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Hört, hört!

März 2015: Audio88 & Yassin und Die Orsons

Was Ihr Euch in Sachen Deutschrap in die­sem Monat unbe­dingt ange­hört haben müsst? In unse­rer Rubrik "Hört, hört" stel­len wir die bei­den für uns rele­van­tes­ten Releases aus zwei Wel­ten, Unter­grund und Main­stream, vor. Die­ses Mal: Audio88 & Yas­sin und Die Orsons.

"Okay – was habe ich ver­passt?" Eine Fra­ge, der wohl jeder von uns schon ein­mal begeg­net ist. Egal, ob man sie selbst gestellt hat oder mit ihr kon­fron­tiert wur­de. Manch­mal kommt ein­fach der Zeit­punkt, an dem man sich vor allem eines wünscht: "Bringt mich doch mal auf den neu­es­ten Stand!" Doch wie ant­wor­tet man dar­auf? Was hält man für beson­ders erwäh­nens­wert? Es ist schwer, eine kur­ze, aber voll­stän­di­ge Ant­wort dar­auf zu fin­den. Wie misst man über­haupt Rele­vanz? An media­lem Hype? Am Über­ra­schungs­fak­tor? Oder doch an dem musi­ka­li­schen Anspruch? In "Hört, hört!" geht es um das alles, redu­ziert auf zwei Ver­öf­fent­li­chun­gen. Ein Release, das vor allem im Unter­grund auf Zuspruch gesto­ßen ist, und eines, das in der brei­ten Öffent­lich­keit wahr­ge­nom­men wur­de. Zwei Wer­ke, die wir nicht unbe­dingt gut fin­den müs­sen, aber eine gewis­se Rele­vanz oder eine Bedeu­tung jeg­li­cher Art für die hie­si­ge Rap­land­schaft besit­zen. Zwei Wer­ke, die am Ende des Monats vor allem eines aus­sa­gen: "Hört, hört! Genau das habt ihr verpasst!"

 

Audio88Yassin_NormalerSamt

Audio88 & Yas­sin – Nor­ma­ler Samt

Es war fast so etwas wie das deut­sche "Detox". Lan­ge ange­kün­digt, in den Augen der Fans längst über­fäl­lig und von Pseudo-​Kritikern schon in den Him­mel gelobt oder zer­ris­sen, bevor es über­haupt exis­tier­te. Tat­säch­lich schie­nen Audio88 & Yas­sin Spaß dar­an zu haben, "Nor­ma­ler Samt" hier und da zu erwäh­nen oder irgend­et­was dar­über durch­blit­zen zu las­sen. Den­noch war sich die Sze­ne wei­ter­hin unschlüs­sig, ob das Album jemals das Licht der Welt erbli­cken wür­de. Das drit­te Her­ren­ge­deck stand immer­hin schon seit 2010 auf dem Tisch, und so wur­de unge­dul­dig über das nächs­te Werk des Ber­li­ner Duos getu­schelt. Die einen tuschel­ten, weil sie Fans waren und fürch­te­ten, laut aus­ge­spro­che­ne Wün­sche gin­gen nie in Erfül­lung. Die ande­ren waren Schmüt­ze und hat­ten Angst davor, dass "Nor­ma­ler Samt" sie aus der Rap­welt til­gen würde.

Was auch immer man von Audio88 & Yas­sin hal­ten moch­te, am 13. März war es dann end­lich soweit: Im Plat­ten­re­gal fand neben blau­em, grü­nem und lil­a­nem end­lich auch "Nor­ma­ler Samt" sei­nen Platz. Und die Wir­kung? Im Grun­de wur­den alle Erwar­tun­gen auf recht uner­war­te­te Wei­se erfüllt. Inhalt­lich haben auf die­ser Plat­te sämt­li­che Schmüt­ze nor­ma­len Samt "in ihrem Mund drin", sound­tech­nisch wirkt das Gan­ze für das "Duo Nume­ro Burr" und Pro­du­zent Tor­ky Tork jedoch fast schon mas­sen­taug­lich. Ein unge­wohnt ange­neh­mes Klang­bild mit den gewohnt sze­ne­kri­ti­schen bis selbst­iro­ni­schen Tex­ten bil­den das bis­her wohl gelun­gens­te, vor allem aber zugäng­lichs­te Release von Audio88 & Yas­sin. So zugäng­lich, dass sich "der Möch­te­gern­ka­na­ke und die Glat­ze mit der Zahl" auf Platz 22 der deut­schen Album­charts breitmachten.

Für die bei­den selbst mag so eine Chart­plat­zie­rung kei­ne gro­ße Rol­le spie­len, doch ist es in jedem Fall ein wun­der­schö­nes Zei­chen an die gesam­te Sze­ne (und ins­be­son­de­re an sämt­li­che Schmüt­ze), dass deut­scher Rap auch ganz "nor­mal" funk­tio­nie­ren kann. Letzt­lich also für jeder­mann mehr als emp­feh­lens­wert, "nor­ma­len Samt" in sei­nen Mund respek­ti­ve die Ohren reinzubekommen.

(Dani­el Fersch)

 

Whats goes

Die Orsons – What's Goes?

"Mach' aus 'nem Stroh­halm und 'ner Büro­klam­mer eine Zei­le über Mac­Gy­ver", rappt Mae­ckes auf "Tor­na­do­war­nung". Ein Track, der nicht stell­ver­tre­ten­der für "What's Goes?" ste­hen könn­te: Die Orsons bewe­gen sich abseits jeder Norm, die im deut­schen Rap Bestand hat. Da wird auch mal ein Part mit sekun­den­lan­gem Applaus unter­bro­chen oder die letz­te Line gestri­chen für Blö­de­lei­en à la "Wie­so liegt hier Stroh?". Auch wenn sie teils dar­an schei­tern, den Hörer nach einer Unter­bre­chung wie­der abzu­ho­len, blei­ben die Schwa­ben durch­aus eine erfri­schen­de Abwechs­lung zum sowie­so schon brö­ckeln­den "Part-Hook-Part"-Konzeptdenken.

Wie bereits unse­re Kri­tik behaup­tet, ist "What's Goes?" auf Plat­te schnell über­for­dernd und ent­fal­tet erst live sei­ne vol­le Wir­kung. Auf einem Gig der schwä­bi­schen Rap-​Crew habe ich mich von die­ser Mut­ma­ßung über­zeu­gen kön­nen und kurz gesagt: Es ist tat­säch­lich so. Län­ger gesagt: "Anders" ist auch on Stage das per­fek­te Wort, um die Orsons zu beschrei­ben. Da tan­zen, tol­len und toben die vier auf der Büh­ne, als gäbe es kein Mor­gen mehr, wäh­rend ande­re Rap­per noch ver­su­chen, die Crowd dazu zu bewe­gen, mal die Arme hoch­zu­neh­men. Eine gute Lau­ne, die ein­fach anzu­ste­cken weiß. Wäh­rend Tua an allem schei­tert, was auch nur an Tanz­schrit­te erin­nert, pro­biert der Rest sich sogar an einer Art von Cho­reo – der ganz nor­ma­le Wahn­sinn eben.

Eines, das fehlt bei den Orsons ein­fach nie: "Feel good"-Momente. Momen­te, die man genie­ßen will und wel­che einen mit guter Lau­ne förm­lich infi­zie­ren. Und wer eine Plat­te ver­öf­fent­licht, die live auch den letz­ten grimmig-​eingesessenen HipHop-​Geek dazu bringt, plötz­lich so zu fei­ern, als wäre Tomor­row­land die­ses Jahr in Fer­ro­po­lis, der hat sich sei­ne Erwäh­nung bei "Hört, hört!" eben auch red­lichst verdient.

(Sven Aum­il­ler)