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Das hat mit HipHop was zu tun

"Untergrund aus Prinzip" – die Tapefabrik

"Ein Farid Bang zum Bei­spiel wür­de bei uns nie­mals statt­fin­den." – Tapefabrik-​Gründer Maxi­mi­li­an Schneider-​Ludorff erklärt uns, wie er auf die Idee kam, ein alter­na­ti­ves Kon­zept zu "Mainstream-HipHop"-Festivals an den Start zu brin­gen und lässt die Geschich­te der Tape­fa­brik Revue passieren.

Hip­Hop gleich Rap – oder? Zuge­ge­ben: Rap­mu­sik nimmt einen gro­ßen Teil der Sub­kul­tur ein, was wohl auch ein Stück weit am stark ange­stie­ge­nen "media­len Hype" der letz­ten Jah­re liegt. Doch in Zei­ten, in denen Sprech­ge­sang regel­mä­ßig die Charts anführt, rückt der ursprüng­li­che Community-​Gedanke – zumin­dest ober­fläch­lich betrach­tet – zuse­hends in den Hin­ter­grund. Dabei gibt es nach wie vor genug Men­schen, deren Schaf­fen fern­ab von Booth und MPC statt­fin­det und die ihrer­seits einen nicht uner­heb­li­chen Bei­trag zur HipHop-​Kultur leis­ten. In dem MZEE.com-Format "Das hat mit Hip­Hop was zu tun" wol­len wir eben­die­se Leu­te zu Wort kom­men las­sen, die sich in irgend­ei­ner Form, viel­leicht sogar aus einer tat­säch­li­chen Lei­den­schaft her­aus, mit Hip­Hop aus­ein­an­der­set­zen, als "Nicht-​Rapper" jedoch sel­ten im Ram­pen­licht stehen.

 

Kei­ne Fra­ge, Deutschrap ist zur­zeit in aller Mun­de. Die durch "Offi­ci­al HD"-Videos gepräg­te Außen­wir­kung beschränkt sich dabei jedoch über­wie­gend auf ver­zerrt nuscheln­de Jüng­lin­ge und Reim­sal­ven feu­ern­de Stier­na­cken. Sprech­ge­sang tra­di­tio­nel­ler Mach­art hat sich indes größ­ten­teils in den unkom­mer­zi­el­len "Unter­grund" zurück­ge­zo­gen. Dort hat in den letz­ten Jah­ren immer wie­der eine Ver­an­stal­tung für Auf­se­hen gesorgt: die Wies­ba­de­ner "Tape­fa­brik". Durch Events mit teils atem­be­rau­ben­dem Line-​Up, eige­nen Sam­plern auf Vinyl oder die enge Zusam­men­ar­beit mit den Künst­lern – die Tape­fa­brik ist "Unter­grund aus Prin­zip". Wahr­schein­lich ist in die­sem Zusam­men­hang dem ein oder ande­ren Rap-​Connaisseur auch Maxi­mi­li­an Schneider-​Ludorff ein Begriff. Der 27-​Jährige ist näm­lich nicht nur Grün­der und Geschäfts­füh­rer der Tape­fa­brik, son­dern auch pri­vat begeis­ter­ter HipHop-​Fan. So betei­ligt er sich bei­spiels­wei­se am Blog "Dai­ly Rap" und unter­stützt das Kon­text Wies­ba­den in der Pro­gramm­ge­stal­tung. Doch wie kam es dazu, dass aus der pri­va­ten Pas­si­on ein gan­zes Fes­ti­val wurde?

Vor vier Jah­ren beginnt Maxi­mi­li­an mit eini­gen Freun­den, die bis dahin an einem gemein­sa­men Band­pro­jekt gear­bei­tet haben, die Pla­nung für ein HipHop-​Konzert in Wies­ba­den. Ohne die Arbeit in der Band fehlt den Betei­lig­ten eine Mög­lich­keit, die eige­nen Talen­te ein­zu­set­zen und sich lei­den­schaft­lich der Musik zu wid­men. Somit muss für die­se Lei­den­schaft eine neue Hei­mat gefun­den wer­den. Die Marsch­rich­tung ist von Anfang an klar: Die Lieb­lings­mu­sik der dama­li­gen Lim­bur­ger – über­wie­gend im Bereich des Untergrund-​Raps – soll eine Büh­ne bekommen.

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Maxi­mi­li­an Schneider-​Ludorff, Kopf der Tapefabrik.

Das Kon­zept der Tape­fa­brik weicht spür­bar von ver­gleich­ba­ren Ver­an­stal­tun­gen ab: Von Beginn an wird viel Wert auf ein enges Ver­hält­nis zu den Musi­kern gelegt sowie auf ein run­des Ange­bot, das in allen Berei­chen auf Qua­li­tät setzt. Mit dem Kul­tur­zen­trum Schlacht­hof in Wies­ba­den fin­det sich eine Insti­tu­ti­on, bei der man mit dem "Do-it-yourself"-Gedanken ver­traut ist und den "ursprüng­li­chen" HipHop-​Spirit unter­stützt. Das ers­te Tapefabrik-​Festival wird vor allem durch lie­be­vol­le Klein­ar­beit und per­sön­li­che Kon­tak­te zu Künst­lern mög­lich gemacht. Somit über­zeugt die Ver­an­stal­tung durch ein außer­ge­wöhn­li­ches Boo­king jen­seits von Kom­merz und Pop­kul­tur, des­sen enor­me Brei­te unter Ken­nern Anklang fin­det und das Fes­ti­val regel­mä­ßig zu einem Sze­ne­treff macht – fast wie in alten Tagen.

Was man ange­sichts des­sen kaum ver­mu­ten wür­de: Nach wie vor tre­ten aus­schließ­lich Künst­ler auf, mit denen die Ver­an­stal­ter "etwas anfan­gen kön­nen". Außer­dem besit­zen die Künst­ler selbst eine gewis­se Hal­tung zur Musik, wel­che sich vor allem dadurch aus­zeich­net, dass nicht der Kom­merz im Vor­der­grund steht, son­dern die künst­le­ri­sche Selbst­ver­wirk­li­chung. "Ein Farid Bang zum Bei­spiel wür­de bei uns nie­mals statt­fin­den", berich­tet Maxi­mi­li­an Schneider-​Ludorff.  Das wer­de nicht pas­sie­ren, weil die­se Musik nicht zu dem pas­se, was die Tape­fa­brik mit ihrem Booking-​Konzept dar­stel­len will. Eini­ge Acts erhal­ten mit der Tape­fa­brik eine Platt­form, der sie nicht nur regel­mä­ßi­ge Auf­trit­te ver­dan­ken – in Wies­ba­den fin­den immer wie­der auch Gigs ein­zel­ner Künst­ler statt –, son­dern auch eine soli­de Hörer­schaft. Rap­per wie elo­Quent oder Edgar Was­ser erwer­ben wohl auch dank des Events und der von den Auf­trit­ten im Inter­net ver­öf­fent­lich­ten Vide­os über­re­gio­na­le Bekannt­heit und den Respekt in der Sze­ne – oder wer­den von Boo­kern ande­rer Events erst entdeckt.

Fly­er zum sechs­ten Tapefabrik-​Festival am 15.05.2015.

Die­se Ein­stel­lung ist im hoch­kom­mer­zi­el­len Musik­busi­ness wohl als ein­zig­ar­tig zu bezeich­nen. Doch sie macht es auch mög­lich, dass Maxi­mi­li­an und sei­ne Mit­ar­bei­ter Grup­pen wie ABS, Spe­zia­liztz oder Creutz­feld & Jakob auf ein­mal wie­der auf einer Büh­ne ste­hen las­sen. Vie­le Künst­ler sind ob die­ses Spi­rits froh, Teil der Tape­fa­brik sein zu dür­fen. So neh­men vie­le lan­ge Wege und gerin­ge Gagen in Kauf, um in Wies­ba­den auf­zu­tre­ten. Das führt auch dazu, dass die Tape­fa­brik im Janu­ar 2014 eine eige­ne Schall­plat­te prä­sen­tie­ren kann, auf der aus­schließ­lich Inter­pre­ten aus dem Line-​Up ver­tre­ten sind – teil­wei­se mit exklu­si­ven Tracks. 2015 folgt dann die zwei­te Auf­la­ge. Auf der Tape­fa­brik #6 in Ber­lin gibt es Shirts aus Kollaborations-​Projekten ver­schie­de­ner Künst­ler mit der Tape­fa­brik zu erwer­ben, wäh­rend Schau­fel und Spa­ten ihr Album­re­lease fei­ern und Slo­wy & 12Vince eine strengs­tens limi­tier­te EP an den Mann brin­gen. Über­haupt merkt man der Tape­fa­brik an, dass hier nichts nur auf­grund des Gel­des bewegt wird. Den­noch ist das Team um Maxi­mi­li­an so ambi­tio­niert, dass das Fes­ti­val 2015 in sei­nem vier­ten Jahr an gleich zwei neu­en Loca­ti­ons statt­fin­det. Das bedeu­tet beson­ders ein finan­zi­el­les Wag­nis: Im Ver­gleich zum Vor­jahr sind die Zuschau­er­zah­len 2015 in Wies­ba­den eher beschei­den und auch der Vor­ver­kauf für die Ber­li­ner Aus­ga­be ver­läuft eher schlep­pend. Maxi­mi­li­an bleibt trotz der erns­ten Lage idea­lis­tisch: "Wir wären, glau­be ich, jeder­zeit dazu in der Lage, ein Fes­ti­val zu machen, bei dem wir sagen kön­nen: 'Auf jeden Fall, da müs­sen wir uns kei­ne Sor­gen machen, weil wir gro­ße Künst­ler haben, zu denen sowie­so Leu­te kom­men.'" Die Tape­fa­brik exis­tie­re sei­ner Mei­nung nach, da es ein Publi­kum gibt, das genau die­se Art von Musik fei­ert. "Die­se Leu­te tra­gen die Tape­fa­brik, sie sind die Tape­fa­brik."

Für Ken­ner des Fes­ti­vals ist die­se Ein­stel­lung durch­aus ver­ständ­lich. Statt pöbeln­der Atzen mit Neon­bril­len oder Swag-​Schönlingen im 1.000 Euro-​Outfit steht die Tape­fa­brik für tie­fen­ent­spann­te Leu­te, die erkenn­bar der Musik wegen zu den Events kom­men und dafür oft in einem unbe­heiz­ten Klein­bus oder einer über­füll­ten Bahn durchs hal­be Land fah­ren. "Wenn man auf ande­re Fes­ti­vals geht, sieht man vie­le Besu­cher, die da auf Ran­da­le aus sind und Par­ty machen wol­len und viel trin­ken … Bei uns ist das nicht so. Die Leu­te har­mo­nie­ren ein­fach unglaub­lich gut: auf der Büh­ne, vor der Büh­ne, hin­ter der Büh­ne. Ich fin­de, dass das auf vie­len ande­ren Fes­ti­vals fehlt", reflek­tiert Kai, ein Boo­ker der Tapefabrik.

Fly­er zur "Beer­di­gung" der Tape­fa­brik am 20.09.2015.

Den­noch: Zum Ber­li­ner Tapefabrik-​Festival kom­men nicht ansatz­wei­se so vie­le Gäs­te wie erhofft. Statt des Beginns einer Expan­si­on hat die­ses Event die Tape­fa­brik finan­zi­ell so stark aus dem Gleich­ge­wicht gebracht, dass sie schließ­lich Insol­venz anmel­den muss. Doch wer denkt, dies sei das Ende, irrt gewal­tig: Bereits am 20. Sep­tem­ber wird in Wies­ba­den eine "Beer­di­gung" aus­ge­rich­tet und die Tape­fa­brik kann noch ein­mal zei­gen, was sie zu bie­ten hat. Neben Kon­zer­ten befreun­de­ter Künst­ler rich­tet das Splash!-Mag einen Beat­fight aus, das Live-​Battle-​Format "Don't let the label label you" bringt vier Rap­per mit.

Nach die­sem vor­erst letz­ten Lebens­zei­chen des Tapefabrik-​Projekts steht des­sen Zukunft wei­ter­hin in den Ster­nen. Haben die Ein­nah­men von der "Beer­di­gung" gereicht, um das Pro­jekt zu kon­so­li­die­ren? Wird es dem­nächst in Wies­ba­den oder irgend­wie, irgend­wo, irgend­wann eine wei­te­re Aus­ga­be geben? Wird sich das Kon­zept ändern, beson­ders ange­sichts der doch über­schau­ba­ren Sze­ne im deut­schen Rap-​Untergrund? Wir wis­sen es nicht und bis­lang hält sich die Tape­fa­brik offi­zi­ell bedeckt. Es wäre scha­de, ende­te das Pro­jekt nun. Doch zumin­dest um Maxi­mi­li­an wird man sich kei­ne Sor­gen machen müs­sen, denn wie er bereits in Ber­lin wuss­te: "Soll­te sich her­aus­stel­len, dass es für die­se Art von Fes­ti­val kei­nen Raum oder kei­ne Luft nach oben gibt, wird die Tape­fa­brik irgend­wann nicht mehr exis­tie­ren. Und das ist in Ord­nung. Ich jeden­falls wer­de mich dann einem ande­ren Pro­jekt wid­men, das mei­ner Lei­den­schaft ent­spricht".

(Jona­than Rogg)
(Fotos: Fabi­an Pöhland)