Dafür bekannt, unbekannt zu sein: Der Wuppertaler Rapper Prezident konnte sich knapp zehn Jahre lang tief unterm Radar der HipHop-Presse halten, bis sein letztes Album "Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte" für einen kleinen Hype in Insiderkreisen sorgte. Nun steht der Nachfolger ins Haus und die Höllenfahrt Richtung "Limbus" geht weiter – die gleichnamige Platte ist seit wenigen Tagen im Handel erhältlich. Grund genug für uns, den selbsternannten Misanthropen im Niemandsland zum Gespräch zu bitten. Was allerdings als einfache Fragerunde rund um den "ewigen IKEA" und die Karriereentwicklung des Wuppertalers begann, endete in politischen Debatten rund um PEGIDA, die Flüchtlingsthematik und die AfD. Etwas Zeit, über Musik zu sprechen, blieb am Ende aber doch noch.
MZEE.com: Fangen wir doch direkt bei deinem gerade erschienenen Album "Limbus" an. Du hast während der Entstehungszeit gesagt, dass dir der Vorgänger "Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte" im Nachhinein zu "poppig" war. Wie genau definierst du in diesem Rahmen "zu poppig" und findest du, dass "Limbus" soundtechnisch in eine ganz andere Richtung geht?
Prezident: Wenn ich das gesagt habe, war das ein Witz – poppig ist "Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte" definitiv nicht. Allerdings ein wenig zu clean her vom Sound. Bei "Limbus" habe ich drauf geachtet, dass der Sound dreckiger und spannender ist. Insgesamt klingt das Album jetzt nicht fundamental anders, aber doch schon noch mal eigen.
MZEE.com: Findest du denn generell, dass man sich als Künstler soundtechnisch von Album zu Album verändern muss?
Prezident: Nö, generell muss man gar nichts. Aber wenn man auf meinem Niveau alle zwei bis drei Jahre ein vollwertiges Album abliefert, ist es sicherlich nicht verkehrt, wenn das neue Album nicht einfach genauso klingt wie das davor. Und ich finde, das habe ich bis jetzt gut hingekriegt.
MZEE.com: Ich habe mich erst durch unsere Review damit auseinandergesetzt, was der Limbus eigentlich ist und aus welchem Werk er stammt. Magst du kurz erzählen, wie du diesen Ort für dich entdeckt und warum du ihn für dein Album ausgewählt hast?
Prezident: Weiß ich gar nicht mehr, aber ich nehme mal an, bei Dante. Auf jeden Fall ist Dantes Vision des Limbus als Vorhölle der mittelmäßigen Seelen die Metapher, die bei mir hängengeblieben ist und aus der die Idee zum ewigen IKEA entstand. Der Rest des Albums greift das Bild ja dann auch nur noch in einzelnen Lines auf.
MZEE.com: Ich habe hier mal ein Zitat aus unserer "Limbus"-Review mitgebracht: "Zwischen kratzigen Loops, Selbstreflexion und Pathos scheint Prezident sein bisher bestes Werk erschaffen zu haben." Würdest du das so unterschreiben?
Prezident: Mag sein. Es ist immer ein wenig dumm, sein neues Album kurz nach Release – wobei es ja jetzt auch seit fast vier Monaten fertig ist – als sein bestes zu bezeichnen, aber ich bin tatsächlich selber hochzufrieden.
MZEE.com: Gibt es dabei einen Track, mit dem du am allerzufriedensten bist?
Prezident: Schwer zu sagen. Man macht sich ja auch vorher Gedanken, was man zum Beispiel auskoppeln könnte. Und im Prinzip finde ich jeden Track dafür geeignet – vielleicht "Melancholia" nicht als Erstes, weil es zu nah an "Leiden oder Langeweile" ist. Oder "Fressfeind" nicht als Erstes, weil es für mich immer eher ungünstig ist, ein neues Hauptwerk mit einem Battletrack anzukündigen. Aber im Prinzip empfinde ich so ziemlich jeden einzelnen Track auf dem Ding als Hit. Ein paar sind halt neuer und rotieren daher noch ein bisschen mehr oder mit größerem Genuss … Aber grundsätzlich hab' ich da schon das aktuelle Optimum aus mir, Baez und den Kamis (Kamikazes, Anm. d. Red.) rausgeholt.
MZEE.com: Was ist – textlich und inhaltlich gesehen – denn der größte Unterschied zwischen "Limbus" und deinen bisherigen Alben?
Prezident: Ich sehe eine graduelle Entwicklung, die meiner persönlichen entspricht. Thematisch ist jetzt auf dem Album wenig hinzugekommen, aber ich komme vielleicht zu anderen Ergebnissen bei der Bearbeitung dieser Themen … "Was glaubt die Welt denn, wer sie ist" hätte ich so vor zehn Jahren sicherlich nicht verfassen können.
MZEE.com: Heißt das weitergedacht, das Album "Limbus" hätte es so vor ein paar Jahren auf keinen Fall geben können?
Prezident: Nein, aber das ist ja einigermaßen trivial. Oder driftet jetzt ins Philosophische, wenn ich sage, "Limbus" war vor drei Jahren eben "Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte". Und drei Jahre zuvor "Neueste Erkenntnisse vom absteigenden Ast". Und zwei Jahre davor eben "Kleiner Katechismus". Es ist ja nicht so, dass ich, wie bei Filmen oder Büchern, ganze Werke in der Schublade habe – ich mache stets, so gut ich kann, die mir am besten gefallende Musik, zumindest auf den Hauptwerken. Was abfällt, kommt auf die Mixtapes und EPs … das ist dann noch mal was anderes.
MZEE.com: Ich würde gerne mit dir über andere Rapper sprechen. Du bist jemand, der für komplexe und oftmals tiefsinnigere Texte bekannt ist. Kannst du dich mit der deutschen Rapszene insgesamt identifizieren und allgemein auch "simpleren" Rap feiern?
Prezident: Na ja, "insgesamt identifizieren" wäre jetzt auch so ein Statement … Die Szene ist ja breit gefächert, wie soll ich mich mit der in ihrer Gesamtheit identifizieren? Was meine persönlichen Präferenzen angeht, mach' ich ja selten ein Geheimnis daraus, was ich feier'. Kategorien wie komplex oder simpel stellen für mich keine Güteklassen dar.
MZEE.com: Also, ich kenne deinen Musikgeschmack nicht in- und auswendig. (grinst) Aber ich meine zu wissen, dass du seit jeher Absztrakkt-Fan bist.
Prezident: Ja. Bester deutscher Rapper neben Aphroe.
MZEE.com: Was sagst du denn zu den politischen Aussagen, die Absztrakkt vor knapp zwei Monaten via Facebook getroffen hat, und seinem viel diskutierten Track "Walther"?
Prezident: Diesen von ihm geteilten Frühstücksfernsehen-Quatsch habe ich nicht gesehen, die Reaktionen auf "Walther" fand ich ein bisschen albern. Zumindest insofern, dass Hafti davon rappt, wie er Richter und Polizisten aufschlitzt, Koljah rappt: "Ihr seid 80 Millionen, die man abschlachten muss", aber dann bei Absztrakkts "Männern, die sich wehren"-Line irgendeine Linie – wohin auch immer – überschritten worden sein soll. Mir leuchten da manchmal die Relationen nicht ganz ein.
MZEE.com: Vielleicht, weil sich manche Menschen an PEGIDA-Parolen erinnert gefühlt haben und das zu einer Zeit, in der sehr empfindlich auf solche Themen reagiert wird …
Prezident: Natürlich. Aber Rap hat doch allgemein viel von PEGIDA-Parolen. Ersetz mal "Straße" mit "Volk", was eigentlich immer mehr oder weniger das Gleiche meint. Oder stell dir halt einen blonden ostdeutschen Rapper vor, der mit Baseballschläger, Pitbulls und seinen ostdeutschen Freunden Dresden representet und davon rappt, dass sich besser nicht die falschen Leute in seine Gegend verirren. "Muck blöß nicht öff hier, dö Achmed". Wenn man diese "In meiner Gegend geht's krass ab"-Sache konsequent durchdenkt, ist Oury Jalloh 'ne super Background-Story für jeden Ossirapper: "In deiner Gegend werden Kartoffeln abgezogen? Bei uns werden Neger angezündet. Wer ist jetzt geiler?"
MZEE.com: Ich verstehe deinen Gedankengang. Aber dass die einen auch dumme Sachen machen, macht die dummen Sachen des anderen ja nicht besser.
Prezident: Na ja, du hast mich gefragt, was ich von den Reaktionen halte. Und es ging mir jetzt darum, dass mir diese Reaktionen letztlich von einzelnen, im Prinzip fungiblen Vokabeln oder manchmal auch einfach von Haut- und Haarfarben gelenkt erscheinen. Den "Walther" find' ich so mittelgeil, weil ich die PEGIDA-Assoziationen durch das Vokabular schon ein Stück weit nachvollziehen kann und das etwas abturnt beim Hören. Aber ich find's definitiv nicht sonderlich schlimm, wie mich ja auch irgendwelche dösigen Verschwörungstheorien und Gewaltfantasien bei Haft nicht essentiell stören.
MZEE.com: Hat denn die Diskussion, die da stellenweise entfacht wurde, deine Sichtweise auf Absztrakkt oder eure Zusammenarbeit im entferntesten berührt?
Prezident: Nö, hat der Track nicht und die Diskussion sowieso nicht.
MZEE.com: Was mich – wo wir schon bei diesem Thema sind – sehr interessieren würde: Magst du mir kurz sagen, wie du die aktuelle politische Situation in Deutschland empfindest und einschätzt?
Prezident: Hmm, gute Frage … was meinst du konkret?
MZEE.com: Die Flüchtlingsthematik, den "Aufschwung" der AfD in aktuellen Wahlen. Das gefühlte Umdenken vieler Menschen. Das Auf-die-Straße-Gehen und Sichtrauen, eine Meinung zu haben, die nicht ausgesprochen oder akzeptiert wurde. Die Angst, die bei vielen reinspielt, das teils neue politische Interesse. Das Denken, jeder müsse plötzlich mitreden …
Prezident: Joah, zumindest nicht verkehrt, das Umdenken als "gefühlt" zu attributieren. Ehrlich gesagt kenne ich das Programm der AfD nicht, wie ich allgemein an Tagespolitik wenig interessiert bin. Die Auseinandersetzung mit ihr von Seiten einer sich als demokratisch empfindenden Presse schätze ich zumindest zwiespältig ein. Oder, um mal konkreter zu werden: Es mag sicherlich einen Rechtsrutsch – ich finde diese Links-Rechts-Differenzierung, als könnte man Weltsichten und politische Einstellungen summarisch auf einer eindimensionalen Skala anordnen, übrigens unsinnig, aber ich benutz' mal den Begriff – gegeben haben. Allerdings habe ich auch das Gefühl, dass dem ein schrittweises Tabuisieren von Positionen vorausgegangen ist, die noch vor 30 Jahren Menschen völlig eingeleuchtet hätten. Etwa, dass ein Staat eine Grenze hat und dass es die Pflicht des Staates ist, diese Grenze zu beschützen, auch notfalls mit Gewalt. Dafür hat er ja sein Monopol auf physische Einschüchterung und Vernichtung, um es mal ohne alle zivilisatorische Legierung auszudrücken. Wenn nun der oberste Politiker einer sich angesichts der Bilder von über diese Grenzen einströmenden Menschenmassen beunruhigten Bevölkerung achselzuckend erklärt, daran ließe sich eh nichts machen, braucht sich keiner wundern, wenn die Bevölkerung Angst bekommt. Und wenn eine Presselandschaft, die ein solches Eingeständnis von Kontrollverlust achselzuckend weitergibt und dann einige Monate später eine völlig alberne Debatte über Schießbefehle an der Grenze führt – ein paar Monate, bevor Flüchtlinge etwas weiter weg an der türkischen Grenze niedergeschossen werden –, dann stellt sich schon die Frage, wer hier eigentlich zuerst den Verstand verloren hat. Natürlich muss man richtig geistig behindert sein, um jemanden wie Höcke auch nur eine Sekunde ernst zu nehmen, geschweige denn eine Partei zu wählen, in der dieser über das Amt eines Vizebürgermeisters irgendwo am Arsch der Welt in Thüringen hinauskommt. Aber ich neige dazu, für diese 23-Prozent-Eskalation nicht zuletzt eine in ihrer Blase gefangene politische Monokultur samt ihres dümmlichen Pressearms verantwortlich zu machen.
MZEE.com: Ist es für dich verständlich, dass Menschen in Deutschland Angst bekommen, wenn sie im Fernsehen die "über diese Grenzen einströmenden Menschenmassen" sehen?
Prezident: Es ist zumindest eine von verschiedenen möglichen Reaktionen. Dass die Menschen teils auch empathisch reagieren, hat man ja ebenfalls gesehen.
MZEE.com: Dann ziehe ich einen Teil einer Frage von vorhin noch mal hier hin – du hast mir nämlich gerade deine Sichtweise sehr klar aufgeführt, ich würde aber gerne auch wissen, was dein Empfinden war.
Prezident: Ich hab' die Situation recht gespannt verfolgt. Angst hab' ich jetzt keine, wenn du das meinst. Mir ist seit mindestens zehn Jahren bewusst, dass wir aktuell die längste Friedensperiode aller Zeiten in Zentraleuropa hinter uns haben und ich rechne seit Langem sozusagen schon aus statistischen Gründen damit, dass ich noch das Ende dieser Friedensperiode erleben werde. Insofern teile ich diese Untergangsängste, die sich hier und da breitgemacht haben, nicht. "Et kütt, wie et kütt", würde der Kölner sagen.
MZEE.com: Ich würde gerne noch mal kurz auf die Rolle der Presse eingehen. Ich kann nachvollziehen, dass man nicht mit der Art der Berichterstattung, dem Umgang mit bestimmten Themen und politischer Meinungsmache einverstanden ist. Ist es trotz alledem nicht aber auch das Thema jedes einzelnen Bürgers, was er aus Informationen macht, was sie bei ihm bewirken, wie er damit umgeht und wie er letztendlich reagiert? Ich persönlich finde es ein wenig einfach, der Presse einen großen Teil der Reaktionen der Bürger in die Schuhe zu schieben und würde erwarten, dass Menschen ihren Kopf einschalten und ein gewisses Maß an Empathie an den Tag legen.
Prezident: Also, für mich waren die Ukrainekrise und das Aufkommen der AfD die Momente, in denen ich in vollem Umfang gemerkt habe, wie gleichgeschaltet, borniert und dumm die deutsche Presselandschaft ist. Gleichzeitig kann man es auch unpersönlicher formulieren, denn selbstverständlich sind die objektiven Prozesse beschreibbar, die diesen Zustand ergeben und die vielleicht nahelegen, dass die Zeit einer Presse auf einem bestimmten Niveau mit einer bestimmten Reichweite einfach abgelaufen ist. Zunächst einmal sind Journalisten wie jede Berufsgruppe in einer Blase gefangen – es gibt immer eine bestimmte Übereinstimmung hinsichtlich Habitus, Meinungen, Einstellungen, Grundsätzen des Welt- und Menschenbildes et cetera. Und natürlich sind sie – viel mehr noch als andere Menschen, würde ich meinen – von dem betroffen, was man im digitalen Zeitalter als "Filterbubble" bezeichnet. Vor allem im Onlinebereich macht sich die Bubble extrem in der Reproduktion von Darstellungen und Meinungen bemerkbar: Journalisten machen vor allem online doch kaum etwas anderes, als von anderen ihre Texte zusammenzuklauen. Müssen sie ja auch, denn es muss ja ständig Content generiert werden. Erstens einfach, um Klicks zu ziehen und im Wettbewerb zu bestehen. Aber hinzu kommt ja auch, dass die Leser nicht nur ständig Content wollen – wie man im Falle dieses Flugzeugabsturzes gemerkt hat –, sondern dass, wenn Content ausbleibt, direkt eine Verschwörung gewittert wird, wie es bei den Ereignissen nach Köln der Fall war. Dass es mal zwei Tage – Feiertage zudem, in denen die Leser wie Journalisten viel verkatert vorm Rechner hocken – gebraucht hat, bis die Geschehnisse in die ganz großen Zeitungen vorgedrungen sind, hat man gleich als Vertuschung gedeutet. Man kann es also auch objektiver fassen, dass einfach der Beruf des Journalisten vor die Hunde gegangen ist. Aus Umständen, für die keiner persönlich was kann. Aber die Dummheit lässt sich schwer wegdiskutieren. Wie nach Köln dann urplötzlich die 180-Grad-Wende kam und jeder Asylant, der irgendwo schwarzgefahren ist, zu einer Bedrohung stilisiert wurde. So eine Lemminghorde.
MZEE.com: Noch einmal kurz zurück zu der ursprünglichen Frage. Du hast mir gerade geantwortet, was du an der deutschen Presselandschaft infrage stellst – noch mal: Ist es nicht aber auch auf jeden Einzelnen, der das alles unreflektiert hinnimmt, runterzubrechen?
Prezident: Natürlich. Die Journalisten sind ja nicht dümmer als die, die sie bedienen. Nur eben auch nicht schlauer.
MZEE.com: Ich glaube, das war jetzt schon ganz schön viel politischer Exkurs und würde gerne noch auf ein paar andere Themen eingehen. Oder möchtest du hierzu noch etwas loswerden?
Prezident: Von mir aus nicht, du kannst aber gerne weiter fragen, wenn etwas offengeblieben ist. Immerhin hast du ja einen Komplex aufgeworfen, der euch von anderen Interviewern abhebt. Wie du magst.
MZEE.com: Dann sehr gerne. Du hast nämlich vorhin angesprochen, dass es sicherlich einen Rechtsrutsch gegeben hat oder gerade gibt. Es wirkte auf mich so, als fändest du das nicht in Ordnung, aber auch, als würde es dich nicht sonderlich bewegen. Für mich ist es so, dass ich keine Angst hatte, als Menschen über Grenzen traten, dass ich keine Berührungsängste habe, was Flüchtlinge angeht, mir aber die Politik der AfD, weiter gedacht natürlich auch die der NPD, Montagsdemonstrationen und die positiven Wahlergebnisse der genannten Parteien Bauchschmerzen bereiten. Ich bin jemand, der extrem empfindlich ist, was diesen Hass, dieses sehr eingeschränkte Denken und die teilweise nicht vorhandene Empathiefähigkeit angeht. Kannst du das nachvollziehen?
Prezident: Na ja, ich denk' mal distanziert im Sinne von Elias. Ich bin erstaunt darüber, auf welch geringem Niveau diese ganze Diskussion geführt wird, was für seltsame Ängste die Menschen haben, anstatt die Gefahren zu erkennen, die offen daliegen. Es ist sicherlich nicht unproblematisch, die Grenzen zu öffnen und ein paar Millionen Männer in ein wohlsituiertes, aber hochbürokratisches und kaum noch integrationsfähiges Land zu holen, das ihnen nichts bieten kann und wo diese Menschen aller Voraussicht nach nichts als Enttäuschung und Demütigung erwarten wird. Es ist schon ein wenig erstaunlich, dass dir das keine Angst macht.
MZEE.com: Was wäre denn in deinen Augen die Lösung gewesen, anstelle von "ein paar Millionen Männer in ein […] Land zu holen"?
Prezident: Kein Plan. Gut möglich, dass es keine Lösung gibt, beziehungsweise: Was ist schon eine "Lösung" in einer solchen Frage? Prinzipiell wäre es sicherlich vernünftig gewesen, hätte man sich schon in den letzten Jahren, als sich die Krise ja durchaus angekündigt hat, abseits der Dichotomie des lethargischen "Bleibt am besten alle weg oder ertrinkt doch etwas weiter weg im Mittelmeer" und des rigoristisch-realitätsfernen No-Borders-Bla um ein Asylsystem gekümmert, das den Menschen entgegenkommt. Eines, das ihnen hilft und dann auch wirklich eine nahe Zukunft hier bieten kann oder sie ebenso zeitnah und effektiv abweist. Erst reinlassen und dann aber mit aller bürokratischer Härte gegen die Menschen arbeiten, ist sicherlich die schlechteste Idee von allen. Und es wäre gut gewesen, hätte man den hiesigen Menschen das Gefühl vermitteln können, man habe diese Massenbewegungen einigermaßen im Griff. Ich glaub', die unbelehrbaren Nazis, die wirklich "Deutschland den Deutschen" fordern, sind 2016 doch weniger, als man denken mag. Die Menschen, die Angst kriegen, weil ihre Regierung suggeriert, sie befände sich in der Auflösung, befinden sich sicherlich in der Überzahl.
MZEE.com: Kommen wir nun doch noch zu einem ganz anderen Thema. Ich würde gerne wissen, mit welcher Art der Kunst du dich neben Rap noch intensiv, auch konsumierend, auseinandersetzt. Vielleicht hast du ja einen aktuellen Tipp für unsere Leser.
Prezident: Architektur, ich lasse mich nur noch von Architektur inspirieren … "Rundskop" ist ein Film, den ich zuletzt sehr gut fand.
MZEE.com: Und mit was beschäftigst du dich den ganzen Tag? Studierst du noch?
Prezident: Ich hab' im Januar meine Examensarbeit abgegeben, jetzt mache ich den ganzen Tag irgendwas mit Rap. Nach der Tour muss ich einen Tagungsvortrag verschriftlichen und dann schließlich ein paar Prüfungen schreiben, um mein Studium fertig zu kriegen.
MZEE.com: Wie realistisch schätzt du es ein, von Rap leben zu können?
Prezident: Ich leb' seit "Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte" von Rap. Das Album hat sich größtenteils aus meinem Wohnzimmer 3 000 Mal verkauft, zusammen mit Auftritten und Merch konnte ich davon zwei Jahre leben. Seitdem läuft's allerdings eher auf Pump und ich freue mich auf das "Limbus"-Money.
MZEE.com: Möchtest du dennoch einen Beruf ergreifen oder soll das erst mal so bleiben?
Prezident: Kein Plan … Ich glaub', im Unibetrieb habe ich auf lange Sicht keine allzu hochfliegende Zukunft und ebenso wenig Lust, da im Mittelbau zu versacken. Ich denk' mal, dass ich mir die nächsten paar Jahre um Geld nicht so viele Sorgen machen muss … Mal schauen, ob ich mich vielleicht noch an eine Doktorarbeit setze.
MZEE.com: Zum Abschluss: Außer von dir und deiner Crew hört man kaum etwas von Rappern aus Wuppertal. Trügt der Schein, dass in der Stadt wirklich nicht allzu viel in Sachen Rap geht? Kannst du mir vielleicht aber doch einen Newcomer-Tipp geben?
Prezident: Bezüglich Wuppertal habe ich mich das auch schon gefragt, aber nichts wirklich überraschend Dopes gefunden. Allerdings hat SVRL, den ich als jüngeren Bruder vom Fella schon länger kenne und der auch schon seit zehn Jahren Beats baut, in letzter Zeit seine Aktivität gesteigert und ein paar EPs rausgehauen, die man auschecken könnte.
MZEE.com: Vielen Dank für dieses Interview, die viele Zeit, die du dir genommen hast und vor allem deine Offenheit meinen Fragen gegenüber. Das hätte bei Weitem nicht jeder gemacht.
Prezident: Joah, die anderen wären wahrscheinlich schneller überfordert gewesen. Kein Ding.
(Florence Bader)