"Okay – was habe ich verpasst?" Eine Frage, der wohl jeder von uns schon mal begegnet ist. Egal, ob man sie selbst gestellt hat oder mit ihr konfrontiert wurde. Manchmal kommt einfach der Zeitpunkt, an dem man sich vor allem eines wünscht: "Bringt mich doch mal auf den neuesten Stand!" Doch wie antwortet man darauf? Was hält man für besonders erwähnenswert? Es ist schwer, eine kurze, aber vollständige Antwort darauf zu finden. Wie misst man überhaupt Relevanz? An medialem Hype? Am Überraschungsfaktor? Oder doch an dem musikalischen Anspruch? In "Hört, hört!" geht es um das alles, reduziert auf zwei Veröffentlichungen. Ein Release, das vor allem im Untergrund auf Zuspruch gestoßen ist, und eines, das in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Zwei Werke, die wir nicht unbedingt gut finden müssen, aber eine gewisse Relevanz oder eine Bedeutung jeglicher Art für die hiesige Raplandschaft besitzen. Zwei Werke, die am Ende des Monats vor allem eines aussagen: "Hört, hört! Genau das habt ihr verpasst!"
Frauenarzt – Mutterficker
Dass Frauenarzt weg war, kann man eigentlich gar nicht behaupten. Man könnte eher sagen, er war auf einem unsäglich langen Mallorca-Urlaub. Mehrere Jahre lang feierte er die ganze Nacht im Strobo-Licht und tanzte mit Strohhut tragenden Ballermann-Touristen ohne Shirt den "Disco Pogo". Der daraus resultierende Erfolg war ihm von Herzen gegönnt. Doch musikalisch war der Tempelhofer in anderen Gefilden deutlich besser aufgehoben. Und so ist es umso schöner, dass 2016 aus "West Berlin wieder harter Rap" kommt.
Die Heimkehr einer Untergrund-Legende, deren Indizierungsliste länger ist als die Diskografie etwaiger Künstlerkollegen. Dass er mit mehrfachen Goldenen Schallplatten-Auszeichnungen und dem BRAVO-Otto eigentlich gar nicht mehr so unbekannt ist, interessiert ihn scheinbar nur am Rande. So krönt er sich selbstbewusst wie eh und je zum "Untergrund-King". Am Grundprinzip seines Raps hat KKF ebenfalls absolut nichts geändert. Frauenarzt braucht nicht mehr als einen harten Bass, laute Raps und den Rundumschlag gegen die Szenekollegen und deren Mütter, um auf Albumlänge zu unterhalten. Untermalt von elektronischen, harten Klängen zeigt der Berliner dem deutschen Wack MC wieder, dass für den "Hurensohn Schluss mit gutem Ton" ist.
Das Konzept geht erstaunlich gut auf. Auch, weil ihm in den erfolgreichen Jahren mit Manny Marc kein Stück seiner so lieb gewonnenen Ignoranz verloren gegangen ist. Frauenarzt flucht, beleidigt und schreit – es ist alles wie immer. Und immer noch genauso unterhaltsam wie vor dem Mallorca-Trip mit Nena und anderen, feierwütigen Gestalten. All hail King Kool Frauenarzt, KKF!
(Sven Aumiller)
Gzuz & Bonez MC – High & Hungrig 2
Deutscher Straßenrap hat mittlerweile nicht nur Salonfähigkeit erlangt, sondern ist auch künstlerisch so wertvoll wie noch nie. Es gibt Interpreten, die nahezu erdrückende Storyteller präsentieren können. Manch einer performt wiederum Songs in Anlehnung an französischen Trap. Andere Rapper hingegen verstehen sich darin, harte Battletexte zu schreiben. Somit gibt es eine Vielzahl von Vertretern, zwischen denen man als Hörer wählen kann – und dann gibt es die 187 Strassenbande. Bereits im letzten Jahr gab es an dieser Crew kein Vorbeikommen.
Im vergangenen Monat gab es die 187ers in Form von Gzuz und Bonez MC erneut zu hören. Die beiden Hamburger setzten jüngst ihre Kollabo-Reihe mit "High & Hungrig 2" fort. Mit großen Erwartungen der Fans und zwei vorab veröffentlichten Singles schickten sie ihren Langspieler ins Rennen. Am Ende wurde man natürlich nicht enttäuscht. Der Hype war wieder da, der Hype war gerecht. Es gab Straßenrap nach 187-Art, wie man ihn sich wünscht: echt, laut, in die Fresse und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Vielleicht klingt es kitschig, aber wenn die Boxen wieder unter den wuchtigen Jambeatz-Instrumentals erzittern und darauf Texte mit aggressivem Flow gerappt werden, fühlt sich das ähnlich vertraut an wie nach Hause zu kommen. Bonez kündigt im "Intro" bereits an, dass beide MCs jetzt "wieder dasselbe rappen" und macht damit etwas deutlich, das sich fast nur die 187ers erlauben können. Wäre die Aussage von einem anderen Künstler gekommen, hätte man sich vielleicht daran gestört, aber für "High & Hungrig 2" wünschte man sich genau das. Arrogante, perfekt platzierte Adlibs, Schusswaffengeräusche und verschrobene, aber merkwürdigerweise doch nachvollziehbare Lebensweisheiten eines Kiffers gehören bei den Hamburgern einfach dazu.
Während ihres rasanten Aufstiegs sind sich die Jungs der Strassenbande stets selbst treu geblieben und veröffentlichten unermüdlich Alben. Am Ende krönten Gzuz und Bonez MC diesen Weg nach mehreren Top-10-Platzierungen nun verdient mit Patz 1 der deutschen Albumcharts.
(Benjamin Borowitza)