Man täte Maeckes unrecht, würde man ihn nur auf sein Schaffen als ein Viertel der Orsons reduzieren. Angefangen mit der Teilnahme bei "Feuer über Deutschland", machte er sich zusammen mit Plan B und dem gemeinsamen Theaterformat "Rap-Up Comedy" nämlich bereits Mitte der 2000er einen Namen innerhalb der deutschen Rapszene. Seitdem liefert das Chimperator-Signing kontinuierlich musikalischen Output und zeigt immer wieder, wie facettenreich es sein kann – auch alleine. Denn seine zahlreichen Solo-Releases und -Touren sprechen dafür, dass Maeckes ein echter Vollblut-Musiker ist. Mit dem neuen Album "Tilt" möchte er das jetzt ein weiteres Mal unter Beweis stellen. Grund genug für uns, ihn zum Interview zu bitten. Im Gespräch erklärte uns Maeckes, was es mit dem Titel sowie der Entstehung des neuen Werks auf sich hat und worin sich die Arbeit an Orsons- und Solo-Projekten unterscheidet. Darüber hinaus verriet er uns seine Meinung zum gesellschaftlichen Engagement von Rappern und anderen Künstlern – schließlich setzt sich der Musiker selbst seit geraumer Zeit für verschiedene soziale Projekte ein. Und ganz nebenbei konnten wir noch in Erfahrung bringen, was eigentlich aus dem während der letzten Gitarrentour geklauten Notizbuch von Maeckes geworden ist …
MZEE.com: Zu Beginn des Interviews würde ich gerne mit einem Zitat aus deinem Pressetext zum neuen Album beginnen: "'Tilt' handelt vom Tod, von der Suche nach der Liebe beziehungsweise vom Überwinden der Unliebe. 'Tilt' ist beängstigend ernst, zuweilen auch sehr traurig. Gleichzeitig aber wunderschön, streckenweise gar komisch und haltgebend." Im Vergleich zu den Vorgängern klingt das nach einem viel persönlicheren Album. Wie und wann hast du dich dazu entschieden, eine solche Platte zu machen?
Maeckes: Erst mal bin ich bei diesen Pressetexten immer erstaunt, wie toll offiziell das, was man da macht, alles klingt. (grinst) Das unterschreib' ich aber auch alles so. Ich hab' mich nie dazu entschieden – das Album ist einfach passiert. Ich finde es auch immer schwierig, zu sagen, was persönlich eine echte Erinnerung und was ein Lied ist, welches sich persönlich anfühlt. Das ist ein sehr verschwommenes Feld. Ich hatte auf jeden Fall nicht auf der Uhr, ein solches Album zu machen, ich habe da gar nicht so viel kontrolliert. Eines Morgens bin ich aufgewacht und dann war dieses Album mit all seinen Liedern da. Dann dachte ich mir, dass ich es mal rausbringe und Leute dazu einen coolen Pressetext schreiben lasse.
MZEE.com: Da bin ich gespannt, was über Nacht alles passiert ist, dass bei Tagesanbruch ein ganzes Album fertig ist …
Maeckes: Es war auf jeden Fall eine sehr lange Aufnahmesession. (grinst)
MZEE.com: Sprechen wir konkreter über "Tilt": Eigentlich bedeutet "Tilt" nur eine "Neigung". Im Poker hingegen bezeichnet es eine sehr aggressive Spielweise nach einem Fehler. Welche Definition passt besser zu deinem Album und warum? Hast du in letzter Zeit irgendwas auf eine Karte gesetzt?
Maeckes: Dieses sehr aggressive und irrationale Reagieren nach Fehlern, wie es auch Tilt-Pokerspieler machen, wohnt mir inne. Diesen Aspekt, dass ich flippe oder tilte, kennen auch Leute, die mit mir zu tun haben. Besonders, wenn es um Sachen geht, die ich mir selbst eigentlich zuschreiben müsste. Das trifft es eher als "Neigung", weil neigen tu' ich mich nicht.
MZEE.com: Das bedeutet, du kanntest den Begriff aus dem Poker und fandest ihn passend zu deinem kommenden Release?
Maeckes: Nee, ich kannte ihn hauptsächlich vom Flipper. Beim Flipper kann man die Kugel beeinflussen, indem man gegen den Automaten haut. Wenn man das aber zu stark macht, dann tiltet der Flipper und funktioniert nicht mehr. Da bedeutet das also eine Stagnation oder Handlungsunfähigkeit. Und dieses Bild kam mir viel eher in den Sinn: Dass man von manchen Sachen erschlagen ist, weil alles davor zu viel war. Dieses Gefühl wohnt dem Album irgendwie inne. Es ist auch kein Konzeptalbum, bei dem ich gedacht habe: Ich mache ein Album zu "Tilt", weil das ein super Flipper-Effekt ist. Es war eher so, dass das Album über Nacht da war, ich am nächsten Morgen einen Titel gesucht habe, am Flipper stand und rumgeflippert habe, er nicht mehr funktionierte und ich mir dachte, dass das doch sehr gut zu dem Album passen würde, das ich gestern Nacht gemacht habe.
MZEE.com: Du erwähnst gerade die ganze Zeit, dass das Album "über Nacht" passiert ist. Kannst du uns ein bisschen über die Entstehungsgeschichte aufklären? Unterscheidet sich die Herangehensweise zu deinen vorherigen Alben oder hast du dich auch von anderen Genres inspirieren lassen?
Maeckes: Es war eine sehr lange, dreijährige Nacht. Ich habe mit vielen neuen Einflüssen daran gesessen, weil ich zum ersten Mal außerhalb der Orsons mit Musikern zusammengearbeitet habe. Im Speziellen mit einem Musiker und einem Produzenten. Der Musiker ist Tristan Brusch – mit ihm habe ich auch die ersten Lieder geschrieben. Dadurch ist das Ganze sehr viel musikalischer geworden, als wenn ich nur alleine gearbeitet hätte. Später habe ich noch einen Produzenten dazugeholt – den werten Äh, Dings – und mit ihm dann den ganzen Sound für das Album gemacht. Den Maeckes-Sound mal festgelegt oder auch aufpoliert, damit der fett klingt und nicht immer nur wie eine halbe Skizze. Es war eine krass lange Nacht, in der ich mich mit vielem auseinandergesetzt und viel gelernt, verlernt und dann wieder gelernt habe.
MZEE.com: Hörst du denn andere Musik, wenn du sowas ausarbeitest? Viele können in der Entstehungsphase ihrer Werke ja keinen Rap hören, weil sie sich zu sehr davon beeinflussen lassen …
Maeckes: Es gibt immer Phasen, in denen man mehr Musik oder eben keine hört. Im Schaffensprozess war das sicher auch wieder genauso, dass ich zeitweise eigentlich alles aufsaugen wollte – egal, ob Rap oder irgendwelche anderen Genres. Wenn man macht, will man sich nicht zu sehr auf etwas festfahren. Nur weil ich das erste PNL-Album gehört und gefeiert habe, muss mein Sound nicht genauso klingen. Ich muss nicht das, was ich feier', in meine Welt übersetzen wie manch andere. Sowas langweilt mich voll. Dann höre ich lieber das originale PNL und suche, wie mein Sound sein könnte. Soundtechnisch machen es sich viele viel zu leicht und das ist in Deutschland kein Problem. Es juckt niemanden, wenn man ein amerikanisches Konzept auf Deutsch übersetzt, vielleicht sogar dieselben Beats benutzt, aber deutsche Texte hat … Da würde niemand was sagen. Das langweilt mich einfach.
MZEE.com: In deiner Singleauskopplung "Urlaubsfotograf" heißt es: "Papa war ein Stein, den man von Autobahnbrücken schmeißt" – ziemlich harte Zeilen, die du hier singst. Erklär uns doch kurz den Hintergrund des Zitats und des Tracks. Ist der Song tatsächlich ein wenig Vergangenheitsbewältigung?
Maeckes: Bestimmt ist er das in irgendeiner Form. Ehrlich gesagt weiß ich auch nicht genau, wovon der Song im Speziellen handelt. Als ich ihn rausgebracht habe, haben mir sehr viele Leute geschrieben, dass sie dieses Gefühl um Dasein und gleichzeitig auch Nicht-Dasein von einem Familienmitglied oder Ehepartner kennen. Obwohl sie auch nicht wissen, wovon das Lied handelt, kennen sie dieses Gefühl sehr gut. Das erklärt mir jetzt auch langsam, worum es in dem Lied geht. Weil davor wusste ich es eigentlich nicht.
MZEE.com: Überkam es dich einfach so, etwas in einem Lied zu verewigen?
Maeckes: Wahrscheinlich gab es schon eine Dringlichkeit, das zu schreiben, aber die ist sehr viel weiter in der Vergangenheit. Das ist kein Thema, von dem ich denke, dass ich jetzt dieses Gefühl loswerden muss. Die Idee ist schon vor einer Million Jahren entstanden, aber dann ist sie irgendwann einfach so rausgekommen. Danach haben wir Musik dazu geschrieben und überlegt, wie es klingen kann. Es ist ein komisches Konstrukt, weil die Hook wie ein Kinderlied ist, obwohl es so ein trauriger Song ist. Da wurde viel experimentiert, wie man mit dem Textmaterial umgehen kann – und jetzt ist es dieses merkwürdige kleine Liedchen namens "Urlaubsfotograf".
MZEE.com: Das Video zu "23 Fakten über Maeckes" hat mich an die alte Zeit von Maeckes & Plan B inklusive Alben und Theater denken lassen. Besteht Hoffnung, dass ihr gemeinsam noch mal ein Comeback feiert und die guten, alten Zeiten aufleben lasst?
Maeckes: Dass wir ein Maeckes & Plan B-Album machen? (grinst)
MZEE.com: Ja.
Maeckes: (überlegt) Ich glaube, das ist sehr unwahrscheinlich …
MZEE.com: Lassen wir das so stehen oder willst du es weiter ausführen?
Maeckes: (überlegt) Das können wir so stehen lassen.
MZEE.com: Neben deinen "normalen" Alben hast du auch eine kleine Reihe, bestehend aus den Werken "Null", "Eins" und "Zwei", veröffentlicht. Werden Fans sich auch auf ein "Drei" freuen können?
Maeckes: Ich hab' schon immer wieder Ideen, wie das sein könnte. Mein Tag hat auch nur 24 Stunden und deswegen bin ich noch nicht dazu gekommen. Aber ich würde das eigentlich gerne fortführen, wenn ich mal wieder Zeit finde.
MZEE.com: Was unterscheidet eigentlich deine Herangehensweise bei Solo-Releases von deiner Arbeit an Orsons-Platten?
Maeckes: Vielleicht eine andere Art von Kompromissen, weil man in der Musik ja immer irgendwelche Kompromisse schließen muss. Das Orsons-Ding ist so ein Parade-Kompromissgebot, weil wir mehr oder weniger verschiedene Ideen von Musik haben und wahnsinnig werden, wenn wir versuchen, das zu vereinen. Bei "Tilt" hatten Tristan, Äh, Dings und ich das gleiche Verständnis und Ästhetikempfinden für Musik. Deshalb war es auch voll angenehm, Mucke zu machen und nicht über alles zu stolpern. Oder etwas richtig wack zu finden, wie es bei den Orsons halt sein kann. Da kommt beispielsweise einer mit einer Skizze und man flippt völlig aus und sagt, dass man das nie in seinem ganzen Leben machen würde. Das ist quasi weggefallen bei "Tilt", aber dafür kommen andere Kompromisse. Ich glaub', so sehr die Ergebnisse sich unterscheiden, so wenig unterscheiden sie sich vom Machen her.
MZEE.com: Das hört sich alles sehr spannend an. Auch, wie du vorhin erwähnt hast, dass alles drei Jahre gedauert hat. Man verändert sich als Person und auch als Künstler in diesen Jahren teilweise völlig.
Maeckes: Ja, voll!
MZEE.com: Ist es dir denn vielleicht auch passiert, dass du Skizzen oder Kompromisse, die du verworfen hattest, letztendlich wieder aufgegriffen hast?
Maeckes: Wir haben sehr viel mehr Lieder gemacht und auch die Tracklist hat sich ganz oft verändert. Der Kern war zwar immer gleich, aber wie alles als Album zusammen funktioniert – das war ein ewiger Prozess. Als das Album fertig war, haben wir alte Skizzen durchgehört und gemerkt, dass da eigentlich voll die geilen Sachen drauf sind. Die haben es zwar nicht geschafft, einer von den vierzehn epischen Titeln auf dem Album zu sein, aber sie haben eine kurze Lebensdauer und einfach irgendwas Kleines an sich. Die Dinger haben wir auch noch mal zusammengetrasht zu einem Werk namens "Mist", das in diversen Editionen von "Tilt" mit dabei ist. Manchmal kann man da anhand einer früheren Skizze hören, wie man zu bestimmten Liedern gekommen ist. Oder es sind einfach irgendwelche Songs, die wir verworfen, aber dann wieder zurückgeholt haben. Man hat drei Jahre später oft einen anderen Stand, aber ich glaube, der Kern ist immer gleich, der verändert sich nicht mehr.
MZEE.com: Kommen wir auf ein anderes Thema zu sprechen: Du engagierst dich schon lange für soziale Projekte, unter anderem für Viva con Agua. Findest du, dass deutsche Musiker ihre Reichweite zu selten nutzen?
Maeckes: Jeder muss für sich wissen, ob er das machen will. Ich finde es aber komisch, jemanden in eine Verantwortung zu ziehen, nur weil er gut rappen kann. Das ist Quatsch, denn wenn es ihm nicht innewohnt, muss er es nicht tun. Es wäre ja gefaket, wenn er es dann macht. Wenn Leute was machen wollen, weil ihnen viele zuhören, begrüße ich das sehr. Aber ich würde nicht von allen einfordern, dass es unter deutschen Musikern eine Pflicht zur Wohltat gibt.
MZEE.com: Wie siehst du das denn weltweit gesehen? Viele internationale Künstler engagieren sich mit ihren Gagen.
Maeckes: Ich finde, dass man hier und da nicht nur Sachen kaputtmachen sollte, sondern manchmal auch was Gutes tun kann. Was ja in unserer Welt schon einen übelst schlechten Ruf hat, weil man dann ein Gutmensch-Mongo oder Öko-Nazi ist. (grinst) Man sollte hin und wieder was Gutes tun. Aber es ist ein sehr schmaler Grat, denn es gibt auch diverse Charity-Veranstaltungen, bei denen Leute sich in diesem Licht sonnen und selbst Publicity haben wollen. Das ist ein sehr komisches Feld mit viel Geheuchel. (lacht) Dennoch sollte man da drüberstehen und den eventuellen Spott, den sowas auch einbringen kann, gerne annehmen, weil im Endeffekt ja trotzdem etwas Gutes passiert.
MZEE.com: Am Ende des Interviews möchte ich dir noch eine letzte persönliche Frage stellen …
Maeckes: Oh, Shit … (grinst)
MZEE.com: Gegen Jahresende 2015 wurde dir auf Tour dein Notizbuch geklaut. Ist das Buch denn je wieder aufgetaucht? Und was notierst du dir auf Tour so alles darin?
Maeckes: Es ist noch während der Tour aufgetaucht. Ich hatte gesagt, dass man das Buch anonym an das Chimperator-Büro schicken kann und es so an mich zurückkommt, falls es denn aus Versehen von jemandem eingesteckt wurde. Ich muss sagen, dass ich mich echt übelst aufgeregt habe, als es weg war. Es ist kein Tagebuch, wo ich reinschreibe, dass ich da und da den und den getroffen habe und dieses oder jenes fühlte … In dem Buch sind viele Notizen, kurze Gedanken oder Zeichnungen – es ist eigentlich nur eine Sammlung von Ideen. Dadurch, dass es nicht vorgefiltert wurde für eine Außenwelt, gibt das natürlich einen unfassbar nahen Einblick. Und der Gedanke, dass irgendjemand unerlaubterweise diesen Einblick in mein scheiß Ideeninnenleben hat, hat mich wahnsinnig gemacht. Dass da irgendjemand zu Hause sitzt und … keine Ahnung, was man mit dem Büchlein macht. Was man halt so damit macht. (lacht) Ich habe noch nie ein Notizbuch von jemandem geklaut. Ob man dann masturbiert oder … ich weiß es nicht. (lacht) Auf jeden Fall, dass man irgendwas damit macht. Das hat mich echt sehr traurig gemacht. Aber dann kam es auch zurück, wobei es mich danach immer noch traurig gemacht hat, dass es jemand geklaut hatte. Besonders während der Gitarrentour, weil ich ein Segment aus diesem Büchlein gespielt habe. Da habe ich drei Familiengeschichten gesungen; zwei davon waren erfunden, eine echt – und ich habe den Leuten gesagt, dass sie nicht an der falschen Stelle lachen dürften. Und das war ganz traurig, denn die Texte waren aus dem Buch, weil ich die Chorusse improvisiert habe. Ich hab' das Buch also jeden Abend gebraucht und dann ist das ganze Segment weggefallen, weil irgendein Wichser mir das Buch geklaut hat. Deswegen hat mich das Ganze zudem noch trauriger gemacht. Langer Rede kurzer Sinn: Es ist wieder da und ich muss nicht mehr traurig sein.
MZEE.com: Das freut uns! Kam das denn ohne Entschuldigung einfach ins Büro von Chimperator? Kein Erklärungsschreiben, wieso die Person das Buch mitgenommen hat?
Maeckes: Doch, so ein Brief lag bei, aber das hat mich schon nicht mehr interessiert. Ich habe ihn nicht gelesen und es war mir scheißegal, ob sich da jemand für entschuldigt oder nicht. Das Buch war komplett, der Rest hat mich nicht interessiert.
(Laila Drewes)
(Fotos von Nico Wöhrle/Vertigo Berlin)