September 2016: Holy Modee & Morten und Bonez MC & RAF Camora
"Okay – was habe ich verpasst?" Eine Frage, der wohl jeder von uns schon mal begegnet ist. Egal, ob man sie selbst gestellt hat oder mit ihr konfrontiert wurde. Manchmal kommt einfach der Zeitpunkt, an dem man sich vor allem eines wünscht: "Bringt mich doch mal auf den neuesten Stand!" Doch wie antwortet man darauf? Was hält man für besonders erwähnenswert? Es ist schwer, eine kurze, aber vollständige Antwort darauf zu finden. Wie misst man überhaupt Relevanz? An medialem Hype? Am Überraschungsfaktor? Oder doch an dem musikalischen Anspruch? In "Hört, hört!" geht es um das alles, reduziert auf zwei Veröffentlichungen. Ein Release, das vor allem im Untergrund auf Zuspruch gestoßen ist, und eines, das in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Zwei Werke, die wir nicht unbedingt gut finden müssen, aber eine gewisse Relevanz oder eine Bedeutung jeglicher Art für die hiesige Raplandschaft besitzen. Zwei Werke, die am Ende des Monats vor allem eines aussagen: "Hört, hört! Genau das habt ihr verpasst!"
Holy Modee & Morten – Global Players
Trap hier, Trap da. Mittlerweile ist die Musik aus dem Süden der USA nicht nur in Deutschland angekommen, sie mausert sich langsam, aber sicher auch zu einem der dominierenden Sounds hierzulande. Dadurch fällt es zunehmend schwerer, aus der Masse der Trap-Rapper herauszustechen. Zwei, denen das mit ihrer aktuellen EP "Global Players" gelungen ist, sind Holy Modee & Morten.
Die Musik, die die beiden Rapper aus dem IMMER.READY-Kollektiv machen, funktioniert vordergründig über Style. Denn was bei "Global Players" zählt, sind Aspekte wie die Betonung einzelner Silben, der Einsatz von Adlibs oder die Emotionen, die durch die mitunter stark verzerrten Stimmen transportiert werden. Die tatsächliche Bedeutung der Wörter, die aus den Mündern der einzelnen Künstler kommen, tritt dabei in den Hintergrund. Hier verschwimmt alles sehr zu einem homogenen Ganzen. So fällt es kaum auf, wenn mal ein Featuregast einen Part übernimmt – was in diesem Fall jedoch sehr für die beteiligten Gäste spricht. Vor allen Dingen der Dortmunder Ce$ sowie Marvin Game liefern auf "fehler vs überlebt" gut ab. Wichtiger als ihre individuell Beteiligten ist dennoch der Sound der einzelnen Songs. Auf der EP ist dafür überwiegend Morten selbst verantwortlich. Seine teils energiegeladenen, teils zähflüssig tragenden Banger, die als Grundlage für die im Stakkatorap oder genuschelten Singsang vorgetragenen Vocals dienen, überzeugen vollends. Da fällt es kaum noch ins Gewicht, dass sich Morten in Sachen stimmlicher Performance ein wenig in Modees Schatten bewegt. Das Aschaffenburger Cosmo Gang-Mitglied schafft es auf jedem Track, mit nur wenigen, häufig kaum verständlichen Wörtern eine beeindruckende Präsenz aufzubauen.
Wer frischen deutschen Trap-Sound sucht, der sich nicht durch bloßen Einsatz von Triolen-Flow und 808s auszeichnet, dem sei "Global Players" wärmstens an Herz gelegt. Denn es lohnt sich definitiv, diese EP bei dem einen oder anderen mit Moselwein gefüllten Double Cup zu pumpen – und sich darüber zu freuen, dass sich Rap stetig weiterentwickelt.
(Steffen Bauer)
Bonez MC & RAF Camora – Palmen aus Plastik
Überraschung! Natürlich ist "Palmen aus Plastik" eines der Releases des Monats. Und wenn man es genau nimmt, muss nicht mal erklärt werden, warum man diese Monster-Kollabo gehört haben muss. Denn wer es zweimal mit dem gleichen Album auf Platz eins schafft, muss ja alles richtig gemacht haben, oder?
Aber gehen wir doch mal von folgendem Fall aus: Wenn man, wie ich, tatsächlich bis zum Releasedate kein Interesse an "Palmen aus Plastik" hatte – sicherlich gibt es neben mir noch weitere Leute, die sonst eher keine großen Fans von RAF Camora oder Bonez MC sind –, sollte genau das aber keinesfalls ein Grund sein, nicht zumindest mal in dieses Release reinzuhören. Denn die beiden präsentieren sich hier fernab ihres sonstigen musikalischen Outputs. Vielmehr handelt es sich bei dem Album um einen Exkurs in Richtung Dancehall, welcher kaum besser hätte werden können. Hier folgt Ohrwurm auf Ohrwurm und Banger auf Banger. Tracks wie "Attackieren" oder "Skimaske" tanzen zwar etwas aus der Reihe, mischen dafür aber gekonnt Dancehall mit Straßenrap. Durch diese ungewöhnliche Kombination wird jeder einzelne der fünfzehn Titel auf seine ganz eigene Weise zum Hit. Manch einer wird dabei zwar eher die chilligeren Tracks mit Trettmann oder die aggressiveren mit Gästen wie Gzuz bevorzugen. Unterm Strich fällt es allerdings schwer, spätestens nach dem zweiten Hören nicht auch die Hooks anderer Anspielpunkte mitzurappen. Zumal das Album einfach immer – wie es der Titel auch schon andeutet – einen gewissen sommerlichen Vibe versprüht.
Was Bonez und RAF hier zusammen geschaffen haben, ist nicht nur ein grandioses Album fernab der aktuellen Hypes im deutschen Rap. Nein, dieses Release bringt auch Dancehall wieder zurück auf die Karte derer, die dieses Genre vielleicht schon vor einiger Zeit wieder vergessen hatten. Und es mischt beide Musikrichtungen auf eine angenehme, eingängige Art und Weise, die sich keiner entgehen lassen sollte.
(Lukas Päckert)