An Mädness und Döll kam man in diesem Jahr wohl einfach nicht vorbei. Das gemeinsame Album "Ich und mein Bruder" dürfte für mehr Aufsehen gesorgt haben als sämtliche vorherigen Solowerke der beiden Brüder zusammen. Die Folge: Radio- und Festivalauftritte, eine eigene Tour, zahlreiche Interviews. So viele, dass man zum Ende hin sogar das Gefühl hatte, den Reportern würden allmählich die Fragen ausgehen – "Wie alt warst du, als du sechs Jahre alt warst?" Wir von MZEE.com wollten allerdings doch noch ein paar Sachen geklärt haben und sprachen mit Mädness und Döll über ihr Album, Hessen und seine Dialekte, die Wahrnehmung von Frauen in der Szene und den Wert des kommerziellen Erfolgs heutzutage.
MZEE.com: Neues Album. Über was wollt ihr denn noch reden, worüber habt ihr noch nicht geredet? Wollt ihr überhaupt noch über irgendwas reden?
Mädness: Also: Wir haben auf dem Album keine Features. Wir haben natürlich Produzenten, aber ansonsten ist es eine reine Duo-Platte. Jeder erzählt seine Sicht der Dinge zu einem Thema aus seiner eigenen Perspektive. Das wollten wir nicht auffüllen mit Gästen, sondern die Platte einfach unter uns zwei lassen. Was die Produzenten angeht, haben wir mit Torky Tork, Yassin, Fid Mella, Dexter, Sterio, Gibmafuffi und Clefco zusammengearbeitet. Letzterer ist vielleicht noch nicht so ein Begriff in der Beatszene beziehungsweise im Rapbereich, aber der Kollege aus Wien hat zwei Beats für uns gemacht, die unglaublich sind. Das war für uns total überraschend, weil das mit die ersten Beats waren, bei denen wir uns ganz sicher waren, dass wir darauf schreiben. Ein Teil der anderen Beats war auch schon fertig und wir haben sie dementsprechend gepickt. Spontan durch einen Arbeitsprozess mit Sample finden, Beat bauen und direkt darauf schreiben sind die Songs mit Torky Tork entstanden, der sich mit Yassin dann zusammengetan hat, um das Ganze rundzumachen. Mit Torky Tork waren wir eine Woche unterwegs, haben uns in ein Haus eingeschlossen und wirklich vom Nullpunkt an gearbeitet. Der Rest war: Beat gefällt uns, schreiben wir drauf. Dann kann man vielleicht noch ein Wort über einen Kollegen loswerden: Ipp. Er hat uns bei der K.I.Z-Tour als DJ unterstützt und gleichzeitig auch gesungen. Neben einem begnadeten Sänger und DJ ist er auch noch Kameramann. Und das Gefühl, dass du jemanden im Rücken hast, der nicht nur auflegt, sondern dich auch performancemäßig unterstützt, ist einfach gut, weil das supergeil funktioniert. Der ist so Bela B.-mäßig unterwegs. Das ist auch noch eine Neuerung. Eigentlich hatten wir ein klassisches Zwölfzehner-Set, wo wir uns backen. Aber durch den Zusatz ist die Show auch noch mal gewachsen.
Döll: Vielleicht gibt's auch noch andere Duos oder Solo-Acts, die das so machen, aber die Konstellation mit DJ und Sänger in einem ist recht ungewöhnlich und unter anderem deswegen auch spannend.
MZEE.com: Ihr macht das super, ich muss gar nichts fragen. Macht mal weiter.
Döll: Ansonsten … was könnte man noch sagen?
MZEE.com: Habt ihr just in diesem Moment einen Lieblingstrack?
Mädness: Also, ich höre derzeit immer noch, obwohl es einen Ticken älter ist, das Release "Zu schön um klar zu sein" von Enoq. Da kann man jeden Track auswählen, Döll ist auf dem Album, ich bin auch mit drauf. Das ist ein Topalbum und ich sag' das, weil es einfach noch nicht jeden erreicht hat.
Döll: Meine aktuellen Lieblingssongs sind leider noch nicht veröffentlicht. Da kann man aber auch sagen, dass Torky Tork und Doz9 gerade an neuen Sachen für das neue T9- Projekt sitzen. Und die finde ich sehr, sehr gut. Würde ich als Lieblingstracks bezeichnen.
MZEE.com: Das Schöne ist, ich hätte jetzt gerne sowas gehört wie "Frag mich nicht". Eure Antworten sind aber sehr schön.
Döll: Eigene Songs? Nur sich selbst nennen – machen ja schon alle anderen. Oder "Frag mich nicht" … Ich dachte kurz, du wärst überrascht, weil wir uns nicht selbst nennen. Normalerweise hast du so klassische Interviewsituationen. "Wer ist dein Lieblingsrapper?" – "Eigentlich nur ich selbst. Und Rap höre ich eigentlich gar nicht, beeinflusst bin ich auch gar nicht. Das ist mir alles so zugeflogen." Ich dachte, deswegen wärst du jetzt überrascht …
MZEE.com: Nervt das Hessending mittlerweile oder geht's noch?
Mädness: Dass wir darauf angesprochen werden? Das ist halt unsere Herkunft. Jede Frage verliert so 'n bisschen ihren Reiz, wenn sie zu oft gestellt wird. Und dann nervt jede Frage. Ich hab' aber noch nicht mal das Gefühl, dass es zu häufig vorkommt. Man kann dazu ja auch nicht viel sagen. Wir kommen einfach ursprünglich aus Hessen.
Döll: Mich nervt es auch nicht. Es ist ja in erster Linie so, dass es stimmt. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass wir Hessen sind. Blöd wäre nur, wenn wir darauf reduziert würden. Aber das ist nicht der Fall. Von daher: Alles cool. Und: Gehört ja zu uns und es ist auch HipHop, zu repräsentieren, was man ist und wo man herkommt. Hessisch ist nach wie vor der beste Akzent in ganz Deutschland. Das kommt uns ja positiv entgegen. Jetzt guckst du ein bisschen skeptisch.
MZEE.com: Sprachlinientechnisch gibt es halt kein "Hessisch". Bamberger und Aschaffenburger sind dem Frankfurter näher als das, wo ich herkomme. Die Sprachlinie läuft halt quer durch den Vogelsberg.
Mädness: Bei Aschaffenburg ist es ja auch so, dass das ein schöner Mix aus Hessisch und Bayerisch ist. Die sagen zum einen "Ei, Gude!" zur Begrüßung, aber auch klassische bayerische Wörter. Das findet sogar in den kleinsten Käffern statt. Wir haben zu Hause ein Buch, in dem es um die Unterscheidung von bestimmten Worten und um die Betonung geht. Auch um die Aussprache von zwei Käffern, die vier Kilometer voneinander entfernt sind. Und da sind schon völlig andere Begriffe in Verwendung als in dem anderen Kaff.
MZEE.com: Bei uns ist die Hälfte aus dem Französischen. "Kolter" zum Beispiel stammt vom altfranzösischen Wort "coultre" ab.
Döll: Hast du Sprachen studiert?
MZEE.com: Ich interessiere mich dafür, hab' aber nie Dialekt gesprochen, als ich noch in Hessen war. Bis ich nach Bayern gegangen bin und da alle Bayerisch geredet haben. Da hab' ich damit angefangen. 19 Jahre erfolgreich nicht, dann das …
Mädness: Aus Trotz Hessisch?
MZEE.com: Ernsthaft. Ich sitz' in der Vorlesung und da redet einer Bayerisch? Das geht nicht. Was machen denn da die Austauschstudenten?
Mädness: Das stimmt, das finde ich aber bei jedem Dialekt so. Es ist schön, Dialekt zu reden, es ist aber noch schöner, das Ganze ausschalten zu können und sich seinem Gegenüber anzupassen. Ich empfinde das als sehr unhöflich, sich nicht zurückzunehmen, obwohl man weiß, dass der andere Schwierigkeiten mit dem Verständnis hat.
MZEE.com: Ab einem gewissen Alter können Leute das aber nicht mehr so gut. Die wiederholen das alles dann einfach in lang gezogen.
Döll: Das ist lustig. Auch bei der älteren Generation. Obwohl das auch schon Leute in unserem Alter machen, die das Hessische extrem gewohnt sind und dann aber in eine Situation kommen, Hochdeutsch reden zu müssen. Die Betonung, die dann kommt: Die gezogenen Vokale werden immer noch gezogen, nur langsamer.
Mädness: Das ist, wie wenn ältere Leute versuchen, jemandem etwas zu erklären, der nicht so gut Deutsch kann. Die sprechen dann falsches Deutsch: "Du mache das." Dann denkst du dir, dass sie auch den Satz ganz normal sagen könnten, dass derjenige auch die Möglichkeit hat, daraus etwas zu lernen. Neulich in Österreich habe ich erst selber zu spüren bekommen, wie sich ein Typ überhaupt nicht zurückgenommen hat, obwohl er genau wusste, dass wir nichts verstehen. Der hat sich wahrscheinlich einfach gedacht: "Ihr seid bei mir im Kaff in Österreich, also habt ihr euch gefälligst mir anzupassen!" Den Eindruck hatte ich jedenfalls.
MZEE.com: Man würde ja auch nie Englisch mit jemandem reden, der in Deutschland weilt und sonst nur Französisch spricht …
Döll: Ich hatte auch mal so eine Situation in Spanien. Als ich noch in Madrid gewohnt hab' und von Deutschland dann wieder zurückgefahren bin, musste ich in Barcelona umsteigen. Da war der offizielle Infopunkt, bei dem ich versucht habe, mein Gleis zu erfragen. Das ist zwar noch mal was anderes, weil Barcelona, Katalonien seine Unabhängigkeit haben will, aber da war das auch so, dass ich auf Spanisch nachgefragt hab' und er mir auf Catalàn antwortete. Und er hat es drei- oder viermal nur auf Catalàn wiederholt. Das fand ich dann so ein bisschen: "Ey, du kannst es. Warum? Warum machst du das?"
Mädness: Durch das Gespräch bin ich aber jetzt auf eine Idee gekommen. Wenn man so eine Situation wieder hat, kann man das dem Gegenüber so demonstrieren, dass man Englisch anbietet. "Pass auf, du redest so hart Dialekt, wenn wir das nicht auf die Reihe bekommen, dann Englisch." Dann hebelt man das so aus und zeigt dem: "Alter, wir können schon miteinander, aber du musst dich bewegen."
MZEE.com: Dann wirkst du aber eher wie ein Arschloch. Wenn du sagst: "Hör mal, ich würde mich gerne unterhalten, aber ich kann nicht, weil es meine Kompetenz übersteigt." Dann gibst du dem anderen die Hoheit über "ich kann was für dich machen". Wenn du mit Englisch kommst, kommen die Schimpfworte. Das wäre meine Einschätzung.
Mädness: So kann man aber doch zeigen, dass man bereit wäre?
Döll: Ich finde das auch gut. In Indien ist das doch auch so. Ich weiß nicht, wie viele Sprachen dort gesprochen werden. Und wenn einer aus dem Süden in den Norden kommt, wird halt Englisch gesprochen.
MZEE.com: Das indische Englisch ist aber auch 50er Jahre-Englisch mit einem Satzbau …
Döll: Das war natürlich auch Naivität beziehungsweise Nichtwissen, dass ich mich früher in der Bahn immer bei einer Gruppe Inder gefragt habe, wieso die sich auf Englisch unterhalten.
Mädness: Wie macht ihr das in den Niederlanden? Englisch oder direkt Deutsch?
Döll: Das ist die Frage.
MZEE.com: Immer Englisch. Ich hab' auch Tschechisch für Prag gelernt. Die können aber alle besser Deutsch als ich jemals Tschechisch können werde. Ich finde es nur einfach viel höflicher.
Döll: Rappst du auch? Vielleicht solltest du das mal probieren. Ernsthaft.
MZEE.com: Ne, das hab' ich verpasst. Das hätte ich vor der 30 machen müssen.
Mädness: Wenn du keinen Bock drauf hast, ist das so eine Sache. Wenn du aber so ein Wissen mitbringst, was auch einzelne Worte betrifft, ist Rap ja nur 'ne Übungssache. Wir haben auch einfach nur lange geübt.
MZEE.com: Ich hör' gern Rap, aber möchte nicht Teil davon sein. Nicht als Frau.
Döll: Das kann ich zu hundert Prozent nachvollziehen. Wir haben vorhin mit Shana von Backspin gesprochen. Und ich meinte nach dem Interview, dass ich es nicht hoffe, aber sich die Topkommentare unter dem Video wahrscheinlich nicht auf den Inhalt konzentrieren, sondern einfach nur darauf abzielen werden, dass sie 'ne Frau ist. Und das dann noch sexualisiert. Ich finde es auch furchtbar, wie zum Beispiel Visa Vie über Jahre in den Kommentarbalken behandelt wurde. Das ist furchtbar und geht eigentlich gar nicht. Das Erschreckende ist, dass es eigentlich nur zeigt, welche Ehrlichkeit die Anonymität des Internets bietet beziehungsweise hervorruft. Das ist ganz, ganz furchtbar. Sobald irgendwo 'ne Frau zu sehen ist, ist sofort klar, worüber in den Kommentaren diskutiert wird.
MZEE.com: Beim VBT hat ÉSMaticx mal eine wunderbare Zeile gebracht: "Frauen, die ich fickte, würden dich nicht mal aus Mitleid nageln." So etwas kann und darf nur eine Frau bringen. Hab' ich extrem gefeiert.
Mädness: Sie hat ja ständig mit den Problemen zu kämpfen und sich da klar gegengestellt. Ich finde auch gut, dass Lady Bitch Ray das für sich umgemünzt hat. Erst mal mit dem Namen und dann war sie auch in so vielen Talkshows, hat sich da präsentiert und auch erklärt, warum sie das Wort "bitch" für sich dreht. Auch wenn ich es nicht hoffe, glaube ich aber, dass der Gegenwind, der dann da immer in den Kommentaren kommt, dazu geführt hat, dass viele das nicht durchgezogen haben. Schwesta Ewa ist da die Einzige. Fiva ist noch unterwegs, aber ein bisschen weg aus dem Rap. Ich glaube, dass das mit ein Grund war für viele, zu sagen: "Ich hab' keinen Bock mehr."
Döll: Deswegen kann ich auch hundertprozentig verstehen, was du gesagt hast. Ich würde mich da auch ganz klar fragen: "Alter, in was begebe ich mich da rein?" Nicht das komplette Publikum hat die gleiche Meinung. Aber es ist stellenweise schon ein Haifischbecken des Sexismus und der Homophobie. Ich find' das ganz schlimm und hoffe, dass sich das in den nächsten Jahren ändert, auch was die Homophobie betrifft. Es gibt in Deutschland ernsthaft Leute, die sich ins Interview setzen und sagen, dass Homosexualität für sie einfach nicht klargeht. Und das ist einfach kein Statement oder sonst etwas, was man so stehen lassen kann.
Mädness: Und dann kommt noch dazu, dass das oftmals die Leute sind, die zurecht sagen, dass Rassismus überhaupt nicht klargeht. Aber das ist genau die gleiche Ebene. Oder ist Sexismus irgendwie cooler als Rassismus?
MZEE.com: "No Homo" – dreimal schlimmer. Es ist genau das: "Ich hab' begriffen, ich soll da nicht in Schimpfwortmanier drüber reden, aber wenn es mich betreffen könnte. No Homo …" Also bitte.
Döll: Pro Homo an der Stelle.
Mädness: Vor allem weiß ich gar nicht, was da für eine Angst mitschwingt. Selbst wenn mir einer steckt, dass ich schwul wäre, ist das okay für mich, weil ich weiß, dass ich es nicht bin. Ich wäre aber vielleicht froh, wenn ich bi wäre, weil dann die Auswahl größer ist. Das ist kein Diss für mich. Man hat auch schwule Freunde.
MZEE.com: Die Frage ist, warum ich mich überhaupt selber in eine Schublade legen soll. Warum muss ich überhaupt sagen: "Guten Tag, ich bin homo, bi, hete", um dann irgendwann eine Lebenskrise zu bekommen, wenn die Schublade, in die man sich gelegt hat, doch nicht mehr passt. Ich bin nicht so ein Schubladen-Freund.
Mädness: Sehe ich genauso. Bin ich auch voll raus. Auch mit Bezeichnungen. Die Leute wollen dann immer 'ne Nische haben, das ist der Rap und das ist der Rap. Es ist einfach Rap.
MZEE.com: Ich glaube, das Leben macht einem wesentlich weniger Angst, wenn man klar sagen kann: "Diese Schublade möchte ich gar nicht erst aufmachen, weil das, was ich da sehe, mich in den Grundfesten durcheinanderbringen könnte." Ich kenne auch viele Leute, die keinen Rap hören, weil sie sagen, das ist Aggro-Zeugs.
Mädness: Das hatten wir vorhin auch schon. Das ist Faulheit und riesengroße Ignoranz. Das sind Leute, die dann sagen, dass Rap nur "Gangster" ist. Die sind doch zu faul, um sich zu erkundigen, obwohl mit Sicherheit was für sie dabei wäre.
Döll: Vielleicht ist das auch so eine Meinung, bei der Leute einfach irgendwann mal stehengeblieben sind. Sie haben sich im Teenageralter mit Rap befasst und vielleicht erlebt, dass es damals im Mainstream wirklich so war. Ich glaube, dass Rap mittlerweile auch gesellschaftlich salonfähiger ist und auch einen anderen Stellenwert hat, aber noch nicht überall. Früher war das viel unangenehmer, jemandem zu erzählen, dass ich Rapper bin beziehungsweise Rap mache, weil die Reaktion klar war, wenn das jemand außerhalb vom Rap war … "Machst du auch 'Yo, yo, Alter, Digga'?". Ich glaube, das hat sich mittlerweile ein bisschen geändert. Eben auch durch die Acts, die das letztlich auch – böses Wort – massentauglicher gemacht haben.
MZEE.com: Ich relativiere immer. "Was hörst du gerne?" – "Deutschen Rap – aber nicht so Aggro-Zeug." Und dann merke ich, dass ich mich rechtfertige und nach dem Warum frage. Wenn mein Gegenüber so blöd ist, mich einzuschätzen, dass ich daheim sitze und Mutterficker-Zeug höre, ist das sein Problem und nicht meins.
Döll: Natürlich gibt's ja immer noch die Leute, die so reagieren, wie ich gerade gemeint hab'. Ich glaube, ein guter Punkt, bei dem ich zumindest für mich merke, dass es sich in letzter Zeit echt geändert hat, ist, wenn unsere Mutter die Hook von "Bilder im Kopf" mitrappen kann. Mittlerweile ist Rap aus dem Radio gar nicht mehr wegzudenken. Ich fahr' selten Auto, aber wenn, dann höre ich Radio. Und ob das "Astronaut" ist oder … Rap ist viel präsenter.
Mädness: Um da aber auch noch mal auf den Punkt zu kommen: Wenn jemand sagt, dass es ihm alles zu aggro ist, ist das einfach falsch. Immerhin waren die Fantas vor Bushido da.
MZEE.com: "Ich liebe die Frauen, ich liebe das Saufen. Ich liebe es, mich mit dem Türsteher zu raufen, ich steh' auf Prügeleien, ich bau' ständig Mist. Ich bin der, der dir ins Bierglas pisst. Ich bin das Schwein von nebenan und mach' dich ständig blöde an und wenn ich mit dir fertig bin, ist deine Freundin dran." Die Fantastischen Vier. Böse.
Mädness: Das ist einfach der Punkt. Die Leute wollen nicht wissen, was vorher war. Im Deutschrap kam der kommerzielle Erfolg durch die Mittelschicht. Ohne Wertung. Das war eigentlich der Baustein für alle Sachen, die danach kamen. Von daher kann ich das einfach nicht so nachvollziehen.
Döll: Ich glaube auch einfach, dass die mediale Berichterstattung einen großen Teil zu der Meinungsbildung beigetragen hat. Mittlerweile formulieren die das nicht mehr so. Aber Sido war jahrelang der Rüpel-Rapper. Es gab immer so einen dämlichen Zusatz. Wenn dann Bushido kurz ausrutscht, ist es direkt ein Skandal und die Bild stürzt sich drauf. Nur auf negative Geschichten und das über Jahre. Das macht dann auf Bild-Zeitungsleser den Eindruck, dass das alles Assis sind und in jeder zweiten Line einer "Hurensohn" sagt. Das hat sich jetzt auch wieder geändert. Das "Rüpel-Rapper" schreiben die ja mittlerweile auch nicht mehr.
Mädness: Ich glaube, das ist aber auch so ein deutsches Problem, dass die Leute sich mehr auf die schlechten Sachen konzentrieren und das dann immer herausgestellt wird. Moses P. war immer der, der Stefan Raab auf die Fresse gehauen hat. Nein! Moses P. war derjenige, der über Jahre die Pop- und Rapgeschichte geprägt hat.
Döll: Maßgeblich.
Mädness: Und der kriegt keinen Preis verliehen. Da wird gesagt: "Der hat Stefan Raab auf die Fresse gehauen."
Döll: Das ist genau der Punkt. Moses steht in der Öffentlichkeit. Da wird das in jedem zweiten Satz dazugesagt. Aber Moses hat Sabrina Setlur und Xavier Naidoo entdeckt und das Rödelheim Hartreim Projekt gemacht. Der ist der Shit!
Mädness: Glashaus! Der hat deutsche Musik mitgeprägt, nicht nur Rapmusik. Und dafür sollten die Leute ihn kennen.
MZEE.com: Da fällt jetzt euer Lokalpatriotismus aber mit rein. Sind wir ehrlich: Wegen Rödelheim Hartreim Projekt haben Leute gedacht, Rödelheim wäre Ghetto.
Döll: Ja klar, irgendwie spielt da die Lokalnummer mit rein. Das sind aber Fakten, die nicht von der Hand zu weisen sind. Moses hat das auf einem Independent Label gemacht, was damals undenkbar war. Wenn ein Video früher nicht im Fernsehen gelaufen ist, hat es niemand gesehen. Das ist noch mal 'ne ganz andere Zeit gewesen. Klar schwingt da auch ein bisschen mit, dass wir aus Hessen kommen. Er hat aber einfach Sachen gemacht, die man ihm nicht absprechen kann.
Mädness: Losgelöst von diesem Lokalpatriotismus: Für jemanden aus Bayern würde ich genauso argumentieren.
MZEE.com: Ich mein' damit nur, dass es euch in der Zeit eventuell egal gewesen wäre. Wahrheitsgehalt hin oder her. Wenn man über Deutschland sprach, war Frankfurt ganz hintenan. Alles andere hatte so ein bisschen mehr Standing.
Mädness: Ich muss kurz einhaken, was Rhein-Main angeht. Die wurden nicht belächelt, das war einfach nur ein anderer Vibe, der dort stattgefunden hat. Frankfurt stand immer für Straße. Das war genauso eine Bewegung, wie es sie in Stuttgart gab, die ein bisschen freundlicher unterwegs war. Und Hamburg war einfach raptechnisch sehr stark. Es gab ja auch im Rhein-Main-Gebiet immer Künstler, die einen Gegenentwurf zu dem Straßending gemacht haben. Manges zum Beispiel, auch jemand aus Darmstadt – ein astreiner Conscious Rapper, der 'ne völlig andere Farbe da reingebracht hatte.
Döll: Ich war da zu jung und kann mich einfach nicht erinnern. Ich kann mir aber vorstellen, dass die Leute sich vor den Kopf gestoßen gefühlt haben, weil das ein kompletter Gegenentwurf war. Oder sie sogar Angst davor hatten, weil es so hart war. Oder auch, weil jeder gedacht hat: Rödelheim, da kannst du keinen Fuß reinsetzen. Das war dann vielleicht schockierend.
MZEE.com: "Du liebst mich nicht" lief aber doch auch auf VIVA, war glaub' ich auf einer BRAVO Hits. Das war erfolgreich in jedem Sinne und ab der Sekunde war sie dann "eh keine Rapperin" mehr, weil sie von mehr Leuten gehört wurde.
Döll: Das kam ja damals dazu. Heute diskutieren 30 000 Leute über die Verkaufszahlen von einem Top 30-Rapper. Was sich einfach nur geändert hat: Wenn man früher erfolgreich war, war es ein Sellout. Und wenn man heute keinen Erfolg hat, muss man damit aufhören. Das ist eine ganz komische Veränderung. Szeneintern.
Mädness: Das ist aber auch teilweise an Interviews und Songs abzulesen. Wenn du dir ein Rapinterview von vor zehn Jahren anschaust, da hat sich jeder Rapper reingesetzt und gesagt: "Ich bin der Shit, alle anderen sind wack." Das macht heute keiner mehr. Heute spielt sich jeder runter und in Wirklichkeit geht's dann doch darum, dass er der Shit ist und chartet. Damals wurde es ausgesprochen und einfach so auf dicke Hose gemacht, nur ist keiner damit gechartet.
(von unserer freien Mitarbeiterin Jasmin N. Weidner)
(Fotos von Robert Winter)