Sieht man von einer Handvoll Namen ab, haben sich wohl sämtliche Untergrundgrößen aus den späten 90ern und frühen 2000ern inzwischen zum Mainstream im Sinne von "Kennt man" gemausert. Einer der wenigen Acts, die bereits seit gefühlten Ewigkeiten die Flagge für den "Underground" hochhalten und diesen in absehbarer Zeit wohl auch nicht verlassen werden, ist das Wittener Rap-Urgestein Lakmann. Vor rund 20 Jahren revolutionierte er gemeinsam mit Kollege Flipstar, der später als einer der Mitgründer von Selfmade Records bekannt wurde, als Creutzfeld & Jakob die hiesige Raplandschaft. Seine wirkliche Solokarriere kommt allerdings gerade erst ins Rollen: "Wir kommen aus einer Zeit, in der man nur alle drei, vier Jahre CDs gemacht hat. Und mein persönliches Ziel ist tatsächlich, das in einem Ein-Zwei-Jahre-Zeitraum zu machen". In unserem Interview lässt Lakmann seine komplette Karriere noch einmal Revue passieren, erzählt von längst vergangenen Tagen, der damaligen Battlerapkultur und gewährt einen Einblick in kommende Solo- und neue Witten Untouchable-Projekte.
MZEE.com: Du bist nun seit knapp drei Jahren wieder aktiv als Rapper unterwegs, mal alleine, mal als Teil von Witten Untouchable. Davor war es knapp sechs Jahre relativ still um dich. Kannst du heute rückblickend sagen, dass es die richtige Entscheidung war, eine so lange kreative Pause einzulegen?
Lakmann: Generell denk' ich, das hat mir gut getan. So, wie es jetzt gelaufen ist, ist es richtig gelaufen – da würd' ich die Entscheidung befürworten. Aber sechs Jahre Abwesenheit sind das auch nicht wirklich gewesen, weil ich mit Freunden auch einfach nur so Musik mache. Wir jammen halt und da findet ja auch eine gewisse Entwicklung beziehungsweise ein "Growing" statt. Und auftreten, Features oder Konzerte besuchen ist ja auch Teil des ganzen Prozesses. Ich würd' das nicht so festnageln auf: "Sechs Jahre keine Album-Veröffentlichung gleich kreative Pause", aber wenn man's so sieht, hat mir das auf jeden Fall gut getan. Trotzdem gab es in dieser Zeit genug musikalischen Output und kreative Schaffensprozesse von uns. Die Bunkerwelt hat ja immer ausgezeichnet, dass sie sich auch ohne CD-Veröffentlichung oder Auftritte immer wieder am Wochenende getroffen hat, um im Proberaum zusammen Musik zu machen. Das muss man als stetige Weiterentwicklung und Konstante sehen – dann haben sechs Jahre Release-Abstinenz nicht so eine große Gewichtung.
MZEE.com: Aber wird es dann für einen Künstler nicht schwieriger, sich in der Öffentlichkeit zu beweisen?
Lakmann: Wenn man das Spiel, sich zu beweisen, erst mal erlernt hat, glaube ich nicht. Gerade, weil HipHop ja diesen Competition-Gedanken in sich trägt. Das ist wie Fahrradfahren, das verlierst du für dich nicht mehr. Nebenbei findet parallel dazu immer eine künstlerische Entwicklung und Selbstfindung statt. Aber trotzdem sind diese Fundamentals und Basics in einem drin. Deshalb find' ich: Wenn dir das wirklich ins Blut übergegangen ist und du das nicht irgendwie künstlich machst, verlernst du das auch nicht mehr. Darum tut einem so eine Pause – das hab' ich ja am Anfang gesagt – vielleicht echt nicht schlecht. Die mediale Öffentlichkeit wiederum nagelt dich natürlich auf deinem Release-Output fest. Man könnte ja davon ausgehen, dass man – wenn man kein Release hat – einfach das Mic weggelegt hat. Aber das ist bei mir ja nicht der Fall.
MZEE.com: Andererseits ist die Szene heutzutage sehr schnelllebig und in den letzten sechs Jahren kam eine ganz neue Generation von Deutschrap-Hörern dazu. Besteht da nicht die Gefahr, ein bisschen in der Versenkung zu landen oder vielleicht sogar als Newcomer abgestempelt zu werden? Einfach, weil jüngere Fans dich gar nicht mehr kennen?
Lakmann: Wie andere mich bewerten oder beurteilen, hab' ich ja gar nicht in der Hand. Aber ich denke, da hast du vollkommen Recht: Das hängt auch mit dem neuen Medienzeitalter und der wachsenden Berichterstattung zusammen. Das Internet hat diesen Prozess auf jeden Fall beschleunigt. Dadurch verlierst du allerdings auch die Möglichkeit, etwas nach seiner Wertigkeit und Wichtigkeit einzuschätzen. Das ist die andere Seite der Medaille. Ich für mich versuche, mich von beidem freizumachen. Diese Abstinenzzeiten werden einfach immer bedeutsamer, von wegen "Wenn du ein Jahr lang kein Album releast, bist du weg vom Fenster". Ich denke, dadurch ist auch dein Haltbarkeitsdatum heutzutage viel kürzer als früher. Wenn du heute erst anfängst, bist du schneller wieder weg. Ist doch so, oder? Ich meine: Cro hin oder her, ich kann mir nicht vorstellen, dass der in fünf Jahren noch gerne Rap macht.
MZEE.com: Du nimmst gegenüber der Musikindustrie und deren Marktmechanismen bekanntermaßen eine gewisse Antihaltung ein und leistest "Widerstand", wenn man so will …
Lakmann: Lass mich da kurz zwischengrätschen – das will ich gar nicht. Dieses Bild ist teilweise richtig, aber nagelt mich darauf nicht fest. (lacht) Es ehrt mich, wenn du sagst, dass ich die Widerstandsflagge hochhalte, aber würde ich darauf eingehen, dreh' ich mich weiter in diesem Kreislauf. Das hätte man zu meiner jungen Zeit auch auf Torch anwenden können. Um wieder den Bogen zu spannen: Ich will vermeiden, in meiner Rapkarriere irgendwann der Typ zu sein, der nur noch Festivals hostet oder von 'ner alten Platte verkauft. Ich denke, dass meine Generation die erste sein kann, die als "Großvaterrapper" oder wie man das auch immer nennen soll immer noch Rap machen kann. Wenn du siehst, wie viele Leute aus der Generation vor uns nicht mehr rappen … die konnten das halt nicht. Vielleicht war Rap nicht groß oder stark genug, aber jetzt hab' ich das Gefühl, dass die Leute aus meiner Generation oder der danach auch nach ihrer aktiven Zeit noch Rap machen können. Auch, wenn die Medien nicht mehr über dich berichten, du keine CD machst oder live auftrittst. Um ein blödes Beispiel zu nennen: In Amerika gibt es auch genügend Leute, die über 50 sind und trotzdem noch Rap machen. Oder?
MZEE.com: Definitiv. Ich meinte das auch gar nicht negativ …
Lakmann: Ich finde das auch nicht negativ, sondern völlig wertfrei. Das ist eigentlich eine gute Sache. Das mit den Marktmechanismen ist halt leider so – das kann ich auch nicht ändern, das merk' ich schon. Aber man muss ja auch für irgendwas einstehen und Haltung zeigen und wenn's zu dem Punkt kommt, an dem ich mich entscheiden müsste, würde ich sagen: Dann hast du vollkommen Recht. Das ist meine Haltung. Aber da steckt so viel mehr dahinter. Gerade, wenn man mal auf 20 Jahre Musikerfahrung zurückblickt, eigentlich schon auf der anderen Seite war und alles gesehen hat … Gar keine Frage, heute ist das ein bisschen anders. Das haben wir gerade ja schon gesagt: Durch das Internet ist alles schnelllebiger geworden, früher gab's nur Fernseher und Radio. Trotzdem fühl' ich mich nicht wie vom alten Eisen oder verloren, so wie das Spiel läuft. Das kann ruhig so laufen – mit Facebook, Instagram und alle paar Jahre 'ne CD. Man muss nur für sich entscheiden, ob man das alles selbst mitmachen will. Ganz ehrlich: Ich wär' auch lieber reich und erfolgreich, aber das ist mir nicht gegeben. Was soll ich jetzt sagen? Soll ich jetzt verbittert sein? Ich will auch nicht wie ein verbitterter, alter Opa klingen, der denkt, er hätte alles verpasst. Jeder hat seine 15 Minuten Fame im Leben und ich finde, meine 15 Minuten waren schon länger als eine Stunde. Ich hatte das alles schon und merke, dass mir das nicht mehr so viel bedeutet.
MZEE.com: Was sind eigentlich deine persönlichen Ziele, die du dir mit Rap nach rund 17 Jahren Musikkarriere noch gesetzt hast?
Lakmann: Ich möchte auf jeden Fall noch lange Musik machen und entdecke erst jetzt die Freude daran, konstant Rap zu machen. Wir kommen aus einer Zeit, in der man nur alle drei, vier Jahre CDs gemacht hat. Und mein persönliches Ziel ist tatsächlich, das in einem Ein-Zwei-Jahre-Zeitraum zu machen. Falls mir das noch erlaubt ist, möchte ich in 15 Jahren zurückblicken und so eine Musikkarriere mit gewissem Abstand Revue passieren lassen. Und dann kann man schauen, wie die Sachen nach 2010 im Verhältnis zu denen vor 2000 stehen. Das kann man mal machen, wenn man den Weg zu Ende gegangen ist. Und wenn man seine Sachen dann nochmal betrachtet, entdeckt man, glaube ich, so einen gewissen roten Faden in seinem Werden und Wachsen.
MZEE.com: Sprechen wir mal über dein aktuelles Album "Aus dem Schoß der Psychose" ...
Lakmann: Ach so. (lacht) Ich hab' ganz vergessen, dass wir da jetzt noch drüber reden. Ich war gerade noch voll im Film, ein Interview über die alten Zeiten zu führen. (grinst)
MZEE.com: Den Bogen dazu bekommen wir nachher auf jeden Fall auch nochmal, aber wenn wir jetzt "Aus dem Schoß der Psychose" betrachten: Obwohl du bereits seit Anbeginn rappst, haben wir hier nach "2 Gramm gegen den Stress" erst deine zweite Soloplatte vor uns liegen …
Lakmann: Eigentlich sogar meine erste! "2 Gramm gegen den Stress" hatte auch noch zwei Amibeats. (lacht) Aber nein, du hast schon vollkommen Recht – ich seh' "2 Gramm gegen den Stress" auch als mein erstes Album an.
MZEE.com: Man sagt ja immer, dass das zweite Album das schwerste ist – wie viel Druck hast du dir selbst bei der Produktion gemacht?
Lakmann: Gut, dass du das ansprichst. Genau das hab' ich auch Mess und Kareem gesagt, weil wir gerade das zweite Untouchable-Album machen. "Ihr müsst mir nicht in vielen Sachen vertrauen und seid ganz alleine gestanden und erwachsen, aber ich mach' jetzt schon zum dritten Mal ein zweites Album. Einmal mit Creutzfeld & Jakob, einmal solo und jetzt wieder ein Untouchable-Album. Und wenn ich euch etwas sagen müsste, das für mich feststeht, dann: Das zweite Album ist immer das schwerste." Du hast für dein erstes Album dein ganzes Leben lang Zeit – deswegen ist es dann auch so gut. Aber beim zweiten hast du einen Rattenschwanz von Erwartungen innerhalb kurzer Zeit: Weiterentwicklung, Wachstum, Sehnsucht, Ziele … All das musst du unter einen Hut bringen und in Musik pressen. Davon musst du dich einfach freimachen. Im Endeffekt musst du's auf zwei Sachen runterbrechen: Mach' ich einfach eins zu eins das Gleiche oder mach' ich was Neues? … Und du kannst es keinem der beiden Lager Recht machen. Das geht Hand in Hand mit der Individualität eines Künstlers. Wenn jemand anderes kommt und nur eine Schablone ist und den gleichen Sound macht und mit jedem Album von Stil zu Stil hüpft, sieht man doch, dass der nur ein Fähnlein im Winde ist.
MZEE.com: In der heutigen Zeit ist das generell schwierig: Die Fans erwarten, dass man etwas Neues macht, aber wenn's dann nicht wie das Album davor klingt, wird es auch nicht angenommen.
Lakmann: Da sagst du was ganz Tolles. Gestern hab' ich eine Review über mein Album gelesen, bei einem österreichischen Magazin. Die haben uns im Dezember ironischerweise noch als Witten Untouchable interviewt und waren voll nett und begeistert, aber bei der Kritik haben alle gesagt, dass die Platte irgendwie sehr mittelmäßig rüberkommt. Es gab auch nur 3,5 von 5 Ananassen. Ich hab' mich davon nicht beleidigt gefühlt, aber es hat sofort bei mir gekribbelt, ich hab' Stift und Blatt genommen und genau das gerappt, was du gerade gesagt hast. Ich kann dir jetzt nicht den genauen Wortlaut sagen, weil das noch ganz frisch ist, aber der Text sagt sinngemäß: "Ich mach' jahrelang nichts und für alle bin ich weg, dann dropp' ich zweimal in zwei Jahren und bin automatisch wieder schlecht". (lacht) So ging der Rhyme! Entweder du bist weg und die Leute vermissen dich oder du machst alle zwei Jahre etwas und die Leute haben was zu meckern. Entweder bist du ihnen dann zu abwechslungsreich oder du bist in den 90ern hängen geblieben. Du kannst es niemandem Recht machen – nur in Gedanken konzipieren und durchgehen, aber in der Praxis scheitert man generell. Ich hab' das Gefühl, das ist ein bisschen wie Quantenphysik. (lacht) Je mehr du dich anstrengst, alles richtig zu machen, desto mehr gerät alles aus dem Ruder. Und deshalb sag' ich auch zu Mess und Kareem: "Macht euch frei von allem und einfach was ihr wollt."
MZEE.com: Ich hab' aber auch teilweise das Gefühl, dass die Leute einfach gerne meckern, die Musik im Endeffekt aber trotzdem anhören, feiern und auch kaufen – die Klicks und Verkaufszahlen sinken seltsamerweise ja nicht …
Lakmann: Ja, das ist irgendwie total verrückt – seh' ich auch so. Aber wie gesagt: Ich möchte nicht verbittert klingen oder der Typ sein, der hängengeblieben ist. Ich nehm' das Game so, wie es ist, und hab' damit gar keine Probleme. Anstatt irgendeinen Weg von anderen zu gehen, will ich lieber meine eigenen Spuren hinterlassen. Das ist ganz wichtig.
MZEE.com: Auf der Platte gibt es einen Track namens "Es gibt niemanden der singt in meiner Hood", der zeitgleich in sehr viele Richtungen schießt – egal, ob heutiges Gangsterrapideal oder "Hipster-Rapper". Das ist natürlich alles sehr negativ belastet, aber: Gibt es denn auch etwas Positives an deutschem Rap 2016?
Lakmann: Auf jeden Fall. Ich will ja auch nicht der Spielverderber sein – das ist zwar eine coole Haltung, aber nagelt mich nicht darauf fest. Es gibt so viele gute Sachen und ich profitier' irgendwie ja auch davon. Ein Homie hat mir letztens ein Bild geschickt, auf dem Sido per Instagram eine Playlist von mir postet. Das ist ein viel größeres Promo- und Marketingtool als alles, was wir mit meinem Label gerissen haben. Ich hab' ja nicht mal ein Video gedreht. Dass ihr euch gemeldet habt und wir jetzt ein Interview machen, zeigt irgendwie auch, dass nur ein paar auserwählte Schäfchen kommen … und darauf will ich hinaus. (lacht) Meine generelle Haltung, dieser Widerstand, dringt in den Songs natürlich durch, aber auf der anderen Seite gibt es so viel Positives. Die letzten Songs, die mir nachhaltig im Gedächtnis geblieben sind, hab' ich erst in den letzten Wochen gecheckt. Das war einmal "Alles was ich bin" von Schote und "Allerbeste Medizin" von – man höre und staune – Blut&Kasse. Es gibt genügend Sachen, die ich feier' oder von denen man nichts mitkriegt. Zum Beispiel auch Credibil – der ist ja ein richtiger Untouchable-Homie. Der hat gerade erst mit jemandem aus Mannheim aufgenommen, mit Butch, den ich noch aus Creutzfeld & Jakob-Zeiten kenne. Und es ist schön zu sehen, dass sich so wieder ein Kreis schließt. Aber alles, was auf der Berichterstattungsebene passiert – da kann ich dir nicht sagen, ob das positiv oder negativ ist. Ich möchte nicht sagen, dass ich da den Überblick verloren habe, aber dem mess' ich einfach nicht so viel Wichtigkeit zu.
MZEE.com: Gerade, weil du einer dieser "Alten Hasen" bist, hast du die Entwicklung der Szene praktisch von Beginn an hautnah miterlebt – was war deiner Meinung nach der einschneidende Moment, der die Deutschrapszene plötzlich so ins Licht der Öffentlichkeit gerückt hat? Womit hat das alles angefangen?
Lakmann: Dieses ganze Auf-die-Eins-Charten würde ich eigentlich von Rap trennen, das ist schon mehr ein Pop-Mechanismus. Rap hat in den Charts eigentlich immer die andere Seite repräsentiert – Sachen, die nicht auf die Eins gegangen sind. Das hat sich in den letzten Jahren transformiert und ich finde, das ist die neue Pop-Szene. Das darf man industrie- und werbemäßig auch einfach nicht als Rap-Mechanismus verstehen, sondern als kalkuliertes Marketing. Ich muss euch ja nicht erzählen, wie das heutzutage funktioniert mit den Boxen, den Charts, der Instrumentalisierung, der Wertsteigerung … Im Januar hat sich gerade erst das Gesetz geändert, dass Online-Streaming auch mit in die Charts zählt. Das ist so ein dynamischer Prozess und ehrlich gesagt nichts für mich. Die Box, die ich gemacht hab', kommt nicht mal in die Charts rein.
MZEE.com: Wir würden die Entwicklung der Szene jetzt gerne mal unter der These "Creutzfeld & Jakob haben Deutschrap geprägt" betrachten: Kannst du den Einfluss, den ihr damals auf Deutschrap genommen habt, heutzutage noch aus dem Schaffen anderer Künstler raushören?
Lakmann: Ich krieg' schon viel mit, aber um das vollkommen zu beurteilen, hör' ich noch zu wenig. Aber du hast vollkommen Recht: Wir haben das auf jeden Fall geprägt. Aber der Originator kriegt ja nie den Respekt – ich glaube, in der Wahrnehmung der Leute haben andere alles geprägt. Aber ich weiß schon, wer das wirklich war, deshalb bin ich ganz im Reinen mit mir.
MZEE.com: In dem Zusammenhang kommen wir mal auf deinen Track "Selbst ist der Lakmann" zu sprechen. Darauf rappst du unter anderem die Zeile: "Wir sind wenigstens authentisch". Aber: Was bedeutet Authentizität in der heutigen Deutschrapszene für dich? Ist es wirklich so einfach zu sagen: "MC XY rappt nicht exakt das, was er lebt, also ist er nicht authentisch"?
Lakmann: Das muss man bestimmt differenzierter sehen, wenn man so ein Nerd ist. Vom lyrischen Potenzial her, das Rap bietet, ist es schon fast so, als würde man in eine Bibliothek gehen und ein Genre aussuchen … Als ich mit Rap angefangen hab', kam ich auch aus dieser Realtalk-und-Ansagen-Ecke, aber hab' totalen Bullshit erzählt. (lacht) Das muss man aber auch so machen. Man muss am Anfang Bullshit erzählen, damit man am Ende reflektieren kann, sonst macht das keinen Sinn. Du kannst es ja nicht umgekehrt machen: erst reflektieren und dann Bullshit erzählen.
MZEE.com: Gibt es denn aktuell jemanden, bei dem du sagen würdest: "Das kauft ihm doch niemand ab"?
Lakmann: Gib mal ein Beispiel. Es gibt ja etwa auch Genres wie Horrorcorerap, die einfach nur zur Unterhaltung dienen. Da stecken natürlich auch gewisse menschliche Tendenzen drin, sonst würde man das ja nicht machen, aber das is nochmal ein Unterschied zu beispielsweise Conscious-Rap, um mal die Klischees zu bedienen. Aber generell finde ich, man sollte sich die Integrität bewahren und ich halte nicht sonderlich viel von Namedropping. Ich will auch nicht über andere erzählen, sondern von mir. (grinst) Aber wenn mich jemand fragt, antworte ich auch gerne.
MZEE.com: Nehmen wir mal einen Kollegah oder Farid Bang. Deren Musik ist klar Entertainment, aber denkst du, dass es da draußen auch Leute gibt, die solche Texte für bare Münze nehmen?
Lakmann: Auf jeden Fall. Ich war vor ein paar Wochen auf meiner Tour in Karlsruhe und da kam jemand zu mir, der meinte: "Ey, du hast doch einen Song mit Plusmacher gemacht …" Das war halt so ein rougher Typ, ein bisschen streetmäßig angehaucht. Und der hat mich gefragt: "Ist Plusmacher wirklich so, wie er rappt?" Und da hab' ich gesagt: "Ich hab' ihn über Kareem kennengelernt, wir haben zusammen auf Festivals abgehangen und der ist so höflich, so nett, so zuvorkommend und genauso waren wir auch zu ihm. Ich kann dir sagen: Das, was er rappt, ist der nicht. Ich will nicht sagen, dass er fake ist – natürlich hat er das als Background, aber er gibt sich halt als richtig korrekter Typ." Da war er schon etwas stutzig und meinte dann weiter: "Karate Andi kennst du doch auch. Ist der so, wie er sich in den Videos gibt?" Und ich meinte nur: "Karate Andi hab' ich in Berlin gesehen und er war der größte Lakmann-Fan. Den kannte ich von Mortis, mit dem hab' ich ja auch schon eine lange Vergangenheit. Und der Karate Andi ist zwar ein bisschen schrill und durchgedreht, aber genauso lieb. Der ist vor uns aufgetreten und war durch und durch ein chilliger Junge." Und der Typ dann so: "Hm, scheiße, die sind ja alle gar nicht so. Der einzige, der wirklich so ist, wie er von sich erzählt, bist du, weil du auch wirklich broke bist." Da mussten dann alle lachen. (lacht) Er hat dann abgewunken, mit dem Kopf geschüttelt und wollte auch gar nicht glauben, dass die Leute nicht so sind, wie sie auf dicke Hose machen. Auch Farid Bang und Kollegah – alle sagen, dass die beiden super korrekt sind. Auch Rooq, der Hausproduzent von Witten Untouchable. Der hat schon mit Farid zusammengearbeitet, für ihn Beats gebaut und meinte auch nur: "Wenn ich ihm einen verkauf', ist die Kohle am nächsten Tag da, ich kann über Farid Bang nichts Negatives sagen. Der macht seine Geschäfte pünktlich und korrekt, wieso soll ich meckern?" Und damit war's das für mich. Ist doch cool für ihn – ich muss meine eigenen Erfahrungen sammeln. Ich hab' bis jetzt keine, also versuch' ich, das Blatt so unbeschrieben wie möglich zu halten.
MZEE.com: Viele Rapper sagen heutzutage, dass Rap für sie so etwas wie Therapie sei und sie nicht wüssten, wie sie ohne die Musik klarkommen würden. Du hingegen rappst: "Die Texte, die ich schreib', ficken meinen Kopf". Da könnte man denken, dass Rappen für dich eher ein wenig negativ belastet ist. Trügt das?
Lakmann: Rap ist totale Therapie. Es geht einem danach immer besser. Man schreibt halt negative Sachen auf und manchmal fickt, was du schreibst, auch deinen Kopf – sei es, weil du es gerade nicht hinkriegst oder weil du deinen inneren Seelen-Striptease machst. Unterm Strich geht's dir danach aber immer besser. Wenn jemand Horrorcore oder total depressive, melancholische Sachen schreibt, geht's ihm danach auch gut. Es überwiegt auf jeden Fall das Gefühl: "Boah, ich hab' was Geiles geschrieben". Das hat auch ein bisschen was von Battlerap: Man battlet sich selber und wenn man es dann schafft, die Lines im Battle gegen sein Gegenüber umzumünzen … richtiger Todesstoß. Nicht die üblichen Floskeln, Klischees und Beleidigungen, sondern so richtige Realtalk-Kaputtmacherei. Stell dir mal vor, du schaffst es, das, was du vor dem Spiegel rappst, in einem Battle gegen den Gegner umzumünzen.
MZEE.com: Man hört auch immer wieder von Konsumenten, denen es ähnlich geht – die vielleicht gerade in einem Loch sind, depressivere Musik hören und sich danach aber ironischerweise besser fühlen. Kennst du das auch?
Lakmann: Klar. Ich hab' gerade erst einen Screenshot von Kareem bekommen – einer hatte eine neun Jahre alte Psychose und wollte mir sagen, wie cool er das Album findet und wie viel ihm das bedeutet.
MZEE.com: Das sind vermutlich auch die Nachrichten, die man als Künstler selbst am liebsten liest, oder?
Lakmann: Voll. Ich mein', natürlich liest du Lob am liebsten. Kritik les' ich selbst aber auch gerne, weil sie bei mir auch ein Alleinstellungsmerkmal hat. Ich bekomm' sehr wenig Kritik, aber gerade deshalb kann man dann auch sagen, dass da ein Körnchen Wahrheit drinsteckt. Und dann zwickt's mich auch selbst im Schuh, das zu beheben. Mit einer gewissen Reflexion erkennt man das dann auch selbst und wenn man es einmal erkannt hat, will man auch daran arbeiten – also, raptechnische Sachen. Wenn jetzt jemand ein Video nicht liket, weil ich "voll behindert" bin oder "scheiße ausseh'" … na ja, das ist was anderes. (lacht)
MZEE.com: Wo wir gerade schon das Thema "Battlerap" angeschnitten haben: Das war ja schon immer ein wichtiger Teil deiner Kunst. Du warst beispielsweise auch auf dem ersten Teil von "Feuer über Deutschland" vertreten, eine DVD-Reihe, die die heutige Written Battle-Kultur stark geprägt hat. Verfolgst du Formate wie Rap am Mittwoch oder Don’t let the label label you?
Lakmann: Ja klar. Der Chief, der das hostet, war einer der ersten, die die "2 Gramm gegen den Stress"-CD bestellt haben. Die hab' ich ihm persönlich signiert – er war wirklich Fan erster Stunde. Die Rap am Mittwoch-Jungs kenn' ich schon, seitdem sie Kaosloge waren. Beide kriegen Props für ihre Sache, weil Battlerap immer etwas war, das ich gerne gemacht habe. Aber das ist halt wirklich nicht mehr mein aktives Ding, weil meine Battleraps nicht zugeschnitten beziehungsweise persönlich sind. Wir kommen aus einer Zeit, in der man einen imaginären Gegner gehabt hat. Man musste eine Beleidigung so formulieren, dass sie in der Praxis auf jeden umzumünzen war. Heutzutage ist es so, dass man einfach nur intime Sachen ausgräbt und die dann verbrät und ins Negative dreht. So kannst du jeden battlen – aber es zeigt nicht wirklich deine Rapskills. Die Leute bauen das quasi wie einen schlechten Comedy-Pointe-Witz auf und dann hörst du meist noch einen schlechten Rap-Versprecher. Was zählt, sind Pflicht und Kür: Was du sagst, aber auch, wie du es sagst. Ich würde sofort bei einem Battle mitmachen, bei dem man nicht weiß, wen man als Gegner bekommt – das wird dann live ausgelost. Und da will ich dann mal sehen, wie gut die Leute battlen, wenn sie ihren Gegner nicht aufgrund seiner Historie niedermachen können. Dann trennt sich die Spreu vom Weizen und das ist halt, was ich gemacht hab'. Aber es ist nicht so, dass ich bei Karate Andi, Main Moe, Percee und so nicht gelacht hätte – ich kann mir das geben, wenn's gut ist. Vieles mach' ich aber auch weg. Trotzdem haben die etwas geschaffen.
MZEE.com: Um mal ein ganz anderes Thema gegen Ende anzuschneiden: Wie gut ist dein heutiger Kontakt zu Flipstar eigentlich noch?
Lakmann: Der ist gut. Er war auch auf meiner Release-Party dabei, er ist auf meinem Album und wir sehen uns regelmäßig. Wenn er am Wochenende mal Zeit hat, treffen wir uns auch und machen was.
MZEE.com: Wäre ein typisches Creutzfeld & Jakob-Album heute überhaupt noch möglich?
Lakmann: Ein typisches? Gar nicht. Wenn du unseren gemeinsamen Song auf meinem neuen Album hörst, ist der auch viel reflektierter und gar nicht battlemäßig. Eher so ein Zurückdenken an die gute Zeit. Ich denke, man müsste dieses schlummernde Tier in Flipstar, dieses Sich-Beweisen, wieder wecken, um ein typisches Creutzfeld & Jakob-Album zu machen.
MZEE.com: Wie würde die Szene wohl darauf reagieren?
Lakmann: Die Szene heutzutage kennt Flipstar doch gar nicht mehr. Die würde auf ihn wie auf einen Newcomer reagieren, oder? Und selbst wenn nicht: Dann hast du hohe Erwartungen und willst den präzisen Mr. Flipstar und er macht dann vielleicht was ganz anderes. Ich kann's aber auch nicht beurteilen – der Text, den er für das "Aus dem Schoß der Psychose"-Album geschrieben hat, ist der aktuellste, den ich von ihm kenne. Und wenn das sein State of the Art ist, ist er halt weg von diesem Battleshit.
MZEE.com: Wir schätzen dich gerade wegen dem ein oder anderen Featurepart für etwas unbekanntere Acts so ein, dass du dich nach wie vor viel mit dem Untergrund auseinandersetzt. Zum Abschluss des Interviews: Gibt es den ein oder anderen Newcomer, den du konkret auf dem Schirm hast und verfolgst?
Lakmann: (überlegt) Also, Newcomer sind sie nicht, die sind schon lange dabei, aber: Kennst du Schaufel und Spaten?
MZEE.com: Klar.
Lakmann: Die empfehl' ich immer. Das sind quasi auch die Mentoren von Plusmacher. Dann gibt's noch 'ne Newcomer-Crew aus Hamburg, die heißt Plusdick und Reisser. Und dann … Dollar Hugo! Kennt ihr Dollar Hugo? Der ist auch noch unbekannt und Newcomer. Den hab' ich im Süden auf einer Jam in Karlsruhe gesehen. Sonst … Credibil ist jetzt kein Newcomer mehr, oder? Dann waren's die drei.
(Pascal Ambros & Fabian Thomas)