Kategorien
Interview

Lemur & Marten McFly

"Wenn ich von einem The­ma Ahnung haben und etwas dazu sagen will, dann muss ich mir den Arsch auf­rei­ßen und mich ein­le­sen. Ich kann nicht mit irgend­wel­chen Halb­wahr­hei­ten argu­men­tie­ren." – Lemur & Mar­ten McFly im Inter­view über poli­ti­sche Mei­nungs­bil­dung und ihre Her­an­ge­hens­wei­sen an Musik.

Eine Cola-​Dose als Fuß­ball, eine Bana­ne vor dem Spie­gel als Mikro­fon oder pure Luft als Gitar­re – die Welt ist voll von Pro­vi­so­ri­en, auf die wir zurück­grei­fen, wenn wir das Ori­gi­nal gera­de nicht zur Hand haben. Doch ver­mut­lich wür­den wir alle so eine impro­vi­sier­te gegen die "rich­ti­ge" Ver­si­on ein­tau­schen, wenn wir könn­ten … oder? Lemur & Mar­ten McFly sind sich da nicht so sicher. Im Schaf­fens­pro­zess ihrer gemein­sa­men EP "Pro­vi­so­ri­um" haben die Ber­li­ner ver­sucht, die Welt aus einem ande­ren Blick­win­kel zu betrach­ten. Und dabei sind sie zu dem Schluss gekom­men: "Nichts hält län­ger als ein Pro­vi­so­ri­um." Wir woll­ten natür­lich wis­sen, wor­an Lemur & Mar­ten McFly die­se Erkennt­nis fest­ma­chen und wie sie sich auf ihre Her­an­ge­hens­wei­se an Musik aus­wirkt. Außer­dem spra­chen wir mit dem Duo über Schwie­rig­kei­ten bei der poli­ti­schen Mei­nungs­bil­dung sowie ande­re gesell­schaft­li­che The­men. In die­sem Zusam­men­hang ver­riet uns Mar­ten McFly auch, wel­ches Pro­blem ihn schon seit Län­ge­rem beschäf­tigt: Briefmarkenautomaten …

MZEE​.com: Nach­dem ich eure neue EP "Pro­vi­so­ri­um" gehört habe, fra­ge ich mich: War­um bringt ihr über­haupt Alben raus? (alle lachen)

Mar­ten McFly: Das ist hart!

Lemur: Wie meinst du das?

MZEE​.com: Na ja, auf "Pro­vi­so­ri­um" sagst du, Lemur, dass du es hasst, Din­ge fer­tig zu machen. Wenn du ein Album raus­bringst, ärgerst du dich also?

Lemur: Ich hab' dazu ein ganz ambi­va­len­tes Ver­hält­nis. (über­legt) Einer­seits ist es ein coo­les Gefühl, etwas geschafft zu haben. Ande­rer­seits … na ja, ich kann nicht aus­schließ­lich Ideen raus­klop­pen. Das ist dann nicht hör­bar. Obwohl mir das am meis­ten Spaß macht. Ein Stück weit muss ich es halt fer­tig machen. Es gibt ja im Ent­ste­hungs­pro­zess unend­lich vie­le Ent­schei­dungs­mög­lich­kei­ten, wie man mit einem Song wei­ter ver­fährt. Irgend­wann wählt man dann einen Weg, hört aber spä­ter noch mal rein und denkt sich: "Du hät­test auch zig ande­re Wege neh­men kön­nen, aber du hast dich jetzt halt so ent­schie­den." Ich hab' das frü­her immer voll krass zer­grü­belt. Inzwi­schen hab' ich ein etwas gesün­de­res Ver­hält­nis dazu.

MZEE​.com: Heißt das, dass du auf frü­he­re Pro­jek­te oft nicht ganz zufrie­den zurück­schau­en kannst?

Lemur: Na ja, ich hab' ja ein­fach gar kei­nen Abstand mehr zu den Songs. Ich mach' die Beats, schreib' die Tex­te und neh­me das auf. Erst mal kann ich es also über­haupt nicht mehr hören. So nach zwei, drei Jah­ren macht das dann aber jemand an, wenn ich irgend­wo rum­sit­ze. Dann denk' ich mir: "Boah, was ist das denn? Das groovt ja voll! Ach, das bin ich!" (grinst) Dann feie­re ich's. Wie gesagt, das ist ambivalent.

Mar­ten McFly: Um das noch mal kurz zu ergän­zen: Es gibt halt kei­ne Alter­na­ti­ve zum Fer­tig­ma­chen. Es macht einen wirk­lich fer­tig, wenn man es nicht fer­tig macht. Das ist so ein Baumarkt-​Spruch, gute Wer­be­stra­te­gie von denen. (grinst) Aber so ist es ja. Rich­tig geil ist der Punkt, an dem ein Song wirk­lich Poten­zi­al hat und in alle mög­li­chen Rich­tun­gen gehen kann. Doch wenn du es nicht irgend­wie fest­na­gelst, dann macht dich das fer­tig. Das ist auch nicht gut. Aber in die­sem Pro­zess wird ein Song halt vom mega­gei­len Gefühl am Anfang irgend­wann zu Arbeit. Das ist dann nicht mehr so sexy. Ich find' die Sachen danach aber trotz­dem geil, ich bin da nicht so kom­pli­ziert wie Ben­ny (Lemurs bür­ger­li­cher Name, Anm. d. Red.).

Lemur: Ich den­ke ein­fach zu oft dar­über nach, dass man wirk­lich jedes Ding, das exis­tiert, aus unend­lich vie­len Blick­win­keln betrach­ten kann. Dann hin­ter­fra­ge ich mich beim Machen ganz oft sel­ber: "Wel­chen Blick­win­kel wählst du gera­de? Ist das der, den du eigent­lich woll­test?" Und mein Part auf "Pro­vi­so­ri­um" ist letzt­end­lich eine Ode dar­an, auf genau die­ses Zer­den­ken zu schei­ßen. Das ist viel­leicht auch ein Stück weit Selbst­the­ra­pie. Mitt­ler­wei­le gehe ich etwas ein­fa­cher an die Musik ran. Mei­ne Beats waren zum Bei­spiel frü­her, glaub' ich, 'ne Ecke verkopfter.

MZEE​.com: Inwie­fern gehst du ein­fa­cher ran? Du ver­suchst ja nicht, weni­ger geil zu rei­men oder einen weni­ger gei­len Beat zu machen …

Mar­ten McFly: Er ver­sucht das zwang­haft, aber kriegt es nicht hin! (lacht)

Lemur: Ich sitz' zum Bei­spiel nicht mehr stän­dig fünf Tage am Stück an einem Beat und ver­su­che, jede Text­zei­le irgend­wie beatmä­ßig her­vor­zu­he­ben und noch einen Effekt drun­ter­zu­bas­teln. Ich lass' den Kram erst mal lie­gen und hör' ihn mir noch mal mit ein biss­chen Abstand an. Dann guck' ich, ob's mir taugt und ob ich, um eine Marten-​Vokabel zu gebrau­chen, den Fla­vour spüre.

Mar­ten McFly: Die Tex­te sind bei die­ser EP auch alle in einem Fluss ent­stan­den. Ben­ny hat zwar sei­ne Sachen alle noch mal auf­ge­nom­men, weil er sie mit etwas Abstand noch gei­ler hin­ge­kriegt hat. Bei mir haben wir aber tat­säch­lich immer die ers­te hin­ge­klatsch­te Ver­si­on genom­men. Die Sachen, in die er sich rein­ge­fuchst hat und bei denen dann doch noch viel Zeit ins Pro­bie­ren und in Klei­nig­kei­ten geflos­sen ist, waren die Beats. Der wesent­li­che Fla­vour wird ja über die Stim­me und das Gefühl ver­mit­telt. Da find' ich geil, dass er bei die­ser Direkt­heit bleibt.

Lemur: Mar­ten ist mir auch ein paar Mal rein­ge­grätscht, wenn ich doch mal vier Tage an einem Beat gefum­melt und rumor­ches­triert hab'. Den hab' ich ihm dann geschickt und er sag­te mir: "Ja, ist schon irgend­wie geil, aber jetzt ist ja der gan­ze Fla­vour ver­lo­ren gegan­gen. Mach den doch noch mal so, wie er vor­her war." Hab' ich dann gemacht und dann dach­te ich mir: Ja, stimmt. (grinst)

MZEE​.com: Obwohl ihr ein rich­ti­ges Stu­dio zur Ver­fü­gung hat­tet, habt ihr in Mar­tens Fall die Wohnzimmer-​Aufnahmen auf die Plat­te gepackt. Ein ziem­lich unge­wöhn­li­cher Schritt – muss­tet ihr vor­her lan­ge dar­über nachdenken?

Mar­ten McFly: Ja, natür­lich! Ich war dau­ernd bei ihm im Stu­dio, er hat mir sogar den Schlüs­sel gege­ben. Er hat 'ne rich­tig gei­le pro­fes­sio­nel­le Gesangs­ka­bi­ne. Ich hab' da Stun­de um Stun­de pro­biert und gemacht, die Spu­ren mit nach Hau­se genom­men, dort wei­ter­ge­macht und geguckt und noch mal und noch mal … Die Auf­nah­men waren teil­wei­se for­mal auch bes­ser und mehr auf den Punkt. Aber unter dem Strich kam dabei ein­fach weni­ger Gefühl rüber. Ben­ny ist halt als Rap­per gut genug, dass er es hin­kriegt, das auch bei spä­te­ren Auf­nah­men noch megaf­resh zu ver­mit­teln. Aber ich glau­be tat­säch­lich, dass die meis­ten Rap­per mit mei­ner Stra­te­gie bes­ser fah­ren wür­den. Das ist wie mit einer wit­zi­gen Idee. Die wenigs­ten Leu­te kön­nen Wit­ze erzäh­len, sie erzäh­len die Poin­te zu früh oder krie­gen die nicht rich­tig an den Start. Aber wenn dir irgend­wie ein wit­zi­ger Kom­men­tar ein­fällt und du den ein­fach raus­haust, dann kriegst du die meis­ten Lacher. Des­halb ver­such' ich, mög­lichst schnell und nah an mei­nen Gedan­ken aufzunehmen.

lemur_martenmcfly_1

MZEE​.com: Habt ihr das Gefühl, dass zu weni­ge Rap­per in Deutsch­land so spon­tan und gefühls­mä­ßig an die Musik herangehen?

Mar­ten McFly: Ja, wobei das natür­lich auch von außen voll schwer zu sehen ist. Du kennst ja die Pro­be­auf­nah­men nicht, wenn du die Leu­te nicht kennst. Aber du denkst natür­lich schon mal: "For­mal ist das schon geil, aber ich hab' kei­nen gro­ßen Bock, mir das oft anzu­hö­ren." Das ist schon gute Musik – gut geschrie­ben, gute Rei­me, guter Beat –, aber ich steh' ein­fach mehr auf die­se ehr­li­che Direkt­heit, das kann ich stär­ker füh­len. Und da bin ich auch nicht der Ein­zi­ge. Freestyle-​Sachen sind jetzt nicht mehr so beliebt, aber es gibt gewis­se Bands, die jah­re­lang mega­gei­le Free­styl­es auf Band raus­ge­hau­en haben. Die haben sich die Leu­te tau­send­mal ange­hört, obwohl da viel­leicht ein geschrie­be­ner Text viel aus­ge­feil­ter gewe­sen wäre. Aus dem glei­chen Grund gibt es auch Reality-​Soaps und so einen Scheiß. Die Leu­te wol­len ein­fach die­se Direkt­heit. Vie­le Bands oder Rap­per haben ein Talent dafür, die­ses Gefühl lang­sam weg­zu­ver­bes­sern, bis es nicht mehr da ist.

Lemur: Du bist jetzt Fan von Reality-Soaps?

Mar­ten McFly: Nee, nicht so unbe­dingt. (alle lachen)

MZEE​.com: Ich fin­de, dass vie­le US-​Rapper gera­de vor­le­ben, wie man direk­ter und weni­ger ver­kopft an Musik her­an­ge­hen kann. Mehr nach der Devi­se: "Ich geh' jetzt ans Mikro und rap­pe, wor­auf ich Bock habe."

Lemur: Der Sound ist natür­lich Geschmacks­sa­che – die­ses 808-​Zeug will mir immer noch nicht ganz rein­ge­hen, erin­nert mich zu sehr an alte Breakdance-​Mucke. Bei Auto­tu­ne krieg' ich tat­säch­lich auch gleich 'ne Kri­se und muss aus­schal­ten. Find' ich schlimm. Aber ich hör' sowas auch viel zu selten.

Mar­ten McFly: Obwohl es dir mal hel­fen wür­de. (alle lachen) Ich bin jetzt auch nicht so aktu­ell, was die­se Musik angeht, aber den Gedan­ken­gang kann ich voll unter­strei­chen. Wenn Leu­te die­se Her­an­ge­hens­wei­se für sich gefun­den haben, dann klingt das auf jeden Fall wie eine Sache, die mei­nem Geschmack kom­plett ent­spre­chen wür­de. Auf den Beat hör' ich jetzt eh nicht so direkt.

MZEE​.com: Das kom­plet­te Gegen­teil macht ja zum Bei­spiel Cas­per. Der ver­schiebt sein Album um ein Jahr, weil er wei­ter dar­an fei­len will. Kann so nicht auch groß­ar­ti­ge Musik entstehen?

Mar­ten McFly: Klar. Dafür muss er halt gut genug sein. Vor allem muss die Stim­me gut genug sein. Wie bei einem Thea­ter­schau­spie­ler, der 2 000 Mal das glei­che Stück spielt und jedes Mal das glei­che Gefühl in sei­ne Stim­me packt – als ob er es zum ers­ten Mal fühlt. Ich kann mir schon vor­stel­len, dass er das hinkriegt.

Lemur: Bei ihm kann ich mir aber auch vor­stel­len, dass es dann halt ein noch grö­ße­res Orches­ter wird. Ultra­kras­se Fea­tures, die kein Mensch erwar­tet, irgend­wel­che Super-​Indie-​Größen und Nerd­zeug. Der Typ hat wahr­schein­lich auch ein­fach ein paar ziem­lich kom­pe­ten­te Leu­te um sich rum. Und wenn er dann sagt, es ist nötig, im letz­ten Moment zu ver­schie­ben, dann muss es schon wich­tig sein.

Mar­ten McFly: Für Jan Delay war das immer der rich­ti­ge Weg. Der feilt ja auch extrem viel an sei­nen Sachen und setzt trotz­dem irgend­wie sein Ziel um. Für Peter Fox war es, glaub' ich, auch die rich­ti­ge Ent­schei­dung. Der hat ja auch so kras­se Kon­zer­te gemacht. Und da würd' ich Cas­per auch einordnen.

MZEE​.com: Ihr macht auf eurer EP die Aus­sa­ge: "Nichts hält län­ger als ein Pro­vi­so­ri­um." Tat­säch­lich hab' ich auch meh­re­re Sprich­wor­te gefun­den, die Ähn­li­ches aus­sa­gen. Wie genau meint ihr das?

Mar­ten McFly: Es ist erst mal ein inter­es­san­ter Gedan­ken­an­satz, denn unse­re Logik geht ja vom Gegen­teil aus. Wenn man auf die­se Art und Wei­se auf die Welt sieht, ent­deckt man auf jeden Fall Sachen. Es ist viel­leicht ein biss­chen über­trie­ben, zu sagen, dass es nichts gibt, was län­ger hält. Aber es ist auf jeden Fall reiz­voll, die Welt ein­fach mal so zu betrachten.

Lemur: Mir kam zum Bei­spiel direkt in den Sinn, dass im Pro­duk­ti­ons­pro­zess meis­tens Unfäl­le und Zufäl­le das Geils­te sind. Irgend­ei­ne Lückenfüller-​Baseline, die so gut ist, dass ich den gan­zen Song dar­auf auf­baue. So hält das Pro­vi­so­ri­um dann ewig.

Mar­ten McFly: Nicht nur im Pro­duk­ti­ons­pro­zess, son­dern auch im Evo­lu­ti­ons­pro­zess! (grinst)

Lemur: Und im Leben.

MZEE​.com: Wel­che Din­ge fal­len euch da beson­ders im Leben auf?

Mar­ten McFly: Wir leben ja nicht in einer Welt, in der alles vor­be­stimmt ist. Nur weil mein Vater zum Bei­spiel Klemp­ner war, muss ich kei­ner wer­den. In Deutsch­land kannst du halt qua­si alles machen, auf das du Bock hast. In fünf Jah­ren kann ich ein­fach in irgend­ei­nem ande­ren Land leben, wenn ich will. Du hast tau­send Mög­lich­kei­ten und vie­le haben ein Pro­blem damit, weil das einen ein­fach abso­lut erschlägt. Wenn's zum Bei­spiel um die Part­ner­wahl geht, gibt's nicht nur die drei Mäd­chen im Dorf, son­dern die gan­ze Welt, die dir offen­steht. Und sich da vor Augen zu hal­ten: "Jetzt grad hab' ich irgend­ein Pro­vi­so­ri­um und alles läuft" – ich glau­be, dass das vie­len Leu­ten hilft, um klar­zu­kom­men. Und die­ses Pro­vi­so­ri­um hält dann eben auch län­ger oder für ewig.

MZEE​.com: Wenn es dann zum Bei­spiel um den Part­ner geht – was denkt ihr über Mono­ga­mie? Ist es zeit­ge­mäß, die­se als selbst­ver­ständ­lich anzusehen?

Mar­ten McFly: Ich glau­be, das hat noch nie für alle funk­tio­niert und es wird auch nie für alle funk­tio­nie­ren. Natür­lich haben sich gesell­schaft­li­che Nor­men ver­än­dert und es wird häu­fi­ger tole­riert, dass es nicht für alle funktioniert.

Lemur: Das ist halt typ­ab­hän­gig. Ich kenn' vie­le Leu­te, bei denen das ein Leben lang total gut funk­tio­niert hat und ich ken­ne Leu­te, bei denen das nie klap­pen wird.

Mar­ten McFly: Ich glau­be, die Sehn­sucht ist schon bei vie­len Leu­ten da. Auch die, die sich ver­meint­lich gegen Mono­ga­mie ent­schei­den, seh­nen sich oft nach einer Part­ner­schaft fürs Leben.

Lemur: Ich hab' zum Bei­spiel noch nie jeman­den ken­nen­ge­lernt, bei dem das Prin­zip "Offe­ne Bezie­hung" gut funk­tio­niert hat.

Mar­ten McFly: Ey, Ben­ny. Du und ich. (alle lachen) Du kannst mit jedem ande­ren Rap­per irgend­wel­che Sachen machen …

Lemur: Alles klar. Ich hab' gedacht, du wärst eifersüchtig.

Marten McFly: Ein biss­chen schon, aber ich gönn' dir das. Jeder­zeit. Wenn du immer mal wie­der mit mir einen Track machst, ist alles gut.

Lemur: Alles klar, super.

Mar­ten McFly: Also, unter Rap­pern geht das.

lemur_martenmcfly_2

MZEE​.com: Auf der EP schlagt ihr auch ein paar poli­ti­sche Töne an. Wel­che Ent­wick­lun­gen stö­ren euch aktu­ell besonders?

Lemur: Bei mir gibt's so eine gene­rel­le Grund­re­si­gna­ti­on. Ich weiß gar nicht mehr, woher ich mei­ne Infor­ma­tio­nen holen soll. Wenn ich über irgend­ei­ne Sache etwas wis­sen möch­te, ver­su­che ich, mög­lichst vie­le und gegen­tei­li­ge Medi­en zu lesen, um mir dar­aus irgend­wie das, was für mich logisch erscheint, zusam­men­zu­bas­teln. Das ist gera­de so mein Welt­bild, das fühlt sich aber total unvoll­stän­dig an.

Mar­ten McFly: Ist auch mega­viel Arbeit.

Lemur: Auf jeden Fall. Und irgend­wie auch frustrierend.

MZEE​.com: Im Inter­net fin­dest du im Moment ein­fach über­all Bestä­ti­gung für das, was du denkst. Du sagst: "Die Erde ist flach", goo­gelst es und fin­dest 20 angeb­li­che Wis­sen­schaft­ler, die dir das bestätigen.

Lemur: Genau. Das ist aktu­ell ja der Traum aller Herr­schen­den. Jeder ist für Pro­pa­gan­da jeder­zeit über­all erreich­bar. Was macht das mit einer Gesell­schaft? Das find' ich grad interessant.

Mar­ten McFly: Ich beschäf­ti­ge mich aktu­ell sel­ten rich­tig inten­siv mit Poli­tik. Ich hab' mich frü­her sehr viel damit beschäf­tigt, dann aber gemerkt: Wenn ich von einem The­ma wirk­lich Ahnung haben und etwas dazu sagen will, dann muss ich mir den Arsch auf­rei­ßen und mich rich­tig ein­le­sen. Ich kann nicht mit irgend­wel­chen Halb­wahr­hei­ten argu­men­tie­ren, auch nicht vor mir selbst. Ich hab' da auch kaum noch so eine gehei­me Mei­nung, die ich nicht sage. Ich hab' oft nur irgend­wel­che Halbthesen.

Lemur: Das ist genau das, was ich mein­te. Selbst wenn mich etwas inter­es­siert und ich mich hier und da infor­mie­re, fra­ge ich mich, ob ich jetzt wirk­lich eine fun­dier­te Mei­nung habe. Da bin ich mir mei­ner selbst viel weni­ger sicher als frü­her. Des­we­gen bin ich eben auch bewusst all­ge­mein geblieben.

Mar­ten McFly: Es ist echt Arbeit, wenn man rich­tig was sagen will. Ja, ich kann etwas dazu sagen, ob Geschäf­te am Sonn­tag geöff­net haben sol­len. Dazu hab' ich 'ne Mei­nung. Zum Dosen­pfand oder zu Brief­mar­ken­au­to­ma­ten – dass die Din­ger nicht kle­ben, regt mich auf. Aber für die grö­ße­ren Fra­gen muss ich mir immer rich­tig viel Zeit neh­men. Das geht nicht im Vorbeigehen.

Lemur: Ich find' ja doof, dass die U-​Bahn so teu­er ist.

MZEE​.com: Auf der Plat­te heißt es auch, dass ihr Hum­meln im Arsch habt und immer wei­ter nach Grö­ße­rem strebt. Wo soll es für euch musi­ka­lisch noch hin­ge­hen? Habt ihr Grö­ße­res als den Unter­grund im Sinn?

Lemur: Also, das ver­wei­ger' ich mir als Antrieb, Musik zu machen. Dann wür­de ich näm­lich Scheißmu­cke machen, die mir nicht gefällt. Ich ver­such' natür­lich, davon zu leben. Und das tu' ich auch. Gera­de noch rela­tiv beschei­den. Ich weiß, dass ich nie ein sehr mas­sen­kom­pa­ti­bler Mensch wer­de, aber so eine kom­for­ta­ble Nische könn­te ich mir schon basteln.

Mar­ten McFly: Ich kann davon jetzt nicht leben. Die Per­spek­ti­ve sehe ich auch nicht. Also, es wär' schon nett, wenn noch mehr Leu­te mei­ne Musik hören – aber wenn es weni­ger Leu­te hören, krie­gen die mich auch nicht dazu, dass ich auf­hö­re. (grinst) Es wird wohl oder übel wei­ter­ge­hen. Die Hum­meln hören dadurch nicht auf.

MZEE​.com: Lemur hat schon die nächs­te Plat­te in den Start­lö­chern. Am 27. Janu­ar 2017 kommt "Die Rache der Tie­re", danach geht's mit dem Album auf Tour.

Lemur: Bei der Ent­ste­hung bin ich wie­der tau­send Tode gestor­ben. (lacht) Ich hör's tat­säch­lich selbst noch ger­ne, das scheint also ziem­lich geil zu sein. (lacht)

Mar­ten McFly: Das kann ich bestä­ti­gen. Ich beglei­te sei­ne Mucke ja seit Jah­ren, durf­te jetzt ein paar Vor­ver­sio­nen hören und es ist echt noch mal eine Stei­ge­rung. Find' ich ziem­lich geil! Und ich bin froh, dass ich dar­auf ver­tre­ten bin. Ich werd' auch ver­su­chen, an so vie­len Dates wie mög­lich bei der Tour dabei zu sein.

MZEE​.com: Was steht bei dir als Nächs­tes an?

Mar­ten McFly: Es geht wei­ter mit der Mucke. Ich den­ke, es wird nicht das letz­te Mal sein, dass man von mir und Lemur etwas Gemein­sa­mes hört. Neben­bei arbei­te ich an einer EP mit Shaban und an einer mit Majusbeats.

MZEE​.com: Da kommt also eini­ges auf uns zu. Wenn ihr noch etwas los­wer­den wollt, gehö­ren die letz­ten Wor­te jetzt natür­lich euch.

Mar­ten McFly: Ja … Das mit die­sen Brief­mar­ken­au­to­ma­ten! (alle lachen) Das ist wirk­lich sehr ner­vig. Kle­ben die bei euch?

MZEE​.com: Ich ver­schi­cke lei­der fast nie Briefe.

Mar­ten McFly: Der Auto­mat gibt dir das Rest­geld als Brief­mar­ke aus, was ich eigent­lich sehr char­mant fin­de. Aber die kle­ben nicht rich­tig, du musst immer einen Pritt Stift mitnehmen.

Lemur: Ich geb' mei­ne Post aus­schließ­lich bei mei­nem Bru­di am Späti ab.

Mar­ten McFly: Weil der auch der Ein­zi­ge ist, dem du schreibst.

(Alex­an­der Hollenhorst)
(Fotos von Domi­nik Siegmann)