"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Mortis könnte man als "HipHop durch und durch" bezeichnen. Als Jugendlicher begann er zu sprühen, durch Freestyles in der Cypher fand er zu Rap und produzierte schließlich sogar seine Beats selbst. Dennoch war es erst seine EP "Der Goldene Käfig", die mich auf ihn aufmerksam machte, denn im Gegensatz zu den asozial-frechen Mixtapes war der Grundton hier ein ganz anderer …
Auf seiner EP behandelt der Wahl-Berliner auf gefühlvolle Art und Weise sowohl die Frage danach, was eigentlich "Zuhause" ist, als auch klassische Coming-of-age-Thematiken. Dabei versteht Mortis es stets, seine Gedanken bildhaft darzustellen, ohne die Texte in Kitsch abdriften zu lassen. Klar, Ausrutscher diesbezüglich gibt es. Aber zu seiner Verteidigung rappt er ja auch auf "Carlotta": "Ich bin grad viel zu angetrunken, um nicht kitschig zu sein." So zieht mich Mortis Zeile für Zeile in seinen Bann und immer tiefer in den goldenen Käfig, den er auf dem Titeltrack so treffend beschreibt: Es geht uns an sich so gut, doch wir verschließen die Augen vor dem Wesentlichen. Die entsprechende Instrumentierung liefert Mortis dabei selbst, mit Unterstützung von Nobodys Face. Ruhig gespielte Klaviernoten, melancholisch angehauchte Synthieklänge und das ein oder andere Gitarrenriff passen perfekt zur Welt, die in den Texten beschrieben wird. Und obwohl ich am Ende wie selbstverständlich in Peets Hook "Wir sind lachend auf dem Sprung Richtung Abgrund" mit einstimme, schwingt doch stets immer ein Funken Hoffnung und Freude mit in den einzelnen Zeilen.
Manch einer mag Mortis vorwerfen, seine Debüt-EP sei zu eintönig, beschäftigt sie sich doch nur mit einer bestimmten Gefühlslage und den damit zusammenhängenden Themen. Dabei sind die gerade mal sieben Tracks bei näherem Hinhören weitaus vielseitiger, als man erwartet: Querverweise auf Jay-Z und Nas, Beats abseits von festgefahrenen HipHop-Standards und ein äußerst selbstkritischer Blick auf das eigene Leben und die Großstadt. Eine nüchterne Betrachtung der Welt und die perfekte Platte für die aktuell so wechselhaften lauen Wintertage.
(Lukas Päckert)