Der Deutschrapzirkus ist ein umtriebiger Schauplatz. Zwischen all den Promophasen und Albumveröffentlichungen kann man schon einmal den Blick fürs Detail verlieren. Deshalb stellen wir jeden Monat an dieser Stelle die kleinen, feinen Highlights vor, die abseits des Album-Korsetts Beachtung verdienen. In den Kategorien Statement, Video, Song, Instrumental und Line präsentieren unsere Redakteure handverlesene Schmuckstücke. Egal, ob nun ein besonders persönlicher Bezug, eine wichtige Message oder ein rundes musikalisches Gesamtpaket den Anlass bieten. Hier wird ein tiefer Einblick in einzelne Facetten der Rapwelt geboten. Fünf Höhepunkte – klatscht in die Hände für unsere "High Five"!
Statement: K.I.Z
In der vermeintlichen Männerdomäne Deutschrap hat man es oft mit Typen zu tun, die ihr Geschlecht nicht nur mit Stolz tragen, sondern dieses auch mit dem Selbstverständnis verbinden, die "stärkere" und "überlegene" Art Mensch zu sein. Sexismus ist noch immer allgegenwärtig und das teilweise derart ekelhaft und penetrant, dass man fast gewillt ist, dem Genre den Rücken zu kehren. Zum Glück gibt es aber Künstler, die gegensteuern. So auch K.I.Z, die ihrem fünf Jahre alten Song "Ich könnte deine Mutter oder deine Schwester sein" kurzerhand ein nagelneues Musikvideo verpassen. In dem Clip sind nicht nur Einblicke in eines der legendären Frauenkonzerte der Crew zu sehen, sondern üben sich die Rapper auch in Cross-Dressing. Sie nehmen damit visuell die im Track verkörperten Rollen als Prostituierte ein, welche gegen herabwürdigende Tendenzen des "starken" Geschlechts aufbegehren. Die Aussage ist klar: In typischer K.I.Z-Manier wird mittels ironischer Verzerrung die Absurdität der immer noch weithin verbreiteten Tabuisierung weiblicher Sexualität aufgezeigt. Nico, Tarek und Maxim spielen ihre Rollen dabei derart überzeugend, dass sie so einige machohafte Rapper und deren Fans – wenigstens ein wenig – zum Nachdenken bringen dürften. Und das ist heute so nötig wie eh und je.
Video: Alligatoah – Alli-Alligatoah
Wer kennt es nicht? Man hört Musik und hat direkt dazu passende Bilder im Kopf. Manchmal regen Lieder die eigene Fantasie so sehr an, dass sich die Handlung direkt vor dem geistigen Auge abspielt und so ein imaginäres Musikvideo ergibt. Und genau das weiß Alligatoah im Video zu "Alli-Alligatoah" für sich zu nutzen: Statt seinen Fans neues Bildmaterial vorzusetzen, überlässt er ihnen die Bebilderung des Tracks einfach selbst. "Ihr verlangt von mir, mit Kamerateam ein Musikvideo zu drehen wie ein Kammerspiel? Mach doch deine Augen zu! Benutz doch deine Fantasie!" Dann setzt er seinen Zuhörern ein schwarzes Bild vor, sodass einem gar nichts anderes übrig bleibt, als sich sein eigenes Video zu ersinnen. Währenddessen rappt Alligatoah davon, wie ihm ein Käutzchen Essensreste aus den Zahnzwischenräumen pickt, ein Kinderchor im Moor versinkt und davon, dass sein Album im Laden bei den Scherzartikeln eingeordnet wird. Also nicht nur jede Menge Potenzial für Kopfkino, sondern auch ein wundervoller Vorgeschmack auf das anstehende "StRw V" und die Gewissheit, dass Alligatoah sich mit der Rückkehr zur "Schlaftabletten Rotwein"-Reihe auch wieder auf reichlich musikalische – wie audiovisuelle – Experimente einlassen wird.
Song: Marteria & Casper – Champion Sound
Kurz vor dem Monatsende eröffneten die beiden Rap-Schwergewichte Marteria und Casper, dass sie nach mehreren Kollaborationen und offen gelebter Freundschaft ein Album zusammen veröffentlichen. "1982" heißt es und spielt auf das Geburtsjahr der beiden Rapper an. Die erste Single der Platte trägt den Titel "Champion Sound" und ist – laut eigener Aussage – musikalisch an den Stil des amerikanischen Produzenten Just Blaze angelehnt. Auf einem Brett von DJ Illvibe und The Krauts liefern die Protagonisten einen erstklassigen Representer und stellen ihr Standing im Rap-Olymp zur Schau. So erwähnt Marten, dass er das Ostseestadion füllt, wenn er morgen darauf Lust hat, und Casper bedient sich einem Zitat von Kult-Fußballer Walter Frosch – entweder Champions League oder gar nicht. Ein absolut überzeugender Track, der große Vorfreude auf das kommende Album macht.
https://youtu.be/Wrl3paswQXU
Instrumental: Mortel feat. Haftbefehl – Original (prod. by Bazzazian)
Wer nicht auf das allgegenwärtige Trap-Gedudel steht, hat es aktuell im deutschen Rap nicht leicht. Doch es gibt sie: Beats, die mehr leisten als leicht verdauliches Beiwerk zu Autotune-Ausflügen des jeweiligen Rappers zu sein. In diese Kerbe schlägt das Instrumental von "Original", dem gemeinsamen Song von Mortel und Haftbefehl. Die Produktion, bei der Bazzazian an den Reglern saß, besticht vor allem durch die Atmosphäre. Diese wird mit eigentlich recht simplen Mitteln erzeugt: Ein kurzes Klaviersample und harte Drums sind fast die einzigen Zutaten. Dennoch zaubert der Producer daraus einen zutiefst düsteren, fast melancholischen Beat, der den lyrischen Bericht aus der Halbwelt, welchen die beiden Protagonisten vortragen, perfekt unterstreicht. Die sich ständig wiederholende Piano-Melodie wirkt dabei wie eine Art Sog, der einen immer tiefer in den Track hineinzieht. Während des Parts von Haftbefehl fühlt man sich dann fast in "Azzlack Stereotyp"-Zeiten zurückversetzt und auch Mortels ruhige Stimme passt perfekt zur kaltblütigen Stimmung, welche das Instrumental vorgibt. "Original" beweist somit, dass es keines musikalischen Bombasts bedarf, um eine große Wirkung zu erzielen.
Line: Yassin – Terrorist
Eure gottverdammte Leitkultur ficke ich mit links.
Eigentlich ist der Track "Terrorist" schon seit längerer Zeit ein Live-Hit von Sonne Ra, auch ohne Featureparts. Aber der Rundumschlag, den Yassin hier abliefert, hebt den Track noch mal auf ein völlig anderes Level. In einem kurzen 16er bringt er hier auf den Punkt, was eigentlich falsch läuft mit der Debatte um die sogenannte "deutsche Leitkultur". Während sich immer noch viel zu viele auf Klischees über Ausländer stützen und gegen selbige hetzen, reden die Kinder am Ende "trotzdem wie Kanaken". Yassin hält Deutschland den Spiegel vor und zeigt kurz auf, dass zumindest die jüngeren Generationen schon längst gar kein großes Problem mit Einwanderern haben. Und das auch noch in einer sehr eingängigen und erschlagenden Art und Weise. Kurz und knapp: Er hat ganz nebenbei "eure Leitkultur mit links gefickt".
(Florian Peking, Daniel Fersch, Lennart Wenner, Lukas Päckert)
(Grafik von Puffy Punchlines)