Der Deutschrapzirkus ist ein umtriebiger Schauplatz. Zwischen all den Promophasen und Albumveröffentlichungen kann man schon einmal den Blick fürs Detail verlieren. Deshalb stellen wir jeden Monat an dieser Stelle die kleinen, feinen Highlights vor, die abseits des Album-Korsetts Beachtung verdienen. In den Kategorien Statement, Video, Song, Instrumental und Line präsentieren unsere Redakteure handverlesene Schmuckstücke. Egal, ob nun ein besonders persönlicher Bezug, eine wichtige Message oder ein rundes musikalisches Gesamtpaket den Anlass bieten. Hier wird ein tiefer Einblick in einzelne Facetten der Rapwelt geboten. Fünf Höhepunkte – klatscht in die Hände für unsere "High Five"!
Statement: Marteria
Wenn man Marteria so dabei zusieht, wie er die Welt bereist, könnte man schnell neidisch werden. Doch ist seine Reiselust kein reines Lifestyle-Abfeiern eines erfolgreichen Rappers, wie man vielleicht vermuten könnte. In unserem Interview erklärt der Rostocker, wie der Besuch verschiedenster Regionen der Welt seine eigene Weltoffenheit bereichert hat. Für die Angst der Menschen, die im Internet auch mal zu Anfeindungen führen kann, hat Marteria zwar Verständnis – doch plädiert er für das genaue Gegenteil. Man müsse das Fremde kennenlernen, selbst einmal fremd sein, um die Furcht davor zu besiegen: "Wenn sich die Angst trotzdem nicht aufstauen soll, muss man sich damit beschäftigen – und zwar nicht nur in Netz-Kommentaren. […] Das erweitert dann plötzlich deinen Horizont ganz anders, wenn du merkst, dass es für viele ein Problem ist, dass sie einfach nichts zu essen haben." Nur so könne dem scheinbar nie enden wollenden Rassismus vorgebeugt werden. Als Musiker mit großer Reichweite sieht er es deshalb als seine Pflicht an, diese Gedanken an die Hörer weiterzugeben. Vielleicht werden gerade dadurch einige Menschen dazu bewegt, über den eigenen kulturellen Tellerrand zu schauen: "Diese Ungerechtigkeit musst du einfach mal gesehen haben, um sie zu verstehen."
Video: Literal Video – Marteria – Kids (2 Finger an den Kopf)
Nicht nur die musikalischen Prozesse rund um Aufnahme, Abmischen und Mastern werden bei vielen Rappern immer aufwendiger und hochwertiger, auch in die Produktion von Musikvideos wird mehr und mehr Arbeit gesteckt. Marteria etwa hat zu seinem neuen Album direkt einen passenden Kurzfilm gedreht. Doch auch schon die letzte Platte "Zum Glück in die Zukunft II" wurde teilweise bebildert. So erhielt unter anderem "Kids (2 Finger an den Kopf)" ein eigenes Video. In Sachen Qualität, Stimmung und Atmosphäre war an diesem Clip nie wirklich etwas auszusetzen. Dennoch hat der Blog WunderTütenFabrik das einst von Chopchop produzierte Werk noch einmal genauer unter die Lupe genommen und festgestellt, zu dem Bildmaterial einen ganz eigenen Text schreiben zu können. Es ist nicht das erste "Literal Video" auf dem WTF-YouTube-Channel Luksan Wunder, aber dennoch eines der wohl amüsantesten bisher. Dabei kehren die Macher einfach den Arbeitsprozess um: Statt eines zum Text passenden Videos erstellen sie einen zum Video passenden Text. Dies sorgt für einen gleichermaßen kritischen wie unterhaltsamen Blick auf das Gezeigte. Und da sich das Luksan Wunder-Team dabei noch die größte Mühe gibt, sich an Sound und Flow des Originals zu orientieren, entsteht letztlich sogar ein anhörbares neues Stück Musik.
Song: DCVDNS – Neuer alter Savas
"Sieh, der Mac ist back, ich bin der Freshste zurzeit!" – Wenn DCVDNS das vor fünf Jahren, damals noch mit Brille und Pullunder, gerappt hätte, wäre mir wohl maximal ein leichtes Lächeln über die Lippen gekommen. Damals war er ja auch nicht mehr als ein amüsanter Außenseiter im Rapgeschäft. Inzwischen hat er sich jedoch als "Wolf im Schafspelz" zu erkennen gegeben und rasiert tatsächlich ordentlich die Szene. Auf einem einprägsamen Kopfnicker-Beat von Pyer und Wolfgang H, der vereinzelt an "Jambalaya" von Casper erinnert, flowt der Saarländer alles in Grund und Boden. Dominik Christoph von der Nordsee zieht wirklich alle Register: zahlreiche Savas-Referenzen, amüsante Punches gegen unter anderem Rap am Mittwoch und eine mehr als eingängig gesungene Chor-Hook. Das Gesamtpaket stimmt hier voll und ganz. Dadurch darf DCVDNS sich nicht nur problemlos "Neuer alter Savas" nennen, sondern hat sich auch einen Platz in unserem aktuellen High Five mehr als verdient.
Instrumental: RIN – Bros (prod. Minhtendo)
Funkeinflüsse in Raptracks sind spätestens seit den legendären Westcoast-Releases von Dr. Dre, Snoop Dogg und Co. aus den 90ern nichts Neues mehr. Allerdings hat man als Fan des G-Funks lange vergeblich nach ebendiesem in neueren Tracks suchen müssen. Minhtendo bringt mit dem Instrumental zu RINs "Bros" jedoch den Funk in die deutsche Cloud- und Trapszene zurück. Zum Einstieg gibt es hier einen Bass, der vom Klangbild her stark an die geslappten Basslines der 70er und 80er Jahre erinnert, gefolgt von unbeschwerten Synthie-Orgeln. Diese an das langsame Tempo aktueller Trapbeats angepassten Einflüsse der funky Disco-Ära sorgen für einen Klangteppich, welcher ebenso laidback daherkommt wie RINs entspannter Autotune-Singsang. Ein extrem lässiges Instrumental, das neben den Vocals nicht untergeht, ohne sich dabei selbst zu sehr in den Vordergrund zu stellen. Wie bei den meisten seiner kürzlich veröffentlichten Instrumentals schafft Minhtendo es auch hier wieder, das Gefühl der guten Laune und die positivsten Vibes akustisch einzufangen. Perfekt für die anstehenden Sommertage und Ausflüge an den See mit allen "Bros".
Line: Credibil – Per aspera ad astra (Remix)
Halte nichts von Grenzen oder Flaggen, von Ländern oder Fahnen.
Von hier oben seid ihr alle gleich.
Seit seinem Album "Renæssance" ist es um Credibil relativ ruhig geworden. Nun aber meldet er sich mit einem Remix zu Disarstars "Per aspera ad astra" auf seiner Facebook-Seite zurück. Der Frankfurter ist bekannt dafür, hin und wieder deutlich seine Meinung zu sagen und politische Äußerungen von sich zu geben – so auch hier. Im Grunde genommen sollte diese zitierte Zeile selbstverständlich sein, doch die Realität sieht bekanntlich anders aus. In einer Welt, die ständig von Terror überschattet wird und in der die Flüchtlingsdebatte weiterhin existiert, kann man die Worte Credibils nicht oft genug teilen.
(Florian Peking, Daniel Fersch, Lukas Päckert, Steffen Uphoff, Fabrizio Perri)
(Foto von Paul Ripke (Marteria))