August 2016: Die Futschis und Coup
"Okay – was habe ich verpasst?" Eine Frage, der wohl jeder von uns schon mal begegnet ist. Egal, ob man sie selbst gestellt hat oder mit ihr konfrontiert wurde. Manchmal kommt einfach der Zeitpunkt, an dem man sich vor allem eines wünscht: "Bringt mich doch mal auf den neuesten Stand!" Doch wie antwortet man darauf? Was hält man für besonders erwähnenswert? Es ist schwer, eine kurze, aber vollständige Antwort darauf zu finden. Wie misst man überhaupt Relevanz? An medialem Hype? Am Überraschungsfaktor? Oder doch an dem musikalischen Anspruch? In "Hört, hört!" geht es um das alles, reduziert auf zwei Veröffentlichungen. Ein Release, das vor allem im Untergrund auf Zuspruch gestoßen ist, und eines, das in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Zwei Werke, die wir nicht unbedingt gut finden müssen, aber eine gewisse Relevanz oder eine Bedeutung jeglicher Art für die hiesige Raplandschaft besitzen. Zwei Werke, die am Ende des Monats vor allem eines aussagen: "Hört, hört! Genau das habt ihr verpasst!"
Die Futschis – Futschifilm
Cool und mit nur einer Hand hinterm Steuer, ein harter Blick hinter der Sonnenbrille. Der Nebenmann hält tiefenentspannt die Waffe in Richtung Kamera, während der Fahrer lässig aus dem Auto lehnt. So scheint es zumindest. Dass der Beifahrer da eigentlich selbst eine Linse auf den Fotografen richtet, sieht man erst später. Ja, im ersten Moment deutet alles darauf hin, dass der "Futschifilm" ein echtes Gangster-Epos ist. Kein eisenharter Thriller, aber doch mit einem abgebrühten Cop in der Hauptrolle, der einiges erlebt hat.
Hört man dann allerdings in den Soundtrack des Films hinein, stellt man fest, dass es sich um das genaue Gegenteil handelt: eine sich durchziehende Persiflage auf alle harten Klischees der Szene. Einen Finger am Puls der Zeit, den anderen am Trigger, witzeln sich die Futschis in den Hauptrollen durch 16 Anspielstationen – ein purer Wahnsinnsritt. Von Skits, in denen mehr als eine Minute lang über Kot geredet wird, bis hin zur kompletten Zerlegung jedes Straßenrap-Usus – der "Futschifilm" wird konsequent durchgezogen, ohne auch nur eine Sekunde Zweifel an der ironischen Schiene zuzulassen. Vielleicht ist es genau das, was den Untergrund-Rap des Duos so erfrischend locker hält. Denn ohne Rücksicht auf den kommerziellen Erfolg machen die Futschis genau das, worauf sie im Moment wirklich Lust haben.
In unserer MZEE-Filmkritik kriegt der "Futschifilm" aus genau diesem Grund einen Daumen nach oben. Dank seiner Einzigartigkeit und der lockeren Coolness trotz einzelner Längen ist dieses Release prädestiniert für unser "Hört, hört!". Die Futschis verfolgen keinen Standard – sie jagen ihn und machen sich über ihn lustig. Dabei gibt es nur wenige andere, die ihren Rap-Stil so konsequent und eigen durchziehen wie diese beiden Newcomer. Für ein Debüt-Album also ein astreiner Blockbuster.
(Sven Aumiller)
Coup – Der Holland Job
Die deutsche Lichtgestalt in Sachen rappende Authentizität? Iz da! Der Offenbacher, der Straßenrap quasi im Alleingang revolutioniert hat? Iz da! Eine gemeinsame, medienwirksame Promophase? Iz da! Ein Kollabo-Album, an das Fans und Szene gewaltige Erwartungen haben? Iz da! Aber: Sind erfüllte Erwartungen auch da?
Egal, ob man nun Azzlackz-Fan ist oder nicht … Unabhängig davon, ob man sich "Alles oder Nix" aus dem musikalischen Umfeld des Birra aller Birras anhört … So wirklich vorbei kam an Coup niemand. Xatar und Haftbefehl wissen eben, wie sie ihr Standing einzusetzen haben, um ein Album wie "Der Holland Job" schon lange vor Releasedate zu einem begehrten Stück Musik zu machen. Die Spitze der deutschen Albumcharts war damit fast keine Überraschung mehr. Und als die Fans das Album dann endlich in den Händen halten und einen Blick hinter Promo-Aktionen, großspurige Ankündigungen in Interviews und kinoreife Musikvideos wagen konnten? Zwar keinesfalls Enttäuschung, aber ein Feuerwerk an Euphorie auch nicht direkt. "Der Holland Job" ist definitiv kein schlechtes Album. Die beiden Protagonisten inszenieren sich gekonnt als unantastbare Großverbrecher und raptechnische Schwergewichte. Außerdem liefern sie auf knallharten Beats genug Hitpotenzial für zwei bis drei Alben. Mehr als die Summe seiner Teile ist "Der Holland Job" aber auch nicht. Wo jede der beiden Coup-Hälften die Szene mit Soloalben auf die eigene Art geprägt hat, ergibt sich in der Symbiose ein hochkarätiges Werk – doch eben auch nichts, was deutschen Rap erneut revolutioniert.
"Der Holland Job" mag nicht der Meilenstein der hiesigen Rap-Historie sein, den manch einer erwartet hat. Ein überragend gutes Album haben Xatar und Haftbefehl dennoch abgeliefert, weswegen man sich das Ganze definitiv nicht entgehen lassen sollte. Absolute Hörempfehlung? Iz da!
(Daniel Fersch)