"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Ich laufe durch die eisig kalte Stadt und wieder einmal begleitet mich "Melancholie". Nicht nur das Gefühl durchdringt mich, sondern auch die gleichnamige EP des Kreuzberger Rappers Frustra ertönt in meinen Kopfhörern. Durch seine ausdrucksvollen Zeilen lässt er mich in einer Mischung aus Trauer, Kummer und Sehnsucht schwelgen – "Melancholie" eben.
Es sind Geschichten aus einer Gegend, "die nicht weiß, wie man Liebe schreibt, aber weiß, wie man Hass buchstabiert". Im Alter von neun Jahren wanderte der junge Frustra mit seiner Familie aus der Türkei nach Berlin-Kreuzberg aus. Nicht einfach, wenn man sich sowohl in der alten als auch in der neuen Heimat nicht so richtig zugehörig fühlt, denn "Ausländer sein, heißt: Leben zwischen Stühlen". In einem Bezirk, der geprägt ist von Gewalt und Drogen, wählt der nachdenkliche Rapper stets den geraden Weg, ohne dabei zu ignorieren, wie schwer es die Leute um ihn herum haben. Es ist eine Szenerie voll leidvoller Personen, die zwischen bedrängender Armut und grauem Alltag festsitzen. Frustra schafft es mit seiner EP, diese ganze Tristesse in seiner Musik so gefühlvoll zu beschreiben, dass ich mitleide mit all den von Armut geplagten Menschen. Begleitet werden die Erzählungen durch die Instrumentals von Trist und Grau-Kollege I-Nan, die diese Stimmung auf der EP perfekt untermalen. Frustra schreibt dazu Zeilen, die Eindruck hinterlassen und mich in Gedanken fesseln.
Es gibt sicher technisch versiertere Rapper, als Frustra es ist. Aber nur ganz wenige, die ihre Zeilen mit einem derartigen Gefühl und einer so enormen Aussagekraft vortragen, dass sie mein gesamtes Inneres stilllegen. Auch knapp zwei Jahre nach Veröffentlichung begleitet mich die EP immer wieder auf meinem Weg. Und so habe ich noch ein Stück bis zur nächsten U-Bahn-Station zu gehen, drücke auf Repeat, lasse meinen Blick über die eisig kalte Stadt schweifen und verfalle erneut der "Melancholie".
(Fabrizio Perri)