[Zeitungsartikel] 10 Jahre Rap in Algerien

Ralf Kotthoff

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Quelle: NZZ-Online

Vom französischen Raï zum algerischen Rap
Algerische Populärmusik zwischen Globalisierung und Identität

Der Raï von Cheb Mami und Khaled gilt als genuin algerisch, die über hundert Rap-Bands in Algier und Oran gelten als Auswüchse einer McWorld. Man kann es anders sehen: Die lokal geprägte Rap-Gemeinde drückt mit Worten aus, was die neusten Jugendunruhen in Algerien mit Gewalt suchen. Und Raï ist im Weltmarkt bloss noch ein Kommerzprodukt von Produzenten.

Zehn Jahre Rap in Algerien - und keiner will es merken. Rap gilt als Ausdruck zunehmender Amerikanisierung und ist daher keiner Unterstützung wert. Rap ist MTV-Kultur, ist McWorld, ist Sinnbild einer verlorenen Jugend, die ihre lokale Identität und ihre Wurzeln leugnet. Diese Sichtweise ist zweifelhaft: Rap in Algerien hat heute weit mehr zu sagen als der gut vermarktbare Global-Raï der Superstars Khaled und Cheb Mami. Während Raï seit den achtziger Jahren von einer stark lokal geprägten Musik zu einer globalen Allerweltsmusik zieht, entwickelt sich algerischer Rap in die Gegenrichtung. Er passt sich ein in einen lokalen Kontext und vertraut auf die algerische Sprache. Rap ist Ausdruck einer neuen Generation, er drückt mit Worten aus, was die jüngste algerische Jugendrevolte mit Gewalt sucht. Setzt man die Geschichten von Raï und Rap parallel, untersucht man Produktionsbedingungen und deren Auswirkungen, zieht man vom Lokalen zum Globalen und vom Globalen zum Lokalen, eröffnen sich interessante Perspektiven.

Raï: Politische Lokalkultur?
Raï integrierte zwar immer westliche Musikinstrumente und Stile, verfügte aber stets über eine eigene Aufführungspraxis und arbeitete mit doppeldeutigen Texten, die nur vor Ort verstanden werden konnten. Frei agierten die Raï-Sänger indes nie; meist waren sie Marionetten anderer: An ihren Konzerten in Kabaretts und an Hochzeiten sangen sie auf Kommando des Master of Ceremony (Barrah), der in einer Art Versteigerung Liederwünsche und Widmungen im Publikum sammelte. Im Studio spielten die Raï-Musiker, was der Produzent verlangte. Im täglichen Leben schliesslich waren sie den Launen der Machthaber ausgesetzt, von denen sie meist kritisiert oder verboten, nur ganz selten mal als kulturelle Botschafter gefördert wurden. 1988 etwa soll der Raï mit seinen Liedern, die den geläufigen Sittenkodex ignorierten, zur grossen Jugendrevolte angestachelt haben - so jedenfalls die Meinung des damaligen Präsidenten Bendjedid und seiner Einheitspartei (FLN). Der Aufstand führte zu den ersten freien Wahlen in Algerien und schliesslich zum Terrorkrieg zwischen der Islamischen Heilsfront (FIS), diversen Splittergruppen und dem Regime, das die FIS 1991 mit einem Putsch um ihren Wahlsieg betrogen hatte.

Eines der Opfer des bis heute andauernden Krieges war der Raï: Die Morde am Sänger Cheb Hasni (1994) und am Produzenten Rachid Baba-Ahmed (1995) führten zu einem Rückgang der Produktion, viele Sänger emigrierten ins Ausland.

Rap: MTV und M6 in Algerien
Heute treten in Algier und Oran über hundert Rap-Gruppen auf, Bands wie MBS («Le Micro brise le silence»), Intik, Hamma Boys und SOS treten mit den in Algerien verbliebenen Raï-Musikern in Konkurrenz. Die Rapper ahmen nach, was sie via Satelliten-TV aus den US-amerikanischen Ghettos und den französischen «Beur»-Gemeinden empfangen, und zeigen einmal mehr, dass Rap heute die globale Musiksprache schlechthin ist. «Anfang der neunziger Jahre begannen wir in Algier Nachmittagspartys zu organisieren und mit dem Ghetto-Blaster Hip-Hop aus dem Westen zu hören und zu imitieren», erzählt Ourrad Rabah von der Gruppe MBS. «Wir stiessen auf Widerstand. Rap war zu westlich, zu politisch.»

Raï: Marionetten
Die goldene Zeit des Raï begann, als Mitte der siebziger Jahre die Schallplatte durch die Kassette ersetzt wurde. Die billigere Massenproduktion brachte grössere Umsätze, degradierte die Sänger jedoch zu Marionetten. Produzenten bestimmten, was einzuspielen war; sie zahlten den Sängern für Aufnahmen einen einmaligen Lohn und kauften ihnen damit alle Rechte am eingespielten Produkt ab - egal, wie viele Kassetten verkauft wurden, der Verdienst der Sänger blieb gleich. Das kurze Regal-Leben der Songs, die fehlenden Copyrights und die Piraterie kurbelten die Raï-Wirtschaft zwar an, richteten sie künstlerisch aber zugrunde.

Rap: «Wir produzieren selber»
Die Sprechjongleure Algeriens schreiben ihre Texte und ihre Musik selber. Sie sparen oder borgen sich Geld, mieten sich eigene Studios und produzieren ihre Musik selber. «Die Produktion unserer Kassetten kostet ein Vielfaches mehr als im Raï. Wir nehmen in ein, zwei Tagen ein Stück auf, Raï-Sänger in einer Stunde ein ganzes Album», erzählt Rabah: «Haben wir ein oder zwei Stücke fertig, versuchen wir sie einem Herausgeber oder Produzenten schmackhaft zu machen; meistens gelingt dies nicht, kaum einer will etwas mit Rap am Hut haben. Ein Produzent wollte algerischen Rap fördern, heute ist er tot», erzählt Rabah und schweigt. «Findest du einen Herausgeber, zahlt er dir einen Minimalpreis pro verkaufte Kassette», fährt er fort. «Wir sollen unser zweites Album 80 000-mal verkauft haben; wie aber wollen wir das kontrollieren oder beweisen?»

Raï global: Die Macht der Produzenten
In Frankreich sind die Raï-Stars von grossen Plattenfirmen abhängig, und ihre CD, bei denen mehrere Produzenten die Finger im Spiel haben, tönen meist beliebig und fremdgesteuert. «Fragen Sie meine Produzenten», antwortete der in Frankreich geborene Raï-Jungstar Faudel unlängst auf die Frage, wie denn sein nächstes Album tönen werde. Und Cheb Mamis neue CD «Dellali» offeriert Musik für jeden Geschmack. Die CD, die in Paris, New York und London produziert wurde, strebt mit den Mitmusikern Sting, Ziggy Marley und Nitin Sawhney den Pop-Olymp an, erhält aber allein dank Cheb Mamis prägnanter Stimme so etwas wie eine Identität und künstlerische Handschrift. «Raï in Frankreich ist tot», behauptet der Sänger Rachid Taha in der Berliner «TAZ»: «Die meisten Raï-Sänger verfügen über keine grosse Persönlichkeit und sind im Grunde Hochzeitssänger geblieben.»

Taha bringt vieles auf den Punkt, verkennt aber, dass Raï immer die Stimme ins Zentrum stellte und die Musik stets kommerziell und auf den Hörergeschmack ausgerichtet war. Auch wenn nicht wirklich anzunehmen ist, dass vom Raï in Zukunft nur ein orientalisierender Gesang übrig bleiben wird, hat Sting 1999 mit «Desert Rose», einem Duett mit Cheb Mami, exakt die Erfolgschancen dieses Rezeptes aufgezeigt - sieben Millionen Mal ging der Song immerhin über den Ladentisch.

Rap lokal: Sprachrohr der Jugend
Rap prägt heute Algerien. Und Algerien prägt den Rap. Rap steht zu seinen Wurzeln, polemisiert öfter in Algerisch als in Französisch und nimmt politisch kein Blatt vor den Mund. Mit Sprechgesang prangert die frustrierte, zu einem grossen Teil arbeitslose Jugend Bürgerkrieg, Wirtschaftskrise und Ungerechtigkeiten an - die Drohungen von Seiten der Islamisten und des Regimes scheinen sie nicht einzuschüchtern. «Wenn du schweigst, stirbst du, wenn du sprichst, stirbst du auch; also sprich und stirb», schrieb der algerische Schriftsteller Tahar Djaout kurz vor seiner Ermordung; MBS nahm dieses Motto auf und druckte es aufs CD-Cover. Zu den jüngsten Jugend-Protestbewegungen, die stark an die Revolte von 1988 erinnern, ist Rap das musikalische Äquivalent: «Werfen wir die Stille in ein Leichentuch. Der Rap ist die Waffe, mit der ich meine Wut reinige. Was mit mir geschehen wird, ist egal, auch wenn ich vor dem Richter lande. Ich lebe, ich will mein Land repräsentieren», rappt MBS, und auch Intik spricht Klartext: «Ich muss die Wahrheit aussprechen und denen eine Stimme geben, die misshandelt wurden. Ich spreche von Kindern, die verbrannten, von meinen Schwestern, die vergewaltigt wurden.»

Rap: Sprung in den Westen
MBS und Intik haben den Sprung in den Westen geschafft und CD bei multinationalen Labels eingespielt. - Werden sie sich, wie der Raï es tut, vorschreiben lassen, wie der «Orient» zu tönen hat? Er könnte sich im Erfolg sonnen, habe die Realitäten in seinem Land aber nicht vergessen, betont Ourrad Rabah: «Ich möchte mich für die vielen Rapper Algeriens einsetzen und ein Aufnahmestudio für sie einrichten», sagt er, und: «Wenn sich die politische Situation bessert, wird Europa sehen, wie viele unbekannte Seiten die grossartige Musiklandschaft Algerien noch zu bieten hat.»

Thomas Burkhalter

Literatur: Marc Schade-Poulsen, 1999: The Social Significance of Raï. Men and popular Music in Algeria. University of Texas Press. 250 S., Fr. 28.-.

Algerischer Rap auf CD: MBS: Le micro brise le silence (Universal); Intik: Intik (Sony); 113: Les princes de la ville (Sony); diverse: Wahrap - La nouvelle Génération Rap d'Oran (Atoll Music / Disques Office); diverse: AlgeRap (Virgin/ EMI).

Neuere Raï-CD: Cheb Mami: Dellali (EMI); Faudel: Samra (Universal); Sahraoui: Un homme libre (Disques Office).


Neue Zürcher Zeitung, Ressort Feuilleton, 26. Juli 2001, Nr.171, Seite 50
 
MBS

MBS ist eine der aller besten rap gruppen überhaupt!!!!!!! die sind an stil nicht zu überbieten und die texte sind einfach nur brilliant!!!!!!!!!!!!!!

wer mehr über deise super geile gruppe erfahren will, der gehe bitte auf diese website:

www.yfw24.net/mbsmbs <= schleichwerbung;)

naja bis dann

iptesam
 
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