"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Rot steht für die Liebe. Blau für die Ruhe. Grün für Entspannung. Solch simple Assoziationsspielchen werden einem bereits von Kindesbeinen an eingebläut – ähnlich der Erkenntnis, dass die Farben Schwarz, Weiß und Grau ja eigentlich nicht als Farben gelten. Dennoch verbindet jeder von uns mit diesen reizarmen Tönen bestimmte Gefühle, selbst wenn sie nicht so leicht zuzuordnen sind. Ein kurzer Klick bei Google zeigt genau das an, was man selber nur ungern ausspricht: "Grau" steht für Kälte, für Tristesse, für Depressionen. Und als die ersten, schweren Basslines von "Es regnet" durch die Kopfhörer dröhnen, erahnt man schon, warum sich Tua genau für diesen Farbton als Albumtitel entschieden hat.
Hier wird der Grundstein gelegt für eine 65-minütige Irrfahrt durch das Innenleben eines Mannes, der mit selbigem so seine Probleme zu haben scheint. "Die ganze Welt kommt einem fremd vor, man verlernt das Lachen und das Weinen", resümiert Momo bereits beim oben erwähnten Eröffnungssong. "Grau" beschreibt keine Posse vom Leben auf der harten Straße, sondern verkörpert vielmehr die gesamte Gefühlsbandbreite Tuas. Hass, Depressionen und Selbstzweifel ziehen ihren dunklen, roten Faden durch die 15 Tracks, die stets wegen der echten Emotion hervorstechen, nicht durch bedeutungsschwangere Phrasendrescherei. All das sind Eindrücke, "Bilder". Und Tua malt genau diese "Bilder" mit Worten, wie andere es mit Farben können. Die Buße eines bekehrten Ungläubigen, der den Dialog mit Gott sucht. Die "Probleme" eines Kleinstadtgangsters, der noch heute an moralisch fragwürdigen Entscheidungen von früher knabbert. Die Gedanken eines Rappers, während er mit der Geliebten zur Abtreibungsklinik hinfährt. Wahrlich keine leichte Kost, deren musikalische Untermalung auch kaum schwerfälliger und düsterer gestaltet sein könnte.
"Grau" weiß mit genau dieser Intensität auch sieben Jahre nach Veröffentlichung noch zu spielen und in den Bann zu ziehen. Ein sperriges, aber doch geniales Gesamtkunstwerk, das bis heute in seiner Art vielleicht einzigartig blieb. "Und es bleibt" ("Für Immer").
(Sven Aumiller)