"Raps bösen Zwilling" gibt es nun auch auf Albumlänge: DISSY, ehemals Dissythekid, machte 2014 erstmals mit seinem "Pestizid" auf sich aufmerksam. Schon damals beeindruckte die andere und düstere Herangehensweise an Musik. Vier Jahre später folgt kurz nach seiner zweiten EP nun das Debütalbum. Wir haben mit dem Erfurter über die Platte, seine Heimat und die Ursachen von Rechtspopulismus im Osten gesprochen.
MZEE.com: Dein neues Album trägt den Titel "Playlist 01". Viele Künstler behaupten ja schon jetzt, dass das Format "Album" veraltet ist und Playlisten die Zukunft darstellen. Wie siehst du das?
DISSY: Ja und nein. Mein Album ist eher so eine Art Playlist, die man auf CD brennt und im Auto während eines Raves hört. Die Songs sind nicht so krass zusammengewürfelt. Ich wollte, dass die Platte sehr rund und durchdacht wirkt aber trotzdem das Gewicht rausnehmen und es nicht so bedeutungsschwanger werden lassen. Ich glaube, deswegen machen viele Künstler mittlerweile auch eher Playlisten, weil ein Album in der eigenen Wahrnehmung so einen hohen Stellenwert hat.
MZEE.com: Ist das für dich auch noch so?
DISSY: Auf jeden Fall. Dennoch ist "Playlist 01" ein vollständiges Album. Von der Herangehensweise und den Zusammenhängen bis zu den Einflüssen soll schon alles einem gewissen roten Faden folgen.
MZEE.com: Hat sich deine Herangehensweise im Gegensatz zu den beiden EPs vorher verändert?
DISSY: Die war eigentlich ziemlich ähnlich. Ich habe immer ein Oberthema, zu dem ich dann die Songs schreibe. Bei "Fynn" ging es viel um mich und meinen Schatten, jetzt handelt vieles von Verdrängung und dem Aufarbeiten einer einzelnen Partynacht. Da ändert sich nichts an der Herangehensweise.
MZEE.com: Definitiv verändert hat sich dein Release-Zyklus: Von "Pestizid" zur "Fynn" EP hat es einige Jahre gedauert, zwischen "Playlist 01" und dem vorherigen Release liegen nur wenige Monate. Woher kommt der höhere Output?
DISSY: Ich habe von "Fynn" einfach vieles mitgenommen. Die Album-Songs sind relativ zeitgleich zu den Tracks des letzten Releases entstanden. Ich hatte so viel Material gesammelt, dass ich es erst einmal zu der EP gemacht habe, bevor ich mit den anderen Singles am Album weitergearbeitet habe.
MZEE.com: Du hast schon gesagt, dass dieses Konzept von einer Playlist für eine Nacht das Album beschreibt. War das von Anfang an so geplant?
DISSY: Das ist tatsächlich eher Zufall gewesen. Da waren kein Mega-Plan und ein riesiger, roter Faden dahinter. Mir ist einfach währenddessen aufgefallen, dass man es so deuten kann: Am Anfang der Rave, die Leute am Waldrand, nachts dann die totale Party, während ich auf "Peter Parker" eine Frau abschleppe und dann der Morgen danach. Am Ende habe ich die Idee aber auch selber wieder nicht konsequent umgesetzt, weil beispielsweise "Wagen voll Müll" soundtechnisch viel besser auf die späteren Songs gepasst hat – da habe ich die Songs so gelistet, dass sie eine bessere Dramaturgie ergeben, wenn man das Album durchhört. Da war nichts allzu verkopft.
MZEE.com: Wenn man sich die Videos zu "Playlist 01" ansieht, bemerkt man große Unterschiede – vom durchgestylten "Peter Parker" bis hin zum simplen Road-Movie. Bei den Clips hast du selbst auch immer mitgearbeitet. Worauf achtest du bei den Visualisierungen am meisten?
DISSY: Ich wollte bei jedem Video neu rangehen, da sind die Einflüsse auch sehr unterschiedlich geblieben. Ich habe dabei immer versucht, simpel und stilvoll zu bleiben, um einen Look zu behalten. Bei "Wagen voll Müll" sind wir einfach losgefahren und haben abwechselnd die Kamera draufgehalten, bei "Peter Parker" gibt es eben diese eine Location und eine Geschichte, die erzählt wird. Ich habe gemerkt, dass dieses "simpel bleiben" einfach viel cooler ist als zu versuchen, 1000 Stories zu erzählen. Das war auch bei "Sie kommen in der Nacht" so.
MZEE.com: Hast du dabei bestimmte Einflüsse oder dich eher von der Musik treiben lassen?
DISSY: Natürlich hat man immer irgendwelche Inspirationen. Wobei … (überlegt) Bei "Wagen voll Müll" nicht, da wusste ich nur, dass ich so einen dreckigen Stil fahren will, ein düsterer Road-Movie eben. Da gibt es kein wirkliches Referenzvideo. Bei "Sie kommen in der Nacht" habe ich mich beispielsweise von den Arctic Monkeys und "View from the Afternoon" inspirieren lassen. Dieser Schlagzeuger im Plattenbau. Bei "Peter Parker" spielen verschiedene Einflüsse wie beispielsweise Childish Gambino, der in seinem "Sweatpants"-Clip auch durch so ein Diner läuft, eine Rolle. Wichtig finde ich es aber, dass man bei jedem Video eine bestimmte Stimmung überträgt und sich jedes Mal neu erfindet, auch bei "Die Welt ist böse".
MZEE.com: "Die Welt ist böse" ist einer von zwei Songs, in denen du mit Comic-Referenzen spielst. Hast du zu dem Thema eine engere Bindung?
DISSY: Es geht. Ich habe mich früher mehr mit den Filmen und den Graphic Novels auseinandergesetzt. Das ist eher Zufall. Ich mag es eher, mit dieser Stimmung zu spielen. Es gibt ja auch sehr provokante Comics, über die sich die Zeichner ausdrücken. Ich wollte immer, dass diese "DISSY/Fynn"-Thematik mal in einem Comic-Universum stattfindet, deshalb auch die Graphic Novel in der "Pestizid"-CD.
MZEE.com: Peter Parker ist mit seiner zweiten Identität als Spiderman häufig ein Einzelgänger, weil keiner davon wissen darf. Dein gleichnamiger Song spielt auch mit diesem Image, in deinen Videos hängst du aber oft mit deiner Crew ab. Inwieweit hängen die Kunstfigur DISSY und der echte Till zusammen?
DISSY: Ich bin jetzt nicht der kommunikativste Mensch der Welt, aber verschließe mich auch nicht grundsätzlich vor allem und jedem. Ich setze mich gerne musikalisch mit Leuten hin und entwickle gemeinsam etwas. Ich kann Personen auch gut begeistern, um etwas zu starten und wohne außerdem in einer WG.
MZEE.com: Die introvertierte Art ist also eher der Kunstfigur vorbehalten?
DISSY: (überlegt) Das würde ich so nicht sagen. Ich bin auch gern allein, nur verschließe ich mich nicht grundsätzlich vor Leuten und bin offener, als es die Musik vielleicht vermuten lässt. Meinen eigenen Film fahre ich aber auch gerne ohne Personen um mich herum.
MZEE.com: Das bringt mich zu einem anderen Thema: Das Feature mit Clueso. Klingt erst einmal nach einer ungewöhnlichen Mischung, in Kombination mit der düsteren Musik von DISSY. Was verbindest du mit seiner Musik? Und wieso hast du geglaubt, das er gut auf das Album passen könnte?
DISSY: Erst einmal ist Clueso ja offen für alles, deshalb haben wir schnell eine Connection über die gemeinsamen Einflüsse und die Musik aufgebaut. An ihm fasziniert mich seine Art und Weise, schnell Emotionen auf den Punkt zu bringen und dabei immer eine Message mitzuliefern. Das ist inspirierend für mich. Dadurch hat sich ein toller, kreativer Prozess entwickelt, vor allem, weil ich auch seine Stimme mag – wenn ich ihn dann in diese DISSY-Welt einbauen kann, ist das toll.
MZEE.com: Was habt ihr denn für gemeinsame Einflüsse?
DISSY: Wir haben gemeinsam viel Anderson .Paak und Vince Staples gehört. Auch Mac Miller oder Kendrick. Da waren viele Bezugspunkte.
MZEE.com: In letzter Zeit fällt der Name Mac Miller immer häufiger, wenn ich nach Einflüssen frage. Hattest du eine besondere Bindung zu seiner Musik?
DISSY: (grinst) Ja, seitdem er Drogen genommen hat. Da wurde die Musik immer verspulter und spannender. Man hatte das Gefühl, er entwickelt sich immer weiter. Er hat auch einen total interessanten Sound gefahren, der trotzdem eingängig war. Dieser Spagat hat mich fasziniert.
MZEE.com: Wie hast du dann die Nachricht von seinem Tod aufgenommen?
DISSY: Es war richtig überraschend für mich. Ich hatte wirklich das Gefühl, einen Homie verloren zu haben, weil man an so vielen Punkten mit seiner Musik connected war. Dann ist er plötzlich nicht mehr da, das ist schon komisch.
MZEE.com: Um nochmal auf Clueso zu sprechen zu kommen: Eine weitere Verbindung von euch beiden ist eure Heimat Erfurt. Mit Zeilen wie "Halt dich besser fern von dem Ost-Mob" kommst du auch oft auf deine Herkunft zu sprechen. Die neuen Bundesländer sind medial sehr negativ in die Schlagzeilen geraten. Inwieweit hast du bereits Erfahrungen mit rassistisch motivierten Aktionen in deiner Heimat gemacht?
DISSY: Es war Ende der 90er Jahre sogar schon krasser. Dadurch, dass ich im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg aufgewachsen bin, habe ich das erst mit dem Umzug nach Erfurt krass mitbekommen. Da ist das häufig bei älteren Menschen noch total tief in den Köpfchen. Ich selbst hatte schon häufiger Stress mit Leuten, nachdem wir eine Nazi-Bude gestürmt haben. Man sammelt aber auch viele Erfahrungen mit extrem linken Gegenbewegungen. Diese Spaltung ist dort noch ein großes Thema, in meiner Berlin-Bubble gibt es dieses Thema einfach nicht in der Form und …
MZEE.com: Moment, wann und wie habt ihr eine Nazi-Bude gestürmt?
DISSY: Naja, das ist schon ewig her. Ich weiß noch, dass die einen Kumpel von uns verprügelten, in irgendeinem Nazi-Club. Dann sind wir da eben mit total vielen Leuten rein. Deswegen habe ich auch eine Anklage wegen Landfriedensbruch gehabt.
MZEE.com: Wie kommt man denn von einer Schlägerei zu einer Klage wegen Landfriedensbruch?
DISSY: (grinst) Gute Frage. Das wurde aber wieder fallengelassen. Ich war noch sehr jung und nur ein Teil der Gruppe. Wieso jetzt genau diese Anklage kam, weiß ich selber nicht. Scheinbar ist das so, wenn man mit mehreren Menschen einen Club stürmt, keine Ahnung.
MZEE.com: Wie hast du diesen Kultur-Schock vom Berliner Szenebezirk nach Erfurt verarbeitet?
DISSY: Für mich war das erst einmal ein riesiges Dorf. Ich dachte, dass die Leute von der Kindheit an anders ticken. Ich bin da teilweise aufgewachsen und mittlerweile liebe ich Erfurt, weil es auch viele Leute gibt, die sich gegen diese rechten Trends wehren. Berlin fühlt sich aber einfach ganz anders an, viel mehr open minded. Diese Einstellung brauche ich auch in meinem Leben.
MZEE.com: Provokativ gefragt: Würdest du das mediale Bild vom "rechten" Osten unterschreiben?
DISSY: In den Städten, in denen ich unterwegs bin, ist das deutlich ausgewogener. Vielleicht handelt es sich dabei auch eher um ein Dorf-Problem. Ich bekomme das eher am Rande oder über die Medien mit und bin fast fasziniert davon, wie viele Rechte es noch gibt. Das sind häufig auch sozial schwache Menschen, aus benachteiligten Vierteln, mit denen habe ich einfach nicht so viel zu tun. Ich kenne mich viel mehr mit den Gegenbewegungen aus, beispielsweise in Dresden oder Jena. Da gibt es viele kultivierte Leute und das mediale Bild ist häufig übertrieben. Ich erinnere mich an einen ZDF-Beitrag über Jena, in dem so getan wurde, als würde an jeder Ecke dort ein Nazi-Schläger lauern – als müsste man überall Angst haben. Das ist überhaupt nicht so.
MZEE.com: Ärgert dich diese Darstellung?
DISSY: Klar, total. Wenn wir bei Jena bleiben wollen: Eine tolle Stadt mit einer riesigen Studentenkultur. Dann wird das Image der Stadt durch die Menge an Idioten auch in den Dreck gezogen. Genauso wie in Dresden beispielsweise auch. Dass rechte Spinner das Bild einer Stadt kaputtmachen, hat man aber auch im Westen.
MZEE.com: Wenn du schon sagst, dass viele aus dem rechten Spektrum eher aus ärmeren Vierteln kommen: Inwieweit kannst du verstehen, dass sich ein solches Bild von der Welt bei diesen Menschen abzeichnet?
DISSY: Ich versuche, zu verstehen, worum es diesen Leuten geht. Was für Probleme sie in ihrem Alltag kennen, ohne ihre Lösung dafür entschuldigen zu wollen. Das Problem ist, dass man ihr Weltbild so schlecht ändern kann. Da muss man eher rausfinden, woher ihre Sorgen kommen. Das ist ja häufig ein Generationenkonflikt, der über Jahre entstanden ist. Der eigene Frust bündelt sich und man tritt nach unten.
MZEE.com: Unsere Generation ist eben ganz anders für solche Themen sensibilisiert worden.
DISSY: Ich glaube auch, dass man sich Rassismus wirklich anlernen kann. Wenn du solche Werte tagtäglich vermittelt bekommst, ist es auch egal, wie cool dein Gegenüber ist – deine Denke zu ändern ist dann furchtbar schwer, vor allem, wenn du nur in einer Bubble mit Leuten bist, die genauso fühlen. Da schüren auch Medien wie Facebook das Problem, weil du dort eher Inhalte siehst, die du auch sehen willst.
MZEE.com: Inwieweit findest du es wichtig, dahingehend als Musiker Haltung zu beziehen?
DISSY: Wichtig schon, aber ich deute meine Meinung eher durch Punchlines und Vergleiche an, weil ich auch keinen Bock habe, als politischer Rapper zu gelten. Rassismus ist zwar ein sehr ernstes Thema, aber um aktiv Songs dagegen zu machen, müsste ich noch viel tiefer ins Thema einsteigen. Ich will mit meiner Musik reflektieren und einen Vibe erzeugen, deshalb kommen solche Ansätze eher in Nebensätzen zu tragen, weil ich mit meinen Songs ganz anderes ausdrücken will. Ich höre privat auch überhaupt keine politische Musik, außer sie ist wirklich catchy. Beispielsweise Childish Gambinos "This is America".
MZEE.com: Was fasziniert dich daran?
DISSY: Das ist ein super einfacher und eingängiger Song, der aber trotzdem eine tiefe Message mitliefert. Sowas holt mich ab und erzeugt auch richtig Gänsehaut. Genau wie das Video dazu, das begeistert mich. Das entertaint mich einfach mehr als Musik, bei der du den Zeigefinger fast hören kannst. Ich schieße ab und an auch gerne in Tracks gegen Nazis und die AfD, aber das ist einfach nicht mein Fokus.
MZEE.com: Hast du schon mal aus deiner eigenen Fanbase mitbekommen, wie jemand kritisch auf solche Seitenhiebe gegen Rechte reagiert hat?
DISSY: Nee, noch nie. (überlegt) Wobei, einmal. Der meinte, ich solle mich mehr mit der AfD befassen, damit ich deren Ideen auch verstehe. Ich habe aber einfach keine Energie dafür, mich mit solchen Leuten zu befassen. Ich vermeide es auch meistens, mich öffentlich bei Facebook in irgendwelche Diskussionen zu stürzen. Das frisst nur Zeit, du kannst das Weltbild von solchen Menschen nicht so einfach ändern. Das artet immer in Streit aus und führt nicht zu guten Diskussionen.
MZEE.com: Meine nächste Frage wäre gewesen, ob du denn denkst, dass man diese Meinung auch irgendwie ändern kann.
DISSY: Super schwer. Es dauert, solche Gedanken anzustoßen. Vielleicht ist es auch ein Weg, einfach dümmere Musik zu machen, um darin dann so eine Message zu verpacken. Wenn du sowieso schon als linker Rapper giltst, hören sich die Leute, deren Meinung du ändern willst, deine Musik gar nicht erst an. Das muss man subtiler machen.
MZEE.com: Ich will zum Abschluss nochmal auf "Die Welt ist böse" und ein anderes Thema zu sprechen kommen: Im Song geht es unter anderem auch um Verschwörungstheorien. Was fasziniert dich daran?
DISSY: Ich finde sowas einfach super unterhaltsam. Ich glaube eher nicht daran, aber es gibt einfach spannende Theorien. Beispielsweise dieser ganze Illuminati-Kram.
MZEE.com: Dann würde ich zum Ende gerne deine liebste Verschwörungstheorie erfahren!
DISSY: (lacht) Ich glaube, das ist diese Idee von Scientology, dass wir alle von diesem Alien erschaffen wurden. Xenu heißt der, glaube ich. Wobei, das ist ja eigentlich eine Religion, keine Verschwörung. Aber die Idee find' ich trotzdem klasse, sollte jeder mal gelesen haben!
(Sven Aumiller)
(Fotos von Ben Wolf)