Jahmica hat sich schon oft neu erfunden. Aus dem Thüringer Hinterland nach Leipzig gekommen, experimentierte er mit seiner Crew, den Obskuriosen, auf ersten EPs mit Boom bap Beats. Zwischendurch battlete er beim #MOT und war 2014 EOW-Champion, immer locker einfallsreiche Rundumschläge austeilend. Soundtechnisch experimentell, spielte er auf "Song for no one" mit dem Indiepopgenre oder auf "Ich schie$$e" mit der Trapwelle. Auf seinem am 12. Mai erschienenen Debütalbum tritt er erneut anders in Erscheinung: Hier eröffnet er persönliche Einblicke in seine Selbstsuche. So findet man neben Aufgeschlossenheit für Genderidentitäten narzisstische Partyhöhenflüge, die später in depressiven Katerselbstzerwürfnissen münden. Wir sprachen mit ihm über die Koexistenz dieser Momentaufnahmen auf seinem Release, über seine Kontaktfreudigkeit und darüber, wie man im Leben seinen Weg immer weitergeht.
MZEE.com: Trotz einiger EPs und einem Mixtape bezeichnest du dein neues Album als dein Debüt. Du sagtest an anderer Stelle auch, dass du erst jetzt das Gefühl hast, richtig Musik zu machen, weil du professionell aufnimmst. Siehst du dich als Newcomer?
Jahmica: Ich sehe mich im Bereich "Album" als Newcomer. Als Musiker ist das ja immer so 'ne Sache: Wann ist man Newcomer und wann nicht? Diese ganzen EPs und Mixtapes hab' ich halt zu Hause bei mir im Zimmer aufgenommen und mich jetzt nicht groß mit Mixing und so beschäftigt. Beziehungsweise hab' ich das immer selbst gemacht und dann maximal noch jemanden drüberschauen lassen. Jetzt war es das erste Mal so, dass ein Produzent beteiligt war, mit dem wir die Songs noch weiter ausgebaut, hier und da noch mal Details hinzugefügt und an einem Song auch mal eine längere Zeit gearbeitet haben. Vorher war das halt immer so: Yo, Beat ins Programm ziehen, aufnehmen und exportieren. Das hab' ich aber so nicht auf Albumlänge gesehen. Deswegen hab' ich vorher nie ein Album gemacht. Und dann hat sich das mit Gadget ergeben und wir haben ein Album produziert.
MZEE.com: Mit dem Producer Günther Gadget hast du auf "Fürs Debüt reicht's" zum ersten Mal zusammengearbeitet. Hatte er großen Einfluss auf den Stil des Albums?
Jahmica: Ich würde sagen, wenn man sich meine musikalische Entwicklung unmittelbar vor dem Album anschaut, dann kann man sagen, dass unser Stil sich in der Mitte trifft. Man hört, dass Gadget mit seinen Beats aus den 90s kommt, beispielsweise an der Drum-Ästhetik. Ich steh' so ein bisschen dazwischen. Da haben wir einfach einen Mix aus beidem erschaffen.
MZEE.com: Im Video zu "Deine Bitch" präsentierst du in schummriger Atmosphäre eine recht queere Ästhetik. Was gab für dich den Anstoß, auf diese Weise zu experimentieren?
Jahmica: Ich hatte tatsächlich einfach Lust drauf. Das sind Aussagen, die ich gerne treffen wollte, und mir hat es gefallen, das umzusetzen.
MZEE.com: Du nimmst ja die szeneinterne Kritik schon im Track vorweg, dass es als "zu gay" wahrgenommen werden könnte. Du sagst dazu: "Doch ich finde, is' ok, denn ich mach Raop." Inwiefern hat denn das eine etwas mit dem anderen zu tun?
Jahmica: So weit muss man jetzt gar nicht in die HipHop-Szene und andere Szenen reinschauen, um zu sehen, dass Dinge wie Homophobie 2017 leider immer noch nicht vom Tisch sind, sondern im Gegenteil immer noch ziemlich präsent. Da sage ich eben: "Das könnt ihr auch ruhig scheiße finden, aber is' mir egal." Hate incoming, ja okay, mach halt. Ich mach' Musik für Leute, die sie sich anhören wollen, und nicht für Leute, die sie sich nicht anhören wollen. Das klingt vielleicht platt, aber im Endeffekt ist es genau das. Kritik ist ja auch etwas anderes als Hate. Wenn jemand sagt: "Ich finde das musikalisch nicht gut", oder: "Es gefällt mir nicht, wie du das Autotune eingesetzt hast", oder: "Mir gefällt dein Flow nicht, weil …" – das ist Kritik und damit beschäftige ich mich durchaus. Es ist nicht so, dass ich keine Kritik annehme, aber Hate geht halt auf der einen Seite rein und auf der anderen wieder raus.
MZEE.com: Ist Raop dann ein satirischer Seitenhieb gegen Cro oder würdest du dich in einer ähnlichen Ecke wie er positionieren?
Jahmica: Ähnlich würde ich nicht sagen, nee. Aber ich bin für die Koexistenz von allen möglichen Ansätzen, Musik zu machen. Völlig egal, ob jemand rappt oder irgendwelche Instrumente spielt oder einen völlig anderen Stil hat. Ich rappe halt, aber ich hab' ja auch so viele musikalische Einflüsse, dass sich meine Musik nicht nur auf Rap beschränkt.
MZEE.com: Ich finde, das merkt man auch. Auf "Tanke" rappst du: "Ich denk' halt nicht geschlechtsspezifisch, ich unterscheide nur zwischen fickbar und Hepatitis." Ist das Thema "Gender Fluidity" und die damit einhergehende queere sexuelle Orientierung etwas, womit du dich intellektuell beschäftigst?
Jahmica: Wenn ich mich nicht damit beschäftigen würde, dann würde ich nicht darüber rappen. Das unterscheidet vielleicht konstruierten Image-Rap von meinem Ansatz. So 'ne Ästhetik konstruiert man ja immer zu 'nem gewissen Sinn, ne? Wenn du sagst: "Ich will solche Farben nehmen und ich will das und das machen und ich will die Anspielung da und darauf bauen …" Irgendwann bist du halt in 'nem gewissen Konstrukt drin. Aber ich beschäftige mich immer mit den Themen, über die ich rappe.
MZEE.com: "Deine Bitch" handelt vom offenen Umgang mit promisken sexuellen Kontakten. Keine Bindungen, aber Ehrlichkeit mit der Unverbindlichkeit scheint die Devise. Ist das dein persönlicher Umgang damit?
Jahmica: Meine Künstlerperson entspringt aus der Privatperson. Das heißt nicht, dass sie sich in dieser erschöpft. Die Sachen, die ich erzähle, stimmen schon mit der Realität überein, aber das heißt ja nicht, dass es nicht noch andere Sachen gibt, über die ich reden könnte, die auch mit der Realität übereinstimmen. Ich schreibe meine Texte aus einem Gefühl heraus, wenn ich gerade in dieser Situation bin. Das schließt nicht aus, dass ich mich einen Monat oder ein paar Monate später gerne auf 'ne monogame Beziehung einlassen würde, theoretisch. Sowas wird ja beispielsweise auch auf dem Track "Abgrund" diskutiert. Auf meinem Album stehen solche Sachen wie Polyamoröses und keine Bindung solchen Sachen wie Monogamie gleichwertig gegenüber. Ich schreibe in der einen Phase über das eine und in der anderen über das andere und das koexistiert auf meinem Album.
MZEE.com: Ist "Deine Bitch" – so wie es rüberkommt – auch eine Angebotsannonce an mögliche Interessentinnen oder Interessenten?
Jahmica: Klar. (lacht) Voll. Auf jeden Fall. Und … ich weiß nicht, ob ich das jetzt sagen mag, aber man kann "Deine Bitch" nicht nur sexuell interpretieren. Das ist ja auch beispielsweise auf Musik beziehbar. Gerade, weil du vorhin auch diesen Part mit Raop angesprochen hast. Der ist ja auch nicht ganz unbeabsichtigt im Song.
MZEE.com: Inwiefern?
Jahmica: Na ja, also … ich weiß gar nicht, ob ich das jetzt so ausführen mag, aber man könnte sagen, dass sich die männliche Bitch auch auf die Musikindustrie oder Szene bezieht. Das bedeutet quasi Kontaktfreudigkeit in jeder Facette. Oder eben auch nicht: Ständig available, selten erreichbar, meine Seele kriegst du nicht!
MZEE.com: Verstehe. Du spielst viel mit der Sprache, machst auch viele Wortspiele. Würdest du sagen, dass Zweideutigkeit essentiell für guten Rap ist?
Jahmica: (überlegt) Nicht zwangsläufig. Ich kenne auch genug guten Rap, der einfach nur straight und hart genau das sagt, was er sagen will, ohne dass da irgendwelche Metaebenen drin sind. Genauso gibt es aber auch welchen mit vielen Doppel- oder Mehrdeutigkeiten, der funktioniert. Du kannst beides sehr gut oder sehr schlecht machen. Auf meinem Album sind schon viele Tracks, deren Aussagen auf jeden Fall auch in einer ganz anderen Metaebene gesehen werden können. Ich hab' ja bei "Deine Bitch" angesprochen, wie das interpretiert werden kann. In manchen Texten wollte ich offene Flächen erschaffen, die auf verschiedene Bereiche angewendet werden können. Das fand ich spannend. Manche Tracks auf dem Album sind aber auch völlig straight und meinen auch unverblümt genau das, um das es geht.
MZEE.com: Im Song "Egaler" rappst du darüber, dass du ziemlich viel drauf hast und sogar überqualifiziert für vieles seist. Trotzdem klingt es so, als fändest du keinen Anschluss oder Bezug zu einem "geordneten" Leben. Glaubst du, dass gerade intelligente, kritische Menschen sich schwertun mit der gesellschaftlichen und finanziellen Existenz?
Jahmica: Jetzt könnte ich fast die gleiche Antwort geben wie bei der Wortspiel-Frage. Auch hier gibt es genauso viele Menschen, die in irgendeiner anderen Hinsicht andere Voraussetzungen mit sich bringen. Egal, ob das jetzt irgendwelche finanziellen Möglichkeiten sind oder irgendwelche Skills, die man sich erworben hat – wie Bildung – und die tun sich auch schwer damit.
MZEE.com: Du meinst Leute mit den verschiedensten "Gaben", die trotzdem Schwierigkeiten haben?
Jahmica: Ja, auf jeden Fall. Es ist ja schon natürlich so, dass ein Mensch gesellschaftlich am besten funktioniert, wenn seine Ansichten relativ konform mit dem wahrgenommenen Mainstream sind. Das ist eine banale Aussage. Es ist immer ein bisschen schwierig, von sich selbst auf große Menschengruppen zu schließen.
MZEE.com: Ich meinte die Tendenz, dass es oft so ist.
Jahmica: Ja, Tendenz. Ich glaube, dass es für mich persönlich, gerade bei "Egaler", auch so ein bisschen daher kommt, dass ich einfach sage: "Es gibt zwar viele Möglichkeiten, aber viele Nebeneffekte dieser Möglichkeiten fucken mich ab." Am Ende zeigt der Track auch wieder diese Doppeldeutigkeit auf, dass keine Ordnung zu haben einen eben auch wieder abfuckt. Das ist so ein bisschen "choose your side". Also, irgendetwas musst du ja tun.
MZEE.com: Ja. "Wähle dein Leiden" würden jetzt die Buddhisten sagen. Du wechselst nur von einer Art des Leidens zu einer anderen.
Jahmica: Genau. Sozusagen. Und das merkt man ja auf "Egaler", dass ich versuche, meinen Pfad da durchzu finden. Und der Ausgang ist noch offen, würde ich sagen.
MZEE.com: Hast du – entgegen deiner oft düsteren Tracks – denn Perspektiven und Ideen, wie man mit solchen Voraussetzungen trotzdem seinen Weg finden kann?
Jahmica: Ohne jetzt zu sehr meine Musik zu erklären: Ich durchlaufe auf diesem Album verschiedene Stimmungen – von hellen, die relativ unbeschwert sind, bis hin zu Suizidgedanken. Und für mich ist es so: Du musst halt durch alles davon durchgehen. Also, wenn du Angst vor irgendeinem dieser Zustände hast, dann bestimmt deine Angst eher, wie du weiter verfährst. Man merkt ja bei vielen Leuten, dass Ängste die Zukunftsentscheidungen dominieren und gar nicht der Wille, etwas Bestimmtes zu tun. Da kann ich einfach nur raten, keine Angst davor zu haben, diese ganzen Sachen durchleben zu müssen. Und dann kannst du hoffentlich irgendwann aussieben, wie du dein Leben arrangieren möchtest. Das wäre so der beste Fall.
MZEE.com: Also: Entscheidungen durch Aussieben.
Jahmica: Wie sage ich das jetzt, ohne zu Kay One-"Ich poste ein emotionales Meme"-mäßig zu klingen? Bei mir ist es so gewesen: Es werden immer wieder Sachen passieren, die dich richtig hart auf den Boden zurücksmashen, und es wird Phasen geben, in denen du dich wieder megahappy fühlst. Es geht darum, durch all diese Phasen zu gehen, ohne aufzugeben. Im Endeffekt landest du ja immer wieder an einem Punkt, an dem du sagst: "Okay, jetzt geb' ich mich damit zufrieden", oder: "Ich hab' Angst vor Niederlagen oder einer Enttäuschung." Aber die gehören halt auch dazu.
MZEE.com: Entgegen dieser Auf und Abs bist du, was die Musik angeht, ja durchaus produktiv. Ist es dein Ziel, von der Musik als vollberuflicher Musiker leben zu können?
Jahmica: (überlegt) Also, davon leben können nicht zwangsläufig. Mein Leben dadurch gestalten schon.
MZEE.com: Das machst du doch sowieso schon.
Jahmica: Ja, genau. Ich bin der Meinung, dass Menschen Kunst sowieso unabhängig davon machen sollten, ob sie damit ihren kompletten Lebensunterhalt finanzieren können. Ich bin aber auf jeden Fall offen für das, was kommt. Natürlich ist es ein Traum für viele Künstler, irgendwie davon leben zu können. Das heißt aber nicht, dass ich aufhöre, falls es damit nichts wird.
MZEE.com: Wenn man noch einen Job hat, um Geld zu verdienen, bleibt nur eben weniger Zeit für die Kunst.
Jahmica: Da hast du völlig recht. Andererseits erfordern so Schritte wie Professionalisierung und Vermarktung auch finanzielle Mittel. Und das Geld muss ja irgendwo herkommen. Das bedeutet, dass irgendwelche Leute deine Fans sind und du denen in irgendeiner Art und Weise was verkaufst und die dich als Künstler am Leben erhalten oder ernähren. Ich verwehre mich dieser Logik jetzt nicht komplett, aber ich finde, dass man schauen sollte, welche Art von Kompromissen man eingeht. Ich hab' schon Bock, welche einzugehen, aber eben keine, die mir nicht gut tun. Wenn du die Möglichkeit hast, den nächsten Step zu machen, ist das schon cool, aber ich hab' keine Lust, dann ein Künstler zu werden, der ich nicht sein will.
MZEE.com: Es hat also seine Grenzen. Und du kennst deine Grenzen auch, was das angeht.
Jahmica: Das ist immer so eine Sache, Grenzen kennen … Du entwickelst deinen Stil ja auch und der ist nie hundertprozentig unabhängig von dem Feedback, das du bekommst. Das geht gar nicht. Keine Person kann sich davon völlig freimachen. Deswegen verändern sich ja auch im Laufe des Lebens Grenzen ein bisschen in diese oder jene Richtung, aber es gehört nun mal zum Game dazu, das für sich auszuloten. (lacht)
MZEE.com: Du hast vorhin bei den Polyamoriethemen schon gesagt, dass du da etwas aussagen und Statements machen willst. Möchtest du mit deiner Musik gesellschaftlich etwas bewegen?
Jahmica: Im besten Fall, ja. Ich kann natürlich nicht entscheiden, was Leute bewegt, das ist immer so 'ne Sache.
MZEE.com: Aber du hast den Anspruch?
Jahmica: Ja, auf jeden Fall. Dann würde ich wirklich so kurz antworten: Im besten Fall, ja.
MZEE.com: "Ständig die gleichen Fragen – wie lang ist man bereit zu warten, bis man glücklich wird eines Tages?" – diese Line stammt aus deinem Track "Keine Welt". Wann bist du glücklich?
Jahmica: (überlegt) Wenn ich mich ausgeglichen fühle und in der Lage bin, mit allen Dingen, die auf mich zukommen, umzugehen. Der Track ist in einer relativ depressiven Phase entstanden, in der ich mich auch genau damit beschäftigt hab'. In der Regel ist es ja schon so, dass eigentlich niemand Bock hat, in so einer Phase drinzubleiben. Ich will über harte Phasen in meinem Leben reden, aber natürlich trotzdem auch versuchen, da rauszukommen.
MZEE.com: Zum Abschluss: Was steht jetzt nach dem Album bei dir an? Wirst du touren oder arbeitest du schon an neuen Sachen?
Jahmica: Ich schreibe schon an ein, zwei EPs, die ich gern umsetzen will, sobald ich die Zeit dafür finde. Das Debütalbum ist da ein sehr offener Soundansatz, aus dem ich mir für die nächsten Sachen gewisse Parts rauspicke. Ich habe vorher eher zusammenhangslosere Tracks aneinandergereiht, auf meinen Mixtapes vor allem. Jetzt ist es so, dass ich etwas fokussierter versucht habe, Aussagen zu treffen. Da suche ich mir dann die Sachen heraus, die ich selbst am stärksten finde, und arbeite die aus. Gerade soundästhetisch kann man aber auf jeden Fall noch Überraschungen erwarten. Ich würde nicht sagen, dass es jetzt unbedingt so weitergeht, wie man es auf dem Debütalbum hört.
(Nina Weidmann)
(Fotos von Alexis White)