"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Wer kennt sie nicht: die Diskussion über das Lieblingsalbum. Wie wohl jeder andere auch, bin ich schon unzählige Male gefragt worden, welches denn mein All Time Favorite sei. Für mich ist immer eine gewisse Individualität mit am wichtigsten und so finde ich es tatsächlich schwer, zwischen all den wunderbaren Platten zu entscheiden. Auf diese Antwort habe ich vor Kurzem die Gegenfrage erhalten, was für mich denn ein besonders gutes Beispiel für individuellen Sound wäre.
Nach kurzem Überlegen kam mir "Grüner Samt" von Marsimoto in den Sinn. Natürlich scheint es offensichtlich, dass ein Rapper mit künstlich hochgepitchter Stimme immer heraussticht, bei Marsimoto und besonders seit "Grüner Samt" sind aber auch die Beats einfach unverwechselbar. Mitverantwortlich sind Marsis enge Freunde und Beatproduzenten Kid Simius, Nobodys Face und Dead Rabbit, die – mal abgesehen von Marsimoto selbst – auschlaggebend für den Sound des Albums sind. Sie halten sich mit ihren Produktionen weit entfernt von dem, was sonst auf Deutschlands Boomboxen läuft. Die tragenden, atmosphärischen Melodien, die tiefen Bässe und die vielen elektronischen Klänge wirken extrem passend zu den vom "grünen Samt" beeinflussten Inhalten. Außerdem beweisen sie Innovation und die Bereitschaft, zu experimentieren. Ohne eine solche Experimentierfreudigkeit würde man wohl kaum Beats wie Dead Rabbits geniale Interpretation von "Indianer" finden. Das alles macht das Release zu einem dieser Alben, die besonders gut kommen, wenn man sie auf voller Lautstärke über dicke Kopfhörer genießt. So wirkt das Album auch ohne "grünen Samt" beinahe berauschend.
Ich hatte das Gefühl, endlich mal etwas Ordentliches zu der Diskussion um das Lieblingsalbum beitragen zu können, da mein Gegenüber mit dieser leicht ausschweifenden Antwort zufrieden schien. Endlich wusste ich also, was ich auf die Frage aller Fragen in Sachen Musik zu erwidern habe und konnte es kaum erwarten, Marsimotos – meiner Meinung nach – bestes Album wieder herauszukramen.
(Steffen Uphoff)