[Zeitungsartikel] Politisierung der deutschen Rap-Texte

Ralf Kotthoff

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Absolute Bambule

Pop mit Politik: Die deutschen Stars des Hip-Hop entdecken den radikalen Schick des Protestsongs


Das große Aufbäumen: Jan Delay aus Hamburg tritt im Kampfanzug an
Foto: Popeye
Von Michael Pilz

Das rituelle Pflastersteinewerfen fand am 1. Mai 2001 an alter Stelle statt. In Kreuzberg. Es fiel, verglichen mit den Maikrawallen in den Neunzigern, überraschend heftig aus. Fahndungsfotos gibt es diesmal auch. Sie zeigen ausgesprochen ernste und erzürnte junge Menschen.
Zeitgleich kam im Fernsehen ein Videoclip zum Einsatz, der für einen Song Jan Eißfeldts warb. "Ich will nicht, dass ihr meine Lieder singt", erklärt der Rapper aus Eimsbüttel. Eißfeldt heißt hier Jan Delay, und der ist im Kampfanzug unterwegs, bewaffnet und vermummt. Es ist sein Anschlag auf die Spaßkultur. Ein Paradigmenwechsel, sozusagen.

Sag mir, wo die Terroristen sind/Wo sind sie geblieben?/ Nun kämpfen die Menschen/ Nur noch für Hunde und Benzin/ Folgen Jürgen und Zlatko/ Aber nicht mehr Baader und Ensslin. (Jan Delay: "Die Söhne Stammheims")

Vielleicht hat ihm der "Buback-Tower" seinen Weg gewiesen. Im Büroturm von Eimsbüttel unterhält Delay die Plattenfirma Buback Records für den landesweit begehrten Hanse-Hip-Hop. Das Debüt seines Trios, Absolute Beginner, hieß "Bambule". Jan Delay beschwört die Geister seiner Babyjahre. Die bleierne Zeit als Retrokult. "Zuviel Deutschland ist ungesund", und "Meine Waffe ist das Mic", das Mikrofon.

Auch Pop in seiner unbeschwerten Art erzählt von allgemeineren Befindlichkeiten. Der deutsche Nachkriegsschlager handelte mit Vaterbildern und Verdrängungsfantasien. Die Neue Deutsche Welle feierte den Unsinn angesichts apokalyptischer Visionen. Deutscher Hip-Hop hat nicht nur die Sehnsüchte der Industrie erfüllt nach einem "Popstandort Deutschland". In ihm lässt sich mehr erkennen als im Zahlenmüll verständnisvoller Jugendanalysen. Jan Delay und Denyo77, Thomas D, Samy Deluxe und andere verkaufen heute Platten wie geschnitten Brot.

Scheiße Mann/ Alles hier ist traurig und grau/ Ich werd aus der Scheiße auch nicht mehr schlau/ ich hör Politiker reimen/ Sie wollen lieber Kinder statt Inder/ Ich bin nur Berichterstatter/ Diese alten grauen Krawattenträger/ sind die Attentäter/ Geben uns nur materielle Ziele zum anstreben/ Verdammt Mann! (Samy Deluxe: "S.O.S.")

Eine eigene Kultur des Hip-Hop blühte etwa 1990 auf. Nach dem Verlust gewohnter linker Utopien brachen durch die deutsche Einheit wieder Ängste auf und Zweifel am politischen System. "Bundestag brenn!" rief Anarchist Academy aus Iserlohn. Advanced Chemistry, Kinder von karibischen und afrikanischen Einwanderern, rappten ihr "Fremd im eigenen Land". Mastino warnte: "Sechs Millionen ohne Arbeit, das gab's schon mal in Weimar."

Doch berühmter wurde diese Art Musik in ihrer schwäbisch lässigen Version. Die Fantastischen Vier reimten vom Flirt im Jugendhaus. Sie traten in der Fernsehhitparade und in einer Fruchtsaftwerbung auf. Politisches kam angedeutet nur am Rande vor. Bald hatte jede Plattenfirma ein paar Burschen im Programm, die Knittelverse riefen, lustig weite Hosen und ihr Mützchen falschrum trugen. Rap, die gute alte Schimpfkultur, der "CNN der Schwarzen" in Amerika, nahm sich in Deutschland aus wie RTL am frühen Nachmittag. Gewöhnlich führt der Ruf des Ausverkaufs dazu, dass die Begabten radikaler werden, um sich abzugrenzen. Und die sinnentleerte Form wieder mit Inhalt füllen. Eminem hat in Amerika und überall damit Erfolg. In Deutschland bieten sich statt garstiger Verstöße gegen die politische Korrektheit derzeit wieder RAF-Verweise an. Denn die, das hat die Aufregung um Joschka Fischers Stadtguerilla-Zeit gelehrt, erschüttern selbst die Neue Mitte. Plakativer Deutschland-, Staats- und Bullenhass gegen den Konsens.

Von wegen Freund und Helfer/ Ich bin nur Bulle, weil ich gern schnell fahr/ Mit Blaulicht/ So'n Freak wie dich würd ich am liebsten an die Wand stelln/ Autorisierte Schläger/ Wie ich/ Üben staatlich subventionierte Gewaltaktionen/ Gegen Schwule, Zecken, toller Typ. (Das Department: "Bullenbeat")

Die Repolitisierung kam nicht plötzlich über deutsche Hip-Hop-Stars. Da war, zwei Jahre ist es her, das "MFG" der Fantastischen Vier: "RAF, LSD und FKK/ DVU, AKW und KKK/ ADAC, DLRG - ojemine!" In diesem Lied schien viel vom Kabarett der alten Bundesrepublik auf. Zur gleichen Zeit trat ein beliebtes Unternehmen namens Freundeskreis in Parkajacken auf, befleißigte sich einer antiquierten Spontisprache und beschwor die "Revolution der Bärte". Unter der Ikone des Genossen Ché.

Es sind derzeit geisterhafte Déjà-vus zu erleben. Als Jan Delay und Denyo77 im Konzert ihre Parolen rufen, ähnelt das den Kiezfesten der Achtziger. Es spielen Reggaebands. An Ständen, die normalerweise bunt bedruckte Kopfkissen und T-Shirts führen, liegen nun vertraute Büchlein aus. Die stapelten sich früher in der Küche der WG. Auf holzigem Papier wird immer noch entlarvt, dass Kapital per se Faschismus sei. Die T-Shirts werben für den Fußballklub St. Pauli und die Antifa.

Ich sag Deutschland, mit dir red ich nicht/ Denn du bist mir zu ekelig/ Ich scheiß auf deine Wertarbeit/ In Wahrheit heißt dein Ehrgeiz Neid/ Ich sag Deutschland, ihr sagt nein/ Ihr sagt Deutschland, ich sag nein. (Denyo77: "Deutschland")

Nun stammt ein Musiker wie Bruder vom Department wirklich aus der Hausbesetzerszene von Berlin. Er rappt im "Rauch-Haus", wo Ton Steine Scherben schon gesungen haben. Aber selbst der Rapper Thomas D bewohnt inzwischen in der Eifel einen Bauernhof, der "Mars" heißt. Bei den Fantastischen Vier war Thomas D der Spaßvogel vom Dienst. Nun hat er eine Platte solo eingespielt. "Lektionen in Demut". Reflektor Falke heißt der Held dieses vertonten Superheldencomic, und das ist Thomas D: Der Gott des Alten Testaments als eine Art fliegender Affe. Am Ende sieht die Welt hier aus wie das Finale eines indizierten Videospiels.

Vor dem Sturz steht der Hochmut/ Und nach dem Fall folgen Lektionen in Demut ... Was ist denn los Kind - keine Zukunftsvision mehr/ Hat unsere Jugend keine Rebellion mehr. (Thomas D: "Lektionen in Demut".)

Kein Wunder. Dieser feierliche Ernst und das bemühte Schmieden solcher bitterbösen Verse ergänzen sich gut: Hochmut/ Demut. Krawattenträger/ Attentäter. Schläger/ toller Typ. Wertarbeit/ Ehrgeiz Neid. Benzin/ Ensslin.

Während die Rapper in Amerika zur rhythmisierten Prosa neigen, reimt der Deutsche unter Zwang. Und während volkstümliche Helden wie Verona Feldbusch Camouflage-BHs zum Tarnrock tragen und das BKA aus alten Haaren eine neue RAF entwirft, machen die Lustigen auf einmal ernst. Mit dem Besetzen alter Zeichenwelten, zur Erregung ritueller Ärgernisse.

Jan Delay: Searching For The Jan Soul Rebels (Buback/Groove Attack).

Samy Deluxe: Samy Deluxe (Eimsbush/EMI).

Denyo77: Minidisco (Buback/Motor).

Das Department: Brennstoff (V2/Zomba).

Thomas D.: Lektionen In Demut (Four Music/Columbia/Sony).

Quelle: welt.de
 
naja, ich seh die situation im deutsprachigen hiphop so, dass man leider nur wählen kann zwischen pseudopolitischen zwangsrappern oder wannabe-gangsta-playaz.
rückblickend betrachtet kenne ich überhaupt keine ehrlichen, glaubwürdigen politischen hh-acts in deutschland und österreich und ich muss schmerzlich feststellen, freundeskreis ziemlich überbewertet zu haben.

-psm
 
Ich habe mir gestern den ganzen Tag nur altes deutschsprachiges Zeug reingezogen. Dabei ist mir aufgefallen daß früher wesentlcih mehr Politik im Spiel war als das heute der Fall ist. Vielleicht war es auch nur offensichtlicher, aber so Sachen wie Anarchist Academy, STOD oder Rabenschwarze Nacht von Too Strong habe ich in der letzten Zeit nicht mehr zu hören bekommen...
 
Wann versteht die Öffentlichkeit endlich, dass Hip Hop absolut nichts mit Pop zu tun hat. Hip Hop war schon immer "radikaler", nur heute wird das halt im Fernsehen gespielt.
 
Ja, es stimmt schon, es war damals Mehr politik im Spiel...
Jetzt kommt ja anscheinend alles wieder, siehe die alben aus HH, sam bringt wieder ETWAS, Jan Delays platte sowieso, und denyo auch........

Ich finds gut, solange es nicht zwangsweise kommt.
Den Rap ist mehr als auf dauer unglaublich nervende Partymusik, wo ein album vollkommen reichen würde, da auf 100 anderen nichts anders ist.......

Man kann politische sachen aber auch schön intressant verpacken, damit es sich auch jemand anhört......
 
hm ein bemerkenswertes fehlen jeglicher kompetenz könnte man dem artikel vorwerfen. aber meines erachtens hat er die situation erkannt, es findet tatsächlich eine repolitisierung statt. und wen meinst du mit "pseudopolitischen zwangsrappern", psm?

one *knuddel*
 
große politisierung

ich denke nich, dass hier eine starke politisierung zu sehen ist. vor allem dingen nicht aus hamburg, die auf ihrer kommerzplatte schön das maul halten um dann irgendwelches pubertäres gelaber auf ihren solo alben zu bringen.

politisch und sozialkritisch wäre für mich wenn diese bekannten leute bei öffentlichen auftritten missstände ansprechen würden, konventionen brechen würden. intelligente texte und nich so pseudo-mäßiges gelaber. es is doch schwachsinnig

ich möchte nich, dass ihr meine lieder singt,
ich möchte nur dass euer geld auf meinen konto is

das wäre passender gewesen.

glücklicherweise haben wir ja noch das team riesling mit den unglaublich hoch politischen texten!!!!

haha, was ein witz.

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