2014 stand ich mit MP3-Player ausgestattet am Bahnhof und wartete auf meinen Zug, während über die Kopfhörer "Übertreib nicht deine Rolle" von Juse Ju lief. Beim Track "Oh boy" hörte ich dann zum allerersten Mal einen Part von Ebow und war sofort begeistert vom melodischen Flow der in München aufgewachsenen Rapperin mit türkischen Wurzeln. Nachdem ich den Song mehrfach hintereinander gehört habe, machte ich mich zu Hause sofort auf die Suche nach weiterer Musik der Künstlerin und stieß auf ihr gleichnamiges Debüt. Drei Jahre später veröffentlichte sie mit "Komplexität" endlich ihr zweites Album und ich bekam die Chance, sie zu fragen, warum sie sich damit so viel Zeit ließ. Außerdem erklärte Ebow uns, warum aktuell noch immer so wenige Frauen in der Szene aktiv sind und wie man über Rassismus und Flüchtlingsgegner rappt, ohne Hass in die Musik einfließen zu lassen.
MZEE.com: Knapp vier Jahre nach deinem Debüt "Ebow" hast du mit "Komplexität" nun dein zweites Album veröffentlicht. Gab es einen bestimmten Grund, warum du dir so viel Zeit gelassen hast?
Ebow: Ich habe bei meinem ersten Album einfach total viel Erfahrung gesammelt und gelernt, dass es bestimmte Dinge gibt, die ich anders machen will. Es hat für mich auch einfach etwas gedauert, herauszufinden, was ich anders machen will, wie ich das machen will und wie ich das überhaupt machen kann. Dazu kam auch, dass ich nach Wien gezogen bin und inzwischen ein anderes Plattenlabel habe. Ich hab' mein zweites Album nicht mehr nur mit Nik Le Clap produziert. Damit war da nicht mehr dieses Gefühl von: "Ich habe nur einen Produzenten und mit dem zusammen mache ich alles – wie 'ne Band." Stattdessen war ich jetzt ganz eigenständig und hab' mir rausgesucht, mit wem ich zusammenarbeite und wie es am Ende klingen soll. Ich hab' sozusagen alles eigenständig auf die Beine gestellt und das hat natürlich auch Zeit gebraucht.
MZEE.com: Entspricht "Komplexität" dann eher deiner Vorstellung von einem Album und "Ebow" war nur eine Art Ausprobieren?
Ebow: Ich glaube, "Ebow" war eine Skizze von dem, was ich eigentlich machen will.
MZEE.com: Wie eben schon angesprochen hast du diesmal mit mehreren Produzenten zusammengearbeitet. Inwieweit hat diese neue Erfahrung den Sound beeinflusst?
Ebow: Den Sound des Albums habe ich dadurch ja bewusst verändert, weil ich auch immer genau wusste, was ich mir aussuche. Im Vergleich zum ersten Album klingen die Tracks super unterschiedlich. Die Schwierigkeit lag für mich dann viel eher darin, die Einflüsse der verschiedenen Producer in Einklang zu bringen, damit das Album trotzdem wie ein Ganzes klingt. Das war eine Herausforderung für mich. Ich dachte mir schon vorher, dass es natürlich auch sein könnte, dass nichts klappt und am Ende alles eher zusammengewürfelt klingt.
MZEE.com: Unterschiedliche Einflüsse hört man dem Album definitiv an – von Oldschool Rap bis hin zu Future-R'n'B versammelst du auf "Komplexität" viele Stile. Hat das auch mit deinem eigenen Musikgeschmack zu tun?
Ebow: Ich höre ehrlich gesagt sehr unterschiedliche Musik. Ich hab' gar nicht so 'ne Favorite-Band oder irgendwas, das ich besonders gern höre. Aber ich denke schon, dass das damit zusammenhängt und sich mein Musikgeschmack auch weiterentwickelt oder verändert hat. Ich bin eigentlich das totale R'n'B-Kid und höre sehr gerne soulige Sachen. Ich höre gar nicht unbedingt so viel härteres Zeug. Ab und zu schon, aber an sich ist mein Geschmack schon R'n'B-lastig.
MZEE.com: Kannst du mir den einen oder anderen Geheimtipp nennen?
Ebow: Da müsste ich mal überlegen … Nee, ich glaub', ich hab' gar keine Geheimtipps. (lacht) Aber ich höre gerade total gerne Anderson .Paak und auch sehr viel Kelela. Ansonsten höre ich ehrlich gesagt immer noch viele 90s-Sachen. So Missy Elliotts "Da Real World", auf dem "She's a bitch" und sowas drauf ist. Einfach viele Sachen von früher. Was Neues angeht, da ist das echt gemischt. Ich entdecke zwar auch immer wieder neue Künstler, aber ich kann mir die Namen oft nicht so gut merken. (lacht)
MZEE.com: Da du gerade auch sehr viele englischsprachige Künstler genannt hast: Lass uns doch mal über die "Gaddafi Gals" reden. Als Mitglied dieser Gruppe rappst du auf Englisch. Wie kam diese Crew zustande?
Ebow: Wir sind alle schon sehr lange miteinander befreundet und hatten einfach Lust, mal zusammen ein Projekt zu machen. Es war auch gar nicht geplant, dass das irgendwie etwas Größeres werden soll oder welchen Platz das Ganze einnimmt. Wir wollten einfach nur zusammen Musik machen. Und dadurch, dass wir alle schon vorher musikalisch aktiv waren, haben wir einfach gemacht, worauf wir Bock hatten. Daraus sind die "Gaddafi Gals" entstanden.
MZEE.com: Ist aus der Richtung mehr geplant? Vielleicht sogar ein Album?
Ebow: Ja, wir werden auf jeden Fall ein Album rausbringen. Das haben wir auch schon aufgenommen und werden es dann im nächsten Jahr veröffentlichen.
MZEE.com: Lass uns trotzdem noch mal auf das aktuelle Album zurückkommen. Eine der Zeilen, die mir von der Platte am meisten im Gedächtnis geblieben sind, lautet: "Bin die Tochter einer Rebellin, Kind von einem Gangster. Muss keinem was beweisen – mein Talent jederzeit erkennbar." Wurden dir Rebellion und Gangstertum schon mit in die Wiege gelegt?
Ebow: Ja, absolut. Meine Mutter war politisch sehr aktiv, sowohl in Deutschland als auch auf europäischer Ebene. Sie war bei der europäischen Föderation der Aleviten Frauenvorsitzende. Ich wurde als Kind auch schon zu Demos und Podiumsdiskussionen mitgenommen. Und mein Papa ist so ein bisschen das Gegenteil von ihr. Mein Papa ist eher so einer – und deswegen auch "Kind von einem Gangster" –, der mir beigebracht hat, von wem man sich fern hält. Er hat mich gelehrt, dass man manchmal einfach härter sein muss und nicht jedem vertrauen darf.
MZEE.com: Was, würdest du sagen, sind die wichtigsten Dinge, die dir deine Eltern beigebracht haben?
Ebow: Das Wichtigste haben mir beide mitgegeben und zwar: Wenn ich irgendwo sehe, dass Ungerechtigkeit geschieht oder etwas falsch ist, erhebe ich direkt meine Stimme. Ich glaube, dass meine Musik auch deswegen in eine politische Richtung geht.
MZEE.com: Die Stimme erhebst du zum Beispiel auf dem Track "Punani Power". Da kritisierst du das fragwürdige Bild, das ein großer Teil der Rapszene nach wie vor von rappenden Frauen hat. Ging es dir dabei eher darum, dass genau diese Leute das hören und damit vor den Kopf gestoßen werden oder eher um ein Empowerment für Frauen, die in der HipHop-Kultur aktiv sind?
Ebow: Es ist auf jeden Fall als Empowerment gedacht, spricht aber nicht nur die Sicht von Rappern in der Industrie oder der Industrie selbst gegenüber rappenden Frauen an, sondern auch Konflikte in der feministischen Bewegung selbst. Zum Beispiel, dass Frauen sich gegenseitig nicht den Support geben, den sie geben könnten. Dass es Debatten darüber gibt, ob jemand, der ein Kopftuch trägt, überhaupt Feministin sein kann oder ob Transgenderfrauen auch dazugehören. Es gibt einfach auch innerhalb der feministischen Gesinnung Probleme und das soll der Song ebenfalls ansprechen. Dennoch soll er auf jeden Fall auch dieses Empowering rüberbringen.
MZEE.com: Inzwischen gibt es ja doch einige weibliche MCs hierzulande – dennoch werden sie oftmals vom Rest nicht zwangsläufig als ernstzunehmender Bestandteil angesehen. Mangelt es da auch an Solidarität der HipHop-Künstlerinnen untereinander?
Ebow: Ja, aber das liegt auch daran, dass es sehr, sehr wenige gibt und von der Industrie immer so ein Bild vermittelt wird, als könnte es nur die eine Rapperin geben, die funktioniert und die erfolgreich sein kann. Deswegen sehen auch viele Rapperinnen den Erfolg der einen als Verlust für sich selbst an – als würde die mit ihrem Erfolg allen anderen etwas wegnehmen. Das wird auch ganz stark dadurch gepusht, dass Rapperinnen immer miteinander in direkten Vergleich gesetzt werden, sobald sie einen ähnlichen Rang haben. Und ich glaube, dass dieses Problem gar nicht da wäre, wenn es viel, viel mehr Rapperinnen gäbe – wenn das eher Normalität und man selbst nicht mehr die Exotin wäre.
MZEE.com: Glaubst du, dass es die Szene allgemein beeinflussen würde, wenn es mehr weibliche Künstlerinnen gäbe, die auch ernst genommen werden würden?
Ebow: Ja. Ich finde nämlich, dass wir im HipHop und gerade im deutschsprachigen Rap total zurückgeblieben sind, was die Themen angeht, die wir behandeln. HipHop ist etwas von der Gesellschaft für die Gesellschaft. Und ich denke, dass HipHop, so wie er jetzt ist, die Gesellschaft nicht eins zu eins wiedergibt, sondern immer noch zu sehr am Gangsterrap festhält. Der ist zwar superberechtigt und es ist auch wichtig, dass es ihn gibt. Aber viele andere Perspektiven, die man – oder zumindest ich – gerne im HipHop sehen oder hören möchte, kommen deshalb zu kurz. Darum finde ich es so wichtig, viel mehr Frauen dabei zu haben, queere Leute dabei zu haben und Typen dabei zu haben, die einfach nicht den typischen Gangsterrap machen. Also das haben wir ja eh schon. Megaloh zum Beispiel. Sein neues Album ist der Wahnsinn. Und ich glaube, dass es sich eben in genau so eine Richtung entwickeln wird, weil man diesen Anspruch an HipHop haben sollte, dass er ein Spiegel der Gesellschaft ist und sie so auch kritisiert. Darum denke ich, dass sich die HipHop-Landschaft dahingehend einfach verändern wird – ob sie will oder nicht.
MZEE.com: Siehst du dich selbst denn als Teil der deutschen Rapszene? Oder willst du das noch gar nicht sein, solange diese stumpf-maskuline Sparte noch die "Vorherrschaft" innehat?
Ebow: Ich sehe mich auf jeden Fall als Teil davon und würde mir diesen Platz auch nie nehmen lassen, nur weil der Großteil eben etwas anderes macht. Wie gesagt, ich finde Gangsterrap auch wichtig, den muss es einfach geben, weil er ein Teil von HipHop ist. Aber genauso finde ich, dass es auch Platz und Raum für andere Meinungen braucht, für andere Perspektiven und eine andere Form von Rap. Und diesen Platz muss man sich einfach erkämpfen.
MZEE.com: Ich persönlich habe diese andere Form von Rap auch auf "Komplexität" wiedergefunden. Da beschreibst du auf großartige Weise immer wieder das Abschiednehmen, sich Trennen oder das Leben in weiter Entfernung voneinander. Ist das etwas, was dich aktuell sehr beschäftigt oder ergab sich dieses Thema eher zufällig?
Ebow: Du meinst sicher so Songs wie "Das Wetter". Das ist vielleicht kein ganz aktuelles Thema, sondern eher etwas, was ich davor bereits durchlebt habe, das ich dann aber eben in diesem Song verarbeiten wollte. Ich glaube, dass das so ein generelles Ding ist. Dass wahre Liebe auch ausmacht, dass man nicht immer zueinander findet. Und weil ich das so durchlebt habe, kam es eben auch in den Songs vor.
MZEE.com: Wo wir gerade schon bei Dingen sind, die weit voneinander entfernt sind: Du hast türkische Wurzeln, bist in München aufgewachsen und vor Kurzem nach Wien gezogen – allesamt Orte, die in der letzten Zeit politisch sehr unruhig waren. Wo macht dir die politische Entwicklung der letzten Zeit am meisten Sorgen?
Ebow: Dadurch, dass es in Wien beziehungsweise in ganz Österreich so einen krassen Rechtsruck gibt, ist eben auch die linke Szene – oder eben die Leute, die einfach nur nicht rechts sind – politisch viel engagierter und wirkt dem Ganzen viel mehr entgegen. In München hat man eher so das Gefühl, als würde man in einer Blase leben. Ich finde tatsächlich, dass die Menschen in München viel zu wenig sensibilisiert für Themen wie Rassismus, Diskriminierung und so weiter sind. Da werden diese Thematiken gar nicht so stark behandelt. In Wien aber eben schon. Deswegen macht mir der große Rechtsruck hier nicht ganz so viel Angst, weil ich weiß, dass es genauso einen Linksruck gibt, der auch sehr organisiert ist. Einfach weil sich die Leute nicht zurücklehnen und sagen können: "Ich bin jetzt nicht politisch, das betrifft mich alles nicht".
MZEE.com: Kannst du dir erklären, warum es gerade in Deutschland und Österreich aktuell so läuft?
Ebow: Natürlich hat das viel mit Ängsten zu tun, wie immer. Auch, weil die Politik einfach krass mit den Ängsten der Menschen spielt. Da geht es sehr stark darum, Ängste zu erzeugen, die es so gar nicht gibt. Dadurch entsteht dann natürlich viel eher so ein Schwarz-Weiß-Denken, als lieber erst mal den Versuch zu starten, die Komplexität der Situation zu erfassen. Stattdessen ist es eher so ein "Okay, ich habe Angst und darum entscheide ich mich jetzt für die eine oder die andere Seite". Und genau deswegen, weil sie sich damit sicherer fühlen, versuchen viele Menschen, da einfach schwarz-weiß zu denken.
MZEE.com: Du hast in einem Interview mal gesagt, dass du in deiner Musik keinen Platz für Hass hast. Wie aber thematisiert man den zunehmenden Rassismus und das Wutbürgertum, wenn nicht mit Hass oder zumindest dem eigenen Zorn?
Ebow: Es ist tatsächlich so, dass ich, auch wenn ich Wut empfinde, erst mal versuche, mich zu distanzieren und mich erst dann an den Songtext setze. Einfach weil ich auch gar nicht schreiben kann, wenn ich Hass oder Wut empfinde. Das Ding ist, dass es ja nicht ganz zufällig ist, dass bestimmte Leute rechtsgerichtet denken. Sondern weil sie zum Beispiel gar keinen Kontakt mit, ich sag' mal, "Nicht-Biodeutschen" haben. Es ist bei diesen Menschen einfacher, Angst vor allem zu erzeugen, was anders ist als sie. Das versuche ich dann auch irgendwie zu verstehen. Und dennoch ist mir bewusst, dass alles, was da vor sich geht, sehr politisch ist. Dass viel von diesem Hass und dieser Wut eben politisch gelenkt wird. Klar empfinde ich diesen Leuten gegenüber Zorn. Aber andererseits denke ich mir, dass ich dann lieber aus meiner Perspektive und für meine Leute spreche und etwas sage, was empowernd ist statt etwas, was uns erklärt, was wir eh alle schon wissen.
MZEE.com: Also ist ein Track wie "Asyl" auch eher für die Leute gedacht, die davon betroffen sind statt als Antwort auf Asylgegner?
Ebow: Ja, auf jeden Fall. "Asyl" ist gar nicht dafür da, dass irgendwelche Rechten das hören und sich denken: "Och, sie hat schon Recht". Nein, scheiß drauf. Die Leute, die so denken, werden mein Album wahrscheinlich eh nie hören. "Asyl" ist für die Menschen gedacht, die wissen, wie es ist, wenn man einen anderen Pass hat und wie es sich anfühlt, wenn ein Stück Papier darüber entscheidet, wie wenig du wert bist. Ich kenn' das sehr gut. Ich habe einen türkischen Pass, meine Eltern haben kurdische Wurzeln in der Türkei. Wenn ich mit meinem türkischen Pass alleine dort bin und irgendetwas passieren würde, würden die Leute sofort sehen, dass ich aus einer kurdischen Region bin und mich anders behandeln. Das erlebe ich dort auch am Flughafen. Und egal, was passiert, die deutsche Regierung würde mich da nicht rausholen, weil ich eben keinen deutschen Pass habe. Denn auch, wenn ich hier geboren und aufgewachsen bin, werde ich einfach anders behandelt. Und jeder, der das kennt, wenn so ein Stück Papier plötzlich so viel über dich aussagen soll, der wird verstehen, worum es mir da geht.
MZEE.com: Falls es sonst noch etwas gibt, dass du den Leuten mitteilen willst: Du hast das letzte Wort.
Ebow: Ich würde gerne noch etwas zu Frauen im Rap sagen. An alle jungen Mädels, alle Rapperinnen, alle queeren Leute, die sich denken: "Ich will Rap machen beziehungsweise in der HipHop-Szene aktiv sein." Ihr müsst euch selbst organisieren. Man darf nicht darauf warten, dass irgendwelche Typen einen ins Studio einladen oder dass irgendwelche Plattenfirmen kommen und sagen: "Das ist interessant, das supporten wir." Man muss sich gegenseitig organisieren und unterstützen. So kann man sich gemeinsam diesen Platz im HipHop nehmen, der einem auch einfach gehört.
(Daniel Fersch)