"Okay – was habe ich verpasst?" Eine Frage, der wohl jeder von uns schon einmal begegnet ist. Egal, ob man sie selbst gestellt hat oder mit ihr konfrontiert wurde. Manchmal kommt einfach der Zeitpunkt, an dem man sich vor allem eines wünscht: "Bringt mich doch mal auf den neuesten Stand!" Doch wie antwortet man darauf? Was hält man für besonders erwähnenswert? Es ist schwer, eine kurze, aber vollständige Antwort darauf zu finden. Wie misst man überhaupt Relevanz? An medialem Hype? Am Überraschungsfaktor? Oder doch an dem musikalischen Anspruch? In "Hört, hört!" geht es um das alles, reduziert auf zwei Veröffentlichungen. Ein Release, das vor allem im Untergrund auf Zuspruch gestoßen ist, und eines, das in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Zwei Werke, die wir nicht unbedingt gut finden müssen, aber eine gewisse Relevanz oder eine Bedeutung jeglicher Art für die hiesige Raplandschaft besitzen. Zwei Werke, die am Ende des Monats vor allem eines aussagen: "Hört, hört! Genau das habt ihr verpasst!"
Audio88 & Yassin – Normaler Samt
Es war fast so etwas wie das deutsche "Detox". Lange angekündigt, in den Augen der Fans längst überfällig und von Pseudo-Kritikern schon in den Himmel gelobt oder zerrissen, bevor es überhaupt existierte. Tatsächlich schienen Audio88 & Yassin Spaß daran zu haben, "Normaler Samt" hier und da zu erwähnen oder irgendetwas darüber durchblitzen zu lassen. Dennoch war sich die Szene weiterhin unschlüssig, ob das Album jemals das Licht der Welt erblicken würde. Das dritte Herrengedeck stand immerhin schon seit 2010 auf dem Tisch, und so wurde ungeduldig über das nächste Werk des Berliner Duos getuschelt. Die einen tuschelten, weil sie Fans waren und fürchteten, laut ausgesprochene Wünsche gingen nie in Erfüllung. Die anderen waren Schmütze und hatten Angst davor, dass "Normaler Samt" sie aus der Rapwelt tilgen würde.
Was auch immer man von Audio88 & Yassin halten mochte, am 13. März war es dann endlich soweit: Im Plattenregal fand neben blauem, grünem und lilanem endlich auch "Normaler Samt" seinen Platz. Und die Wirkung? Im Grunde wurden alle Erwartungen auf recht unerwartete Weise erfüllt. Inhaltlich haben auf dieser Platte sämtliche Schmütze normalen Samt "in ihrem Mund drin", soundtechnisch wirkt das Ganze für das "Duo Numero Burr" und Produzent Torky Tork jedoch fast schon massentauglich. Ein ungewohnt angenehmes Klangbild mit den gewohnt szenekritischen bis selbstironischen Texten bilden das bisher wohl gelungenste, vor allem aber zugänglichste Release von Audio88 & Yassin. So zugänglich, dass sich "der Möchtegernkanake und die Glatze mit der Zahl" auf Platz 22 der deutschen Albumcharts breitmachten.
Für die beiden selbst mag so eine Chartplatzierung keine große Rolle spielen, doch ist es in jedem Fall ein wunderschönes Zeichen an die gesamte Szene (und insbesondere an sämtliche Schmütze), dass deutscher Rap auch ganz "normal" funktionieren kann. Letztlich also für jedermann mehr als empfehlenswert, "normalen Samt" in seinen Mund respektive die Ohren reinzubekommen.
(Daniel Fersch)
Die Orsons – What's Goes?
"Mach' aus 'nem Strohhalm und 'ner Büroklammer eine Zeile über MacGyver", rappt Maeckes auf "Tornadowarnung". Ein Track, der nicht stellvertretender für "What's Goes?" stehen könnte: Die Orsons bewegen sich abseits jeder Norm, die im deutschen Rap Bestand hat. Da wird auch mal ein Part mit sekundenlangem Applaus unterbrochen oder die letzte Line gestrichen für Blödeleien à la "Wieso liegt hier Stroh?". Auch wenn sie teils daran scheitern, den Hörer nach einer Unterbrechung wieder abzuholen, bleiben die Schwaben durchaus eine erfrischende Abwechslung zum sowieso schon bröckelnden "Part-Hook-Part"-Konzeptdenken.
Wie bereits unsere Kritik behauptet, ist "What's Goes?" auf Platte schnell überfordernd und entfaltet erst live seine volle Wirkung. Auf einem Gig der schwäbischen Rap-Crew habe ich mich von dieser Mutmaßung überzeugen können und kurz gesagt: Es ist tatsächlich so. Länger gesagt: "Anders" ist auch on Stage das perfekte Wort, um die Orsons zu beschreiben. Da tanzen, tollen und toben die vier auf der Bühne, als gäbe es kein Morgen mehr, während andere Rapper noch versuchen, die Crowd dazu zu bewegen, mal die Arme hochzunehmen. Eine gute Laune, die einfach anzustecken weiß. Während Tua an allem scheitert, was auch nur an Tanzschritte erinnert, probiert der Rest sich sogar an einer Art von Choreo – der ganz normale Wahnsinn eben.
Eines, das fehlt bei den Orsons einfach nie: "Feel good"-Momente. Momente, die man genießen will und welche einen mit guter Laune förmlich infizieren. Und wer eine Platte veröffentlicht, die live auch den letzten grimmig-eingesessenen HipHop-Geek dazu bringt, plötzlich so zu feiern, als wäre Tomorrowland dieses Jahr in Ferropolis, der hat sich seine Erwähnung bei "Hört, hört!" eben auch redlichst verdient.
(Sven Aumiller)