Der Deutschrapzirkus ist ein umtriebiger Schauplatz. Zwischen all den Promophasen und Albumveröffentlichungen kann man schon einmal den Blick fürs Detail verlieren. Deshalb stellen wir jeden Monat an dieser Stelle die kleinen, feinen Highlights vor, die abseits des Album-Korsetts Beachtung verdienen. In den Kategorien Statement, Video, Song, Instrumental und Line präsentieren unsere Redakteure handverlesene Schmuckstücke. Egal, ob nun ein besonders persönlicher Bezug, eine wichtige Message oder ein rundes musikalisches Gesamtpaket den Anlass bieten. Hier wird ein tiefer Einblick in einzelne Facetten der Rapwelt geboten. Fünf Höhepunkte – klatscht in die Hände für unsere "High Five"!
Statement: Fler & Farid Bang
Der Wettbewerbscharakter, der HipHop innewohnt, ist eine seiner wichtigsten Eigenschaften. Schließlich begründen sich daraus unter anderem Rap- und Breaker-Battles, also essenzielle Teile der Kultur. Leider wird dieser Wettkampf nicht immer in Battles mit entsprechenden Regeln oder durch Disstracks rein verbal ausgefochten. Eskalierender Beef ist in der deutschen Rapszene längst traurige Realität. Wo Sticheleien in Interviews und Videoansagen noch harmlos sind, stellen Hausbesuche und andere Aufeinandertreffen das andere – für die Szene selbst äußerst peinliche – Extrem dar. Dabei geht es längst nicht mehr um Karriere oder Ehre, hier ist die körperliche Unversehrtheit der Beteiligten – aber eben auch Unbeteiligter – in Gefahr. Zwei, die fast alle Stufen eines solchen Beefs durchgemacht haben, sind Fler und Farid Bang: Disstracks, pausenlose Erwähnungen des anderen in Interviews und letztendlich das Auflauern vor der Haustür des anderen. Zwar wurde von beiden Seiten ab und an zurückgerudert, man machte Zugeständnisse hinsichtlich des künstlerischen Erfolgs – die Fehde zwischen Farid und Fler schien dennoch endlos und auch eine Eskalation der Situation war vorstellbar. Dass die beiden nun aus dem Nichts Versöhnung feiern und ihre Fans Anfang Juni mit einem gemeinsamen Foto überraschten, kann man wohl als eine glückliche Wendung bezeichnen. Zudem ist es ein Zeichen dafür, dass selbst die größten Feindschaften innerhalb der Szene friedlich und sportlich beigelegt werden können.
Video: Yung Hurn – Blumé
Wir sehen eine junge Frau mit burschikosem Haarschnitt, die barfuß auf einem tätowierten jungen Mann steht. Sie scheint ihn mit ihren Füßen zu massieren, woraufhin er allerdings kaum reagiert. Als nächstes zeigt die Kamera, wie die offenbar berauschte Schönheit hinfällt und dabei Teile eines hohen Buchstapels zu Boden wirft. Anschließend krabbelt sie, mit ihren Händen in hochhackigen Schuhen steckend, auf allen Vieren durch das Zimmer. Das Bild, das von der verwackelten Kamera eingefangen wird, ist recht dunkel und mit einem satten Grünstich versehen. Auf künstliches Licht wurde bei den Dreharbeiten offenbar gänzlich verzichtet. Was wie ein avantgardistischer Film der 70er Jahre anmutet, sind die ersten Szenen des Videos zu Yung Hurns "Blumé". Dieses entstand unter der Regie von Tara Afsah und Henrik A.L.M. und passt mit seiner verspielten Andersartigkeit perfekt zu dem minimalistischen Track. Dabei geht es um die Notwendigkeit, beim Sex leise sein zu müssen, da die Gespielin des Rappers noch bei ihren Eltern wohnt und diese nichts von dem nächtlichen Treiben mitbekommen sollen. Fernab von jeglichen Klischees oder gar Konventionen gibt es hier so viele verrückte und ästhetisch ansprechende Szenen zu sehen, dass es sich bei "Blumé" um das mit Abstand spannendste Video des Monats Juni handelt.
Song: Casper – Sirenen
Casper droppt mal eben die zweite Single seines kommenden Albums "Lang lebe der Tod" – und die hat es in sich: Bedrohlich wirkende Synthies umhüllen eine Frauenstimme, die den Hörer im Intro eine Minute lang mit psychologischen Fragen löchert. "Hört ihr die Sirenen kommen?" fragt sie zuletzt, bis Casper diese Frage wiederholt, während der Beat einsetzt. Und dieser Beat beinhaltet verschiedenste Elemente aus den Bereichen Dubstep, Grime und Industrial. Es zeichnen sich immer wieder Referenzen auf die musikalischen Einflüsse des Rappers ab. Auch textlich bewegt sich Casper nah an seinen Vorbildern. Es hagelt Zitate von den Goldenen Zitronen, Ton Steine Scherben oder Dizzee Rascal. Von Letztgenanntem wird sogar die ganze Hook inklusive Tracktitel übernommen. Dabei ist es dem Bielefelder anzurechnen, welch musikalische Visionen er hat und auf seinen Songs immer wieder zum Ausdruck bringt. "Sirenen" eckt an und zeigt, dass Casper sich weiterentwickelt, sich etwas traut – immer mit der Intention, etwas ganz Neues zu erschaffen.
Instrumental: DCVDNS – Internationaler Pimp (prod. by Wolfgang H.)
Manchmal ermöglicht Musik etwas Wunderbares. Man setzt die Kopfhörer auf und mit dem richtigen Song verwandeln sich die Straßen einer mittelgroßen deutschen Stadt in den Compton Boulevard. Nicht, dass es in Compton wunderbar wäre, aber Musik schafft es, uns diesen eigenen Film fahren zu lassen. Ebendieses Gefühl, als säße man 1991 in Kalifornien am Steuer eines 64er Chevrolet Impalas, löst nun DCVDNS' Produzent Wolfgang H. mit dem Instrumental zu "Internationaler Pimp" aus. Durch die verwendeten Sounds und Samples, die dem Los Angeles-Vibe der 90er Jahre entsprechen, schafft Wolgang H. eine Atmosphäre, die ohne Probleme auf die Filmmusik von "Boyz n the Hood" oder "Menace 2 Society" passen würde. Trotzdem klingt der Beat neu und steht anderen aktuellen Produktionen in nichts nach. Für Nostalgiker mit Hang zum West-Coast-Rap ist dieses Instrumental ein Geschenk.
Line: Cro – Baum
Und nein, ich hab' nicht so getan, als wär' mir alles scheißegal.
Verdammt, ich hab' es gelebt!
Mit einem Paukenschlag meldete sich Deutschlands berühmtester Panda Anfang des Monats zurück. Cros "Baum" kommt nicht nur mit einem tollen Video und einer überraschenden Song-Dramaturgie daher, sondern überzeugt auch textlich wie kaum ein anderer Track des Maskenträgers. Er reflektiert hier umfassend seinen mit Erfolgen und Fehlern gespickten Werdegang. Die zitierte Zeile im letzten Part steht dabei wie ein Fazit unter dem Song. In ungewohnt emotionaler und kraftvoller Stimmlage verdeutlicht der "Raoper", dass er seine Erfolgsgeschichte bewusst und dankbar miterlebte. Und sollte der Tod schon hinter der nächsten Ecke warten: Er hat gelebt. Nicht zuletzt diese Selbsterkenntnis ist das Thema des Songs. Zugleich zeigt die mitreißende Delivery dieser und weiterer Zeilen das Potential, das abseits der formelhaften Massentauglichkeit in Cro schlummert. Dieses freizulegen gelingt ihm mit "Baum" gekonnt, woran er mit seinem neuen Album "fake you." im September hoffentlich anknüpfen kann.
(Daniel Fersch, Fabrizio Perri, Steffen Bauer, Steffen Uphoff, Florian Peking)
(Foto 1 von Instagram/Farid Bang)