WÜRZBURG
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Mainfranken insbesondere Würzburg.
"Keine Gnade für junge Sprayer" 16.07.2001 18:27
Würzburg - Schaden in Höhe von weit über 200 000 Mark haben Graffiti-Sprüher im ersten Halbjahr 2001 allein in Würzburg angerichtet. Wenn sie erwischt werden, trifft sie die volle Härte des Gesetzes.
Außer harten Strafen müssen Sprayer auch mit hohen Schadenersatzforderungen rechnen
Es begann in den 70er Jahren in den Slums der amerikanischen Großstädte: Desillusionierte, chancenlose Jugendliche fanden einen neuen Weg, ihrem Frust Luft zu machen: Sie besprühten Häuserwände und Brückenpfeiler mit großflächigen Gemälden, "pieces" genannt. Ende der 70er Jahre schwappte die Welle nach Europa über, Anfang der 80er Jahre wurden die ersten "graffitis" in Berlin gesprüht.
In Würzburg hielt sich der Schaden zunächst in Grenzen. 1997 wurden gerade mal 23 Schmierereien angezeigt. Schadenssumme: 27 000 Mark. Ein Jahr später waren es schon 230 Graffitis, mit denen zum Ärger von Hauseigentümern, Einzelhandel und Betreibern von öffentlichen Verkehrsmitteln Wände, Automaten und Züge beschädigt wurden.
Neben dem Besprühen gab es jetzt in der Stadt ein neues Graffiti-Phänomen: Die jugendlichen Täter ritzten Buchstaben mit spitzen Gegenständen in Schaufenster. Den Schaden bezifferten die Betroffenen mit 217 000 Mark. Im Jahr 2000 haben Sprayer in Würzburg Schaden in Höhe von knapp einer halben Million Mark angerichtet, im Jahr 2001 waren es bis Ende Mai bereits 200 000 Mark.
Die modernen deutschen Sprayer haben außer dem Imponiergehabe nichts gemeinsam mit den jungen Amerikanern, die die Graffiti erfunden haben. Nach Erfahrung der Polizei handelt es sich bei den meisten um intelligente junge Männer zwischen 15 und 20 Jahren aus gutbürgerlichen Verhältnissen, mit guter Schulbildung und rosigen Zukunftsaussichten.
Letztere können sich allerdings ganz schnell zerschlagen. Silvester 1999 erwischte die Polizei einen Lehrling, der sein in der Szene "tag" (sprich: tääg) genanntes Kürzel "ZES" in ganz Würzburg in Fensterscheiben geritzt und auf Wände gesprüht hat. Im März wurde der inzwischen 18-Jährige zu 16 Tagen Dauerarrest verurteilt. Ein ebenfalls 18-jähriger, der das tag "MB!" mindestens sieben Mal geschmiert und damit Schaden von 1500 Mark verursacht hat, muss 90 Stunden soziale Hilfsdienste ableisten und vier Tage in den Jugendarrest.
Härter als die Strafe treffen die jungen Leute die Schadenersatzansprüche der Betroffenen. Der Lehrling zum Beispiel steht schon zu Beginn seines Berufslebens mit einem Schuldenberg in fünfstelliger Höhe da. 8000 Mark hat er durch Auflösung seiner Sparbücher bereits bezahlt. Nun muss er von seiner Ausbildungsvergütung in Höhe von 600 Mark auch noch jeden Monat 120 Mark für Raten an die Geschädigten abzwacken.
Der Grundsatz "Eltern haften für ihre Kinder" gilt auch bei Sachbeschädigung durch Graffiti. Wenn der Täter noch keine 18 Jahre alt ist und Vater und Mutter ihre Aufsichtspflicht verletzt haben, werden sie von den Geschädigten zur Kasse gebeten. Bei großflächigen Schmierereien oder dem Einritzen von tags in Schaufensterscheiben können da schnell einige Tausend Mark zusammen kommen.
"Das Anbringen von tags auf Wänden und Fenstern ist systematische Beschädigung fremden Eigentums", sagt der Würzburger Jugendrichter Karl-Heinz Straub, "die Schmierer wollen einfach zerstören". Der Würzburger Polizeisprecher Heinz Henneberger sieht das ähnlich: "Wir müssen rigoros den Daumen auf die Graffiti-Szene halten."
Deshalb ist die Polizei auch strikt dagegen, Flächen für legales Sprühen frei zu geben. Ein entsprechender Versuch in der Stadt Würzburg habe bewiesen, dass "das nichts bringt". Auch Erfahrungen in Nürnberg, Fürth und Erlangen hätten gezeigt, dass "genehmigte Flächen die Sprayer anziehen". Henneberger: "Wer legal sprüht, sprüht auch illegal. Das geben die jungen Leute sogar selbst zu."
Schulen, die ihren Schülern Wände zum Besprühen anbieten, bewegten sich auf dünnen Eis, sagt der Kriminalhauptkommissar. "Hier werden die Jugendlichen auf den Geschmack gebracht."
Um das Graffiti-Unwesen in den Griff zu bekommen, empfiehlt die Polizei den Betroffenen, angesichts von Schmierereien nicht zu resignieren, sondern die tags sofort zu entfernen. "Damit wird den Sprayern der Anreiz für weitere Straftaten genommen." In der Szene genießt nämlich derjenige das höchste Ansehen, der die meisten tags in der Stadt angebracht hat.
"Der Kick ist das Verbotene" 16.07.2001 18:27
Ein 16-jähriger Sprayer ist sich seiner Sache sicher: "Mich erwischen die Bullen nicht"
Würzburg (scht) Wenn Lucky (Name von der Redaktion geändert) abends ausgeht, hat er Spraydosen, Edding-Stift und eine Graviernadel dabei. "Taggen", sagt Lucky, "ist das Größte". Taggen ist das Anbringen von Namenskürzeln auf Häuserwänden, Automaten, Telefonzellen und Schaufensterscheiben.
Mal wird das tag mit Sprühfarbe gesprayt, mal mit Edding gemalt, mal mit der Graviernadel eingeritzt. Und immer gilt es als Sachbeschädigung. Aber davon will Lucky nichts wissen. "Mich erwischen die Bullen nicht", sagt er mit jenem überlegenen Grinsen, das nur 16-Jährige haben. "Und zahlen musst du nur, wenn sie dich kriegen."
Der Gymnasiast, dem der Hosenboden in den Kniekehlen hängt, kommt aus gutem Haus. Mit der halbtags berufstätigen Mutter und der kleinen Schwester lebt er in einer schicken Eigentumswohnung mit Garten, zum Vater, einem Handwerksmeister, der die Familie vor ein paar Jahren verlassen hat, hat er engen Kontakt.
150 Mark Taschengeld im Monat, Handy, eigener Computer, Marken-Klamotten, Nachhilfestunden, Tennis-Camp, Sprachferien in Frankreich sind für Lucky selbstverständlich. "Meine Eltern wollen ja, dass was aus mir wird."
Dass Lucky nachts um die Häuser zieht und sie mit Farbe beschmiert, wissen Mutter und Vater nicht. Nur dass Malen und Zeichnen seine Hobbies sind. "Die finden es toll, dass ich Grafik-Designer werden will." Deshalb hat die Mutter ihm auch erlaubt, das Garagentor nach seinem Geschmack zu gestalten. Und im Haus des Vaters durfte er den Fitness-Raum verzieren. "War echt cool", sagt Lucky. Aber nicht so cool wie das illegale Sprühen. "Das bringt den wirklichen Kick." Und "fame", Ruhm in der Graffiti-Szene, wo der am meisten gilt, der die meisten Wände beschmiert hat.
Manchmal, an den Wochenenden, ist Lucky bis ein, zwei Uhr früh in den Straßen unterwegs. Daheim erzählt er, dass er mit seinen Freunden im Jugendzentrum ist. "Stimmt auch", sagt er, "da treffen wir uns ja". Die Eltern haben nichts dagegen, wenn er erst morgens nach Hause kommt. "Wir sprechen über meine Ausgehzeiten und ich halte mich dran", sagt Lucky.
Dass seine Graffiti für andere ein Ärgernis ist, lässt der 16-Jährige nicht gelten. "Jedes tag sieht doch besser aus als 'ne öde Wand."
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