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Interview

Prezident

"Rap hat doch all­ge­mein viel von PEGIDA-​Parolen. Ersetz mal 'Stra­ße' mit 'Volk', was eigent­lich immer mehr oder weni­ger das Glei­che meint." – Pre­zi­dent im Inter­view über aktu­el­le poli­ti­sche The­men sowie Jour­na­lis­mus in Deutsch­land und sein vor weni­gen Tagen erschie­ne­nes Album "Lim­bus".

Dafür bekannt, unbe­kannt zu sein: Der Wup­per­ta­ler Rap­per Pre­zi­dent konn­te sich knapp zehn Jah­re lang tief unterm Radar der HipHop-​Presse hal­ten, bis sein letz­tes Album "Kunst ist eine besitz­ergrei­fen­de Gelieb­te" für einen klei­nen Hype in Insi­der­krei­sen sorg­te. Nun steht der Nach­fol­ger ins Haus und die Höl­len­fahrt Rich­tung "Lim­bus" geht wei­ter – die gleich­na­mi­ge Plat­te ist seit weni­gen Tagen im Han­del erhält­lich. Grund genug für uns, den selbst­er­nann­ten Mis­an­thro­pen im Nie­mands­land zum Gespräch zu bit­ten. Was aller­dings als ein­fa­che Fra­ge­run­de rund um den "ewi­gen IKEA" und die Kar­rie­re­ent­wick­lung des Wup­per­ta­lers begann, ende­te in poli­ti­schen Debat­ten rund um PEGIDA, die Flücht­lings­the­ma­tik und die AfD. Etwas Zeit, über Musik zu spre­chen, blieb am Ende aber doch noch.

MZEE​.com: Fan­gen wir doch direkt bei dei­nem gera­de erschie­ne­nen Album "Lim­bus" an. Du hast wäh­rend der Ent­ste­hungs­zeit gesagt, dass dir der Vor­gän­ger "Kunst ist eine besitz­ergrei­fen­de Gelieb­te" im Nach­hin­ein zu "pop­pig" war. Wie genau defi­nierst du in die­sem Rah­men "zu pop­pig" und fin­dest du, dass "Lim­bus" sound­tech­nisch in eine ganz ande­re Rich­tung geht?

Pre­zi­dent: Wenn ich das gesagt habe, war das ein Witz – pop­pig ist "Kunst ist eine besitz­ergrei­fen­de Gelieb­te" defi­ni­tiv nicht. Aller­dings ein wenig zu clean her vom Sound. Bei "Lim­bus" habe ich drauf geach­tet, dass der Sound dre­cki­ger und span­nen­der ist. Ins­ge­samt klingt das Album jetzt nicht fun­da­men­tal anders, aber doch schon noch mal eigen.

MZEE​.com: Fin­dest du denn gene­rell, dass man sich als Künst­ler sound­tech­nisch von Album zu Album ver­än­dern muss?

Pre­zi­dent: Nö, gene­rell muss man gar nichts. Aber wenn man auf mei­nem Niveau alle zwei bis drei Jah­re ein voll­wer­ti­ges Album ablie­fert, ist es sicher­lich nicht ver­kehrt, wenn das neue Album nicht ein­fach genau­so klingt wie das davor. Und ich fin­de, das habe ich bis jetzt gut hingekriegt.

MZEE​.com: Ich habe mich erst durch unse­re Review damit aus­ein­an­der­ge­setzt, was der Lim­bus eigent­lich ist und aus wel­chem Werk er stammt. Magst du kurz erzäh­len, wie du die­sen Ort für dich ent­deckt und war­um du ihn für dein Album aus­ge­wählt hast?

Pre­zi­dent: Weiß ich gar nicht mehr, aber ich neh­me mal an, bei Dan­te. Auf jeden Fall ist Dan­tes Visi­on des Lim­bus als Vor­höl­le der mit­tel­mä­ßi­gen See­len die Meta­pher, die bei mir hän­gen­ge­blie­ben ist und aus der die Idee zum ewi­gen IKEA ent­stand. Der Rest des Albums greift das Bild ja dann auch nur noch in ein­zel­nen Lines auf.

MZEE​.com: Ich habe hier mal ein Zitat aus unse­rer "Limbus"-Review mit­ge­bracht: "Zwi­schen krat­zi­gen Loops, Selbst­re­fle­xi­on und Pathos scheint Pre­zi­dent sein bis­her bes­tes Werk erschaf­fen zu haben." Wür­dest du das so unterschreiben?

Pre­zi­dent: Mag sein. Es ist immer ein wenig dumm, sein neu­es Album kurz nach Release – wobei es ja jetzt auch seit fast vier Mona­ten fer­tig ist – als sein bes­tes zu bezeich­nen, aber ich bin tat­säch­lich sel­ber hochzufrieden.

MZEE​.com: Gibt es dabei einen Track, mit dem du am all­er­zu­frie­dens­ten bist?

Pre­zi­dent: Schwer zu sagen. Man macht sich ja auch vor­her Gedan­ken, was man zum Bei­spiel aus­kop­peln könn­te. Und im Prin­zip fin­de ich jeden Track dafür geeig­net – viel­leicht "Melan­cho­lia" nicht als Ers­tes, weil es zu nah an "Lei­den oder Lan­ge­wei­le" ist. Oder "Fress­feind" nicht als Ers­tes, weil es für mich immer eher ungüns­tig ist, ein neu­es Haupt­werk mit einem Batt­le­track anzu­kün­di­gen. Aber im Prin­zip emp­fin­de ich so ziem­lich jeden ein­zel­nen Track auf dem Ding als Hit. Ein paar sind halt neu­er und rotie­ren daher noch ein biss­chen mehr oder mit grö­ße­rem Genuss … Aber grund­sätz­lich hab' ich da schon das aktu­el­le Opti­mum aus mir, Baez und den Kamis (Kami­ka­zes, Anm. d. Red.) rausgeholt.

MZEE​.com: Was ist – text­lich und inhalt­lich gese­hen – denn der größ­te Unter­schied zwi­schen "Lim­bus" und dei­nen bis­he­ri­gen Alben?

Pre­zi­dent: Ich sehe eine gra­du­el­le Ent­wick­lung, die mei­ner per­sön­li­chen ent­spricht. The­ma­tisch ist jetzt auf dem Album wenig hin­zu­ge­kom­men, aber ich kom­me viel­leicht zu ande­ren Ergeb­nis­sen bei der Bear­bei­tung die­ser The­men … "Was glaubt die Welt denn, wer sie ist" hät­te ich so vor zehn Jah­ren sicher­lich nicht ver­fas­sen können.

MZEE​.com: Heißt das wei­ter­ge­dacht, das Album "Lim­bus" hät­te es so vor ein paar Jah­ren auf kei­nen Fall geben können?

Pre­zi­dent: Nein, aber das ist ja eini­ger­ma­ßen tri­vi­al. Oder drif­tet jetzt ins Phi­lo­so­phi­sche, wenn ich sage, "Lim­bus" war vor drei Jah­ren eben "Kunst ist eine besitz­ergrei­fen­de Gelieb­te". Und drei Jah­re zuvor "Neu­es­te Erkennt­nis­se vom abstei­gen­den Ast". Und zwei Jah­re davor eben "Klei­ner Kate­chis­mus". Es ist ja nicht so, dass ich, wie bei Fil­men oder Büchern, gan­ze Wer­ke in der Schub­la­de habe – ich mache stets, so gut ich kann, die mir am bes­ten gefal­len­de Musik, zumin­dest auf den Haupt­wer­ken. Was abfällt, kommt auf die Mix­tapes und EPs … das ist dann noch mal was anderes.

MZEE​.com: Ich wür­de ger­ne mit dir über ande­re Rap­per spre­chen. Du bist jemand, der für kom­ple­xe und oft­mals tief­sin­ni­ge­re Tex­te bekannt ist. Kannst du dich mit der deut­schen Rap­sze­ne ins­ge­samt iden­ti­fi­zie­ren und all­ge­mein auch "simp­le­ren" Rap feiern?

Pre­zi­dent: Na ja, "ins­ge­samt iden­ti­fi­zie­ren" wäre jetzt auch so ein State­ment … Die Sze­ne ist ja breit gefä­chert, wie soll ich mich mit der in ihrer Gesamt­heit iden­ti­fi­zie­ren? Was mei­ne per­sön­li­chen Prä­fe­ren­zen angeht, mach' ich ja sel­ten ein Geheim­nis dar­aus, was ich fei­er'. Kate­go­rien wie kom­plex oder sim­pel stel­len für mich kei­ne Güte­klas­sen dar.

MZEE​.com: Also, ich ken­ne dei­nen Musik­ge­schmack nicht in- und aus­wen­dig. (grinst) Aber ich mei­ne zu wis­sen, dass du seit jeher Absztrakkt-​Fan bist.

Pre­zi­dent: Ja. Bes­ter deut­scher Rap­per neben Aphroe.

MZEE​.com: Was sagst du denn zu den poli­ti­schen Aus­sa­gen, die Absz­trakkt vor knapp zwei Mona­ten via Face­book getrof­fen hat, und sei­nem viel dis­ku­tier­ten Track "Walt­her"?

Pre­zi­dent: Die­sen von ihm geteil­ten Frühstücksfernsehen-​Quatsch habe ich nicht gese­hen, die Reak­tio­nen auf "Walt­her" fand ich ein biss­chen albern. Zumin­dest inso­fern, dass Haf­ti davon rappt, wie er Rich­ter und Poli­zis­ten auf­schlitzt, Kol­jah rappt: "Ihr seid 80 Mil­lio­nen, die man abschlach­ten muss", aber dann bei Absz­trakkts "Män­nern, die sich wehren"-Line irgend­ei­ne Linie – wohin auch immer – über­schrit­ten wor­den sein soll. Mir leuch­ten da manch­mal die Rela­tio­nen nicht ganz ein.

MZEE​.com: Viel­leicht, weil sich man­che Men­schen an PEGIDA-​Parolen erin­nert gefühlt haben und das zu einer Zeit, in der sehr emp­find­lich auf sol­che The­men reagiert wird …

Pre­zi­dent: Natür­lich. Aber Rap hat doch all­ge­mein viel von PEGIDA-​Parolen. Ersetz mal "Stra­ße" mit "Volk", was eigent­lich immer mehr oder weni­ger das Glei­che meint. Oder stell dir halt einen blon­den ost­deut­schen Rap­per vor, der mit Base­ball­schlä­ger, Pit­bulls und sei­nen ost­deut­schen Freun­den Dres­den repre­sen­tet und davon rappt, dass sich bes­ser nicht die fal­schen Leu­te in sei­ne Gegend ver­ir­ren. "Muck blöß nicht öff hier, dö Ach­med". Wenn man die­se "In mei­ner Gegend geht's krass ab"-Sache kon­se­quent durch­denkt, ist Oury Jal­loh 'ne super Background-​Story für jeden Ossi­rap­per: "In dei­ner Gegend wer­den Kar­tof­feln abge­zo­gen? Bei uns wer­den Neger ange­zün­det. Wer ist jetzt geiler?"

MZEE​.com: Ich ver­ste­he dei­nen Gedan­ken­gang. Aber dass die einen auch dum­me Sachen machen, macht die dum­men Sachen des ande­ren ja nicht besser.

Pre­zi­dent: Na ja, du hast mich gefragt, was ich von den Reak­tio­nen hal­te. Und es ging mir jetzt dar­um, dass mir die­se Reak­tio­nen letzt­lich von ein­zel­nen, im Prin­zip fun­gi­blen Voka­beln oder manch­mal auch ein­fach von Haut- und Haar­far­ben gelenkt erschei­nen. Den "Walt­her" find' ich so mit­tel­geil, weil ich die PEGIDA-​Assoziationen durch das Voka­bu­lar schon ein Stück weit nach­voll­zie­hen kann und das etwas abturnt beim Hören. Aber ich find's defi­ni­tiv nicht son­der­lich schlimm, wie mich ja auch irgend­wel­che dösi­gen Ver­schwö­rungs­theo­rien und Gewalt­fan­ta­sien bei Haft nicht essen­ti­ell stören.

MZEE​.com: Hat denn die Dis­kus­si­on, die da stel­len­wei­se ent­facht wur­de, dei­ne Sicht­wei­se auf Absz­trakkt oder eure Zusam­men­ar­beit im ent­fern­tes­ten berührt?

Pre­zi­dent: Nö, hat der Track nicht und die Dis­kus­si­on sowie­so nicht.

prezibunt

MZEE​.com: Was mich – wo wir schon bei die­sem The­ma sind – sehr inter­es­sie­ren wür­de: Magst du mir kurz sagen, wie du die aktu­el­le poli­ti­sche Situa­ti­on in Deutsch­land emp­fin­dest und einschätzt?

Pre­zi­dent: Hmm, gute Fra­ge … was meinst du konkret?

MZEE​.com: Die Flücht­lings­the­ma­tik, den "Auf­schwung" der AfD in aktu­el­len Wah­len. Das gefühl­te Umden­ken vie­ler Men­schen. Das Auf-​die-​Straße-​Gehen und Sicht­rau­en, eine Mei­nung zu haben, die nicht aus­ge­spro­chen oder akzep­tiert wur­de. Die Angst, die bei vie­len rein­spielt, das teils neue poli­ti­sche Inter­es­se. Das Den­ken, jeder müs­se plötz­lich mitreden …

Pre­zi­dent: Joah, zumin­dest nicht ver­kehrt, das Umden­ken als "gefühlt" zu attri­bu­tie­ren. Ehr­lich gesagt ken­ne ich das Pro­gramm der AfD nicht, wie ich all­ge­mein an Tages­po­li­tik wenig inter­es­siert bin. Die Aus­ein­an­der­set­zung mit ihr von Sei­ten einer sich als demo­kra­tisch emp­fin­den­den Pres­se schät­ze ich zumin­dest zwie­späl­tig ein. Oder, um mal kon­kre­ter zu wer­den: Es mag sicher­lich einen Rechts­rutsch – ich fin­de die­se Links-​Rechts-​Differenzierung, als könn­te man Welt­sich­ten und poli­ti­sche Ein­stel­lun­gen sum­ma­risch auf einer ein­di­men­sio­na­len Ska­la anord­nen, übri­gens unsin­nig, aber ich benutz' mal den Begriff – gege­ben haben. Aller­dings habe ich auch das Gefühl, dass dem ein schritt­wei­ses Tabui­sie­ren von Posi­tio­nen vor­aus­ge­gan­gen ist, die noch vor 30 Jah­ren Men­schen völ­lig ein­ge­leuch­tet hät­ten. Etwa, dass ein Staat eine Gren­ze hat und dass es die Pflicht des Staa­tes ist, die­se Gren­ze zu beschüt­zen, auch not­falls mit Gewalt. Dafür hat er ja sein Mono­pol auf phy­si­sche Ein­schüch­te­rung und Ver­nich­tung, um es mal ohne alle zivi­li­sa­to­ri­sche Legie­rung aus­zu­drü­cken. Wenn nun der obers­te Poli­ti­ker einer sich ange­sichts der Bil­der von über die­se Gren­zen ein­strö­men­den Men­schen­mas­sen beun­ru­hig­ten Bevöl­ke­rung ach­sel­zu­ckend erklärt, dar­an lie­ße sich eh nichts machen, braucht sich kei­ner wun­dern, wenn die Bevöl­ke­rung Angst bekommt. Und wenn eine Pres­se­land­schaft, die ein sol­ches Ein­ge­ständ­nis von Kon­troll­ver­lust ach­sel­zu­ckend wei­ter­gibt und dann eini­ge Mona­te spä­ter eine völ­lig alber­ne Debat­te über Schieß­be­feh­le an der Gren­ze führt – ein paar Mona­te, bevor Flücht­lin­ge etwas wei­ter weg an der tür­ki­schen Gren­ze nie­der­ge­schos­sen wer­den –, dann stellt sich schon die Fra­ge, wer hier eigent­lich zuerst den Ver­stand ver­lo­ren hat. Natür­lich muss man rich­tig geis­tig behin­dert sein, um jeman­den wie Höcke auch nur eine Sekun­de ernst zu neh­men, geschwei­ge denn eine Par­tei zu wäh­len, in der die­ser über das Amt eines Vize­bür­ger­meis­ters irgend­wo am Arsch der Welt in Thü­rin­gen hin­aus­kommt. Aber ich nei­ge dazu, für die­se 23-​Prozent-​Eskalation nicht zuletzt eine in ihrer Bla­se gefan­ge­ne poli­ti­sche Mono­kul­tur samt ihres dümm­li­chen Pres­se­arms ver­ant­wort­lich zu machen.

MZEE​.com: Ist es für dich ver­ständ­lich, dass Men­schen in Deutsch­land Angst bekom­men, wenn sie im Fern­se­hen die "über die­se Gren­zen ein­strö­men­den Men­schen­mas­sen" sehen?

Pre­zi­dent: Es ist zumin­dest eine von ver­schie­de­nen mög­li­chen Reak­tio­nen. Dass die Men­schen teils auch empa­thisch reagie­ren, hat man ja eben­falls gesehen.

MZEE​.com: Dann zie­he ich einen Teil einer Fra­ge von vor­hin noch mal hier hin – du hast mir näm­lich gera­de dei­ne Sicht­wei­se sehr klar auf­ge­führt, ich wür­de aber ger­ne auch wis­sen, was dein Emp­fin­den war.

Pre­zi­dent: Ich hab' die Situa­ti­on recht gespannt ver­folgt. Angst hab' ich jetzt kei­ne, wenn du das meinst. Mir ist seit min­des­tens zehn Jah­ren bewusst, dass wir aktu­ell die längs­te Frie­dens­pe­ri­ode aller Zei­ten in Zen­tral­eu­ro­pa hin­ter uns haben und ich rech­ne seit Lan­gem sozu­sa­gen schon aus sta­tis­ti­schen Grün­den damit, dass ich noch das Ende die­ser Frie­dens­pe­ri­ode erle­ben wer­de. Inso­fern tei­le ich die­se Unter­gangs­ängs­te, die sich hier und da breit­ge­macht haben, nicht. "Et kütt, wie et kütt", wür­de der Köl­ner sagen.

MZEE​.com: Ich wür­de ger­ne noch mal kurz auf die Rol­le der Pres­se ein­ge­hen. Ich kann nach­voll­zie­hen, dass man nicht mit der Art der Bericht­erstat­tung, dem Umgang mit bestimm­ten The­men und poli­ti­scher Mei­nungs­ma­che ein­ver­stan­den ist. Ist es trotz alle­dem nicht aber auch das The­ma jedes ein­zel­nen Bür­gers, was er aus Infor­ma­tio­nen macht, was sie bei ihm bewir­ken, wie er damit umgeht und wie er letzt­end­lich reagiert? Ich per­sön­lich fin­de es ein wenig ein­fach, der Pres­se einen gro­ßen Teil der Reak­tio­nen der Bür­ger in die Schu­he zu schie­ben und wür­de erwar­ten, dass Men­schen ihren Kopf ein­schal­ten und ein gewis­ses Maß an Empa­thie an den Tag legen.

Pre­zi­dent: Also, für mich waren die Ukrai­ne­kri­se und das Auf­kom­men der AfD die Momen­te, in denen ich in vol­lem Umfang gemerkt habe, wie gleich­ge­schal­tet, bor­niert und dumm die deut­sche Pres­se­land­schaft ist. Gleich­zei­tig kann man es auch unper­sön­li­cher for­mu­lie­ren, denn selbst­ver­ständ­lich sind die objek­ti­ven Pro­zes­se beschreib­bar, die die­sen Zustand erge­ben und die viel­leicht nahe­le­gen, dass die Zeit einer Pres­se auf einem bestimm­ten Niveau mit einer bestimm­ten Reich­wei­te ein­fach abge­lau­fen ist. Zunächst ein­mal sind Jour­na­lis­ten wie jede Berufs­grup­pe in einer Bla­se gefan­gen – es gibt immer eine bestimm­te Über­ein­stim­mung hin­sicht­lich Habi­tus, Mei­nun­gen, Ein­stel­lun­gen, Grund­sät­zen des Welt- und Men­schen­bil­des et cete­ra. Und natür­lich sind sie – viel mehr noch als ande­re Men­schen, wür­de ich mei­nen – von dem betrof­fen, was man im digi­ta­len Zeit­al­ter als "Fil­ter­bubble" bezeich­net. Vor allem im Online­be­reich macht sich die Bubble extrem in der Repro­duk­ti­on von Dar­stel­lun­gen und Mei­nun­gen bemerk­bar: Jour­na­lis­ten machen vor allem online doch kaum etwas ande­res, als von ande­ren ihre Tex­te zusam­men­zu­klau­en. Müs­sen sie ja auch, denn es muss ja stän­dig Con­tent gene­riert wer­den. Ers­tens ein­fach, um Klicks zu zie­hen und im Wett­be­werb zu bestehen. Aber hin­zu kommt ja auch, dass die Leser nicht nur stän­dig Con­tent wol­len – wie man im Fal­le die­ses Flug­zeug­ab­stur­zes gemerkt hat –, son­dern dass, wenn Con­tent aus­bleibt, direkt eine Ver­schwö­rung gewit­tert wird, wie es bei den Ereig­nis­sen nach Köln der Fall war. Dass es mal zwei Tage – Fei­er­ta­ge zudem, in denen die Leser wie Jour­na­lis­ten viel ver­ka­tert vorm Rech­ner hocken – gebraucht hat, bis die Gescheh­nis­se in die ganz gro­ßen Zei­tun­gen vor­ge­drun­gen sind, hat man gleich als Ver­tu­schung gedeu­tet. Man kann es also auch objek­ti­ver fas­sen, dass ein­fach der Beruf des Jour­na­lis­ten vor die Hun­de gegan­gen ist. Aus Umstän­den, für die kei­ner per­sön­lich was kann. Aber die Dumm­heit lässt sich schwer weg­dis­ku­tie­ren. Wie nach Köln dann urplötz­lich die 180-​Grad-​Wende kam und jeder Asy­lant, der irgend­wo schwarz­ge­fah­ren ist, zu einer Bedro­hung sti­li­siert wur­de. So eine Lemminghorde.

MZEE​.com: Noch ein­mal kurz zurück zu der ursprüng­li­chen Fra­ge. Du hast mir gera­de geant­wor­tet, was du an der deut­schen Pres­se­land­schaft infra­ge stellst – noch mal: Ist es nicht aber auch auf jeden Ein­zel­nen, der das alles unre­flek­tiert hin­nimmt, runterzubrechen?

Pre­zi­dent: Natür­lich. Die Jour­na­lis­ten sind ja nicht düm­mer als die, die sie bedie­nen. Nur eben auch nicht schlauer.

prezixx

MZEE​.com: Ich glau­be, das war jetzt schon ganz schön viel poli­ti­scher Exkurs und wür­de ger­ne noch auf ein paar ande­re The­men ein­ge­hen. Oder möch­test du hier­zu noch etwas loswerden?

Pre­zi­dent: Von mir aus nicht, du kannst aber ger­ne wei­ter fra­gen, wenn etwas offen­ge­blie­ben ist. Immer­hin hast du ja einen Kom­plex auf­ge­wor­fen, der euch von ande­ren Inter­view­ern abhebt. Wie du magst.

MZEE​.com: Dann sehr ger­ne. Du hast näm­lich vor­hin ange­spro­chen, dass es sicher­lich einen Rechts­rutsch gege­ben hat oder gera­de gibt. Es wirk­te auf mich so, als fän­dest du das nicht in Ord­nung, aber auch, als wür­de es dich nicht son­der­lich bewe­gen. Für mich ist es so, dass ich kei­ne Angst hat­te, als Men­schen über Gren­zen tra­ten, dass ich kei­ne Berüh­rungs­ängs­te habe, was Flücht­lin­ge angeht, mir aber die Poli­tik der AfD, wei­ter gedacht natür­lich auch die der NPD, Mon­tags­de­mons­tra­tio­nen und die posi­ti­ven Wahl­er­geb­nis­se der genann­ten Par­tei­en Bauch­schmer­zen berei­ten. Ich bin jemand, der extrem emp­find­lich ist, was die­sen Hass, die­ses sehr ein­ge­schränk­te Den­ken und die teil­wei­se nicht vor­han­de­ne Empa­thie­fä­hig­keit angeht. Kannst du das nachvollziehen?

Pre­zi­dent: Na ja, ich denk' mal distan­ziert im Sin­ne von Eli­as. Ich bin erstaunt dar­über, auf welch gerin­gem Niveau die­se gan­ze Dis­kus­si­on geführt wird, was für selt­sa­me Ängs­te die Men­schen haben, anstatt die Gefah­ren zu erken­nen, die offen dalie­gen. Es ist sicher­lich nicht unpro­ble­ma­tisch, die Gren­zen zu öff­nen und ein paar Mil­lio­nen Män­ner in ein wohl­si­tu­ier­tes, aber hoch­bü­ro­kra­ti­sches und kaum noch inte­gra­ti­ons­fä­hi­ges Land zu holen, das ihnen nichts bie­ten kann und wo die­se Men­schen aller Vor­aus­sicht nach nichts als Ent­täu­schung und Demü­ti­gung erwar­ten wird. Es ist schon ein wenig erstaun­lich, dass dir das kei­ne Angst macht.

MZEE​.com: Was wäre denn in dei­nen Augen die Lösung gewe­sen, anstel­le von "ein paar Mil­lio­nen Män­ner in ein […] Land zu holen"?

Pre­zi­dent: Kein Plan. Gut mög­lich, dass es kei­ne Lösung gibt, bezie­hungs­wei­se: Was ist schon eine "Lösung" in einer sol­chen Fra­ge? Prin­zi­pi­ell wäre es sicher­lich ver­nünf­tig gewe­sen, hät­te man sich schon in den letz­ten Jah­ren, als sich die Kri­se ja durch­aus ange­kün­digt hat, abseits der Dicho­to­mie des lethar­gi­schen "Bleibt am bes­ten alle weg oder ertrinkt doch etwas wei­ter weg im Mit­tel­meer" und des rigoristisch-​realitätsfernen No-​Borders-​Bla um ein Asyl­sys­tem geküm­mert, das den Men­schen ent­ge­gen­kommt. Eines, das ihnen hilft und dann auch wirk­lich eine nahe Zukunft hier bie­ten kann oder sie eben­so zeit­nah und effek­tiv abweist. Erst rein­las­sen und dann aber mit aller büro­kra­ti­scher Här­te gegen die Men­schen arbei­ten, ist sicher­lich die schlech­tes­te Idee von allen. Und es wäre gut gewe­sen, hät­te man den hie­si­gen Men­schen das Gefühl ver­mit­teln kön­nen, man habe die­se Mas­sen­be­we­gun­gen eini­ger­ma­ßen im Griff. Ich glaub', die unbe­lehr­ba­ren Nazis, die wirk­lich "Deutsch­land den Deut­schen" for­dern, sind 2016 doch weni­ger, als man den­ken mag. Die Men­schen, die Angst krie­gen, weil ihre Regie­rung sug­ge­riert, sie befän­de sich in der Auf­lö­sung, befin­den sich sicher­lich in der Überzahl.

MZEE​.com: Kom­men wir nun doch noch zu einem ganz ande­ren The­ma. Ich wür­de ger­ne wis­sen, mit wel­cher Art der Kunst du dich neben Rap noch inten­siv, auch kon­su­mie­rend, aus­ein­an­der­setzt. Viel­leicht hast du ja einen aktu­el­len Tipp für unse­re Leser.

Pre­zi­dent: Archi­tek­tur, ich las­se mich nur noch von Archi­tek­tur inspi­rie­ren … "Rund­skop" ist ein Film, den ich zuletzt sehr gut fand.

MZEE​.com: Und mit was beschäf­tigst du dich den gan­zen Tag? Stu­dierst du noch?

Pre­zi­dent: Ich hab' im Janu­ar mei­ne Examens­ar­beit abge­ge­ben, jetzt mache ich den gan­zen Tag irgend­was mit Rap. Nach der Tour muss ich einen Tagungs­vor­trag ver­schrift­li­chen und dann schließ­lich ein paar Prü­fun­gen schrei­ben, um mein Stu­di­um fer­tig zu kriegen.

MZEE​.com: Wie rea­lis­tisch schätzt du es ein, von Rap leben zu können?

Pre­zi­dent: Ich leb' seit "Kunst ist eine besitz­ergrei­fen­de Gelieb­te" von Rap. Das Album hat sich größ­ten­teils aus mei­nem Wohn­zim­mer 3 000 Mal ver­kauft, zusam­men mit Auf­trit­ten und Merch konn­te ich davon zwei Jah­re leben. Seit­dem läuft's aller­dings eher auf Pump und ich freue mich auf das "Limbus"-Money.

MZEE​.com: Möch­test du den­noch einen Beruf ergrei­fen oder soll das erst mal so bleiben?

Pre­zi­dent: Kein Plan … Ich glaub', im Uni­be­trieb habe ich auf lan­ge Sicht kei­ne all­zu hoch­flie­gen­de Zukunft und eben­so wenig Lust, da im Mit­tel­bau zu ver­sa­cken. Ich denk' mal, dass ich mir die nächs­ten paar Jah­re um Geld nicht so vie­le Sor­gen machen muss … Mal schau­en, ob ich mich viel­leicht noch an eine Dok­tor­ar­beit setze.

MZEE​.com: Zum Abschluss: Außer von dir und dei­ner Crew hört man kaum etwas von Rap­pern aus Wup­per­tal. Trügt der Schein, dass in der Stadt wirk­lich nicht all­zu viel in Sachen Rap geht? Kannst du mir viel­leicht aber doch einen Newcomer-​Tipp geben?

Pre­zi­dent: Bezüg­lich Wup­per­tal habe ich mich das auch schon gefragt, aber nichts wirk­lich über­ra­schend Dopes gefun­den. Aller­dings hat SVRL, den ich als jün­ge­ren Bru­der vom Fel­la schon län­ger ken­ne und der auch schon seit zehn Jah­ren Beats baut, in letz­ter Zeit sei­ne Akti­vi­tät gestei­gert und ein paar EPs raus­ge­hau­en, die man aus­che­cken könnte.

MZEE​.com: Vie­len Dank für die­ses Inter­view, die vie­le Zeit, die du dir genom­men hast und vor allem dei­ne Offen­heit mei­nen Fra­gen gegen­über. Das hät­te bei Wei­tem nicht jeder gemacht.

Pre­zi­dent: Joah, die ande­ren wären wahr­schein­lich schnel­ler über­for­dert gewe­sen. Kein Ding.

(Flo­rence Bader)