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Interview

Crystal F

"Das ist aus dem Herz geschrie­ben. Du musst nicht immer über Hol­ly­wood rap­pen und dir die kras­ses­te Geschich­te aus­den­ken." – Crys­tal F im Inter­view über sei­ne Hal­tung als Rap­per, die Gren­zen der Musik und den Ein­fluss, den Tuas "Grau" auf ihn hatte.

20:02 Uhr, Mon­tag­abend. Ich woll­te eigent­lich seit zwei Minu­ten mit Crys­tal F über sei­ne neue Plat­te reden, aber er ver­spä­tet sich noch – weil er "kurz das Kat­zen­klo sau­ber machen muss", wie er mir via Whats­App mit­teilt. Das ist der Moment, in dem mir klar wird, dass dies kein nor­ma­les Inter­view wird. In den dar­auf­fol­gen­den andert­halb Stun­den wur­de aus einem simp­len Gespräch über "Pan­zer­band & bil­li­ges Crack" dann tat­säch­lich ein abwechs­lungs­rei­ches Inter­view über Crys­tals Hal­tung als Rap­per, Ras­sis­mus und wie ein solch emo­tio­na­les Album wie Tuas "Grau" so einen gro­ßen Ein­fluss auf "Hau­ke Mac­Gy­ver, den Zuhause-​Abtreiber", haben konnte. 

MZEE​.com: Du bezeich­nest dein neu­es Album "Pan­zer­band & bil­li­ges Crack" als "Brü­cke zwi­schen dem alten und ganz neu­en Ruffiction-​Sound". Wor­in liegt für dich per­sön­lich der größ­te Unter­schied zwi­schen der dama­li­gen und heu­ti­gen Musik? 

Crys­tal F: Ich bin jetzt natür­lich zwölf Jah­re älter als zu Beginn mei­ner Kar­rie­re. Ich mache mir nicht nur in vie­len Lebens­si­tua­tio­nen Gedan­ken, son­dern bin mitt­ler­wei­le auch mit mei­ner Musik sehr viel mehr ein­ge­spannt. Ich mache mir vor Alben immer eine rie­si­ge Plat­te, wie ich das auf­baue. Auf die­sem Release habe ich hin­ge­gen alles sehr spon­tan gemacht. Auch, weil ich wie­der das Fee­ling von frü­her haben woll­te: Ein­fach mal eine CD machen, rap­pen und alles ganz schnell erle­di­gen kön­nen. Kei­ne gro­ßen Gedan­ken an mög­li­che Sin­gles oder sonst irgend­et­was ver­schwen­den. Ich woll­te ein­fach mal wie­der lus­tig rap­pen. (grinst) Außer­dem woll­te ich end­lich wie­der viel mit Freun­den machen – es hat frü­her sehr viel aus­ge­macht, dass wir an alles gemein­sam her­an­ge­gan­gen sind.

MZEE​.com: Inwie­weit ist es für dich ein ande­rer Vibe, wenn du mit dei­nen Freun­den etwas auf­nimmst im Gegen­satz zu einer klas­si­schen Solo-Platte?

Crys­tal F: (über­legt) So unter­schied­lich ist der Vibe gar nicht unbe­dingt. Es ist häu­fig so, dass ich die Beats picke und zu 95 Pro­zent auch den ers­ten Part schon fer­tig habe, wenn die ande­ren ihre Stro­phe dazu lie­fern. Das End­pro­dukt ist also gar nicht so anders. Wenn man aber zusam­men im Stu­dio schreibt, ist das Gefühl natür­lich nicht das glei­che. Da kom­men dann noch mal Ideen von drei ande­ren dazu, das ist schon wit­zi­ger. Die Musik ändert sich aber kaum. Es hat sich ja fast schon ein­ge­bür­gert, dass zuerst ein Gruppen- und dann ein Solo-​Album kommt. Ich fin­de, das ist ein schö­ner Aus­gleich. Da kann man auch ande­re The­men bear­bei­ten. Ich habe auf den Solo-​Dingern immer viel über Serienmörder-​Kram gere­det, das habe ich jetzt gar nicht gemacht. Das mei­ne ich auch mit der locke­ren Her­an­ge­hens­wei­se an "Pan­zer­band & bil­li­ges Crack" – bei "Nar­ben" zum Bei­spiel bin ich super­ver­kopft an die Sachen her­an­ge­gan­gen. Ich habe mich lan­ge mit nichts ande­rem beschäf­tigt als Foren­sik und Hin­ter­grün­den dazu, was Mör­der aus­macht. Da ist es fast schon wie Urlaub, eine Ruffiction-​Platte zu machen.

MZEE​.com: Hast du vor "Nar­ben" tat­säch­lich so krass zum Innen­le­ben von Seri­en­mör­dern recherchiert? 

Crys­tal F: Ich war immer schon sehr beein­flusst von Büchern zu die­sem The­ma. Mein Album "Kunst des Todes" beruft sich bei­spiels­wei­se auf "Der Todes­künst­ler" – dadurch bin ich schon lan­ge tief in der Mate­rie. Bei "Nar­ben" war es wirk­lich hart. Ich habe mir fast nur noch Sachen rein­ge­zo­gen, die mit Mord oder Kil­lern zu tun hat­ten. Wenn man sich sehr viel damit beschäf­tigt, belas­tet es dich natür­lich auch im All­tag, wenn dich die­se Gedan­ken­welt begleitet.

MZEE​.com: Ich woll­te gera­de fra­gen, ob das nicht auch Aus­wir­kun­gen auf die eige­ne Psy­che hat, wenn man sich so tief in die­se Sache hineinkniet …

Crys­tal F: Ich beschäf­ti­ge mich auch viel mit den Hin­ter­grün­den sol­cher Taten. Wie ent­steht sowas? Was sind die Ursa­chen? Des­halb habe ich auch den Sto­ry­teil der Plat­te von Dr. Mark Benecke ana­ly­sie­ren las­sen – um zu wis­sen, ob das gut recher­chiert ist. Das Video davon gibt es auch noch auf You­Tube. Du hast aber natür­lich recht: Trotz die­ser "wis­sen­schaft­li­chen" Her­an­ge­hens­wei­se belas­tet dich das. Da kommt es schon mal vor, dass du beim Sport sitzt und dar­über nach­denkst, wie die Haut beim Auf­schnei­den aus­ein­an­der­geht oder dass du dir im Inter­net eine Sezie­rung ansiehst. Du kriegst gar nicht mehr mit, wie merk­wür­dig das eigent­lich ist. (lacht)

MZEE​.com: Weißt du noch, wie du die­se Fas­zi­na­ti­on ent­wi­ckelt hast?

Crys­tal F: Schwie­rig zu sagen. Ich fan­ge mal so an: Es gibt eine "South Park"-Folge, die gro­ßen Ein­fluss auf mich hat­te. Die heißt "Scott Tenor­man muss ster­ben".  Es geht dar­um, dass ein Dritt­kläss­ler Scham­haa­re an Cart­man ver­kauft und ihm das Geld nicht zurück­ge­ben will. Das Ende vom Lied ist dann, dass Cart­man des­we­gen die Eltern umbrin­gen lässt und ihre Über­res­te in einem Chi­li ver­kocht, was eben­je­ner Scott isst. Wäh­rend­des­sen spielt Scotts Lieb­lings­band – ich glau­be, es war Radio­head – und lacht ihn dafür aus, dass er weint. In dem Moment kommt Cart­man rein und leckt die Trä­nen von dem Jun­gen genüss­lich ab. So fies und bös­ar­tig, wie es nur irgend­wie geht. Für mich war das auch eine Art, an Songs ran­zu­ge­hen. Zudem gab es eben die Bücher, die mir ein fun­dier­tes und fach­li­ches Wis­sen gege­ben haben, sodass sich die­ser Sound so ein­ge­bür­gert hat. Mit "Nar­ben" habe ich mit die­ser Her­an­ge­hens­wei­se aber erst mal abge­schlos­sen, weil es das qua­si per­fek­tio­niert hat. Jetzt ist der Stand, dass ich sowas nicht wie­der machen wür­de – auch, weil es natür­lich krass belas­tend ist. (grinst)

MZEE​.com: Du hast gera­de von die­ser "unver­kopf­ten" Art, Musik mit Kol­le­gen zu machen, gespro­chen. Ist des­we­gen dein Debüt-​Tape "Straight out­ta Kel­ler" im Bund­le dei­nes neu­en Albums dabei? Und ist es eigent­lich genau das­sel­be Werk wie damals? 

Crys­tal F: Einen Song habe ich aus­ge­wech­selt, weil ich text­lich nicht mehr dahin­ter­ste­hen konn­te. Das war "High 5", der ers­te Song, den ich mit den Jungs von Watch Your Back gemacht habe. Das ist im End­ef­fekt so eine Kinderficker-​Story. Den fand ich mit 16 wohl irgend­wie wit­zig, heu­te aber nur noch dane­ben. Statt­des­sen habe ich einen old­schoo­li­ge­ren Song aus 2013 drauf­ge­packt, der aber einen ähn­li­chen Vibe hat wie die Songs von 2005, als das Tape erschien. Fin­de ich eine gute Ergän­zung. Ansons­ten ist es das Glei­che – man kann nicht ein­mal von einem neu­en "Mas­ter" spre­chen. Ich hab' das Tape abge­ge­ben, damit man es auf Plat­te pres­sen kann – und mein­te aber gleich: "Bit­te hört nicht rein." (lacht) Die Qua­li­tät ist super­grot­tig. Ich wur­de ange­fleht, da noch mal kos­ten­frei drü­ber­ge­hen zu kön­nen. War mir fast schon unan­ge­nehm, aber das habe ich dann natür­lich ange­nom­men. Es klingt also jetzt ein biss­chen besser.

MZEE​.com: Das Tape von damals ist qua­si nicht mehr erhält­lich, "Pan­zer­band & bil­li­ges Crack" ist auch nur durch­num­me­riert in klei­ner Auf­la­ge erschie­nen. Was war der Plan hin­ter die­ser Entscheidung? 

Crys­tal F: Ich mag das total. Mein zwei­tes Solo-​Album war ja auch zum Down­load frei­ge­ge­ben und auf CD gab es nur 100 Stück. Das nächs­te Release gab es dann 500 Mal. Ich fin­de, das macht ein Werk zu einem coo­len Samm­ler­stück. Neben unse­ren häu­fi­gen Indi­zie­rungs­pro­ble­men. Ich mag die­sen Gedan­ken, noch eine phy­si­sche Kopie zu besit­zen. Es ist natür­lich auch voll okay, wenn man das Tape nur streamt – aber es ist eben ein ande­res Gefühl. Das gibt den Leu­ten einen ande­ren Anreiz.

MZEE​.com: Bist du selbst noch einer der­je­ni­gen mit einem gro­ßen CD-Regal? 

Crys­tal F: Tat­säch­lich wur­den mir die meis­ten mei­ner CDs geklaut. Ich hat­te im Kel­ler einen gro­ßen Kar­ton, in dem mei­ne gan­ze Musik war und … (über­legt) Ich woh­ne in einer unsi­che­ren Gegend. (lacht)

MZEE​.com: Das schmerzt aber rich­tig krass, oder? 

Crys­tal F: Total. Ich will auch gar nicht dar­über nach­den­ken. Ich höre seit 2000 sehr viel Ber­li­ner Untergrund-​Rap und hat­te eini­ge CDs in Erst­pres­sung in der Samm­lung, die total im Preis gestie­gen sind. Sogar so ein Bushido-​Demotape, das auf 300 Stück limi­tiert war. Das muss­te ich noch über sein Forum bestel­len. Die Din­ger waren übri­gens auch durch­num­me­riert, aber weil ich den Sti­cker mit der Num­mer häss­lich fand, habe ich ihn ein­fach abge­zo­gen. (lacht) So krass dumm ein­fach. Das hat mich aber auch dazu bewegt, nur weni­ge CDs vom neu­en Tape zu pres­sen. Egal, ob mei­ne Plat­te im Wert steigt oder nicht: Es ist schön, sowas als Fan zu besitzen.

MZEE​.com: Ich lie­be es auch, Alben wie "Grau" von Tua noch in Ori­gi­nal­ver­pa­ckung im CD-​Regal ste­hen zu haben. Die­sen Sammler-​Gedanken ver­ste­he ich total. 

Crys­tal F: Genau das! So jemand wie ich geht auf sowas ab: So eine Erst­pres­sung von dem Ding, damals noch bei Delu­xe Records. Für mich ist das etwas Beson­de­res, auch wenn es mate­ri­ell nicht ein­mal son­der­lich viel wert ist. Die­ses Album vor allem – das war schon krass damals. Wie er gerappt hat, wel­che The­men er ange­spro­chen hat, das war sei­ner Zeit vor­aus. Als "Grau" in die­ser Kosmos-​Kollektionsbox raus­ge­kom­men ist, habe ich mir das Tape auch noch mal gekauft, ein­fach nur, weil ich es haben wollte.

MZEE​.com: Was bedeu­tet dir das Album denn? 

Crys­tal F: Er hat auf eine sehr raue Art Geschich­ten erzählt, die ich nach­voll­zie­hen konn­te. Die­ser Mobbing-​Song, "Unter Druck" oder "Es reg­net" – wahn­sin­nig viel Melan­cho­lie, aber man hat trotz­dem gemerkt, dass der Kerl kein Toy ist. Der ist ein Jun­ge von der Stra­ße, der aber auch über sol­che The­men ehr­lich spre­chen kann. Deutschrap hat es vor­her für mich nicht geschafft, emo­tio­na­le Songs zu machen, ohne pein­lich zu sein. Tua ist da abso­lu­ter Vor­rei­ter. Das Album wird man ein­fach nie ver­ges­sen, weil man beim Hören schon so eine kras­se Bezie­hung dazu auf­ge­baut hat. Das wirkt nicht aus­ge­dacht – die­se kras­sen Geschich­ten könn­ten genau­so gut dir oder mir pas­sie­ren. Mich hat es über­zeugt, dass es okay ist, offen über Gefüh­le zu spre­chen. Auf "Blut­li­nie" habe ich das auch gemacht, in dem Song geht es um mei­ne Fami­lie – der bedeu­tet auch vie­len Men­schen eine Men­ge, weil sie sich damit iden­ti­fi­zie­ren kön­nen. Ver­stehst du?

MZEE​.com: Das ist ja bei vie­len Deutschrap-​Klassikern so. "Vater­tag" von Samy fällt mir da ein. 

Crys­tal F: Genau. Das ist aus dem Herz geschrie­ben. Du musst nicht immer über Hol­ly­wood rap­pen und dir die kras­ses­te Geschich­te aus­den­ken. Im End­ef­fekt sind die Sto­ries, mit denen du dich iden­ti­fi­zierst, viel leich­ter auf­zu­neh­men. Die Geschich­ten, die tie­fer gehen.

MZEE​.com: Gibt es noch ande­re Deutschrap-​Platten, die dir ähn­lich viel bedeu­ten wie "Grau"?

Crys­tal F: Die ers­te M.O.R.-Platte hat mich wahn­sin­nig krass geprägt. Die hat mich an die­sen rau­en Fla­vour rang­ebracht. Damals gab es noch die Uzi Entertainer-​Platte von dem Kol­lek­tiv, bei dem ich 2005 war – die hat mich mit der D12-​Platte "Devils Night" am meis­ten beein­flusst. Da wuss­te ich zum ers­ten Mal, wie ich mei­nen Rap­stil fin­de. Oder um mal einen Song zu nen­nen, der mich geprägt hat wie "Grau": SDs "Wenn er geht". Der hat mich umge­hau­en. Das war so ehr­lich und intui­tiv gerappt.

MZEE​.com: Wenn du an dei­ne nächs­te Plat­te denkst: Glaubst du, sol­che The­men könn­ten dir so gut lie­gen, dass du ein emo­tio­na­le­res Album auf­neh­men könn­test? Mehr über dei­ne Person?

Crys­tal F: Nach­dem für mich klar war, dass ich die­se Mörder-​Thematik abge­schlos­sen habe, woll­te ich dar­über viel nach­den­ken. Was sind mei­ne Stär­ken? Wo geht der Weg hin? Din­ge, die man eben über­legt, wenn man vor einem Quasi-​Neubeginn steht. Da kam mir ein sol­cher Gedan­ke auch. Das wur­de aber viel zu ver­kopft. Ein Song aus der Zeit hat es aber auf "Pan­zer­band & bil­li­ges Crack" geschafft: "Nicht ver­liebt". Der geht in die Rich­tung, die ich mir damals vor­ge­stellt habe. Ich kann auch über Gefüh­le und Zwi­schen­mensch­li­ches rap­pen, ohne dass es gestellt rüber­kommt. Ich will mich jetzt aber noch nicht auf irgend­et­was fest­le­gen. Wenn ich Beats höre, die dazu pas­sen, dann wird das pas­sie­ren, ansons­ten nicht. Auf Krampf will ich jetzt nicht über Gefüh­le rap­pen. (lacht)

MZEE​.com: Wer dei­ne Musik hört, wird unwei­ger­lich auf das The­ma "Gren­zen" sto­ßen, das auch im Batt­ler­ap gera­de viel dis­ku­tiert wird. Gibt es für dich welche? 

Crys­tal F: Das ist immer eine per­sön­li­che Sache. Über man­che Din­ge wür­de ich ein­fach nicht rap­pen. Ich habe frü­her in mei­ner Musik das Wort "Schwuch­tel" als Schimpf­wort benutzt, das wür­de ich heut­zu­ta­ge nicht mehr machen. Es hat­te auch kei­nen Hin­ter­grund, ich habe nie etwas gegen Homo­se­xu­el­le gehabt. Das war wie ein Insi­der bei uns: Wer die stump­fes­te Line gegen Schwu­le hat, gewinnt. Dann hat­ten wir mal ein Foto­shoo­ting, bei dem ein Fan dabei war – und der hat sich lus­tig gemacht über zwei Jungs, die da händ­chen­hal­tend vor­bei­gin­gen. Er dach­te, er wirkt damit cool auf uns. Ich hab' ihn dann gefragt, ob er eigent­lich noch alle Lat­ten am Zaun hat. Da wur­de mir klar, dass es Leu­te gibt, die den­ken, ich hät­te wirk­lich etwas gegen Schwu­le. Das war ein biss­chen wach­rüt­telnd. Ab dem Zeit­punkt habe ich auf­ge­hört, das zu benut­zen – im All­tag wie auf Songs. Das macht einen Track auch nie bes­ser. Eine Gren­ze gibt es für mich aber nicht. Es gibt Din­ge, die nicht aus mei­nem Mund kom­men soll­ten und die ich nicht gut fin­de. Wenn du dir eine Gren­ze setzt, musst du die für dich selbst ein­hal­ten. Wobei – bei Ras­sis­mus hört es bei mir auf.

MZEE​.com: Du musst dich natür­lich auch immer fra­gen, wel­che Leu­te du mit dei­ner Musik erreichst. Viel­leicht fin­det jemand mit rech­ter Gesin­nung genau die­se Grenz­über­trit­te geil. Wie gehst du mit sowas um? 

Crys­tal F: Des­halb habe ich vor eini­gen Jah­ren ange­fan­gen, mich ganz offen gegen rechts aus­zu­spre­chen. Nicht mit dem Zei­ge­fin­ger auf Tracks, son­dern mit kla­ren Regeln. Wenn ein Nazi auf einem Ruffiction-​Konzert ist, kann ich dir sagen: Der ist nicht lan­ge da und hat auch kei­ne gute Zeit. (lacht) Ich möch­te die­sen Leu­ten ein­fach sagen, dass sie uner­wünscht sind – wenn sie mei­ne Musik dann trotz­dem noch hören, ver­ste­he ich das zwar nicht, aber ich habe mei­nen Teil getan. Als wir uns auf "Aus­nah­me­zu­stand" klar gegen rechts aus­ge­spro­chen haben, stand in einem Kom­men­tar bei You­Tube sinn­ge­mäß: "Net­ter Ver­such, mich abzu­schre­cken damit, ich feie­re euch trotz­dem!" Das kann ich halt nicht nach­voll­zie­hen. Da ver­zwei­felst du auch als Künst­ler. Was soll ich denn noch machen, um sol­che Leu­te wegzukriegen?

MZEE​.com: Gab es da – ähn­lich der Situa­ti­on beim Foto­shoo­ting – einen bestimm­ten Moment, der dich dazu bewegt hat, dich so klar dage­gen zu positionieren? 

Crys­tal F: Das ist ent­stan­den, als ich Alli­ga­to­ah gehört habe. Auf "Musik ist kei­ne Lösung" spricht er sich so klar gegen Nazis aus, das fand ich bewun­derns­wert. Vie­le ande­re hät­ten nach "Willst du" ver­sucht, dar­an anzu­knüp­fen. Er hat sich dafür ent­schie­den, ein total poli­ti­sches Album zu machen, das mit Sicher­heit bei vie­len Leu­ten auch ange­eckt ist. Ich fin­de es beein­dru­ckend, dass ein Künst­ler mit so einer Reich­wei­te so klar eine Hal­tung ver­mit­telt und es in Kauf nimmt, den ein oder ande­ren Käu­fer abzuschrecken.

MZEE​.com: Wie wich­tig fin­dest du es, auch als gro­ßer Künst­ler Hal­tung zu zeigen? 

Crys­tal F: Unfass­bar wich­tig. Ich möch­te doch auch nicht, dass Nazis mei­ne Musik hören. Also stel­le ich klar, wie ich über sie den­ke. Es gibt im Jahr 2018 nichts Düm­me­res, als Leu­te wegen ihrer Reli­gi­on, Her­kunft oder Haut­far­be zu ver­ur­tei­len. Ras­sis­mus ist für mich das Dümms­te der gan­zen Welt. Ich kann die­se Ver­all­ge­mei­ne­run­gen nicht nach­voll­zie­hen. Wenn ich lese, dass man­che Men­schen Flücht­lin­ge ein­fach im Meer ertrin­ken sehen wol­len, bin ich fas­sungs­los. Leu­te, das sind Men­schen! Das könn­test auch du sein. Die sind nicht anders als du. Wie kann man das in so einer Zeit nicht ver­ste­hen? Wie kann man heut­zu­ta­ge noch Ras­sist oder homo­phob sein? Das geht nicht in mei­nen Kopf rein.

MZEE​.com: Wie­so, glaubst du, kann so ein Welt­bild immer noch existieren? 

Crys­tal F: Ich weiß es nicht. Ich kann es dir nicht sagen. Ich kann mich auch nicht in die Lage die­ser Leu­te hin­ein­ver­set­zen. Ob sie fal­sche Wer­te ver­mit­telt bekom­men haben, ob sie nega­ti­ve Erfah­run­gen gemacht haben, ich kapie­re es nicht. Ich bin ein­fach nicht auf­ge­wach­sen mit so einer Den­ke. Ich bin ja in einer länd­li­chen Gegend groß gewor­den und da hat­te man zum Bei­spiel kei­ne Berüh­rungs­punk­te mit Homo­se­xu­el­len. Als ich nach Ber­lin gezo­gen bin, hat­te ich des­we­gen aber kein Pro­blem mit Schwu­len, nur weil ich das nicht kann­te. Es ist etwas ande­res, aber doch nichts Schlim­mes. Das sind zwei Men­schen, die sich lieb haben. Dar­an ist doch abso­lut nichts ver­werf­lich. Wie kann man denn gegen das Glück zwei­er Men­schen sein? Wie­so macht es mei­ne Ehe denn schlech­ter, wenn zwei Frau­en oder zwei Män­ner auch hei­ra­ten dürfen?

MZEE​.com: Vie­le beru­fen sich gern auf die Bibel, um das als falsch darzustellen …

Crys­tal F: (über­legt) Ich bin auch über­haupt nicht reli­gi­ös auf­ge­wach­sen und habe mich nie zu einer Reli­gi­on hin­ge­zo­gen gefühlt. Ich kann dir gar nicht sagen, ob es Gott gibt oder ob nach dem Tod etwas kommt. Ich kann mir aber nicht vor­stel­len, dass da an der Him­mels­pfor­te gesagt wird: "Ah okay, du bist schwul oder ein Mos­lem, dann musst du in die Höl­le!" (lacht) Als wür­de das eine Rol­le spie­len. Wenn es Gott gibt, dann hat er mit Sicher­heit nichts dage­gen, dass Men­schen glück­lich sind. So, wie sie sind. Aber wie gesagt, ich habe auch kei­nen Bezug zu Reli­gi­on. Ich habe sogar mal einen Song gegen Gott gemacht, aber das ist auch eines der Din­ge, die ich nicht noch mal machen würde.

MZEE​.com: Wie­so nicht?

Crys­tal F: Ich habe das The­ma ein­mal auf­ge­grif­fen und für mich reicht es dann auch. Für mehr habe ich zu wenig Bezugs­punk­te. Ich beschäf­ti­ge mich dann doch lie­ber mit dum­men Men­schen. Wobei ich Reli­gi­on als Trig­ger in den Tex­ten immer wie­der span­nend fin­de. "Ich rei­se in Man­ny Marcs DeLo­re­an zurück in der Zeit und ficke Maria vor Josef, ich bin wie Gott" – das funk­tio­niert für mich auf einer humor­vol­len Ebe­ne, das sind eben stump­fe Lines. Ich fin­de es immer wie­der lus­tig, dass ich Din­ge sage, bei denen selbst die eige­nen Fans sagen, sie kön­nen nicht glau­ben, dass ich sowas rap­pe. Das bes­te Feed­back dazu gab es beim letz­ten Album: "Ey, ich fin­de Song XY schon echt gut, aber ich kann ein­fach nicht fei­ern, dass du sagst, du hät­test dich selbst ein­ge­schis­sen." (lacht) Da rappt man dar­über, wie man Kin­der ent­führt, aber das ist dann zu eklig. Als wür­de ich das ernst meinen.

MZEE​.com: Freust du dich denn auch über sol­che Reaktionen? 

Crys­tal F: Tat­säch­lich, ja. Ich habe auch beim Schrei­ben immer so eine kin­di­sche Freu­de. Ich bin total leicht zu begeis­tern, wenn ich auf sowas kom­me. 80 Pro­zent der Men­schen, denen ich das zei­ge, fra­gen sich, was mit mir falsch läuft. Für mich ist das eben nor­mal. Des­halb sind die Reak­tio­nen auch so inter­es­sant, ich mache das halt schon seit zwölf Jah­ren. Ich habe mich wirk­lich tot­ge­lacht, als mir die­se Line ein­ge­fal­len ist: "Mei­ne Alte ist schwan­ger, ein Fall für Hau­ke Mac­Gy­ver – Klei­der­bü­gel und Stift, der Zuhause-​Abtreiber!" Das ist wahr­schein­lich das Aso­zi­als­te, was mir in letz­ter Zeit so ein­ge­fal­len ist. Was ist das denn für eine kran­ke Schei­ße? Hat was von einem Slo­gan. Ich woll­te sogar schon mei­ne däm­li­chen Photoshop-​Skills raus­ho­len, um mir ein Logo für die Zei­le zu bas­teln. Das sind aber alles Zei­len, die ein Bild malen und als Pun­ch­li­ne funk­tio­nie­ren. Natür­lich ist sowas in der Rea­li­tät über­haupt nicht wit­zig und vie­le wür­den mich für die Line has­sen. Dafür ist Hor­ror­co­re ja auch bekannt. Des­halb wird es aber auch nicht so erfolg­reich wer­den wie … "Seño­ri­ta". Mei­ne Musik hören eben kei­ne zehn­jäh­ri­gen Mäd­chen, die sich gut füh­len wol­len. Nicht jeder kann sich ein Album von mir jeden Tag anhö­ren, man fühlt sich danach halt nicht so gut. Wobei ich mir in den Kopf schie­ßen wür­de, müss­te ich jeden Tag "Seño­ri­ta" hören. Kras­ses­te Sto­ry dazu: Ich konn­te mir nie vor­stel­len, dass es Leu­te gibt, die auf dem Weg zur Arbeit sind und sich den­ken: "Boah, jetzt den Song von Pie­tro und Kay One anhö­ren." Das kann ich mir ein­fach nicht vor­stel­len! Dann spre­che ich aber mit einem Kum­pel und der erzählt mir, dass sei­ne Freun­din genau das tut. Jeden Mor­gen. Da war mir klar, dass es sie wirk­lich gibt. Ciao.

MZEE​.com: Ich mer­ke, du bist gera­de gut dabei in Sachen Name­drop­ping. Auf der Plat­te kriegt Ban­jo sein Fett weg, jetzt Kay One, auf Twit­ter ist Gene­tikk das belieb­tes­te Opfer …

Crys­tal F: Ich feie­re gera­de G-​Mo Skee total ab. Sei­net­we­gen habe ich wie­der rich­ti­ge Slim Shady-​Gefühle gehabt. Der disst auch qua­si jeden und ich fin­de das ja schon geil, wenn man end­lich mal wie­der ein­fach ran­dom Leu­te belei­digt. Vor allem Musi­ker, die ich halt kacke fin­de. Samy Delu­xe hat auch einen Diss auf dem Album gekriegt, das heißt aber nicht, dass ich ihn has­se. Ein­fach mal wie­der einen weg­be­lei­di­gen. Das macht doch jeder ger­ne mal, auch bei Gene­tikk. Bei denen ist das ja so: Wür­den die Jungs nicht so über­trei­ben mit ihrem Künstler-​Gehabe, müss­te ich sie auch gar nicht so haten. Selbst, wenn ich die Musik trotz­dem nicht gut fin­de. Die­ser Karu­zo kann halt kaum rap­pen. "Ach­ter Tag" klingt, als hät­te er das unter Zeit­druck in zwei Tagen zusam­men­ge­schrie­ben. Er wider­spricht sich per­ma­nent. Auf der einen Sei­te will er krass mora­lisch sein, auf der ande­ren ver­herr­licht er Mar­ken­kon­sum aufs Übels­te. Haupt­sa­che, er quatscht auf Twit­ter dar­über, wie Archi­tek­tur ihn beim Schrei­ben der Tex­te beein­flusst. Alter, red doch kei­ne Schei­ße! Dadurch sind die eben noch unsym­pa­thi­scher gewor­den. Die sind nach zwei, drei okay­en Alben kom­plett abge­dreht und ich weiß nicht, wie­so. Die­ses kras­se Künst­ler­tum. Habt ihr euch zu oft Rocky und Kanye West angeguckt?

MZEE​.com: Hörst du dir die Musik denn trotz­dem an? 

Crys­tal F: Klar. Ich will mir nicht nach­sa­gen las­sen, ich wür­de das ohne Grund run­ter­ma­chen. Ich bin nur ehr­lich. Ich sage auch, wenn ich etwas gut dar­an fin­de. Auf dem letz­ten Album war ein Song wirk­lich gut, die Beats sowie­so ganz oft. Aber dann reden die auch wie­der über so dum­me Din­ge: Set­zen sich in Inter­views und sagen, sie wol­len nur mit Frau­en Inter­views füh­ren, weil die mit weni­ger Logik ran­ge­hen. (über­legt) Krass, wie lan­ge wir jetzt schon über sol­che Leu­te reden. Wie­so unter­brichst du mich denn nicht?

MZEE​.com: Ganz ehr­lich: Wir woll­ten 30 bis 45 Minu­ten lang das Inter­view füh­ren und sit­zen jetzt seit andert­halb Stun­den hier. Von mei­nen 13 vor­be­rei­te­ten Fra­gen habe ich bis­her zwei gestellt. Mei­ne Che­fin köpft mich sowie­so, da kannst du dich auch mal sta­bil in Rage quat­schen, ist jetzt auch egal. 

Crys­tal F: Was hast du denn noch für Fra­gen gehabt?

MZEE​.com: Ich habe ein Zitat für dich vor­be­rei­tet, ein paar Fra­gen zu dem YouTube-​Account dei­ner Frau … 

Crys­tal F: Über das YouTube-​Ding habe ich in ande­ren Inter­views aber auch schon gespro­chen! Ich fin­de das gut, dass sich die Gesprä­che inhalt­lich total unter­schei­den, nicht wie so ein Fler-​Interview über zwei­ein­halb Stun­den und dann noch kom­plett unkri­tisch. Ich lie­be ja "Car­lo Cokxxx Nut­ten" und auch das ers­te Süd­ber­lin Maskulin-​Tape, aber wenn er im Gespräch erzählt, dass sich Krank­hei­ten nicht über­tra­gen kön­nen … ciao. Egal. Wel­ches Zitat hat­test du?

MZEE​.com: "Bis ein Radio­sen­der mei­ne Lie­der spielt, wer­de ich alt und grau und ster­be im Bau" von "Klim­per­geld". Kein Spaß, das wäre die zwei­te Fra­ge im Inter­view gewe­sen, aber bei Fra­ge eins sind wir schon abge­schweift. (lacht) Da wäre die Fra­ge gewe­sen, ob du wirk­lich mal im Radio gespielt wer­den wol­len würdest. 

Crys­tal F: Geil. Aber nein, ich stre­be nicht an, im Radio zu lau­fen. Bezie­hungs­wei­se wäre es cool, wenn das pas­sie­ren wür­de, aber ich wür­de mich nie­mals anpas­sen, damit mei­ne Musik dort gespielt wird. Da gibt es kurz Shou­touts für Fler: Der mein­te mal, er kann das nicht lei­den, wenn man sei­nen Sound nur für sol­che Zwe­cke ändert. Den Hit auf Teu­fel komm raus zu schreiben.

MZEE​.com: Für einen Hit muss man heut­zu­ta­ge eigent­lich auch nicht mehr im Radio laufen. 

Crys­tal F: Eben. Das neue Radio ist die größ­te Spotify-​Playlist mit der höchs­ten Reich­wei­te. Das ist genau das Glei­che. Du hast ande­re Regeln: Statt Schimpf­wör­tern im Radio geht es da halt nach Algo­rith­men, nach denen du dich rich­ten sollst. Die Zei­ten von so leich­ten Songs sind auch vor­bei – Müt­ter­fi­cken ist Main­stream geworden.

MZEE​.com: Das … ist eigent­lich ein per­fek­tes Schluss­wort, oder? 

Crys­tal F: Ich fin­de auch! Und ich ficke halt mei­ne eige­ne Mut­ter, das ist der Unter­schied. (lacht)

(Sven Aum­il­ler)
(Fotos von Bas­ti­an Har­ting & Maiky Hewener)