Ganze fünf Jahre war es still um den Frankfurter Rapper Face, den man vor allem von seinen gemeinsamen Veröffentlichungen mit Vega und aus dem alten Frankfurter Umfeld rund um das nicht mehr existente Label Butterfly Music kennt. Lange Zeit stand die Frage im Raum, ob man je wieder mit einem Face-Track oder gar einem Album zu rechnen hatte. Und plötzlich wurde vor wenigen Wochen bekannt, dass nicht nur ein Signing bei FvN, sondern auch eine Platte namens "R.O.T." in Kürze ansteht. Gestern war es dann so weit – das Album wurde nach einer sehr kurzen Promophase veröffentlicht und auch wir hatten die Gelegenheit, den Rapper kurz zum Gespräch zu bitten. Im Interview mit uns sprach Face über die Töne, die er auf "R.O.T." anschlägt, sowie seine aktuelle Labelsituation bei Freunde von Niemand. Darüber hinaus erklärte er uns, warum Produzenten allgemein für Rapdeutschland so wichtig sind und auch, was ihm im Deutschrap 2016 besonders auf die Nerven geht.
MZEE.com: Zu Beginn des Interviews würde ich gerne auf dein aktuelles Release zu sprechen kommen, welches den Titel "R.O.T." trägt. Schon im Intro sagst du, du trägst keine "rosarote Brille, denn ich sehe nur rot". Was verbindest du genau mit der Farbe, sodass du sie sogar als Albumtitel gewählt hast?
Face: Es waren einige Titel in der engeren Auswahl für das Album, aber letztendlich habe ich mich für "R.O.T." entschieden, weil es eine sehr aussagekräftige Farbe ist. Sie ist laut, sticht raus und ist in gewisser Weise auch aggressiv. Ich finde einfach, dass diese Farbe mich und mein Album gut charakterisiert. In der Platte steckt viel Wut, die in den letzten Jahren entstanden ist und die ich mit der Produktion verarbeitet habe. Ich denke, das wird sich dadurch noch mehr in den Köpfen der Leute einprägen. Allgemein kann man mit dem Wort und der Farbe sehr viel spielen, zum Beispiel hat das Albumcover als Eye-Catcher ein rotes Case. Außerdem sagt man ja auch "ich sehe rot".
MZEE.com: Im gleichnamigen Track verrätst du bereits, warum du fünf Jahre nichts von dir hast hören lassen: Eine kreative Pause war der Grund. Was hast du in der Zwischenzeit gemacht und was genau hat es dir so schwer gemacht, neue Musik zu produzieren?
Face: (lacht) Also, diese kreative Pause muss man ein bisschen mit Augenzwinkern sehen, denn sie war mehr oder weniger ungewollt. Ich war früher ja das erste Signing bei Vegas damaligem Label Butterfly Music. Als das in die Brüche gegangen ist und Freunde von Niemand gegründet wurde, war ich ein wenig perspektivlos. Ich musste gucken, wo mein Arsch bleibt. Es ging wirklich um meine Existenz, deshalb musste ich mir erstmal ein Fundament schaffen, um im Leben etwas vorweisen zu können. Die Musik habe ich nie wirklich aus den Augen verloren, aber wenn man einen ganz anderen Tagesablauf hat, 40 Stunden arbeitet und noch ein Privatleben haben möchte, dann kommt man raus. Ich hatte in dieser Zeit relativ wenig Kontakt mit Vega und Bosca, aber das hat mich nie losgelassen. Vor dreieinhalb Jahren gab es dann ein einschneidendes Erlebnis, als ich vor Gericht musste und eine Haftstrafe von fast zweieinhalb Jahren aufgebrummt bekommen habe. Das hat alles in meinem Leben durcheinandergeworfen. Es war eine sehr nervenaufreibende und schwierige Zeit, weil ich auch in Berufung gegangen bin und das alles viel Geld gekostet hat. Durch dieses Ereignis und diese Phase habe ich wieder zur Musik gefunden – das hat mich krass therapiert. Ich thematisiere die Verhandlung und die Verarbeitung davon auch auf dem Album in dem Track "Lehn' mich zurück". Meine Musik ist sehr stark von dem geprägt, was um mich herum passiert und wie es mir geht. Eine Zeile auf dem Album beschreibt es ganz gut: "Auf einem Weg Richtung Abgrund habe ich wieder Input zum Schreiben".
MZEE.com: Während du bei deinem Album-Opener noch einige Töne aus den Frankfurter Straßen anschlägst, ist "Düsen auf den Tisch" mit Bosca ein reiner Representer. Welche Richtung liegt dir persönlich mehr und welche Themen findest du wichtig, in deiner Musik anzusprechen?
Face: Ich glaube, die Leute verbinden mich immer mit einem lustigen Assi-Typen, der auf die Kacke haut, aber ich habe eigentlich drei Themenfelder, die ich am liebsten bediene. Das erste ist das klassische Representen, bei dem ich auf die Kacke haue und immer versuche, alles mit witzigen Lines und einem Augenzwinkern zu verpacken. Diesen gewissen Assi-Flavour mag ich einfach und das ist meine Art von Humor. Bei mir gibt es dann neben dem Representen noch die Streetelemente, die typisch Freunde von Niemand sind und die einen tagtäglich auch umgeben. Dieses Themenfeld gehört natürlich auch zu meiner Musik, weil es mich selbst umgibt und zu meinem Leben gehört. Und dann gibt es noch die deepe Komponente, aber die ist beim aktuellen Album eher im Hintergrund. Ich denke, dass ich da in Zukunft aber noch mehr machen werde, weil ich das mag und eigentlich auch ganz gut kann.
MZEE.com: Kommen für dich politische Themen für Song-Skizzen infrage?
Face: Wenn man nicht richtig in der Materie drin ist und sich damit nicht tagtäglich auseinandersetzt, finde ich das sehr schwierig und man sollte es mit Vorsicht genießen. Meine Songs sind jetzt nicht so krass politisch wie Boscas beispielsweise. Er geht mehr in die gesellschaftskritische und politische Richtung, was voll sein Ding ist. Von mir würde ich sagen, dass ich zwar voll der gesellschaftskritische Typ bin, es aber nicht so viel in meiner Musik verloren hat. Dafür ist in meiner Musik einfach nicht so viel Platz. Ich finde, dafür gibt es Bosca schon. Und noch einen Bosca signen macht für Freunde von Niemand auch keinen Sinn. (lacht) Genauso gibt es Vega für seine Stärken und mich für meine, die ich in meiner Musik verarbeite. Das heißt nicht, dass ich mich damit nicht beschäftige, nur werde ich es nicht ausschweifend thematisieren. Solche Themen werden eher ab und zu mal durchscheinen.
MZEE.com: Auf Facebook schreibst du, dass der Produzent deines Albums, Monsta, mindestens genauso viel Anerkennung für "R.O.T." verdient wie du. Bist du der Meinung, dass Produzenten in der Szene allgemein zu wenig Aufmerksamkeit erhalten?
Face: Bei uns ist es tatsächlich so, aber in den USA ist das anders. Ich glaube, das wandelt sich jetzt gerade. Es gibt unglaublich viele Rapper, die Produzenten anschreiben und nach Beatpaketen fragen. Die holen sich irgendwelche Beats ab, man hört nie wieder was von denen und es wird nicht wertgeschätzt. Ohne die Beats funktioniert es nicht und wenn du keinen Produzenten hast, dann kannst du keine geile Mucke machen. Ich denke aber, das ist jetzt auf dem Weg der Besserung, wo es Deutschrap auch wieder wesentlich besser geht. Monsta ist einer meiner besten Freunde und ein langjähriger Wegbegleiter. Er hat dreiviertel von dem Album produziert und wir haben uns zusammen hingesetzt. Für das Album war mir sehr wichtig, dass es einen Grundsound hat. Sowas kriegst du nicht, wenn du zusammengewürfelte Beats aus Beatpaketen hast. Wenn du dich mit einem Produzenten hinsetzt, dann kreierst du einen eigenen Sound für dein Album – das hört man auch ganz krass bei "Palmen aus Plastik" von RAF Camora und Bonez MC. Wenn wirklich mehr Qualität rauskommen soll, dann läuft das auch darauf hinaus, dass die Produzenten mehr wertgeschätzt und angemessen bezahlt werden.
MZEE.com: Ich finde, man hört auf den Alben bestimmter Künstler auch immer raus, ob jemand schon länger mit dem Produzenten zusammengearbeitet hat oder nicht …
Face: Das stimmt! Auf meinem aktuellen Album ist viel Boom bap-Kram dabei. Ich habe bewusst auf irgendwelche neuen Elemente wie Trap verzichtet, wobei ich auch einen Song mit Vega drauf habe, der in diese Richtung geht. Ich wollte den dreckigen Oldschool-Flavour haben und nur Monsta konnte mir diesen Sound geben. Es sollte nicht nach Plastik klingen, sondern was Eigenes werden.
MZEE.com: Was hat es denn eigentlich mit der Schrift auf sich, die beim Albumcover, aber auch bei der Promo zum Einsatz kam?
Face: Das ist tatsächlich nur ein Stilmittel. Es erinnert ein bisschen an die kyrillische Schrift, finde ich. Wir haben nach Schriften geguckt, sind bei der hängengeblieben und Vega fand die auch ziemlich geil. Es gibt keinen tieferen Sinn dahinter. Die ist es dann einfach für das Album und die Promo geworden.
MZEE.com: Lass uns doch mal über deine Label-Situation sprechen: Freunde von Niemand ist ja in sich sehr familiär und geschlossen. Wie kam da ein Signing zustande, obwohl du ja seit einigen Jahren musikalisch nicht viel von dir hast hören lassen?
Face: Dadurch, dass ich mit V (Vega, Anm. d. Red.) immer in Kontakt gewesen bin, kam das zustande. Ich kenne ihn schon seit der Schule und auch, wenn wir uns mal aus den Augen verloren hatten, waren wir immer mal wieder in Kontakt. Ich hab' völlig ungezwungen angefangen, mit meinem Produzenten Monsta Mucke zu machen und aufzunehmen. Ursprünglich war just for fun geplant, eine Free EP rauszubringen und die habe ich dann mal dem V rübergeschickt, um seine Meinung dazu zu hören. Er fand einige Songs darauf richtig krass und meinte, ich solle weitermachen. Der Song "180" kam dann auf "Willkommen im Niemandsland 3" und das war irgendwie der Grundstein. Die Leute haben den Song erst kritisch beäugt, weil er was ganz anderes war, aber immer, wenn ich ihn heute live spiele, reißt er komplett ab. Den Jungs und mir wurde klar, dass da was gehen kann, weil das Publikum auf den Scheiß ausrastet. Das hat mich auch motiviert, weiterzumachen. Vega meinte dann, dass ich ein Album machen solle und Freunde von Niemand es rausbringen wird. Es ging also alles Schlag auf Schlag. Der Vorverkauf lief auch ziemlich gut für unsere Verhältnisse. Es ist jetzt nicht das Oberhype-Ding, denn Freunde von Niemand hat auch im Gegensatz zu anderen Labels eine relativ begrenzte Reichweite, aber dafür halt auch richtige Hardcorefans. Mir schreiben teilweise Leute, dass sie mein Album dreimal gekauft haben. (grinst) Das ist eine Fanbase, die nur ganz wenige in Deutschland haben und etwas ganz Besonderes. Da scheiß ich auf die Klickzahlen, wenn ich wirklich Leute habe, die sehr loyal sind. Lieber 100 000 Klicks, aber dafür 100 000 echte.
MZEE.com: Die Loyalität von den Fans dem Label gegenüber spürt man im Frankfurter Raum wirklich sehr. Egal, ob du in der Stadt einkaufen gehst, auf einem Konzert bist oder schnell was zu essen kaufst, du siehst immer irgendwen in einem Freunde von Niemand-Pullover …
Face: Das ist richtig krass und unglaublich! Das ist eine sehr familiäre Fanbase. Wenn wir auch Auftritte außerhalb haben – wie die Zusatzshows letztens in Koblenz und Weinheim – dann geht man raus, unterhält sich mit den Fans und ist einfach greifbar. Ich beantworte auch jede einzelne Nachricht, die ich bekomme, und nehme mir die Zeit, auch wenn das manchmal meinen Kopf fickt. Aber das ist egal: Jeder, der meine Mucke kauft, hat es verdient, mindestens einmal eine Rückmeldung oder ein "Danke!" zu bekommen. Das ist für die Leute viel wert und zahlt sich auch aus.
MZEE.com: Würdest du denn sagen, dass sich das Label wegen dieser Nähe zu den Fans von anderen Labels gezielt abhebt?
Face: Ja, es ist ein Stück weit dieses Familiäre. Ich vergleiche das ganz kurz mal mit der 187 Strassenbande, weil sich viele Leute mit deren Style und der Art identifizieren können. Ich glaube, dass das bei uns auch so ist. Auch diese Fannähe unterscheidet uns sehr von anderen. Wir werden noch immer am Rande wahrgenommen und dieses Ausgegrenzte ist für die Leute natürlich spannend.
MZEE.com: Seit den Anfängen von Freunde von Niemand hat sich nicht nur der Bekanntheitsgrad des Labels, sondern teilweise auch das Umfeld verändert. Wie beurteilst du die Entwicklung der letzten Jahre?
Face: Der V guckt immer links und rechts nach talentierten Rappern. Wenn das alles auf einer persönlichen Ebene funktioniert und man mit den Leuten klarkommt, passt es. Natürlich harmoniert sowas besser, wenn man sich auch privat versteht und rumhängt, aber nicht 24 Stunden am Tag, weil jeder auch noch seinen Kram zu machen hat. Auf Konzerten sieht man krass, wie es sich allgemein entwickelt hat, denn früher waren es wirklich nur Fußball-Leute, die dahin gekommen sind. (lacht) Also, überwiegend waren Fußball-Assis da und haben den Scheiß gefeiert. Die Fanbase, die noch immer im Fußball unterwegs ist, ist geblieben, aber da ist viel über dieses Thema Fußball hinausgewachsen. Das ist natürlich sehr gut und musste so kommen, denn es muss an die breite Masse. Es sollen mehr Leute mitbekommen, was für geile Musik wir machen. (lächelt)
MZEE.com: Vega hat dich auch als seinen Lieblingsrapper angekündigt. Warum, glaubst du, bist du sein Liebling?
Face: (lacht) Das ehrt mich natürlich sehr, wenn er so über mich spricht. Es freut mich immer, wenn er das sagt, weil er auch einer meiner absoluten Lieblingsrapper ist – das weiß er auch. Das sag' ich jetzt nicht nur wegen des Interviews, sondern auch ihm echt regelmäßig. (grinst) Wir haben eine relativ coole Vergangenheit, was die Musik angeht, weil wir beide gleichzeitig damit angefangen haben. Wir sind aus der gleichen Stadt, hatten sogar kurzzeitig mal kleine musikalische Differenzen und gegeneinander geschossen. Irgendwie haben wir uns aber musikalisch angefreundet und er feiert meinen Kram seit damals. Bei mir ist das auch so, aber ich weiß nicht, wieso er mich als seinen Lieblingsrapper bezeichnet … Vielleicht weil ich ein guter Rapper bin. (lacht)
MZEE.com: Eingefleischten Rapfans wirst du sicher schon ein Begriff sein. Allerdings warst du jetzt lange "weg". Gibt es über die Jahre etwas, was du an der Rap-Szene beobachtet hast und dich besonders stört?
Face: Bei diesem ganzen Street-Gangsterrap und Trapkram, der gerade rauskommt, gibt es einige Sachen, die ich richtig krass finde, aber es gibt leider Gottes sehr viele, die es übertreiben. Ich frage mich, ob das irgendwann mal wieder kippt. Diese harte Schiene im Gangsterrap wird momentan auch ausgereizt bis zum Gehtnichtmehr. Die kriegen geile Beats rübergeschickt, dann grützen sie da ihren Scheiß drüber und man merkt sofort, dass sie das in 15 Minuten geschrieben und schnell ein Video mit ein paar Jungs vor dem Hochhaus gedreht haben. Ich finde es manchmal ein bisschen schade, dass das so viel Aufmerksamkeit bekommt. Jeder hat das Recht, Mucke zu machen. Ich finde es auch cool, dass das alles wächst. Aber ich denke, manchmal sollte man sich ein bisschen zurückhalten und etwas mehr an den Sachen arbeiten, bevor man jeden Scheiß einfach raushaut. Dieser Status zur Zeit sagt mir nicht so zu, aber grundsätzlich gefällt mir die Entwicklung von Deutschrap schon sehr, weil alles groß geworden ist. Das ist gut für jeden Künstler – immer mehr Rapper können von der Musik wirklich leben. An sich ist das schon eine positive Sache.
MZEE.com: Deutscher Rap ist so groß wie nie und jeden Tag starten gefühlt zehn weitere Künstler ihre musikalische Laufbahn in der Szene. Für die, die dich noch nicht kennen, würden wir zum Abschluss gerne wissen, welches Alleinstellungsmerkmal Face mitbringt, um aus dieser Masse hervorzustechen?
Face: (überlegt) Ich glaube, dass ich ernste Dinge sehr gut mit Humor ansprechen und viele Themen dadurch gut verpacken kann. In meinem Leben war Humor immer ein wichtiges Mittel, um mit Dingen fertig zu werden und sie zu verarbeiten. Das versuche ich ein Stück weit auch in meiner Musik. Ich nehme viele Dinge auf die Schippe und verarsche sie – alles mit einem gewissen Augenzwinkern und der Essenz, nicht alles unbedingt so ernst zu nehmen. Ich finde, das ist der Grundtenor, der mich ausmacht. Und dass ich halt ein Amok–Ausflipper bin … Wenn die Leute auf die Konzerte kommen, dann drehen die völlig ab. Ich denke, dass ich gut Gefühle transportieren kann – vor allem diesen aggressiven Style.
(Laila Drewes)
(Fotos von Kevlic)