Wir befinden uns in Hamburg, Schanzenviertel. Ich hole Doz9 und Torky Tork am Fundbureau ab – einer Location, in der am Abend ein Konzert ihrer T9-Tour stattfinden soll. Die Sonne scheint und alle sind bester Laune. Die obligatorische Mahlzeit vor der Show wird zum Rahmen für unser Interview. Mit dabei sind auch Tour-DJ Access und Galv, der als Gast vor Ort ist.
MZEE.com: Man konnte es auf euren Social Media-Kanälen beobachten – wie beim ersten Album seid ihr für "R.I.F.F.A." zusammen weggefahren und habt das ganze Werk gemeinsam produziert. Wie lange wart ihr unterwegs?
Torky Tork: Eine Woche waren wir unterwegs und beim letzten Mal waren es vier Tage … (an Doz9 gerichtet) Oder? Na ja, dreieinhalb Tage.
Doz9: Also, beim ersten Album waren wir dreieinhalb Tage und bei "R.I.F.F.A." sieben Tage unterwegs. Wir waren aber immer nur dort im Haus. Es hätte eigentlich genauso gut irgendwo anders sein können, wir haben es kaum verlassen.
MZEE.com: Inwiefern glaubst du, dass die Tatsache, dass du dort in diesem Moment vor Ort schreibst, einen Einfluss auf deine Texte hat?
Doz9: Klar, die ganze Stimmung hat schon einen erheblichen Einfluss darauf genommen, weil … (überlegt) Wir haben halt einen megageilen Ausblick gehabt, so einen richtig krassen Meerblick. Der erste Track war dann auch direkt der Versuch, die Impressionen zu verarbeiten. Also, das Ganze hat schon Einfluss genommen, um deine Frage zu beantworten.
Torky Tork: Und die Hälfte der Platte ist ja auch so vom Aufbau her. Die Tracklist geht mit Regen los, dann kommen die ganzen düsteren Lieder. Man hat eben auch den ganzen Stress von zu Hause mitgebracht und dann hört man, wie die Sonne aufgeht, weißte? Spätestens auf der zweiten Seite hört es jeder und dann wird es immer gechillter. Am Ende geht es mit Wellenrauschen raus, das hat also schon von der ganzen Stimmung her eine Storyline beziehungsweise einen roten Faden. Könnte man schon so sagen …
Doz9: … dass es nach Wetter produziert ist. (Torky Tork lacht)
MZEE.com: Das heißt, alles wurde vor Ort produziert und kein Beat "mitgebracht"? Und auch kein Text, kein Pattern?
Torky Tork: Ja, genau.
Doz9: "Katzen und Kater", den Track hab' ich so als Rohschliff mitgehabt. Das waren zwei 16er. Sonst hatte ich nur Aphorismen, also nicht mal Rhymes oder fertige Lines. Ich hatte vielleicht noch ein cooles Wortspiel oder einen coolen Gedanken dabei, der aber noch nicht verreimt wurde. Also, das sollte meine Vorbereitung sein, aber es war halt trotzdem todesanstrengend.
MZEE.com: Bist du es grundsätzlich auch von anderen Projekten so gewohnt, spontan zu schreiben?
Doz9: Tatsächlich habe ich mit Pierre Sonality (Anm. d. Red.: Doz9 und Pierre Sonality bilden "Die Kraszesten") die Alben auch immer so gemacht. Wir sind nur nicht irgendwo hingefahren, sondern haben einfach gesagt: "Wir schließen uns drei, vier Tage oder eine Woche im Studio ein und machen mal nichts anderes außer Musik." Immer so, wie es eben ging. Ich bin da auch relativ kompromisslos. Ich kann Texte gar nicht lange liegen lassen. Ich finde, wenn du den frisch geschrieben hast, sollte er auch möglichst schnell eingerappt werden, damit er das Gefühl hat oder transportiert, das man beim Schreiben hatte. Natürlich schreib' ich auch Zeilen mit dem Handy oder notiere mir Skizzen … aber manchmal versteh' ich das alles dann gar nicht mehr, wenn ich es zu lange liegen lasse. Nicht unbedingt sinngemäß, sondern auch flowmäßig. Manchmal kann ich die Texte dann einfach nicht mehr flowen. Ich schreib' aber auch genauso gut Skizzen mit dem Handy und behalte sie, mache sie dann aber nie fertig. Ganz viel Ausschussmaterial habe ich dadurch. Dann haste eben ab und zu mal "Resteficken".
MZEE.com: Ist diese Idee, das Gefühl eines Tracks transportieren zu wollen, auch einer der Gründe dafür, dass das Album quasi direkt nach der Produktion veröffentlicht wurde? Wolltet ihr den Vibe "mit auf die Bühne bringen"?
Doz9: Irgendwie war die Strategie schon, das alles "just in time" zu machen. Produzieren, raushauen, Video machen, schneiden, raushauen – aber das eben alles wirklich getaktet und so stressig wie möglich für einen selbst in Anbetracht privater Umstände.
MZEE.com: Waren es nur die privaten Umstände, die euch zu dieser Entscheidung veranlasst haben? Oder war es auch eine bewusste Ansage: "Wir haben gar keinen Bock auf einen riesigen Promozirkus mit allem, was da dazugehört …"?
Torky Tork: Also, da kann ich nur für mich sprechen. Ich bin einfach nicht so gut darin und weiß nicht, was man da so macht. Es gibt Leute wie Doz9, die ganz gut schreiben können. Er macht ja manchmal auch diese Facebook-Logs von der Tour, aber das ist dann auch eigentlich eher Nachrichtenerstattung. Wir wüssten gar nicht wie und haben auch gar keine Zeit da groß jetzt …
Doz9: (unterbricht) Auch nicht so wirklich Bock …
Torky Tork: … Unboxing-Videos und solchen Kram zu machen. Also nichts dagegen, aber für uns wäre das nichts.
Doz9: Ich glaube eben, dass die Leute, die mitkriegen wollen, dass es ein neues T9-Album gibt, das auch erfahren. Es ist ja nicht so, dass wir medial gar nicht stattfinden. Und wenn sie wissen: Es gibt ein Releasedate, es gibt zwei Videos, so hört sich das an – dann passt das auch.
MZEE.com: Hat es in diesem Kontext für dich auch einen besonderen Reiz, die Zielgruppe auf diese Art quasi indirekt einzuschränken oder empfindet ihr das gar nicht so?
Doz9: Wir machen dieses Mal sogar CDs. Das ist das erste Release seit zehn Jahren, was auch mal wieder als CD kommt. Das ist für mich schon ein Schritt in die Richtung des Konsumenten. Ich glaube nicht, dass man sich jetzt dadurch selber krass limitiert. Ich meine, wenn du dir die Releases von Schaufel und Spaten anschaust: Da ist das Social Media-Game ja quasi nicht existent – und es funktioniert trotzdem. Das ist für viele Leute auch angenehmer. Es ist aber nicht so, dass wir das absichtlich so machen. Außerdem machen wir ja mittlerweile im Vergleich zu früher schon ziemlich viel. Insbesondere, wenn man da aus Torkys Perspektive spricht. Und auch ich habe nie groß Promo gemacht. Ja, ich habe früher eben mitgeteilt, wenn was passiert, aber das war es dann auch. So gesehen ist das jetzt schon eine Entwicklung.
MZEE.com: Wir haben schon von dem "Moment" gesprochen, den ihr mitnehmen möchtet und der auch einen starken Einfluss auf Produktionen und Texte hatte. Wenn wir den Kreis etwas ausdehnen und nicht von dem Moment dort vor Ort in dieser Woche, sondern beispielsweise über ein ganzes Jahr als Moment sprechen. Inwieweit hast du, Doz9, das Gefühl, dass beispielsweise die gesellschaftliche Entwicklung oder auch das, was in der Raplandschaft passiert, einen Einfluss hat?
Doz9: Ich handle ja nie richtig Themen ab. Ich bin auch der Meinung, dass ich nicht unbedingt ein krass politischer Texter bin. Ich versuche auch, das zu vermeiden. Sicherlich gibt es viele Stimmen, die sagen: "Okay, du hast als Rapper eine Stimme und dann musst du dazu auch was sagen", aber ich steh' halt nicht auf diesen Zeigefinger-Scheiß. Jeder soll sich seine Meinung selber bilden. Und das Weltgeschehen? Sicherlich spielt das immer irgendwie ganz subtil mit rein, aber inwiefern das bewusst ist, kann ich nicht mal festlegen.
MZEE.com: Das heißt, du hast kein Problem damit, wenn so etwas mal in eine Zeile einfließt, bist aber nie mit der Intention an Tracks rangegangen, ein Statement abzugeben oder einem klaren Thema zu folgen?
Doz9: Genau, in Bezug auf die Statements zumindest was das Weltgeschehen angeht. Es gibt dieses Mal tatsächlich so einen wirklichen Thementrack. Einen Track, bei dem man sagt: "Okay, der ist stringent." Und das ist "Katzen und Kater". Quasi eine versoffene Nahtoderfahrung, die dort beschrieben wird, zusammen mit Paranoia im Alter. Aber sonst ist es eher immer so von allem ein bisschen. Ich collagiere gern.
MZEE.com: Angenommen, ihr würdet für drei Monate ein Hochglanzstudio finanzieren, um mit richtig viel Zeit alles aufzubereiten und auszufeilen – hättet ihr das Gefühl, ihr könntet ein ganz anderes Qualitätslevel erreichen? Oder ist euer aktueller Modus genau der, den ihr haben möchtet?
Torky Tork: Ich glaube nicht, dass es um die Umgebung geht, also wie gut zum Beispiel die Qualität der Aufnahmesituation ist oder ähnliches …
Doz9: Sondern wie gut der Mischer ist. (lacht)
Torky Tork: Aber in einem solchen Studio würde ich mich dafür wohl nicht so wohl fühlen, da ist für mich eher die Zeit eine Frage. Also, ob das jetzt eine Konsequenz hätte, wenn wir zwei Wochen gehabt hätten … Könnte schon sein, aber es ist auch manchmal ganz gut, wenn man nur so wenig Zeit hat, weil man sich dann wirklich reinknien muss. Trotzdem könnte es schon einen Unterschied machen. Vielleicht sind es beim nächsten Mal zehn Tage und noch mal ein ganz anderer Tapetenwechsel.
Doz9: Damit wir auch mal einen Tag chillen können.
Torky Tork: Aber die Zeit ist eben schon entscheidend, die muss man einfach haben. Es muss ein Ort sein, wo Ruhe herrscht, damit du dich richtig reinknien kannst.
MZEE.com: Wäre es für euch eine interessante Variante, statt einer Momentaufnahme beispielsweise mal ein Konzeptalbum zu produzieren?
Doz9: Wenn wir "Konzept" jetzt mal abstrakt betrachten, ist ja jedes T9-Album bisher irgendwie ein Konzeptalbum … Du meinst aber, dass man ein konkretes Thema miteinbezieht? Von der Produktion her fände ich das mega-interessant, weil Torky es bei eigenen Sachen ja eh so macht. Beispielsweise bei "PR110", wo er nur eine bestimmte Quelle zum Diggen verwendet hat. Das finde ich spannend. Aber jetzt so thematisch eine komplette Platte ausarbeiten … Da sehe ich mich nicht als Person, die dafür der beste Mann wäre. Klar könnte ich das irgendwie, aber das wäre nicht ich. Da gibt es genügend Leute, die das machen sollten und besser könnten.
MZEE.com: Doz9, wenn du mit Torky unterwegs bist, hast du im Gegensatz zu deinen anderen Formationen keinen textenden Partner zur Seite. Fehlt dir das Feedback, das dir ein anderer Rapper zu deinen Lines geben könnte?
Doz9: Ich hab' ja Torky, der schreibt auch viele Punchlines. (alle lachen) Nee, wir sprechen uns ja auch ab. Aber klar, es ist immer schwieriger. Wenn du einen Partner hast, musst du nur 16 Bars schreiben und kannst dich mit jemandem abstimmen. Wenn du keinen hast, musst du zwei 16er schreiben und bist komplett dir selbst überlassen – aber das ist das Interessante. Weil du dir mit dir selbst einig werden musst. Es ist anstrengender, aber vielleicht auch persönlicher, weil man intensiver nachdenken muss.
MZEE.com: Habt ihr, wenn ihr euch dann Feedback gebt, in dieser einen Woche überhaupt Ausschuss gehabt? Kam es vor, dass ein Beat oder Text verworfen wurde, weil es dem jeweils anderen nicht gefiel?
Doz9: Wir haben Aufnahmen abgebrochen. "Joe Gerner" zum Beispiel war ein echtes Problemkind. "Tiff" seltsamerweise auch. "Joe Gerner" von der Taktung her … Es hat lange gedauert, bis ich verstanden habe, was ich von mir selbst wollte. Wir haben aufgenommen und dann gemeinsam festgestellt: "Nee, der ist noch nicht so weit, wir machen jetzt was anderes." Bei "Tiff" war eher die Postproduktion ein echter Aufwand. Ich hab' vorher quasi nur auf die Skizze geschrieben, auf dieses Sample. (flötet das Sample nach) Nur das.
MZEE.com: Und beatmäßig, Torky? Hast du etwas verworfen?
Torky Tork: Nee, es war sogar eigentlich andersrum. Wir haben einen Track mit Sonne Ra gemacht, da hatte ich vorher nur einen Loop. Ein bisschen was ist passiert, aber im Grunde war es nur ein Loop. Wir haben unsere ganzen Skizzen dann später Sonne geschickt. Er hat sich gewundert, warum wir ihn nicht gefragt haben, ob er als Feature da sein will. Dabei wollten wir ihn eigentlich auf dem Album und sogar auf diesem Beat haben. Dann hat er sich diesen Beat aber einfach genommen und wohl zu sich selbst gesagt "Ey, die haben mich nicht gefragt, jetzt muss ich mal richtig einen rauslassen." Also hat er halt auch so richtig einen rausgelassen, sodass Doz noch mal so richtig nachlegen musste.
Doz9: Ich hab' im Nachhinein gedacht, dass es eigentlich cool gewesen wäre, wenn Sonne einen Solotrack gehabt hätte. Aber der Track war dann so krass, dass ich gesagt habe: "Okay, dann mach' ich jetzt auch noch einen." Ich hatte den Beat vorher nicht so verstanden, wie der Mula (Anm. d. Red.: Sonne Ra) ihn verstanden hat. Er hat mir halt gezeigt, wie man den Beat behandeln muss – und das war cool. (kichert)
MZEE.com: Ihr seid woanders vor Ort und macht quasi mobile Aufnahmen, das Gesamtergebnis befindet sich in der Tasche, wenn ihr zurückfahrt. Was wäre gewesen, wenn ihr einen Autounfall gebaut hättet, das Auto ausgebrannt und die Aufnahme weg gewesen wäre? Vergessen? Neu aufnehmen?
Doz9: Schwierig, leben wir dann noch nach dem Autounfall? (lacht) Es wäre echt ein Supergau. Ganz ehrlich, ich war noch nie so vorausschauend, dass ich daran gedacht habe, dass sowas passieren könnte. Es wäre todesschlimm.
Torky Tork: Es gibt ja diese Geschichte von Inspectah Deck, der auch mit RZA ein Album hatte. Dann gab es eine Flut und das Studio von RZA wurde überschwemmt. Das ganze Album war weg. Das war zu der Zeit, in der die erste Ghostface Killah-Platte rauskam. So ein Inspectah Deck-Album hätte ich wirklich gerne mal gehört. Also eines vor "Uncontrolled Substance"…
MZEE.com: Also, was wäre wenn?
Torky Tork: Echt keine Ahnung. Aber ich weiß, dass ich heute Nacht schlecht schlafen werde.
Doz9: Ich wäre echt am Arsch gewesen. Neu Aufnahmen wären nicht das Gleiche gewesen. Ein ganzes Album verlieren? Das wäre wirklich schlimm. Gerade, wenn man sich extra den ganzen Aufwand macht und dahinfährt. Sicher, wir haben alle mal einen Track verloren oder es ist mal was abgestürzt, aber sowas wäre hart. Danke für den Film auf jeden Fall. (lacht)
Im Anschluss an das Gespräch beginnt das T9-Konzert. Eine furiose Show, bei der Pierre Sonality und Galv als Highlight zu Gast sind, um mit Doz9 einen Song der Kraszesten zu performen. Als man später den Club verlässt, hat man das Gefühl, ein kleines Stück Teneriffa mit nach Hause zu nehmen.
(von unserem freien Mitarbeiter Maximilian Schneider-Ludorff)
(Fotos von Pretty Dirty und Robert Winter)