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Dexter & Morlockk Dilemma – Weihnachten im Elfenbeinturm

"Egal, ob Album, Gratis-​Mixtape oder Lieb­lings­song – in unse­rer "Plat­ten­kis­te" stel­len wir euch regel­mä­ßig die Per­len unse­rer redak­ti­ons­in­ter­nen Samm­lun­gen vor. Die­ses Mal: Dex­ter & Mor­lockk Dilem­ma mit "Weih­nach­ten im Elfenbeinturm".

"Was?! Du kennst das nicht? Sekun­de, ich such' dir das mal raus." Und schon öff­net sich die Plat­ten­kis­te. Wer kennt die­sen Moment nicht? Man redet über Musik und auf ein­mal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künst­ler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzu­fan­gen weiß. Und plötz­lich hagelt es Lob­prei­sun­gen, Hass­ti­ra­den oder Anek­do­ten. Gera­de dann, wenn der Gesprächs­part­ner ins Schwär­men ver­fällt und offen zeigt, dass ihm das The­ma wich­tig ist, bit­tet man nicht all­zu sel­ten um eine Kost­pro­be. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Per­son so sehr am Her­zen zu lie­gen scheint. In die­sem Fall – was uns so sehr am Her­zen liegt: Ein Aus­zug aus der Musik, mit der wir etwas ver­bin­den, die wir fei­ern, die uns berührt. Ein Griff in unse­re Plat­ten­kis­te eben.

 

Ob kit­schi­ge Weih­nachts­de­ko, die ers­ten Käu­fe zum Auf­bau eines gewal­ti­gen Böl­ler­ar­se­nals oder ein­fach nur die Schnee­ball­jagd auf unschul­di­ge Pas­san­ten – jeder hat wohl die ein oder ande­re Tra­di­ti­on, um die Fest­ta­ge und das Ende des Jah­res ein­zu­läu­ten. In mei­nem Fall ist es seit nun­mehr fünf Jah­ren so, dass ich zum ers­ten Dezem­ber mor­gens grim­mig in die fros­ti­ge Käl­te der unbe­heiz­ten Außen­welt bli­cke, zum Plat­ten­re­gal stap­fe und "Weih­nach­ten im Elfen­bein­turm" entstaube.

Mitt­ler­wei­le sorgt die EP von Dex­ter und Mor­lockk Dilem­ma tat­säch­lich dafür, Fest­tags­stim­mung in mir auf­kom­men zu las­sen. Und das, obwohl es sich dabei um weit mehr als blo­ßes Weih­nachts­ge­du­del han­delt. Denn was Dilem­ma Claus und Dex Ruprecht hier auf 22 Tracks – inklu­si­ve der Instrumental-​Varianten – den arti­gen und weni­ger arti­gen Fans ihrer Kunst geschenkt haben, lässt selbst Charles Dickens erblas­sen. Zusam­men mit Audio88, Hiob und Kamp stürzt man sich vom Dach eines Wohn­blocks, nur um zeit­lu­pen­ar­tig einen Blick in jedes der vor­bei­rau­schen­den Fens­ter zu wer­fen und dahin­ter ein moder­nes Weih­nachts­mär­chen vor­zu­fin­den. Mal erfährt "der Pusher" zur Apo­ka­lyp­se, dass ihm all sein Geld nun nichts mehr nützt, mal endet das wei­nen­de Ergeb­nis einer zwei­ten, unbe­fleck­ten Emp­fäng­nis im "Müll­schlu­cker". Dann wie­der­um ver­ur­sacht eine "Drei­ecks­be­zie­hung" Ste­chen im Her­zen und Bren­nen in den unte­ren Kör­per­re­gio­nen. Es ist also wirk­lich für jeden etwas dabei. Was an und für sich also schon ein in gran­dio­sen Klang­wel­ten behei­ma­te­tes Storytelling-​Epos dar­stellt, wird im win­ter­li­chen Kon­text zur wohl schöns­ten Weih­nachts­plat­te, die deut­scher Rap jemals zu bie­ten hatte.

Und nun, da die EP von Mor­lockk Dilem­ma und Dex­ter in die­sem Jahr auch noch ein vinyler­nes Re-​Release erfuhr, kön­nen sich end­lich auch Oma und Opa, die lei­der nur das alte Gram­mo­phon zu Hau­se haben, an "Weih­nach­ten im Elfen­bein­turm" erfreu­en. Fro­hes Fest!

(Dani­el Fersch)