"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Als Casper 2011 sein Album "XOXO" veröffentlichte, war Rap noch kein fester Bestandteil meines Lebens. Zu sehr war ich in meine Welt aus Metal, Indie und anderen gitarrenlastigen Musikstilen vertieft, als dass sich Rap daneben bis dato einen Platz erarbeiten konnte. Als mir dann "XOXO" gezeigt wurde, war ich vor allem aufgrund der Soundkulisse fasziniert und direkt daran interessiert, in Erfahrung zu bringen, was HipHop noch alles sein kann.
Casper bedient sich auf "XOXO" eines sehr eigenen Sounds, welcher sich auch sechs Jahre nach Veröffentlichung deutlich von dem anderer Künstler abhebt. Während zu Anfang mit "Blut sehen" ein brachialer Boom bap-Beat von Dexter einen klassischen Grundstein legt, ist der Rest des Albums eine geniale Zusammenkunft von verschiedenen Genres. Das Spannendste an der Platte ist, dass die Fallhöhe der Klangästhetik vom Vorgänger-Album zu "XOXO" damals sehr hoch war und sich Casper genauso gut in die Belanglosigkeit hätte katapultieren können. Dass genau das Gegenteil eingetreten ist, spricht für die unglaubliche Qualität und Liebe zum Detail, die dem Werk innewohnt. Thematisch bewegt sich Casper dabei zwischen Liebe und Depression sowie Melancholie und Drogenrausch. Die Bilder, die dabei gezeichnet werden, sind teils zwar sehr pathetisch, jedoch ungemein einprägsam und kraftvoll. In seinen besten Momenten ist "XOXO" eine Projektion der eigenen Gefühle, wie man sie selbst nicht besser artikulieren könnte, und bietet dem Hörer somit starke Momente der Identifikation.
"XOXO" ist ohne Zweifel ein Meilenstein der jüngeren Rapgeschichte – ganz einfach, weil es sich komplett von damaligen Konventionen gelöst und neuen musikalischen Herangehensweisen den Weg geebnet hat. Casper hat eindrucksvoll bewiesen, was Rap alles sein kann und wie viele Facetten er beinhaltet. Mir persönlich hat das Album die Tür zu einer musikalischen Landschaft geöffnet, die ich nicht mehr missen möchte – danke dafür, Casper!
(Lennart Wenner)