Sie sagen: 30 ist das neue 20.
Mein Körper sagt leider was anderes.
Mit seinen Free-Download-EPs "Die Zeit heilt alle Hypes" und "C'MON!" machte der Münchner Fatoni jüngst äußerst positiv auf sich aufmerksam. Nach gefühlten 100 Jahren im Game kommt er nun endlich zu seinem zweiten Album als Solokünstler. Dabei ist natürlich auch "Yo, Picasso" genau genommen eine Kollaboration, denn der Gold- und Platinproduzent Dexter zeigt sich für die gesamte Produktion verantwortlich. Es könnte wohl schlechtere Rahmenbedingungen für die Veröffentlichung geben.
Fatoni weiß die erwartet starke Instrumentierung perfekt für sich zu nutzen und stolpert mit dem Opener "Benjamin Button" scheinbar direkt in seine besten Jahre. Denn völlig unverkrampft und losgelöst rappt Fatoni hier einen Representer, in dem er seinen Werdegang nicht besser hätte zusammenfassen können. Mit "Authitenzität" folgt eine optimale Einleitung, die das auf diesem Album enthaltene Feuerwerk voller Sarkasmus und Zynismus zündet und zu gleichen Teilen Platz für locker-lustige Sprüche oder Sozialkritik bietet. Fatoni ist "einfach mal sich selbst" ("Authitenzität") und äußert sich zwischen all der Ironie ziemlich deutlich zur Lage der Nation, der Weltpolitik oder gesellschaftlichen Missständen. Dies setzt vielleicht einen gewissen Grundverstand beim Zuhören voraus, funktioniert aber aufgrund dessen nicht nur als kurzer Lacher, sondern als tiefes und langfristiges Liedgut. "32 Grad" und "Semmelweisreflex" sind dabei beste Beispiele für deutliche Statements. Großartig funktioniert in diesem Kontext auch die zügige Schuldzuweisung aller Probleme an den Rest der Welt ("Ein schlechter Mensch"). Seinen Höhepunkt findet das Album auf "Mike", einer Liebes- und Hasserklärung an The Streets beziehungsweise deren Ex-Mitglied Mike Skinner, der Schuld an Fatonis Mittelmäßigkeit zu sein scheint. Von dieser Mittelmäßigkeit bekommt man allerdings so gut wie gar nichts zu hören. Es bleiben ein paar menschliche Selbstzweifel, nach denen man einem sonst ziemlich abgeklärt auftretenden MC für einen kurzen Moment tröstend auf die Schulter klopfen oder in den Arm nehmen möchte. Auf "Dienstag Nacht" zieht sich Fatoni dann allerdings selbst wieder in sein väterliches Alter und seine Spießerschale zurück und flucht über die benachbarte Teenie-WG, in der mittlerweile wohl sogar das Dexter & Fatoni-Album rotieren könnte. Denn dieses Album funktioniert einerseits laut aufgedreht in großer Gesellschaft oder im Auto, andererseits aber auch perfekt auf Kopfhörern oder zu Hause auf der Couch an einem Tag, der wieder mal "kein Tag ist" ("Kein Tag").
Die vielen ironischen Addlips mögen wohl Geschmacksache sein und man hätte wohl an der ein oder anderen Stelle darauf verzichten können, aber ansonsten kann man hier eigentlich nicht viel besser machen. Dexter & Fatoni erfüllen die hohen Erwartungen mit erschreckender Leichtigkeit und rechtfertigen ihre Vorschusslorbeeren. Der Stuttgarter Produzent scheint auf seinem Zenit stehen geblieben zu sein, der Münchner MC gesellt sich lässig dazu und gemeinsam schaffen die beiden relativ locker das bis dato in meinen Augen beste Deutschrapalbum 2015.
(von unserem freien Mitarbeiter Justus Jonas)
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