Der Deutschrapzirkus ist ein umtriebiger Schauplatz. Zwischen all den Promophasen und Albumveröffentlichungen kann man schon einmal den Blick fürs Detail verlieren. Deshalb stellen wir jeden Monat an dieser Stelle die kleinen, feinen Highlights vor, die abseits des Album-Korsetts Beachtung verdienen. In den Kategorien Statement, Video, Song, Instrumental und Line präsentieren unsere Redakteure handverlesene Schmuckstücke. Egal, ob nun ein besonders persönlicher Bezug, eine wichtige Message oder ein rundes musikalisches Gesamtpaket den Anlass bieten. Hier wird ein tiefer Einblick in einzelne Facetten der Rapwelt geboten. Fünf Höhepunkte – klatscht in die Hände für unsere "High Five"!
Statement: Kollegah
Mit einer Sache hat Felix Blume recht: Auf dem Buchmarkt gibt es zu viele Ratgeber, die mit Floskeln und hohlen Phrasen versuchen, ihre Leser zu einem besseren Leben zu bewegen. Handfeste Hilfe bieten leider die wenigsten Schriften dieser Art. Dass es Kollegah allerdings kein Stück besser macht, sondern sein Motivationsbuch neben Standardsprüchen auch noch mit Steinzeitrhetorik und Sexismus füttert, verschweigt der Autor von "DAS IST ALPHA!". So gibt er etwa seiner recht jungen Leserschaft ein völlig falsches Frauenbild mit auf den Weg: "Die Frau hat natürlich ein Mitspracherecht bei Entscheidungen, aber der Initiator und Durchsetzer, der das letzte Wort hat, bist du." Und gleichzeitig beschäftigt er sich hobbymäßig noch als Wirtschaftsprofessor: "Investition: 2+1=3, Ausgabe: 2-1=1." Wofür Investmentbanker jahrelang studieren, reicht Kollegah ein einfacher Satz – und seine Fans kaufen es ihm wortwörtlich ab. Der Rapper will jeden Leser vom "Lauch" zum "Boss" machen, deshalb gibt es am Ende des 22 Euro teuren Machwerks auch noch die Empfehlung zu seinem entsprechenden Transformationsprogramm. Wer also "Boss" sein will, muss tief in die Tasche greifen – und so profitiert nur Kollegah allein von seinen Motivationssprüchen.
Video: Juse Ju – Pain is Love
Deutschrapvideos sind längst eine Kunst für sich geworden, erscheinen in vielen Fällen immer professioneller und gleichen optisch wie stilistisch gerne mal kinoreifen Produktionen. Und ganz dem Competition-Charakter der Szene entsprechend, versuchen sich inzwischen auch hier Interpreten samt ihrer Videoproducer gegenseitig zu übertrumpfen. Alle wollen die teuerste, ansprechendste und aufwendigste Visualisierung schaffen. Deutschraps personifizierte Fulminanz in Sachen Vorbereitungszeit für ein neues Video dürfte nun wohl aber Juse Ju sein. Denn der sammelte für die Bebilderung von "Pain is Love" seit mehr als 18 Jahren Material an. Die Liebeserklärung an das heimliche, fünfte Element von HipHop aus Juses Album "Shibuya Crossing" zeigt den Rapper und seine Freunde in den Jahren 1999 und 2000. Sie albern herum, skaten – und fallen vor allem auf die Nase, als hätten sie damals schon genau diesen Track im Ohr gehabt. Die großartige Verbindung der VHS-Optik dieser Zusammenschnitte und der allgemein melancholisch angehauchten Throwback-Mentalität des Albums lässt das Video dabei nicht mal wahllos und zufällig erstellt wirken. Stattdessen geht es im Gesamtkonzept von "Shibuya Crossing" so perfekt auf, dass wohl keine noch so hollywoodreife Produktion der Szene hier mithalten kann. Wer dieses Video nicht liebt, trägt beim Skaten vermutlich Knieschoner.
Song: Face feat. Vega – Feuer
September 2018 in Deutschland: Der Sommer ist vorbei, die Blätter fallen langsam von den Bäumen, der Himmel wird düsterer und dementsprechend wird der Ton nicht nur in Frankfurt am Main rauer. So lässt Face zusammen mit Labelchef und Kumpel Vega ein FvN-typisches Brett als weiteren Vorboten zum kommenden Soloalbum "Kartoffel mit Attitüde" auf die Nation los. Dabei ist der Name Programm: Auf einen gewaltigen Johnny Illstrument-Beat werden Türen eingetreten und alles abgefackelt, was nicht bei drei auf dem Baum ist. Face besticht hierbei zusätzlich zu seiner gewohnt sympathisch verrückten Art mit anspruchsvollen Flows und wird durch das aggressiv-düstere Auftreten von Vega perfekt ergänzt, so als hätten die zwei nie etwas anderes gemacht. Der Hunger der beiden Protagonisten – welcher durch eine "Fresse, die glüht" und eine "Schnauze, die tropft" verdeutlicht wird – ist trotz der Erfolge der letzten Jahre deutlich zu spüren und macht Lust auf mehr.
Instrumental: Bonez MC & RAF Camora feat. Gzuz – Kokain (prod. by The Cratez & RAF Camora)
Bonez und Gzuz haben bereits mehrfach ihre Liebe für Ohrwürmer der Vergangenheit bewiesen. Ob nun die Hook auf "Millionär", in der Bonez die Melodie von The Cranberries' "Zombie" nachsingt, oder das ATC-Sample auf "Marihuana". Zusammen mit RAF Camora und The Cratez widmet man sich nun dem 1995 erschienen Hit-Song "Be My Lover" von La Bouche. Zwar wird hier "nur" ein kurzes Stück Gesang des Intros verwendet, trotzdem ist das zeitlose "La La La" von Sängerin Melanie Thornton wohl das stärkste Wiedererkennungsmerkmal auf beiden Tracks. Mit dem Instrumental zu "Kokain" zeigen die beteiligten Interpreten also wieder einmal, wie sehr uns die Kunst des Samplings mit den richtigen Songschnipseln an längst vergessene Schätze erinnern kann. Gott sei Dank gibt es noch unzählige dieser Perlen, die nur darauf warten, gesamplet zu werden.
Line: DCVDNS & Tamas – Struggle
Aber prahlen dann, sie wollen mir die Nase brechen.
Weil sie zu dumm sind, um nachzudenken.
Das Kollabo-Album von DCVDNS und Tamas rückt näher – und direkt die erste Single hat es in sich. Nicht nur aufgrund des für die beiden eher ungewohnten, aber starken Soundbilds, sondern auch weil sich DCVDNS überraschend echt in seinem Part gibt. Ist man von ihm sonst ein überzogenes Image gewohnt, bringt er dieses Mal ehrlichen Realtalk. Das ist zum einen ungewöhnlich erfrischend seitens des Saarländers, zum anderen führt es auch zu unserer Line des Monats. Denn mit dieser greift der Rapper nicht nur den Umstand auf, dass er mit seinem letzten Soloalbum polarisierte und wofür er von manchem Künstler Schläge angedroht bekommen hat. Nein, er spricht auch einen weiteren wichtigen Punkt an: Warum denken die meisten nie nach und suchen das Gespräch, sondern drohen direkt Gewalt an? Warum wundert es HipHop-Fans 2018 nicht einmal mehr, dass Rapper ernsthaft die Bühne von Künstlern stürmen und eine Schlägerei anfangen? "Weil sie zu dumm sind, um nachzudenken …"
(Sven Aumiller, Daniel Fersch, Michael Collins, Steffen Uphoff, Lukas Päckert)
(Grafik von Puffy Punchlines)