Wenn es draußen langsam wieder kälter wird und sich das Jahr dem Ende neigt, blickt man selbst ja gerne mal zurück und lässt die vergangenen Tage Revue passieren. Wir möchten mit unserem diesjährigen Adventskalender einen Blick zurückwerfen – von heute bis hin zu den Anfängen von HipHop in Deutschland. Sprich: knapp ein Vierteljahrhundert deutscher Rap. Eine Szene, die Mitte der 90er unter anderem "direkt aus Rödelheim" kam, aus dem "Fenster zum Hof" kletterte, sich "vom Bordstein zur Skyline" aufschwang und "zum Glück in die Zukunft" reiste, um sich letztlich zwischen ein paar "Palmen aus Plastik" niederzulassen. Kein Element der hiesigen HipHop-Kultur dürfte in all den Jahren einen so gewaltigen Wandel, so viele Höhen und Tiefen, so viele Erfolge und Misserfolge durchlebt haben wie Rap. Genau diese Entwicklung innerhalb der letzten 24 Jahre möchten wir nun für Euch skizzieren, indem wir jedes Jahr anhand eines Albums darstellen, welches – unserer Meinung nach – nicht nur das entsprechende Veröffentlichungsjahr, sondern auch die Szene allgemein nachhaltig prägte.
1994: Rödelheim Hartreim Projekt – Direkt aus Rödelheim
Wer den Krieg will, der soll ihn haben.
Du wirst beladen mit Narben, du spürst den Schaden.
Denn ich tret' dich von hier nach Baden-Baden.
Bis 1994 wurde Deutschrap in der breiten Öffentlichkeit nur durch die Fantastischen Vier wahrgenommen. Sicherlich gab es zu diesem Zeitpunkt talentierte Künstler im Untergrund, diese waren jedoch nur einer kleinen Szene bekannt. Zwei Männer aus Frankfurt schickten sich an, dies zu ändern. Mit rohen, harten Lyrics wollten sie zeigen, dass man sich auch mit einer konkreten Ausdrucksweise durchsetzen kann – mit Rap auf Deutsch "direkt aus Rödelheim".
Nach einem euphorischen, orchestralem Intro performen Moses P. und Thomas H. auf zehn weiteren Tracks "jede Menge Reime, die sich auch noch reimen". Hier wird nicht auf Wortwitz und Verschachtelungen gesetzt, sondern auf aneinandergereihte Reimketten, die direkt ins Gesicht gehen, denn: "Wenn es nicht hart ist, ist es nicht das Projekt". Auf eben diesem Track steuert der im schönsten sächsisch rappende Timo S. gemeinsam mit einer gewissen Schwester S. auch die einzigen klassischen Gastbeiträge bei. Ansonsten findet man lediglich Xavier Naidoo als Feature, um den Refrain bei "Reime" zu veredeln. In den Hooks werden dann auch regelmäßig sanftere Töne angeschlagen und die Beats mit poppigeren Bridges ausgestattet. So wird im folgenden Vers klargemacht, dass das Mikro beim Protagonisten bleibe und der Rest nach Hause gehen könne. Jedoch versteifen sich die Mitglieder des RHP nicht darauf, nur imaginäre Gegner zu dissen: Mit "Vision" schaffen sie ein wegweisendes Interlude, in dem sie die damalige Rapkonkurrenz ins Jahr 1996 mitnehmen und ihnen zeigen, dass ihre Zeilen nur noch für den Karneval reichen. Auf "Guter Tag" sowie "Zeit zum Besinnen" wird sich hingegen auf eine eigene Art und Weise mit dem Tod und dem Glauben auseinandergesetzt. Während "Keine ist" wie die potenzielle Single wirkt, in der man der Ex nachtrauert, wird zum Abschluss mit "Papa" nochmal zum Rundumschlag angesetzt.
Das RHP ebnete 1994 mit seinem Debüt den Weg für das, was heute als Frankfurter Schule bekannt ist. Der Wechsel zwischen Härte und Gedanken um das eigene Sein stand dabei genauso im Fokus wie das Bestreben, sich immer treu zu bleiben und überzeugend zu wirken. Auch ohne eine erfolgreiche Single, erreichte das Album voll mit provokanten Aussagen Goldstatus und gab Deutschrap einen kleinen Fingerzeig in eine neue Richtung.
(Sebastian Otte)
(Grafik von Daniel Fersch)