ausgewalsert.....
Wenn man in diesen Tagen den Feuilleton-Teil aller deutschen Tages- und Wochenzeitschriften aufschlägt, scheint nur ein Thema die Kulturnation zu bewegen: Martin Walsers neuer Roman und der Antisemitismus-Streit. Schlägt man ein paar Seiten zuvor den politischen Teil der Zeitungen auf, liest man mit demselben Missvergnügen dasselbe Streitthema. Diesmal ausgetragen von den Streithähnen Möllemann und Friedmann. Kann man diese antisemitischen Äußerungen – zwar kopfschüttelnd – noch als unsinnige Affäre im Zeichen des Wahlkampfes begreifen, als Eskapaden für das FDP-Projekt 18, so fehlt uns das Verständnis für den unsinnigen literarischen Wirbel.
Weit und breit ist in Deutschland kein Interesse an derartigen Diskussionen zu sehen – vielmehr beschäftigen den Bürger Arbeitslosigkeit, Teuro und Verbraucherschutz. Das ganze Gezeter wirkt wie der Auftakt zum politischen und journalistischen Sommerloch. Niemand würde es wundern, wenn jetzt auch Günter Netzer seine Fußballeinschätzungen aus dem fernen Korea mit Gedanken zu Judentum und Nationalstolz untermauern würde oder Jörg Kachelmann seine täglichen Wetterprognosen mit ähnlichen Attacken ausschmücken würde.
Doch zurück zu Martin Walser und seinem neuen Roman „Tod des Kritikers“. Nach Aussagen der Handvoll Leute, die bisher die Möglichkeit hatten, den Roman zu lesen, hat Walser sich seinen ganzen Hass gegen den deutschen Literaturbetrieb von der Seele geschrieben. Sein gutes Recht als Autor. Doch das Ganze entpuppt sich als schmutzige Retourkutsche gegen den deutschen Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki, der seine letzten Romane verrissen hatte und ihm – so hören wir – einmal demonstrativ den Handschlag verweigerte. Längst ist Walsers Roman zum Schlachtobjekt von Rezessenten, Feuilleton-Chefs und Verlagen geworden, also jenen Milieus, das er eigentlich geißeln wollte.
Einziger Gewinner an dieser beschämenden Angelegenheit wird der Verlag (Suhrkamp?) sein, der letztendlich den Roman auf den Büchermarkt bringt. Er darf sich ein schönes Sommergeschäft versprechen. Bestsellerlisten und Rezessionen waren für mich noch nie ein Anreiz zur Lektüre. Und so halte ich es auch in diesem Falle mit Hans Magnus Enzensberger: „Ich werde das nicht lesen"..........