Die meisten Persönlichkeiten, mit denen wir uns innerhalb unserer Formate befassen, haben alle eins gemeinsam: Sie verbringen einen großen Teil ihres Alltags mit deutschem Rap. Egal, ob als hauptberuflicher MC oder Rapper aus purer Leidenschaft. Und egal, wie sehr diese Szene, ihre Mitglieder, ihre Fans und vor allem auch ihre kleinen und großen Hater einem oftmals den letzten Nerv rauben können: Die Künstler lassen sich nicht von ihrem Weg abbringen. Zwischen all dem Termindruck, den Zeiten ohne das große Geld, dem Gefronte in Internetforen und fiesen Reviews haben wir uns und im Anschluss zehn Rapper gefragt: "Macht Rap eigentlich glücklich?"
Morlockk Dilemma: Was bedeutet schon Glück? Ich warne jedenfalls davor, etwas zu machen, nur um einem Zustand hinterherzujagen. Das endet in einer Abhängigkeit. Deshalb rappe ich nicht, um glücklich zu sein – das entsteht aus einem inneren Drang heraus. Kein Mitteilungsbedürfnis, sondern Ausdruck. Dafür müsste ich aber nicht mal rappen, das ginge auch in Form von Eisskulpturenschnitzerei. Ist genauso vergänglich und ebenfalls mit Motorsägen …
Bosca: Da diese Frage ja etwas allgemein gestellt ist, würde ich meine Antwort gerne in zwei verschiedene Bereiche unterteilen: Zum einen in die Musik und zum anderen in Szene und Geschäft. Um direkt mit der Musik anzufangen: Ja, Rap macht glücklich! Seit mittlerweile fast 15 Jahren verfolge ich Releases meiner Lieblingskünstler und besuche Konzerte und Festivals. Rap ist definitiv meine Musik und die Musik, mit der ich mich am besten identifizieren kann. Die Texte von meinen "Leidensgenossen" gaben mir immer wieder Energie für mein eigenes Leben und inspirierten mich für meine eigenen Songs. Auch selber Rap zu praktizieren, macht mich glücklich. Von den geilen Momenten im Studio, wenn ein neuer guter Song entstanden ist, bis hin zu den Gigs, bei denen Leute die Textzeilen mitschreien, als hätten sie diese selber geschrieben. Die vielen Stunden auf Tour mit der Crew sind unvergesslich und werden mich mein Leben lang auf eine gute Zeit zurückblicken lassen. Wenn man jedoch die "Rapszene" und das "Geschäft" betrachtet, muss ich leider auch feststellen: Rap kann unglücklich machen. Zum einen bin ich es leid, Teil einer Szene zu sein, die sich permanent über Social Media-Plattformen beleidigt, um ihre Promo auszuschlachten. Ewige Beefs und Streitigkeiten, die weit über das direkte Umfeld des Protagonisten hinausgehen, haben einfach schon lange nichts mehr mit Rap zu tun. Hier geht es nur noch um Profilierung und Selbstdarstellung – die Musik steht nicht mehr im Vordergrund. Die Vorbildfunktion, die Rap einst haben konnte, wird nicht mehr erfüllt und die Kids bekommen ein völlig falsches Bild von guten Werten vermittelt. Des Weiteren muss man sich als Künstler natürlich auch mit dem Drumherum der Musik beschäftigen, das bedeutet explizit: dem Geschäft. Auch das kann sehr unglücklich machen, wenn man kapiert, dass man meistens nur ein kleiner Teil einer großen Maschinerie ist und Verkaufszahlen sowie Tourbesucherzahlen viel wichtiger werden als die eigentliche Kernkompetenz, nämlich die Musik selber. Mich hat es nie interessiert, was mein Lieblingskünstler verkauft oder wie viele Leute vor seiner Bühne stehen. Mir war immer nur wichtig, dass mich die Songs berühren oder eine besondere Energie vermitteln. Wie alles in der Welt, hat auch Rap zwei Seiten – jedoch ist es für mich nach wie vor die gute, die überwiegt. Sonst würde ich den ganzen Quatsch vermutlich gar nicht mehr machen.
Pimf: Ja, sehr! Es gibt Phasen, in denen du nicht so glücklich bist und sehr viel zweifelst, aber dann gibt es wieder diesen einen Moment, in dem es "Klick" macht … Und dann bist du wieder total happy. Das kann ich am besten mit einer Show beschreiben. Zuerst kriegst du die Anfrage. Da denkst du dir: "Geil, wir spielen auf dem Splash! – ich hab' super Bock". Kurz darauf kommt die Zeit, in der du dir denkst: "Oh nee, ich muss proben, gar keine Lust". Danach fährst du zum Splash! und eigentlich willst du da viel lieber feiern und dir die anderen Acts reinziehen. Unmittelbar vor dem Auftritt kommt dann: "Es wird total schlimm …" Und dann ist dein Auftritt. Es macht "Klick" und alles hat sich wieder gelohnt. So ist es eigentlich mit allem. Auch bei meinem Album hatte ich in den zwei Jahren viele Phasen, in denen ich dachte, dass das nichts mehr wird und ich es vergessen kann. Als das Album rauskam, hat sich für mich im Nachhinein alles gelohnt.
Sadi Gent: Jein. Auf der einen Seite: Ja, weil es schön ist, sich in Form von Musik auszudrücken. Damit meine ich generell Musik, das kann ich nicht nur auf Rap beschränken. Auf der anderen Seite: Nein, weil ich oft auch nicht so cool mit diesem ganzen Business bin, das drumherum mitschwimmt. Früher fand ich es cooler, weil es mehr um die Musik ging und nicht um YouTube-Quatsch. Das entwickelt sich gerade in eine etwas gräßliche Richtung, da habe ich auch ein bisschen Angst vor. Ich kann nicht absehen, wohin das alles in ein bis zwei Jahren geht, aber das macht mir manchmal schlechte Laune. Es betrübt mich auch, wenn ich sehe, dass manche erfolgreich sind, weil sie Videoblogs machen. Und daneben stehen dann Leute, die unfassbar krasse Mucke machen. Ich kenne einige Künstler, die keinen Bock auf den Zirkus haben und deswegen unterm Radar landen. Das finde ich nicht ganz fair. Aber Rap an sich hat mich jahrelang begleitet und ist für mich wirklich unfassbar wichtig. Er hat mich teilweise auch miterzogen. Er ist ein ganz wichtiger Bestandteil, der mich auch glücklich gemacht hat, aber hier und da kann Rap einen auch fehlleiten. Man muss einfach ein bisschen reflektiert sein und eine starke, gefestigte Persönlichkeit haben – dann kann Rap absolut glücklich machen.
Chefket: Meiner schon. (grinst)
Megaloh: Das ist echt eine schwierige Frage. Erfolg mit Rapmusik auf jeden Fall – Leute zu erreichen und zu sehen, wie sie durch die Musik glücklich werden, macht glücklich. Ich würde lügen, wenn ich etwas anderes sagen würde. Ich habe aber auch sehr viel Kummer oder Frustration durch Rap erfahren – in Momenten, in denen man eben keinen Erfolg hat. Freundschaften, die daran kaputt gegangen sind und enorm viel, was man dafür geopfert hat. Rap per se macht nicht unbedingt glücklich. Aber vielleicht nur Rap hören. Rap machen ist nochmal eine andere Sache.
Basstard: Ich denke, dass Musik allgemein die Gabe hat, glücklich zu machen. Ich als Rapper kann sagen: "Ja, es gibt Momente, die unbeschreiblich sind". Zum Beispiel, wenn ich einen Song aufgenommen habe, der mir dann so gut gefällt, dass ich ihn ungelogen hunderte Male im Loop höre und jedes Mal so ein unglaubliches Gefühl dabei hab'. Ich mach' den dann auch immer direkt soweit fertig, dass er hörbar ist, und schlaf' damit ein. Ich hör' mir den dann wirklich solange an, bis ich einpenne, weil ich zu müde bin, um weiter wachzubleiben. (lacht) Und kaum bin ich dann wach, geht der Song weiter und ich hör' ihn immer noch in Dauerschleife. Das wird auch nicht langweilig – wenn's ein wirklich guter Song ist, kann man den noch jahrelang im Loop hören. Das ist ein unglaubliches Gefühl. Ich weiß nicht, wie man das vergleichen kann – vielleicht, wenn man ein Kind hat und nicht satt wird, das Kind immer wieder zu sehen, weil das ein Teil von dir ist und du stolz darauf bist. Das ist vielleicht ein bisschen vergleichbar, obwohl ein Kind zu haben wahrscheinlich ein noch viel schöneres Gefühl ist.
Umse: Auf jeden Fall macht mich das glücklich. Deswegen mache ich das wie ein Süchtiger jeden Tag und jedes Erfolgserlebnis, das ich selber feier’, macht mich glücklich und lässt mich all das ausblenden, was mich unglücklich macht. Da gehen aber auch viele Sachen mit einher, die einen runterziehen. Es ist schon ein Kampf, sich über Wasser zu halten. Man muss sich oft rechtfertigen – familiär oder bei was auch immer –, wenn man mit Ende 20 noch nicht wie andere das große Geld nach Hause bringt und man noch nicht so selbstständig ist, wie es andere vielleicht sind. Rap macht einen immer wieder für den Moment glücklich, kann einen aber auch stressen. Was für andere scheinbar so rüberkommt, als wäre es das über Leben … Das ist es halt einfach nicht. Es gibt ganz andere Dinge, die einem im Kopf rumschwirren und belasten. Aber egal, was man macht: Es gibt immer etwas Gutes und etwas Negatives daran. Deswegen macht Rap genauso glücklich wie zum Beispiel Arzt sein – da hast du genauso deine Erfolgserlebnisse, die du brauchst, sonst könntest du das nicht 30 bis 40 Jahre lang ausüben. Du freust dich über gewisse Dinge, die deinen Beruf betreffen, und du hast Stress wie jeder andere. Deswegen: Ja, Rap macht glücklich. Weil ich das mache, was ich immer machen wollte. Und alles andere würde mich unglücklich machen.
Absztrakkt: Rap macht definitiv nicht glücklich, sondern eher unglücklicher. So hab' ich das für mich zumindest empfunden, weil man sich selbst immer Druck macht. Du machst ein gutes Album, aber als Künstler willst du dann natürlich auch, dass das nächste mindestens genauso gut wird. Glücklichsein erreicht man eher in anderen Bereichen, aber nicht durch die Musik. Musik kann vielleicht dabei helfen, ist aber nicht das Letztendliche. Auch extremer Erfolg in der Musik bedeutet nicht gleichzeitig Glück. Nur sehen das viele nicht so.
Cr7z: Ich brech' das jetzt mal nur runter auf den Fakt Rap an sich, angefangen beim Schreiben. Das macht mich definitiv glücklich – diese schriftstellerische Ader hab' ich. Das ist bei mir auch ein natürliches Bedürfnis, ich bekomm' dabei ein richtiges Kribbeln im Bauch und in den Fingern. Oder auf gut Deutsch: Hummeln im Arsch. Ich muss dann einfach schreiben und ob das gut oder schlecht wird, darüber mach' ich mir am Anfang noch keine Gedanken. Gott sei Dank beherrsch' ich inzwischen mein Handwerk – ab 2007 war ich wirklich gefestigt und wusste, in welche Richtung das Ganze gehen muss. Deswegen erfüllt es mich auch, dass ich das jetzt so gut umsetzen kann. Das Rappen an sich natürlich auch – besonders jetzt, wo die Auftritte dazugekommen sind. Wie viel Energie man da reinballern kann und auch vom Publikum zurückkommt – ich war dieses Jahr beim Out4Fame auf der Bühne und das war der Wahnsinn. Vorher standen vielleicht ein paar hundert Leute vor der Stage und am Schluss fünfmal so viel. Ich hab' da aber auch richtig Vollgas gegeben. Das hat mich schon erfüllt, dass die Leute etwas damit anfangen können und sich denken: "Geil, ich hol' mir jetzt nicht meinen Jacky-Cola Nummer drei, sondern zieh' mir 20 Minuten Cr7z rein, obwohl ich ihn nicht kenne". Dieses ganze Movement erfüllt mich extrem. Und auch, wenn ich Rap höre – Eminem, Savas, Claudio (Anm. d. Red.: Absztrakkt) oder was weiß ich –, find' ich das geil. Es ist schon eine gewisse Form von Glückseligkeit, die ich erreiche. Aber wenn man es nur auf das wahre Glück bezieht, dann müssen wir wieder zur Antwort von Claudio zurückspulen – da hat er dann wiederum recht.
(Florence Bader & Pascal Ambros)
(Alle Fotos von Kai Bernstein, außer Basstard (Chris Gonz Photography), Morlockk Dilemma, Bosca, Absztrakkt und Cr7z, Grafik von Daily Puffy Punchlines)