutraue, eine fundierte Meinung zu haben, Kritik oder Lob zu äußern und schlüssig zu begründen, warum das so ist. Aber ganz ehrlich: Es ist den Stress einfach nicht wert, sich von irgendwem anzuhören, dass man die Platte nur cool findet, weil man den Künstler kennt und mag. Ja, ich mag den auch, weil der nicht wack ist. Aber das spart man sich dann, weil es nichts bringt. Ich traue mir auch zu, mit Künstlern, in deren Umfeld ich mich privat oder beruflich bewege, ein interessantes Gespräch zu führen und damit ein paar Seiten in einem Magazin zu füllen. Bestimmt kann das sogar dazu beitragen, dass man gute und interessante Gespräche führen kann, weil man eine gemeinsame Basis hat, auf die man zurückgreifen kann. Ich komme selten in die Verlegenheit und würde es von mir aus nicht anbieten. In der Summe führt es halt dazu, dass ich in den letzten Jahren viel weniger über deutschen Rap schreibe.
MZEE.com: Gab es für dich mal einen Moment, indem du das Arbeiten innerhalb der Deutschrap-Szene als anstrengend empfunden hast?
Ralf Theil: (lacht) Unglaublich viele, auf jeden Fall!
MZEE.com: Und du hast immer noch Spaß daran?
Ralf Theil: Wenn von fünf Baustellen eine gerade nervt, dann sind es ja noch vier, die Spaß machen – das gleicht sich immer ein bisschen aus. Es gibt megaviele Sachen, die immer genervt haben, aber ich versuche, nicht die Perspektive zu verlieren. Ich weiß, dass ich da in einer echt luxuriösen Position bin, das machen zu können, das ich gerne und einigermaßen gut mache. Deswegen darf man sich da einfach nicht abfucken lassen. Es gibt zum Glück viele Künstler und andere Leute hinter den Kulissen, die erfolgreich und einflussreich sind, viel erreicht haben und es sich vermeintlich eigentlich leisten könnten, sich scheiße zu verhalten, einen warten zu lassen und ein anstrengender Mensch zu sein. Erfreulicherweise ist es in den meisten Fällen so, dass diese Leute, die es sich leisten könnten, die coolsten, verbindlichsten und zuverlässigsten Menschen sind. Das trägt ja auch dazu bei, dass man einen gewissen Status erreicht. Es gibt immer Gegenbeispiele, aber zum Glück ist es in den meisten Fällen so, dass man mit den richtigen Leuten zusammenarbeiten kann und das auch gerne macht.
MZEE.com: Ich möchte gerne noch mal auf die journalistische Szene im Allgemeinen zurückkommen. Denkst du, dass es als Magazin vereinbar ist, ein kommerzielles Ziel zu verfolgen und gleichzeitig nicht an Integrität zu verlieren?
Ralf Theil: Ich weiß nicht, ob es vereinbar ist. Ich bin wirklich sehr froh darüber, nie in meinem Leben in der Position des Chefredakteurs von der JUICE oder sonst irgendwas gewesen zu sein. Dann bist du nämlich in genau dieser Position, in der du wahnsinnig viel falsch machen kannst, dir viel vorgehalten wird und jeder, der da draußen rumläuft, besser weiß, wie das aktuelle Cover zustande gekommen ist oder warum welcher Rapper im aktuellen Heft zwei Seiten mehr hat. Finde ich wirklich nicht beneidenswert und ich glaube, das ist ein relativ undankbarer Job, der ganz viel Respekt von mir bekommt. Ich glaube schon, dass es vereinbar ist, aber es ist nicht ganz ohne Kompromisse möglich. Man kann die Kompromisse aber auch so gestalten, dass sie nicht unangenehm sind. Wenn ich zum Beispiel in einem Heft oder auf einer Website ein gekennzeichnetes Advertorial für einen Fön oder so sehe, dann ist das irgendwie scheiße und auch ein bisschen peinlich. Man lacht ein bisschen drüber, weil man sich denkt: "Boah, ihr seid so arm, ihr müsst jetzt das und das Geld nehmen." Aber am Ende ist es doch die sauberste Entscheidung, weil alle halt wirtschaftliche Zwänge haben. Ohne die lässt sich nicht so richtig Öffentlichkeit schaffen – zumindest nicht auf einem gewissen Niveau. Da ist halt eine riesige Bandbreite, manche haben ein großes Verlagshaus oder eine Vermarktungsagentur hinter sich stehen und andere schaffen es gerade so, zwei Leuten ein bisschen Taschengeld zu erwirtschaften. Aber auf irgendeiner Ebene hat man halt immer ein Geschäftsmodell, das dahintersteht. Ich glaube, dass man das auf jeden Fall sauber machen kann.
MZEE.com: Wenn wir uns jetzt mal vorstellen, dass du alle Deutschrap-Journalisten an einen Tisch setzen und ihnen sagen könntest, was dir fehlt: Was wäre das?
Ralf Theil: Ein bisschen Würde. Ein bisschen Reflexion darüber, was man eigentlich so macht. Da denke ich gerade sehr in diese Richtung, bei der man nicht mehr richtig unterscheiden kann, ob man jetzt schmückendes Beiwerk des Künstler ist oder sich eigentlich total instrumentalisieren lässt. Das findet an vielen Stellen statt und ist legitim, aber man muss sich halt darüber im Klaren sein und ehrlich damit umgehen. Und dann nicht so tun, als wäre man unabhängig von den Leuten, mit denen man arbeitet. Das meine ich mit Würde und ich meine nicht den Hashtag "#würde", das ist eine völlig andere Diskussion. (grinst)
MZEE.com: Zu guter Letzt würde ich gerne von dir wissen, wie die Zukunft des Deutschrap-Journalismus in deinen Augen aussehen wird?
Ralf Theil: In der ganzen Entwicklung dieser Szene und in all den Jahren bin ich Freund davon, wenn sich etwas diversifiziert, größer wird und für neue Sachen öffnet. Das finde ich gut und wichtig – es ist der einzige Weg, es relevant und interessant zu halten. Sowohl für Leute, die das seit gestern kennen, als auch für Leute, die sich seit 30 Jahren damit beschäftigen. Nur so kann es weitergehen und dadurch entwickelt sich auch eine selbstkorrigierende Szene. Klar gibt es immer mal wieder ein Übergewicht in die eine oder andere Richtung, aber irgendwann ruckelt sich das immer zurecht. Diese Diversifizierung führt aber eben auch dazu, dass es immer einfacher wird und immer mehr Spaß macht, Sachen rauszufiltern, für die man sich selber interessiert. An ALL GOOD war ich selber eine Zeit lang relativ eng beteiligt. Ich finde aber, dass das ein schönes Beispiel für ein eben nicht kommerzielles Projekt ist, das die Möglichkeit schafft, ein bisschen in die Tiefe zu gehen. Wo man sich auch mal ein zweiteiliges, unglaublich langes Interview durchliest, weil es einfach interessant ist und Sachen behandelt, die eben nicht Tagesgeschäft sind und in drei Wochen ihre Bedeutung schon wieder verloren haben. Davon wünsche ich mir mehr und ich glaube, je weiter sich das entwickelt, je größer HipHop wird und je mehr er sich gesellschaftlich festsetzt, desto mehr wird so was ermöglicht. Das wird natürlich auch dafür sorgen, dass es mehr Quatsch gibt, für den ich mich dann nicht interessiere und den ich teilweise unangenehm finde. Aber da sind wir wieder dabei: Das Verhältnis von cool zu scheiße ist konstant. Je mehr passiert, desto mehr coole Sachen passieren auch. Wenn mal mehr Leute ein paar Jahre mit HipHop verbracht haben und mit ihm älter geworden sind, haben wir ja auch immer mehr mündige Konsumenten, die sich für andere Sachen interessieren als dafür, wer wem gerade was auf Twitter vor die Nase gehalten hat. Der Markt entwickelt sich ja auch über die Nachfrage und ich hoffe, dass es immer mehr Interesse dafür geben wird, hinter diesen oberflächlichen Quatsch zu gucken.
(Laila Drewes)
(Fotos von V.Raeter)