"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Wir schreiben das Jahr 2011. Gefühlt gar nicht so lange her – wenn man sich aber der vielen kleinen und großen Veränderungen der letzten sechs Jahre bewusst wird, dann doch eine ganze Ewigkeit. Denn damals schlichen sich noch keine aufgedreht kreischenden Teeniegören auf Alligatoah-Konzerte. Mädels, von denen so manches wohl gar keine Ahnung davon hat, dass es vor der Einsicht "Musik ist keine Lösung" vier Portionen Schlaftabletten und Rotwein gab.
Gut, "StRw 3" findet sich inzwischen auch landesweit in den Musik-Läden, doch statt des Pappschubers, der die Neuauflagen umhüllt, trägt mein Exemplar noch eine richtige Terroristenmaske aus Stoff. Es waren eben andere Zeiten. Da war noch nicht daran zu denken, dass Alligatoah – der damals noch behauptete, ein Duo aus DJ Deagle und Kaliba 69 zu sein – irgendwann die Charts stürmen sollte. Stattdessen stellte man gemeinsam mit Shneezin noch die wirklich relevante Frage "Wer braucht eigentlich Hosen?", wollte "auf die Straßen kacken" und sich einen "Namen machen". Außerdem gab man sich erstmals mit dem "Trostpreis" als Freundin zufrieden. Auch Flow und Stimmeinsatz von Deutschraps Otto Waalkes waren noch anders. Die Parts wirkten teils deutlich frischer und aggressiver – wenn auch gedrückter – vorgetragen, die Beats oft weniger melodisch, aber stets mit einem ganz bestimmten Selbstgemacht-Charme. So erfolgreich Alligatoah heute auch sein mag, so ein rundum kompletter Künstler er ist und so eingängig wie gelungen seine Kunst – die erste Platte, die mir bei Alligatoah in den Sinn kommt, ist und bleibt der dritte Teil der "Schlaftabletten, Rotwein"-Reihe.
Auch wenn "StRw 3" nur einer der ersten, winzigen Schritte in der Karriere eines Mannes war, der dem Erfolg heute auf einer Kanonenkugel entgegenfliegt, ist es also doch irgendwie die Platte, die Alligatoah für mich ausmacht. Genau deswegen und weil man sich die Intention von "Meine Band" natürlich zu Herzen nimmt, kann man die kreischenden Teeniemädels der heutigen Konzerte auch hinnehmen. 2011 ist eben doch ein ganzes Weilchen her.
(Daniel Fersch)