"Kenn' ich nicht." – Mit diesem Satz marschierte Weekend 2011 durch das damals viel beachtete Videobattleturnier, mit einer Leichtigkeit wie wohl keiner vor und nach ihm. Den Gelsenkirchener selbst kennt mittlerweile wohl so ziemlich jeder – auf das Chimperator-Signing und das Nummer-1-Album "Für immer Wochenende" folgte vor Kurzem die neue Platte "Keiner ist gestorben". Weekend ist schon lange nicht mehr nur "am Wochenende Rapper". Heute hat er die ganze Woche Zeit dafür, aufzuschreiben, wer und was genau ihn auf dieser Welt eigentlich am meisten ankotzt. Verpackt in viel Zynismus und Ironie. Herausgekommen ist ein Album, auf dem er nach eigener Aussage "abgefuckter ist, als man es gewohnt ist" – und klare Ansichten zu harten Themen vertritt. Wir haben mit Weekend über den Kapitalismus, Bildungsarmut in Deutschland und fehlende Berührungspunkte mit AfD-Wählern gesprochen – und über seine ungewöhnlichen Pläne nach dem neuen Album.
MZEE.com: Dein neues Album heißt "Keiner ist gestorben." War die Produktion wirklich so gefährlich?
Weekend: Nee, die Produktion war nicht gefährlich. Ich bin auf diesem Album ein bisschen abgefuckter, als man es von mir gewohnt ist, glaube ich. Einfach durch die äußeren Umstände, die sich in den vergangenen zwei Jahren verändert haben. Die Stimmung ist ein bisschen aggressiver und ich hab' eine bestimmte Art von eher lockeren Songs einfach weggelassen. Im zweiten Song sag' ich auch, dass "Keiner ist gestorben" quasi die letzte gute Nachricht ist, die noch übrig bleibt. Ich versuche ein bisschen, das Positive zwischen viel Negativem zu sehen. Immerhin ist niemand gestorben.
MZEE.com: Was hat dich in den vergangenen zwei Jahren am meisten aufgeregt? Die politische Entwicklung?
Weekend: Es geht nicht nur um Politik. Es ist auch kein Album, in dem ich die ganze Zeit darüber spreche, aber es schwimmt schon im Subtext mit. Natürlich spielen Dinge wie der Rechtsruck bei uns in Deutschland, die Wahl von Trump, das Ergebnis einer rechten Kandidatin in Frankreich und das, was sich gerade in Spanien ereignet, eine Rolle. Irgendwie hat man das Gefühl, dass ein Stein ins Rollen gekommen ist, der Dinge in eine bestimmte Richtung verändert und sich nicht wirklich aufhalten lässt. Dinge, die vor fünf Jahren tabu waren, sind in Deutschland jetzt absolut salonfähig und stehen in meiner Facebook-Timeline.
MZEE.com: Im Pressetext zum Album steht der Satz: "Wer Dummheit scheiße findet, wird 'Keiner ist gestorben' lieben." Bist du jemand, der sich jeden Tag über die Dummheit anderer Menschen aufregen kann?
Weekend: Über vermeidbare Dummheit. Wenn jemand etwas nicht besser kann, würde ich mich darüber nie aufregen oder lustig machen. Wie arrogant wäre das? Aber wenn du Menschen wegen ihrer vermeidbaren Dummheit einfach schütteln und sie fragen willst, ob das wirklich ihr Ernst ist … das findet ja an vielen Stellen statt. Thema Rechtsruck: Viele Leute wählen ja einfach nur einen falschen Ansatz und du würdest dich mit denen eigentlich gerne mal darüber unterhalten. Das passiert nur leider nicht, weil man halt keine Schnittstellen mit diesen Menschen hat.
MZEE.com: Probierst du trotzdem, mit diesen Leuten in Kontakt zu treten?
Weekend: Ich hab' tatsächlich auf Facebook zur Wahl so zwei, drei Sachen gepostet. Da gab's in den Kommentaren ein paar Leute, die der AfD zugetan waren und meine Sicht der Dinge für zu kritisch und AfD-Bashing gehalten haben. Da bin ich ziemlich krass in die Diskussion gegangen und wollte wissen, was bei den Leuten los ist und warum man so denkt. Ich wollte auch auf meiner Facebook-Seite nichts einfach so stehen lassen, sondern Kontra geben. Das fand' ich interessant, aber verrückterweise kommst du im echten Leben einfach nicht in diese Situation. Es gibt keine Berührungspunkte. Ich hätte auch mega gerne so ein Gespräch wie Bushido mit Beatrix von Storch geführt, aber dafür werde ich natürlich nicht ausgewählt.
MZEE.com: In deiner Heimatstadt Gelsenkirchen haben die meisten Menschen in Nordrhein-Westfalen die AfD gewählt – 15 Prozent. Was hat das in dir ausgelöst?
Weekend: Ich fand's mega erschreckend. Ich hab' die Wahl an dem Tag auch mit meinen Leuten in unserer Stammkneipe in Gelsenkirchen verfolgt. Das war wie ein Public Viewing. Alle waren krass schockiert. Gelsenkirchen hat natürlich ein großes Arm-Reich-Gefälle, da war es vielleicht auch nicht anders zu erwarten. Stadtteile wie Duisburg-Marxloh haben ja ähnliche Probleme. Wenn Integration scheitert und zwei Parteien gegeneinander kämpfen, kommt es halt zu sowas.
MZEE.com: Du hast in Gelsenkirchen als Sozialarbeiter gearbeitet. Hast du da etwas von den Konflikten mitbekommen, die die AfD für sich nutzt?
Weekend: Jein. Natürlich bekommt man den Leidensdruck einiger Menschen mit, dass es denen nicht gut geht und dass denen etwas fehlt. Aber die Konflikte, die die AfD für sich nutzt, gibt es in meinen Augen oft gar nicht. Die nutzen es halt aus, dass Leute unzufrieden sind und schaffen ein Feindbild. Aber eigentlich ist dieser "Feind" ja nicht die Ursache der Probleme.
MZEE.com: Der österreichische Philosoph Paul Feyerabend hat gesagt: "Es ist kurzsichtig, anzunehmen, dass man Lösungen für Menschen hat, an deren Leben man nicht teilnimmt und deren Probleme man nicht kennt." – Ist es ein Problem, dass Politiker zu wenig persönlichen Bezug zu den Menschen und ihren Problemen haben?
Weekend: Ich weiß, was du meinst, aber ich find's immer etwas schwierig, das so zu verallgemeinern. Es gibt wahnsinnig gute Politiker und natürlich gibt es auch Politiker, die an der Realität vorbei entscheiden. Meiner Meinung nach ist Politiker-Bashing aber ein großes Problem bei diesem ganzen Rechtsruck-Thema. Von wegen: "Uns geht's schlecht, die Politik hat versagt." Man muss auch mal sehen, was für ein Job es ist, Politiker zu sein. Der besteht im Endeffekt daraus, mit wenig Geld möglichst viele Probleme zu lösen – und wenn du ein Problem löst, wird das andere größer. Auf der anderen Seite, selbst für mich als Sozialarbeiter, der teilweise über Jahre intensiv mit Familien gearbeitet und eine Beziehung zu denen aufgebaut hat, wäre es wohl anmaßend zu sagen, dass ich die Menschen komplett verstehe.
MZEE.com: Ich denke auf jeden Fall, dass es für viele Probleme erst mal ein guter Ansatz ist, wenn sich Menschen kennenlernen. Wenn jemand mit rechten Ansichten zum Beispiel mal einen Flüchtling trifft und sich mit ihm unterhält …
Weekend: Das ist ja fast 'ne Selbstverständlichkeit. Beziehungsweise erwarte ich von Menschen einfach, andere Menschen kennenzulernen und nicht zu generalisieren. Auch von "den AfD-Wählern" zu sprechen ist ja schon generalisierend. Denen geht's scheinbar oft schlecht und deshalb wählen sie etwas aus meiner Sicht völlig Falsches, was ihre Probleme noch größer macht. Allerdings hat Verständnis auch irgendwo seine Grenzen und irgendwann kann ich Ansichten auch nicht mehr akzeptieren.
MZEE.com: Kommen wir wieder zur Musik. Auf "Geld" kritisierst du das Verhalten von reichen Menschen, die nichts von ihrem Besitz abgeben wollen. Bist du ein Gegner des Kapitalismus?
Weekend: Naja, nein. Ich bin niemand, der den Kommunismus ausrufen möchte. (lacht) Also, der klingt schön, wäre toll, wenn er funktionieren würde. Aber wird er ja nicht. In dem Song geht's mehr um die Einstellung zu bestimmten Dingen. Jetzt kommen wir doch wieder zum Thema AfD, tut mir leid. (lacht) Weißt du, irgendwelche bekloppten 22-Jährigen mit sieben Paaren AirMax im Schrank beschweren sich darüber, dass wir Flüchtlinge aufnehmen und sie eventuell irgendwie ein bisschen dafür aufkommen müssten. Was ja nicht passiert, aber deren Angst ist. Es ist völlig okay, wenn es dir gut geht und du dir was leisten kannst. Ich kenn' diese Phase ja auch. Aber es ist an uns allen, das nicht als selbstverständlich zu sehen. Wir müssen uns auch darüber bewusst sein, dass wir diejenigen sind, denen es so gesehen am besten geht. Ich kann es einfach nicht nachvollziehen, wenn jemand sieben krasse Luxusautos in seiner Garage stehen hat. Dann ist die Verteilung auf dieser Welt nicht mehr richtig. Ab einem gewissen Punkt ist das System einfach eklig, wenn irgendwelche Millionäre so viel Geld auf der Bank liegen haben, mit dem nichts passiert. Man muss es aber eher dem System als den Leuten selbst vorwerfen. Ich will nicht die große Moralkeule schwingen, vielleicht hätte ich als Millionär auch sieben Luxusautos in der Garage. (lacht) Da ist schon die Politik an der Reihe, etwas mehr im Interesse aller Menschen zu handeln. Dinge wie eine höhere Reichensteuer würden da sicherlich keinen umbringen.
MZEE.com: In unserem Interview hat die AfD schon eine große Rolle gespielt – verfolgt man die Medien, bekommt man schnell das Gefühl, es gäbe kaum noch große Themen neben der AfD und der Flüchtlingsdebatte. Welche Probleme hast du als Sozialarbeiter im direkten Kontakt mit den Menschen mitbekommen?
Weekend: Ich finde, dass Bildungsarmut ein großes Problem in Deutschland ist. Dass Menschen von Anfang an gar nicht die Chance haben, an der Gesellschaft wirklich teilzunehmen. Mir ist in meinem Job damals bewusst geworden, dass es eine sehr, sehr große Schicht gibt, die wir einfach nicht mitkriegen, weil die sich nicht bewegt. Die geht höchstens mal aus dem Haus, um zu Lidl zu laufen, geht zurück und schaut RTL II. Das sind viele Menschen, denen es weder gut noch schlecht geht – denen geht's irgendwie gar nicht. Die machen das einfach und reflektieren nicht. Es gibt da generationsübergreifend wenig Möglichkeiten, aus diesem Leben auszubrechen. Edgar Wasser spricht in seinem Part auf dem Album sehr intensiv darüber. Wir sollten uns nicht vormachen, dass hier alle Menschen die gleichen Möglichkeiten haben. Und so entsteht auch bei vielen Leuten dieser Leidensdruck, den zum Beispiel die AfD dann leicht triggern kann … womit wir wieder beim Thema sind.
MZEE.com: Wenn Bildungsarmut deiner Meinung nach eins der größten Probleme in Deutschland ist – was wäre dein Ansatz, um etwas dagegen zu tun?
Weekend: Ich war als Sozialarbeiter ja quasi das, was aktuell getan wird und eben in Zukunft mehr getan werden müsste. Die Frage ist aber eben immer, wie viele Gelder in solche Themen fließen und dann sind wir wieder bei politischen Kompromissen. Wenn man mehr darein steckt, fehlt's halt woanders. Dann sterben jeden Tag 50 Menschen mehr, weil die Autobahnen scheiße sind oder so. Aber natürlich sollte mehr für Bildung getan werden und es sollten mehr individuelle Angebote in ärmeren Gegenden geschaffen werden. Das ist nur leider zum Teil utopisch, was man sich da vorstellt und wünscht.
MZEE.com: Wie stehst du zum bedingungslosen Grundeinkommen?
Weekend: Find' ich im Prinzip ziemlich gut. Ich wüsste auch, wie ich es finanzieren würde. (lacht)
MZEE.com: Hast du keine Bedenken, dass sich viele Menschen damit zufrieden geben und nach nichts mehr streben würden?
Weekend: Naja, vielleicht passiert das. Die Frage ist, ob das nicht eh schon bei vielen Leuten passiert. Trägt das aktuelle System nicht auch dazu bei? Denn die Möglichkeiten, die das System ärmeren Leuten anbietet, sind extrem scheiße und auch scheiße bezahlt. Wenn man durch ein bedingungsloses Grundeinkommen relativ faire Verhältnisse schaffen und dazu ernstzunehmende Jobs statt irgendwelcher Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen anbieten könnte, wäre es vielleicht leichter, Leute zu erreichen und zu motivieren. Aber das ist ja schon eine halbe Revolution.
MZEE.com: Kommen wir noch mal zu einem anderen Thema. Du hast eine große Battle-Vergangenheit. Verfolgst du die Szene in Deutschland?
Weekend: Ich guck' auf jeden Fall immer wieder Matches bei Rap am Mittwoch und Don't Let The Label Label You an. Nicht so, dass ich mit dir darüber philosophieren könnte, wer da aktuell der Geilste ist, aber ich krieg' oft was mit. Wenn ich mal eine Stunde frei hab', guck' ich mir auch gerne irgendein Match an und lass' mich überraschen. Es gibt auf jeden Fall regelmäßig geile Sachen.
MZEE.com: Ist dir ein bestimmtes Match zuletzt in Erinnerung geblieben?
Weekend: Buddi hatte ein Teammatch auf dem splash! mit Lyrico gegen Falk und Khacoby. Das war geil, aber das sind natürlich auch Homies von mir. (lacht) Da guck' ich das an und freu' mich drüber, dass ein Kumpel von mir auf dem splash! auf der Bühne steht und ein Written Battle gewinnt. Ich hab' letztens auch so einen Typen gesehen, der mega lethargisch war. Leider merk' ich mir die Namen dann nicht. (lacht) Der war auf jeden Fall auch großartig, aber ohne den Namen ist das natürlich 'ne relativ unspannende Information. Soll ich googlen? Ich guck' mal kurz. Dem wurde auf jeden Fall auch vorgeworfen, mal VBT-Qualis gemacht zu haben. Das geht gar nicht. Ich glaube, wenn ich da mitmachen würde, wär' das allerschlimmste, dass ich mal beim VBT war.
MZEE.com: Kannst du dir denn vorstellen, mal ein Written Battle zu bestreiten?
Weekend: Geplant ist das auf jeden Fall nicht. Die fragen immer wieder und es ist ja auch eigentlich geil. Aber der Aufwand ist einfach riesig, du schreibst ja fast ein halbes Album. Aber es macht, glaube ich, schon richtig Bock. Bisher ist es wegen fehlender Zeit nichts geworden. Ich find' den lethargischen Typen übrigens nicht. Der war aber extrem gut.
MZEE.com: Du erwähnst oft, dass das ganze Rapding mit all seinen Nebengeräuschen nicht selbstverständlich für dich ist. Hast du dir schon überlegt, was du machen willst, wenn du nicht mehr so in der Öffentlichkeit stehst?
Weekend: Aktuell plane ich, mir nach dem Album irgendeine Art von Job zu suchen. Ich kann auf jeden Fall nicht mehr den ganzen Tag im Studio sitzen, das war diesmal sehr anstrengend. Ich hatte einen Studioraum in meiner Wohnung und brauch' jetzt echt mal wieder einen normalen Tagesablauf, um klarzukommen. Vielleicht als Sozialarbeiter, vielleicht mache ich aber auch irgendeinen 400-Euro-Job. Ich will einfach irgendwas machen und für irgendetwas aufstehen müssen. Eventuell mach' ich auch was Ehrenamtliches oder geh' nochmal studieren, ich bin absolut überfragt ehrlich gesagt. Im Januar geht's ja erst mal auf Tour und dann brauch' ich, glaube ich, mal zwei, drei Monate ohne Rap. Es ist zwar total geil, aber auch etwas unbefriedigend, sich nur in dieser Rapwelt aufzuhalten. Ich brauch' da mal einen Ausgleich. Was dann ganz langfristig irgendwann passiert, kann ich aber noch nicht sagen.
MZEE.com: Es wäre auf jeden Fall mal was anderes, wieder in irgendeinen Job zu gehen, obwohl es mit Rap gut läuft. Die meisten sind ja froh, wenn sie das nicht mehr müssen.
Weekend: Naja, das hab' ich jetzt ja gut drei Jahre gehabt. Das war auch geil, aber irgendwann ist es nicht mehr schön, einfach nur aufzuwachen und Netflix gucken zu können. Weißt du, wenn ich jetzt kein Album abgegeben hätte, hätte mich vielleicht in einem Jahr mal jemand von Chimperator gefragt, ob ich nicht mal langsam Gas geben will. Aber im Prinzip ist es egal und ich bin keinem Rechenschaft schuldig. Das ist auf der einen Seite ein cooles Gefühl, aber auch eine echte Herausforderung für die Selbstdisziplin. Ich musste mich immer zwingen, nicht zu versacken. Deshalb fänd' ich es schön, irgendwas zu machen, wo eine andere Art von Verantwortung herrscht.
MZEE.com: Wir kommen zur letzten Frage: Wäre "Keiner ist gestorben" ein Schalke-Spieler – wer wäre es?
Weekend: Boah. (lacht) Hättest du mir die Frage nicht vorgestern schicken können? Dann hätte ich zweieinhalb Stunden auf transfermarkt.de verbracht und rumgeklickt. (lacht) Das Album ist auf jeden Fall irgendwie aggressiv und offensiv. Es erwischt einen auch mal, wenn man grade nicht damit rechnet. Vielleicht ein Stürmer … wer hat denn auf Schalke so richtig verrückte Sachen gemacht? Oder sowas Flügelflitzer-mäßiges? Ich bin ja auch nicht so der krasse Techniker. Jefferson Farfán passt schon mal nicht. Vielleicht Raúl. Der war auf Schalke nicht mehr so schnell, der steht da eher so und spielt mal den tödlichen Pass oder schießt ein Tor. Der weiß, was er kann und setzt das krass ein. Nehmen wir den.
(Alexander Hollenhorst)
(Fotos von Jonas Kaltenkirchen)