JuJu Rogers ist eine Ausnahmeerscheinung im deutschen Untergrund. Der Schweinfurter rappt auf Englisch – und das ziemlich gekonnt. Dies könnte unter anderem daran liegen, dass sein Vater aus den USA stammt und JuJu somit das Glück hatte, zweisprachig in der Multikulti-Gesellschaft seiner bayerischen Kleinstadt-Heimat aufzuwachsen. Durch den ziemlich untypischen US-Militärstandpunkt Schweinfurt sowie die große Plattensammlung seines Vaters fand JuJu schon in jungen Jahren Zugang zu Musik und der HipHop-Kultur. 2013 verschaffte er sich gemeinsam mit Teknikal Development aus London und dem Producer Figub Brazlevič als "Man of Booom" dann erstmals selbst Gehör in der Szene. Es folgte das erste Soloalbum und Ende 2016 die Platte "Lost in Translation" mit Bluestaeb, mit dem es anschließend auf eine große Tour ging. Im Interview mit MZEE.com sprach JuJu Rogers über seine Kindheit im für ihn so besonderen Schweinfurt, Spiritualität, den persönlichen Anspruch an seine Texte und die ungleich verteilten Privilegien auf der Welt.
MZEE.com: Du hast jetzt zum ersten Mal eine größere Tour als Solo-MC zusammen mit Producer Bluestaeb gespielt. Dabei habt ihr direkt auch Gigs in anderen Ländern gespielt, zum Beispiel in Frankreich, Belgien oder Österreich. Was für eine Erfahrung war es für dich, allein durch Musik auf solche Reisen gehen zu können?
JuJu Rogers: Die Frage stell' ich mir im Moment auch permanent. Schau mal, Bruder, ich komme aus 'ner 50 000-Einwohner-Stadt. Ich bin wahrscheinlich auch in einem Bereich unserer Gesellschaft aufgewachsen, dem man wenig Zukunftsperspektiven zuschreibt. Dementsprechend ist das für mich das Allergrößte. Da passiert so viel in mir, da gehen so viele Scheuklappen auf. So viele Sachen werden neu definiert und interpretiert, von denen ich in der Kleinstadt nie etwas mitbekommen konnte. Reisen tut Menschen, glaube ich, sowieso ganz gut und bildet vor allem. Und jetzt kommt die pathetischste Aussage ever: Musik ist gerade sozusagen alles für mich. Das ermöglicht mir Dinge, die ich früher so nicht tun konnte. Früher war Berlin das Weiteste, jetzt fliegen wir nach Paris oder Gent, wir waren in Brüssel, London, Österreich, der Schweiz, Luxemburg. Das sind alles Länder, in denen ich vorher nie war. Das ist wunderschön und ich kann das voll genießen.
MZEE.com: Du hast zwar den "Vorteil", dass du auf Englisch rappst, aber bist ja doch ein deutscher Untergrund-MC. Ich stell' es mir ziemlich krass vor, wenn Leute zu deinem Gig in Paris kommen und vielleicht sogar die Texte mitrappen können …
JuJu Rogers: Voll. Ich wusste von Anfang an übrigens nie, ob es ein Vor- oder Nachteil für mich ist, auf Englisch zu rappen. Ich glaube, im Endeffekt ist es egal. Vielleicht ist Rap auf Englisch hier in der Szene schwieriger zu spreaden, dafür eben leichter international. Es ist eh scheißegal, auf welcher Sprache du rappst, wenn die Leute checken, ob das Gerappte echt ist oder nicht. Ob sie was fühlen oder nicht. Was die Gigs angeht: Auf der Tour hab' ich tatsächlich zu Bluestaeb gesagt, dass er den Track anhalten soll, wenn ich gemerkt hab', dass da jemand ganze Passagen mitrappt. Bei früheren Touren haben Leute auch mal die signifikanten Textzeilen mitgerappt, aber jetzt waren es echt ganze Passagen. Manche Leute sind mit ihren Platten zu den Shows gekommen. Da war's mir echt wichtig, den Moment anzuhalten. Das ist für mich das Größte. Ich komme aus 'ner 50.000-Einwohner-Stadt und in Paris kommen Leute mit meiner Platte zur Show und rappen Passagen mit. Das ist schon heftig … Ich kann das gar nicht richtig in Worte fassen.
MZEE.com: Ich mag solche kleineren, internationalen Auftritte total. Letztens zum Beispiel habe ich einen von Brous One in Amsterdam gesehen. Da spielt ein Producer aus Chile, der in Deutschland lebt, ein Beat Set in einem total szenigen, kleinen Laden in Amsterdam und es ist einfach cool.
JuJu Rogers: Safe, Mann. Am Ende wissen wir doch alle ganz genau, was diese Subkultur für Energien freisetzt. Das sind sehr gute Beispiele. Ich will gar nicht von Politik und so weiter anfangen. Aber diese ganzen Dinge wie Nationalismus, Glaube, Herkunft und diese komischen Identitätsverschiebungen lösen sich da einfach auf. Das ist irrelevant. Es geht um gute Musik, die ich fühle oder halt nicht.
MZEE.com: Wie du schon erwähnt hast, kommst du aus dem eher kleinen Schweinfurt in Bayern. Die Stadt wirbt mit dem Slogan "Industrie & Kunst". Was davon ist deiner Meinung nach mehr in Schweinfurt vertreten?
JuJu Rogers: Ausschließlich Industrie, Bruder. (lacht) Also, wir sind tatsächlich so die heftigste Arbeiterstadt ever. Gefühlt arbeitet echt jeder Dritte noch am Fließband oder im Kugellager. Da gehst du dann mit 2.500 Euro im Monat raus, aber die Birne ist halt total bescheuert, weil du den ganzen Tag das Gleiche machst. In den 70er Jahren gab's 'ne krasse türkische Arbeitsmigration. Danach kamen die Amerikaner nach Schweinfurt und dann war's ein kompletter demografischer Mischmasch. Die Stadt ist mein Zuhause und auch ansonsten fühlt sie sich für mich ganz besonders an, gerade in Bayern. Aber was die Kunst angeht, ruht sich die Stadt leider auf Künstlern aus, die vor 50 oder 100 Jahren am Start waren. In meinen Augen werden Subkulturen und alternative Kulturen in Schweinfurt eigentlich überhaupt nicht gefördert. Also die Kunst, die nicht in einer Kunsthalle hängt und 10.000 Euro kostet.
MZEE.com: Gab es in deiner Heimatstadt denn eine HipHop-Szene?
JuJu Rogers: Das ist ja das Heftige. Ich glaube, dass es keine krassere HipHop-Szene als in Schweinfurt gab. Hier waren ja die ganzen Amis aus den Ghettos, die mit 17, 18 vor die Wahl gestellt wurden: Entweder du gehst in den Knast oder zum Militär. Die wurden dann in Schweinfurt stationiert und haben hier das Gleiche gemacht, was sie vorher in Amerika gemacht haben. Ich bin in einer sehr vitalen HipHop-Szene groß geworden, in einer Tiefe, die in wenigen Städten Deutschlands vorhanden ist. Die Kaserne in Schweinfurt galt als amerikanischer Staatsboden, deshalb konnten die Leute dort damals immer schon zum amerikanischen Releasedate die Rapplatten kaufen. Die hatten die Releases gefühlt immer so zwei, drei Wochen vor allen anderen in Deutschland. Alles, was in Amerika angesagt war, war es dort auch. Zu meiner Zeit war das dann etwas weniger, aber schon noch präsent. Ich hab' auch mit dem Rappen angefangen, weil es bei uns schon krasse englischsprachige Rapper gab.
MZEE.com: Dein Vater ist ebenfalls US-Amerikaner. Bist du in Schweinfurt vor allem mit Leuten vom Militär aufgewachsen?
JuJu Rogers: Nee. Dadurch, dass es so klein war, hat sich in Schweinfurt einfach alles vermischt. Mitte der 80er waren zehn Prozent der Einwohner amerikanische Staatsbürger. Dazu noch ein sehr großer Anteil an Menschen mit einem anderen Migrationshintergrund. Es war nicht so: Okay, da sind die Deutschen und da sind die Amis. Wir sind alle miteinander aufgewachsen. Natürlich hatte ich einen großen amerikanischen Einfluss – vor allem was Musik angeht, aber den hatten echt alle, mit denen ich groß geworden bin. Das waren Azzlacks, Blacks und Deutsche aus ganz normalen Arbeiterfamilien. Wir sind zusammen aufgewachsen, haben auf dem roten Platz Fußball gezockt und Wu-Tang gehört.
MZEE.com: Bei deiner musikalischen Erziehung hat die Plattensammlung deines Vaters eine große Rolle gespielt. Was hält er von deiner Musik und wie wichtig ist dir seine Meinung?
JuJu Rogers: (lacht) Ich glaube, meinem Papa und meiner Mama war von Anfang an klar, dass bei mir musikalisch irgendwas geht. Das war schon immer mein Ding und das haben die beiden auch ganz bewusst gefördert. Gut, sie hätten sich vielleicht mehr gefreut, wenn ich der ausgecheckteste Jazz-Trompeter der Welt geworden wäre. Aber klar, mein Papa ist sicherlich auch stolz. Die letzte Show der Tour war in Schweinfurt, da hab' ich gemerkt, dass ihn die Musik berührt und er es gefeiert hat. Er hat gesehen, dass da jemand auf der Bühne steht, der meint, was er sagt. Ich gehe auch davon aus, dass er spürt, dass er ein wesentlicher Teil meiner Musik und der Persona JuJu Rogers ist. Genauso wie meine Mama, die immer einen großen Wert auf die klassische musikalische Ausbildung gelegt hat. Mein Papa hat mir halt mehr Zeug gezeigt und vorgespielt. Der ist so ein krasser Musikliebhaber, ich hab' das einfach schon unterbewusst mitbekommen. Der bedeutendste Moment für mich war, als ich ihm meine erste Soloplatte "From the Life of a Good-For-Nothing" auf Vinyl überreichen konnte. Auf dem Cover sind ja auch er und mein Bruder. Das hat mir sehr viel bedeutet. Mein Papa wusste auch schon immer, dass Vinyl der Shit ist und nie wirklich untergehen wird.
MZEE.com: Du hast mal erwähnt, dass höhere Kräfte dafür verantwortlich seien, dass du Musiker geworden bist. Und dass dein Handlungsspielraum auch bis zu einem gewissen Punkt begrenzt sei. Wie genau sieht deine Lebensphilosophie aus?
JuJu Rogers: Sehr, sehr schwer zu sagen. Ich glaube daran, dass das, wonach wir suchen, schon in uns ist. Ich kann meine Lebensrealität auf jeden Fall beeinflussen, aber eben nur zu einem gewissen Punkt. Aber wenn ich etwas möchte oder für etwas stehe, dann muss ich das auch irgendwie in der Realität manifestieren. Dann muss ich etwas dafür tun. Ich bin zum Beispiel am Hustlen und hab' den Traum, Musiker zu sein oder zu werden. Jetzt kann ich alles dafür tun oder zumindest jeden Tag versuchen, ein Kapitel in einem Buch oder Poesie zu lesen, mich zu informieren … Ich kann alles in die Wege leiten, um mein Ziel zu erreichen. Aber irgendwann kommt ein Punkt, an dem ich keinen Einfluss mehr hab'. Ich will damit sagen, dass ein Mensch, der in Südafrika aufwächst, wahrscheinlich weniger Einfluss auf seine Lebensbedingungen hat als ich.
MZEE.com: Es geht dir also nicht nur um eine gewisse Vorbestimmtheit durch das Schicksal, Gott oder Ähnliches, sondern eben auch um Privilegien wie den Geburtsort oder den sozialen Status.
JuJu Rogers: Es ist eine Kombination aus allem. Man sagt zum Beispiel: Wir hier in Deutschland sind total fortgeschritten und in Afrika sind die Menschen zurückgeblieben. Man muss sich aber die Begebenheiten vor Ort ansehen und schauen, warum die Menschen in dieser Lage sind. Ich kann diese Menschen nicht alleine für ihr Schicksal verantwortlich machen. Genauso wenig kann ich einem Menschen, der hier abkackt, sagen, dass er alleine Schuld daran ist, weil er nicht hart genug arbeitet oder so. Da spielen eben auch andere Faktoren rein. Ich glaub' auf jeden Fall an eine höhere Macht, an etwas Höheres als uns Menschen. Wir müssen nur weg von diesem personifizierten "Mann mit weißem Bart im Himmel"-Gedanken. Stell dich einfach mal ans Meer, das wird dich als Mensch ganz schnell kontextualisieren. Das zeigt dir, dass es so viel größere Dinge gibt als dich und du nicht das Allerkrasseste auf der Welt bist … auch wenn wir hier immer so rumlaufen.
MZEE.com: Auf "Lost in Translation" rappst du viel über politische und gesellschaftliche Themen. Dabei geht es um Rassismus, Reflexion und das Bewusstsein für Privilegien. Fehlen dir diese Themen bei anderen Rappern in Deutschland?
JuJu Rogers: Ich hab' es mir grundsätzlich abgewöhnt, auf andere Rapper zu schauen. Deutschrap hör' ich ehrlich gesagt wenig. Ich find's auch schlimm, da so den pädagogischen Zeigefinger zu heben. Dass wir in Deutschland Armut, Rassismus, Nationalismus und eine übelst kapitalistische Gesellschaft haben, ist doch klar. Genauso, dass unser Reichtum auf der Armut anderer Länder fußt. Ich muss in der Uni einem Kommilitonen erklären, dass es nicht normal ist, dass ich mich im Supermarkt zwischen zwanzig verschiedenen Joghurts entscheiden kann. Ich denke, dass wir uns noch viel bewusster darüber werden müssen, dass unser Luxus auf der Ausbeutung von anderen Menschen basiert. Und ich hab's auf der Platte angesprochen, weil das eben echt und meine Meinung ist.
MZEE.com: Dein persönlicher Anspruch ist schon, dich gerade zu machen.
JuJu Rogers: Absolut. Wenn ich mir angucke, wer an meiner Wand hängt, wer mich wirklich musikalisch oder auch charakterlich geprägt hat: Das sind immer Leute gewesen, die sich gerade gemacht haben, die für etwas gestanden haben. Die haben nicht hin und her geschwankt und jeden Trend mitgemacht. Einfach nur da zu sein und auf alles zu reagieren, das ist meine größte Angst. Viele Menschen machen das so. Ich will lieber jemand sein, der agiert, nachfragt, etwas vielleicht studiert und dann daraus Konsequenzen zieht. Ist halt bei 85 Prozent der Menschheit nicht so und dadurch im Rap natürlich auch. Aber wer waren die Leute, die wirklich Einfluss hatten? Wer ist jetzt gerade "untouchable"? Das ist Kendrick. Hör dir seine Lyrics an. Natürlich kennen wir auch Drake, Young Thug und so weiter, aber die werden niemals so einen Einfluss auf die Gesellschaft oder die Jugend haben. Deren Songs werden nicht bei Protesten in New York gesungen. Das ist eher mein persönlicher Anspruch.
MZEE.com: Durch deine Familie hast du ja eine ganz persönliche Beziehung zu den USA. Was hat es in dir ausgelöst, als Donald Trump zum Präsidenten gewählt wurde?
JuJu Rogers: Ich glaube, dass das überhaupt keinen Einfluss hat – nicht auf meine Familie, nicht auf den Süden oder auf schwarze Menschen in den USA. Und ich glaube auch nicht, dass unsere Politiker weniger verrückte Dinge tun als er. Die verpacken es anders, aber sie tun nichts anderes. Bruder, wir Deutschen sind Waffenexporteur Nummer drei in der Welt. Die Regierung schiebt nach Afghanistan ab. In Kriegsgebiete, in denen die Bundeswehr im Einsatz ist. Du siehst jeden Tag in Berlin, dass ältere Menschen in Mülleimern nach Pfandflaschen suchen. Mit Polizisten – ich bin in Bayern groß geworden, Bruder – ist es auch nicht anders, nur dass die mich halt nicht abknallen. Die geben mir auch jedes Mal das Gefühl, ich wäre ein Krimineller. Trump sagt halt jetzt einfach, was einige Leute hören wollen … Dass er ein Wichser ist, wissen wir alle. Aber ich glaube nicht, dass sich das jetzt massiv von den G7-Ländern unterscheidet. Das sind alles Verbrecher.
MZEE.com: Zum Abschluss: Was steht bei dir als Nächstes an? Sind Projekte mit Bluestaeb geplant oder geht es anders weiter?
JuJu Rogers: Die Platte war unser gemeinsames Projekt, jetzt planen wir aber beide jeweils ein Solo-Album. Die Tour hat sich so krass gezogen … Ich versuche jetzt gerade, die Fastenzeit zu nutzen, um alles einzuordnen und zu verstehen. Ich hab' so viele Ideen und Skizzen aufgeschrieben, dazu war ich auch in Afrika unterwegs und hab' dort Eindrücke gesammelt. Diese ganzen Reisen und das Kennenlernen von anderen Kulturen machen echt was mit dir, gerade wenn du aus einer Kleinstadt kommst. Ich lass' das jetzt erst mal alles sacken und werd' dann in sehr naher Zeit ins Studio gehen und mit den Arbeiten für das neue Album anfangen. Ein paar Beats von verschiedenen Producern hab' ich schon bekommen. Ich wünsche mir vor allem, dass die Leute merken, dass es eine Dynamik gibt und sich das Ganze mit dem neuen Album weiterentwickelt. Die Leute sollen spüren, dass ich Hunger hab', mich informiere und nicht einfach irgendeine Scheiße laber'. Das wird intensives Soulsearching. Aber ich freu' mich sehr drauf.
(Alexander Hollenhorst)
(Fotos von Svenja Trierscheid)