Im Skaters Palace in Münster haben sich schon viele HipHop-Legenden die Ehre gegeben. Am Wochenende, an dem wir von MZEE zum Interview vorbeigekommen waren, sollten Evidence und Smif-N-Wessun hier spielen, aus Deutschland sind für den Winter Auftritte von Torch, Kool Savas, Curse und ABS in der westfälischen Studentenstadt geplant. Aber realer als an diesem 09. November 2018 wird es nicht mehr werden: Das sagenumwobene Verbale Stylekollektiv aus Berlin startete seine allererste Tour im Skaters Palace. MC Schreibmaschine, MC Bleistift und Flowbotta sprachen vorher mit uns über die bis in die 90er Jahre reichende Geschichte des VSK, ihre Verbindung zu MZEE Records und den Beef mit Tonträger One. Außerdem erklärte uns das Kollektiv, wieso ein Nazi kein Rapper sein kann.
MZEE.com: Wir befinden uns beim Auftakt eurer großen "Wo die Wilden Kerle flowen"-Tour in Münster. Was sollen die Fans heute mitnehmen?
MC Schreibmaschine: Das Gefühl für HipHop, wie er mal war. Eine Kunst, die live performt wird, ohne Playback.
MC Bleistift: Ohne Autotune.
MC Schreibmaschine: Ohne Autotune oder andere technische Prothesen und Roboterhilfe. Wir versuchen einfach, den Leuten einen guten Abend zu bescheren. Darum ging es ja bei HipHop eigentlich immer. Die Leute von der Straße zu holen. Gerade in Münster, das ist ja eine schwer kriminelle Stadt. Wir wollen die Aggressionen in etwas Positives umwandeln.
MZEE.com: Habt ihr heute in Münster viele aggressive Energien wahrgenommen?
MC Bleistift: Ja, auf dem Weg hierher haben wir eine Frau gesehen, die einen Mann am Bart gezogen hat.
MZEE.com: Ihr habt schon gesagt, was auf jeden Fall nicht zu einer richtigen HipHop-Show gehört. Was macht sie denn ansonsten für euch aus?
MC Bleistift: Als allererstes: live rappen.
MC Schreibmaschine: Tight rappen. Aber das Wichtigste ist, dass man mit dem Herzen dabei ist und zu dem steht, was man sagt. Man muss es einfach leben, fühlen und immer 150 Prozent für HipHop geben.
MZEE.com: Ist auch ein Open Mic geplant?
MC Bleistift: In Berlin haben wir das sogar schon gemacht. Wenn die Location es zulässt, versuchen wir natürlich auf der Bühne alle Elemente zu representen. Wir hatten schon Sprüher und Breaker auf der Bühne, wir machen Open Mics. So kann man die Gruppe und die Crowd verbinden.
MC Schreibmaschine: Hier direkt vor der Tür hab' ich auch schon einiges an Graffiti gesehen, da hat Münster auf jeden Fall etwas zu bieten. Auf den Zügen sind allerdings schon noch viele leere Stellen, obwohl die da so willig stehen. Da muss man vielleicht heute Abend noch nachhelfen.
MC Bleistift: Flowbotta hat sogar einen Kollegen aus der Schweiz nach Stuttgart bestellt, der extra zum Sprühen vorbeikommt. Der ist ein derber Graffiti-Artist und wird dort auf jeden Fall Trains rocken.
MZEE.com: Morgen feiert die Palace Lounge im Skaters Palace groß den achtzehnten Geburtstag und hat dafür durchaus hochkarätige Acts eingeladen. Einige davon werden wohl mit einer Live-Band spielen. Was haltet ihr davon?
MC Schreibmaschine: Für mich gehört zu einer HipHop-Show einfach ein DJ, der fette Beats auflegt. Da bin ich ganz zwiegespalten. Wir haben ja auch einen Song mit der Band Heimkind gemacht. Da haben wir auf Gitarren und Livedrums gerappt, das war schon ein geiles Feeling. Aber es ist halt nicht mehr so ganz HipHop, muss ich sagen.
MC Bleistift: Aber wir waren auch die ersten, die das gemacht haben.
MC Schreibmaschine: Ja. Das ist ja eigentlich ein Tabu.
MZEE.com: Ihr habt euer Album am 17. August 2018 veröffentlicht, ursprünglich sollte die Platte am 10. August zum 45. Geburtstag von HipHop erscheinen. War das ein Geschenk von euch an die Kultur?
MC Schreibmaschine: Das wäre wohl ein bisschen anmaßend. Ich weiß nicht, ob wir HipHop, der uns so viel gegeben hat, etwas schenken können. Ich denke, es war das Mindeste, das wir tun konnten. Zur Verschiebung: Die meisten Leute sind fake und kaufen Fake-Scheiße. Dadurch, dass wir realen Shit gemacht haben, wurde das natürlich von der Major-Industrie sehr misstrauisch beäugt …
MC Bleistift: … und unterwandert.
MZEE.com: War das für euch ein Beweis dafür, dass euch die Major-Industrie als Gefahr wahrnimmt?
MC Schreibmaschine: Es war auf jeden Fall der Beweis dafür, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wer solche Feinde hat, macht einiges richtig.
MZEE.com: Ihr habt VSK ja eigentlich schon 2013 gegründet …
MC Bleistift: Nein, nein, nein.
MC Schreibmaschine: Ich muss auch alle Wikipedia-Leute bitten, da noch mal drüber zu schauen.
MC Bleistift: Wir können das hier mal klarstellen. Das Verbale Stylekollektiv gibt es schon seit Ende der 90er. Über die Jahre hinweg ist das immer größer geworden und gewachsen. Wir schließen ja auch nicht aus, dass noch jemand dazukommt.
MZEE.com: Wieso hat es so lange gedauert, einen Tonträger zu veröffentlichen?
MC Bleistift: Wir haben uns eigentlich nie besonders viel daraus gemacht. Uns war es wichtiger, auf Jams zu gehen, zu cyphern und vor Ort den Spirit mitzunehmen. Wir hatten den meisten Kram gar nicht auf dem Schirm. Es gab ja auch kein Facebook oder Instagram. Das ist alles erst später gekommen. Dann haben wir gemerkt, dass die Leute Bock darauf haben und für uns anscheinend etwas geht. Deshalb haben wir die Platte gemacht.
MZEE.com: Wie war die Resonanz? Konntet ihr nur die alten Heads erreichen oder auch die junge Generation?
MC Schreibmaschine: Das weiß ich nicht. Platz 8 in den Charts war natürlich ein unglaublicher Erfolg.
MC Bleistift: Für HipHop.
MC Schreibmaschine: Den haben wir auch so nicht erwartet. Wir mussten uns danach in der Szene viel mit Sellout-Vorwürfen herumschlagen. Aber wir sind uns ziemlich sicher, dass wir etwas Gutes abgeliefert haben. Insgesamt haben wir gute Resonanz bekommen, auch von einigen Oldschool-Legenden, die uns gesagt haben, dass wir da eine gute Sache wiederbeleben.
MC Bleistift: Viele Oldschooler haben sich auch darüber gefreut, dass richtiger Rap wieder am Start ist und im Radio läuft. Als die Platte herauskam, ist das, was schon immer existiert hat, durch die Decke gegangen. Die ja eigentlich allgegenwärtige HipHop-Kultur ist wieder präsent. Dafür haben wir auf jeden Fall krasse Props bekommen.
MZEE.com: Wie habt ihr die Atmosphäre dieses Jahr auf dem Splash! wahrgenommen? Dort habt ihr ja vor einem sehr jungen Publikum gespielt. Wussten die überhaupt noch, wie man sich auf einem richtigen HipHop-Konzert bewegt?
MC Schreibmaschine: Es waren viele Hände oben und die Köpfe haben genickt.
MC Bleistift: Nur. Das hat super funktioniert.
MC Schreibmaschine: Wir waren ziemlich geflasht davon, wie viele Leute bei unserem Auftritt waren.
Flowbotta: Das war derbe.
MC Schreibmaschine: Es war wirklich ein Flash. Wir sind ja in der Hinsicht auch noch ganz neu in dem Game. Es war echt voll und die Leute haben den Sound gefühlt.
MC Bleistift: Der Auftritt auf dem Splash! war der perfekte Beweis dafür, dass man HipHop nicht unbedingt verstehen, sondern fühlen muss. Die Leute wussten intuitiv, was sie tun mussten, als sie den Sound gehört haben. Das war einfach real und super.
MZEE.com: Die Platte ist ja über MZEE Records erschienen. War es für euch eine besondere Ehre, auf demselben Label wie zum Beispiel damals die Stieber Twins zu releasen?
MC Schreibmaschine: Ja, auf jeden Fall. Das Release über MZEE Records war auch einfach Teil des Statements, das die ganze Platte ja ist.
MC Bleistift: Wo, wenn nicht dort?
MZEE.com: Wie genau ist da von eurer Seite der Kontakt zustande gekommen?
Flowbotta: Man kennt sich ja aus den alten Jam-Tagen. Die Szene war kleiner damals, jeder kannte jeden.
MC Bleistift: Wir haben den Freddy mal auf dem Splash! kennengelernt.
MC Schreibmaschine: Flowbotta und ich haben damals ein Foto mit ihm gemacht.
MC Bleistift: Da haben wir uns über Sprühergeschichten von ihm unterhalten. So kam der erste Kontakt zustande.
MZEE.com: Wir kriegen häufig Nachrichten, dass Menschen den MZEE Shop vermissen und nicht mehr wissen, wo sie ihre Baggys kaufen sollen. Geht euch das ähnlich?
MC Bleistift: Wer vermisst Baggys nicht, Alter?
Flowbotta: Durags, der ganze fette Scheiß, Mann. Wo ist der hin?
MC Schreibmaschine: Wir haben es auch schon gemerkt. Als Streichholz MC Geburtstag hatte, war es echt schwer, an sein Geschenk zu kommen. Flowbotta musste da seine Kontakte spielen lassen. Es gibt, glaube ich, keinen Shop mehr, der das representet.
MZEE.com: Der letzte Track auf "Wo die wilden Kerle flowen" ist eine Cypher, auf der auch viele Rapper der neueren Generation gefeaturet sind. Wieso waren MCs wie Torch, Toni L, Linguist oder Cora E. nicht vertreten?
MC Schreibmaschine: Na ja, das war ein bisschen schwer. Diese Leute sind einfach zu weit oben für uns. Wir haben gerade unser erstes richtiges Album rausgehauen und müssen uns noch den Status verdienen, dieser Idole würdig zu sein. Es wäre nicht angebracht gewesen, da nach einem Feature zu fragen. Es wäre natürlich unser aller Traum.
MZEE.com: Gibt es für euch so etwas wie einen HipHop-Olymp? Wer sitzt da ganz oben?
MC Schreibmaschine: Das kann man so nicht sagen. Es hängt ja immer von verschiedenen Faktoren ab. Torch erzählt die besten Geschichten, David Pe und MC Rene freestylen derbe … In verschiedenen Bereichen sind andere MCs top und sie sind alle HipHop. Von daher möchte ich da gar keine Hierarchie aufbauen.
MZEE.com: Wie steht es aktuell um den Beef mit Tonträger One? Hat der sich nach Flowbottas zerstörendem Part zurückgezogen oder kommt da noch etwas?
Flowbotta: Na ja, da kam nichts mehr. Was soll ich dazu sagen? Ich hab' gewonnen. Für den Text hab' ich mich auch nicht lange hingesetzt. Es war eine Momentaufnahme: Ich hab' seinen Diss gehört, bin sofort ans Mic und hab' aus meinem Kopf heraus gespittet.
MZEE.com: Auch wenn du das Battle gewonnen hast: Was war es für ein Gefühl, auf so einem Klassiker wie "Eimsbush Stylee" gedisst zu werden?
Flowbotta: Das war 'ne klare Respektlosigkeit, natürlich.
MC Schreibmaschine: Auch Samy und Schnabel gegenüber.
Flowbotta: Das ist Blasphemie. Und irgendwann wird er sich dafür verantworten müssen. Ich glaube nicht, dass Schnabel sich das bieten lässt. Er hat nicht nur mich damit wütend gemacht, sondern auch viele andere God MCs.
MZEE.com: Thema "Politik": Aktuell finden fremdenfeindliche Positionen immer mehr Unterstützer. Denkt ihr, dass es der Gesellschaft helfen würde, wenn sich die Menschen wieder mehr an den HipHop-Werten orientieren würden?
MC Schreibmaschine: Natürlich. HipHop hat Intoleranz nie toleriert. Es ging nie darum, wo du herkommst, welche Hautfarbe oder welches Geschlecht du hast. Es ging immer nur um deine Skills am Mikrofon, an der Sprühdose, auf dem Pappkarton, an den Turntables oder beim Beatboxen. Es gab die unscheinbarsten Leute, die plötzlich gezeigt haben, was sie draufhaben, und Stars wurden. Dafür steht HipHop bis heute. Es geht nur um deine Skills und um nichts anderes. Deswegen verträgt sich HipHop automatisch nicht mit Fremdenfeindlichkeit.
MZEE.com: Wie kann es da so etwas wie Nazi-Rapper überhaupt geben?
Flowbotta: Nur weil du rappst, bist du noch lange kein Rapper.
MC Schreibmaschine: Ich denke nicht, dass ein Nazi wirklich die HipHop-Kultur leben kann. HipHop wurde immer aus allen Kulturen der Welt gespeist. Wenn da jemand wirklich groß werden würde, müsste man den natürlich lyrisch zurechtweisen.
MZEE.com: Mit der "Urbanen" gibt es ja mittlerweile auch eine HipHop-Partei. Könntet ihr euch vorstellen, dort aktiv zu werden?
MC Schreibmaschine: Das ist auf jeden Fall eine richtig gute Sache. Ich weiß nicht, ob wir dafür bereit sind. Man kann ja auch nicht alles auf einmal machen. Wir bleiben erst mal der Bühne und dem Studio treu.
MZEE.com: Was würdet ihr den HipHop-Heads da draußen empfehlen, die auch in Zeiten, in denen die Szene zu einem reinen Business verkommt, es weiterhin einfach realkeepen wollen?
MC Schreibmaschine: Ich glaube, wenn man die Musik wirklich liebt, hat man einfach Spaß. Ob man mit fünf Kumpels in der Cypher steht oder vor tausenden Leuten auftritt. Wenn man den Spaß und die Liebe zur Sache bewahrt, muss man auch niemanden hassen, weil er etwas anderes macht. Und unsere Zeit wird wiederkommen.
MZEE.com: Und wie sieht die Zukunft vom VSK aus?
Flowbotta: Das war erst der Anfang.
MC Schreibmaschine: Genau. Wir werden sehen, was diese Tour bringt, wir werden unsere Fans besser kennenlernen. Ich freu' mich drauf.
MZEE.com: Letzte Frage: Amok oder Odem?
MC Bleistift: Wow. Das ist natürlich die Frage nach dem Huhn und dem Ei.
MC Schreibmaschine: Schwer. Odem ist natürlich sehr wichtig, weil der Roman wie eine Bibel war. Das will ich wirklich nicht entscheiden. Maximum Respect an beide.
Flowbotta: Als müsste man sich zwischen Caesar und Alexander dem Großen entscheiden.
(Alexander Hollenhorst)
(Fotos von Gerngross Glowinski Fotografen)