Wenn es draußen langsam wieder kälter wird und sich das Jahr dem Ende neigt, blickt man selbst ja gerne mal zurück und lässt die vergangenen Tage Revue passieren. Wir möchten mit unserem diesjährigen Adventskalender einen Blick zurückwerfen – von heute bis hin zu den Anfängen von HipHop in Deutschland. Sprich: knapp ein Vierteljahrhundert deutscher Rap. Eine Szene, die Mitte der 90er unter anderem "direkt aus Rödelheim" kam, aus dem "Fenster zum Hof" kletterte, sich "vom Bordstein zur Skyline" aufschwang und "zum Glück in die Zukunft" reiste, um sich letztlich zwischen ein paar "Palmen aus Plastik" niederzulassen. Kein Element der hiesigen HipHop-Kultur dürfte in all den Jahren einen so gewaltigen Wandel, so viele Höhen und Tiefen, so viele Erfolge und Misserfolge durchlebt haben wie Rap. Genau diese Entwicklung innerhalb der letzten 24 Jahre möchten wir nun für Euch skizzieren, indem wir jedes Jahr anhand eines Albums darstellen, welches – unserer Meinung nach – nicht nur das entsprechende Veröffentlichungsjahr, sondern auch die Szene allgemein nachhaltig prägte.
2010: Marteria – Zum Glück in die Zukunft
Spring' von Level zu Level zu Level zu Level zu Level …
Bis der Endboss kommt.
Sieht man deutschen Rap 2010 in den Charts, so kommt dieser meistens von den Szenegrößen Sido oder Bushido. Gangsterrap dominiert das Bild in Deutschland – zumindest scheint es so. Irgendwo gibt es diesen Casper und einen Prinz Pi, der erst noch Prinz Porno hieß, doch die wollen nicht so recht den Weg in die Massentauglichkeit finden. Auf einmal fällt Marteria vom Himmel – der zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich durch sein Alter Ego Marsimoto und die Teilnahme bei "Feuer über Deutschland" im Untergrund bekannt ist.
Marten Laciny bedient sich in seiner Musik beider Charaktere, wobei Marsimoto eher eine Art Alien-Kunstfigur darstellt. Mit "Zum Glück in die Zukunft" präsentiert der Rostocker – angelehnt an die Filmreihe mit Michael J. Fox – schließlich das zweite Album als Marteria, der zumeist ihn als Person verkörpert. Dabei hilft ihm das Produzententeam The Krauts, ein Soundbild zu kreieren, das für deutschen Rap zwar zunächst genrefremd erscheinen mag, jedoch nicht allzu experimentell wirkt. Mit Gastbeiträgen von Förderern wie Jan Delay und Peter Fox, aber auch Kollegen wie Yasha, Miss Platnum und Casper entwickelt der Rostocker inhaltlich einen erfolgreichen Gegenentwurf zum omnipräsenten Gangsterrap, ohne dabei den Eindruck zu erwecken, von oben herab zum Hörer zu sprechen. Authentisch und sympathisch geht es dabei um gesellschaftliche Themen wie Vergänglichkeit und Tabus, aber auch persönliche Inhalte wie den eigenen Sohn sowie kritische Blicke auf Drogenkonsum.
"Zum Glück in die Zukunft" war seinerzeit eine intelligente, erfrischende Platte, die zeigte, dass deutscher Rap auch ohne fantastische Zelebrierungen von Verbrechen, dem zigtausendsten Schwanzvergleich und Aneinanderreihungen platter Schimpfwörter funktionieren kann. Ob "XOXO" von Casper oder auch ein völlig andersartiges "Russisch Roulette" von Haftbefehl als Gegenentwurf derart eingeschlagen hätte, wenn Marteria nicht da gewesen wäre, steht in den Sternen. Dieses Album war trotz allem wegweisend und hat der Szene eine neue Richtung aufgezeigt – "zum Glück in die Zukunft".
(Michael Collins)
(Grafik von Daniel Fersch)