Wandam
Kaum eine Szene hierzulande scheint so facettenreich zu sein wie die Deutschrapszene. Während es bereits jetzt schon fast unmöglich erscheint, jeden einzelnen, etablierten Vertreter zu kennen, steigt die Zahl neuer, noch unbekannter Künstler exponentiell weiter an. Den Überblick zu behalten, gleicht einer Herkulesaufgabe: Hat man sich ein Gesicht der HipHop-Hydra gemerkt, tauchen schon wieder mindestens zwei neue auf. Gleichzeitig ist es für unbekannte, junge Talente überaus schwer, aus der überwältigenden Masse an Musikern herauszutreten und sich einen Namen zu machen.
Beiden Seiten soll unser Mic Check eine Hilfestellung bieten. Rappern, die bisher noch in den Tiefen des Untergrunds untergegangen sind, eine Plattform geben, auf der sie sich kurz, aber prägnant präsentieren können. Und Hörern und Fans ermöglichen, sich einen schnellen Überblick über nennenswerte Künstler zu verschaffen, die sie bisher vielleicht noch gar nicht auf dem Schirm hatten.
MZEE.com: Auf "Далеко (Mein erstes Lied)" beschreibst du die emotionale Bindung eines Menschen zu seiner allerersten Begegnung mit Musik. Wann und wie bist du denn HipHop erstmals begegnet?
Wandam: HipHop begegnet bin ich das erste Mal mit zehn Jahren. Zumindest habe ich da die ersten Songs so wirklich wahrgenommen. Damals lief "California Love" im TV hoch und runter. Nur bin ich HipHop das erste Mal mit ein wenig Angst beziehungsweise mit großem Respekt begegnet. Ich war halt erst zehn und nicht wirklich ein Rapper-Typ oder HipHop-Fan. Ein Kind, welches sogar die Backstreet Boys oder später auch *NSYNC – danke für J.T. an dieser Stelle – locker feiern konnte. Diejenigen in meinem Alter, die mich jetzt diesbezüglich belächeln, sollen mal versuchen, bei dem Refrain von "Everybody (Backstreet's Back)" nicht mitzusingen. Und jetzt fickt euch selbst! Na ja, jedenfalls tauchten da zwei Typen auf: Pac & Dre – schwarz, mit Augenklappen, Totenköpfen im Dunkeln, mit Feuer und verrückten "Mo'fuckaz" im Video. Selbst die "Bitchez" sahen irgendwie beängstigend aus. Und ich? Ich kam 1995 gerade erst zum zweiten Mal aus Kasachstan zurück nach Deutschland. Für mich war das alles neu. Dort lief sowas nicht im TV. Dort gab es so etwas auch kaum. Als ich in der damaligen UdSSR das erste Mal einen Schwarzen gesehen hab', bin ich schreiend nach Hause gerannt und wurde erst mal von meinem Dad deswegen ausgelacht. Ich hatte es einfach nur nicht gecheckt und hatte leichte Paranoia. Ich konnte mich auch mit HipHop nicht so wirklich identifizieren. Alles war Friede, Freude, Eierkuchen in meinem Leben. Nach dem Selbstmord meiner Mutter dann nicht mehr. Heute liebe ich den Song und schwarze Typen mit Augenklappen, Totenköpfen im Dunkeln, mit Feuer, verrückten Mo'fuckaz und beängstigenden Bitchez in Videos. An dieser Stelle: "Califonia Love" – Sample playback!
MZEE.com: Mit deinem Freund Tua hast du einen Featuregast auf deiner EP, mit dem sich wohl auch viele andere Künstler eine Zusammenarbeit wünschen würden. Gibt es ansonsten noch einen Künstler, den du unbedingt einmal featuren möchtest?
Wandam: Ja, ich hab' gehört, Olexesh will ums Verrecken ein Tua-Feature. Tua aber irgendwie nicht. Das hat aber mit Sicherheit nichts mit Olexesh persönlich zu tun. So wie ich Tua kenne, hatte er höchstwahrscheinlich wieder seine "Ich hasse Rap"- und "Rap ist dumm"-Phase. Man muss ihn im richtigen Moment mit dem richtigen Song erwischen. Er macht nichts, was er nicht machen will. "Vorbei" ist aber ein Rapsong und Tua mit dabei. Heißt, man kann ihn überzeugen. Ich wiederum würde ein Olexesh-Feature zum Beispiel begrüßen. Ich finde ihn unterhaltsam und schließlich sprechen wir dieselbe Muttersprache und sind beide noch in CCCP (die Sowjetunion, Anm. d. Red.) geboren. Einen Russenhocke-Song, Alter. Gibt es glaube ich noch nicht in Deutschland und Deutschland braucht ganz dringend einen Russenhocke-Song. Ein Haftbefehl-Feature wäre auch interessant. 187, weil die einfach so geil Straße sind und ich bin halt ein Straßenkind. Früher hätte ich wahrscheinlich niemanden außer Samy und Savas aufgelistet, abgesehen von meinen Bassquiat-Jungs natürlich. Nicht mal Bushido oder Sido. Schön, dass es heute anders ist und man einfach Featurewünsche jeglicher Art äußern kann, so ganz ohne Bedenken und zu viel Arroganz. Deutschrap hat sich sehr gut entwickelt. Früher hätte ich zum Beispiel auch KAAS auf einem Song wie "Sunrise 5:55am" niemals gefeaturet. Heute geht das locker. Bausa, Shindy … wobei, mit Shindy hab' ich ja schon 'n Song. Hanybal, K.I.Z, SSIO, Marteria, RAF, Alligatoah, Cro, Favorite und so weiter. Es gibt so viele gute Rapper heutzutage. Sagte ich schon Eminem?
MZEE.com: Du gehst in deinen Texten oft auch mit deiner eigenen Vergangenheit hart ins Gericht und bereust so manches, was du früher getan hast. Gibt es denn auch einen Track beziehungsweise eine Zeile von dir, die dir mittlerweile unangenehm ist?
Wandam: Nein, ich bereue nichts! Alles, was passiert ist, hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Ich bereue auch keine noch so wacke Zeile. Du brauchst wacke Zeilen, um aus ihnen zu lernen und besser zu werden. Ich hoffe, ich schreibe heute immer noch wacke Zeilen oder rappe wacke Flows, damit ich in Zukunft noch besser werde, als ich es jetzt schon bin. Deswegen höre ich nie auf, meine Sachen zu hören. Die Wackness ist zwar seltener geworden, aber es sickert hin und wieder noch Müll durch. Man hat eben nie ausgelernt. Weder Eminem oder Jay-Z, Mike Tyson oder Ali noch Cristiano Ronaldo oder Messi haben ausgelernt. Wenn du auf deinem Gebiet der Beste sein willst, musst du Fehler machen, diese dann aber auch erkennen und akzeptieren. Kritik einstecken und ertragen. Immer nach vorne blicken und weitermachen, es sei denn, du bist frei von jeglichem Talent. In dem Fall: Versuch was anderes, vielleicht kannst du was anderes besser. "Denn wenn wir keine Fehler mehr begehen, woraus lernen wir am Ende dann?", rappte mal ein sehr weiser Mann.
MZEE.com: Und um gleich noch ein wenig weiter zurück in deine Vergangenheit zu gehen: Was wolltest du als Kind mal werden?
Wandam: Schon immer Musiker. Mein Dad und mein Onkel – Zwillinge – waren Musiker. Ich sah sie auf der Bühne hinterm Schlagzeug und an der Bassgitarre singend und wollte genau das. Die Bühne war schon in den jungen Jahren oft mein Zuhause. Ich habe die beiden so oft, wie es nur ging, begleitet und saß dann bei meinem Dad aufm Schoß, während dieser den Takt vorgab. Zwischenzeitlich wollte ich auch mal Profifußballer werden, aber dazu hat dann doch ganz schön viel "Profi" gefehlt.
MZEE.com: Du behandelst in deinen Texten selbst- und gesellschaftskritische Themen und hast vor einiger Zeit sogar die Abschiebung eines Freundes in einem Track thematisiert. Wie würdest du ganz allgemein zusammenfassen, was du mit deiner Musik vermitteln willst?
Wandam: Ich will den Leuten sagen, was sie schon längst wissen: Die Welt besteht nicht nur aus Sonnenschein und Regenbogen. Sie ist oft ein gemeiner und hässlicher Ort. Und es ist ihr egal, wie stark ihr seid – sie wird euch in die Knie zwingen und euch zermalmen, wenn ihr es zulasst. Keiner kann so hart zuschlagen wie das Leben. Aber der Punkt ist nicht der, wie hart einer zuschlagen kann … Es zählt bloß, wie viele Schläge man einstecken kann und ob man trotzdem weitermacht. Nur so gewinnt man. Wenn ihr wisst, was ihr wert seid, dann geht hin und holt es euch. Aber nur, wenn ihr bereit seid, die Schläge dafür einzustecken. Zeigt nicht mit dem Finger auf andere und sagt, ihr seid nicht da, wo ihr hinwolltet, wegen ihm oder wegen ihr oder sonst irgendjemandem. Schwächlinge tun das. In diesem Sinne: BQ4Life!
Ein Exclusive von Wandam könnt Ihr Euch ab sofort auf dem YouTube-Channel von MZEE.com ansehen:
(Daniel Fersch & Lukas Päckert)
(Grafiken von Puffy Punchlines, Logo von KL52)
(Fotos von Filip Gorski)
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