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Das hat mit HipHop was zu tun

"Better call Gau!" – über die Arbeit des Graffiti-Anwalts

"Hier wird künst­lich ein Feind­bild geschaf­fen, um von wah­ren Pro­ble­men abzu­len­ken." – Rechts­an­walt Dr. Patrick Gau aus Dort­mund über den Umgang deut­scher Kon­zer­ne mit Graf­fi­ti, sei­ne Arbeit als "Graffiti-​Anwalt" und sei­ne per­sön­li­che Hal­tung zur Wandmalerei.

Hip­Hop gleich Rap – oder? Zuge­ge­ben: Rap­mu­sik nimmt ei­nen gro­ßen Teil der Sub­kul­tur ein, was wohl auch ein Stück weit am stark an­ge­stie­ge­nen "me­dia­len Hype" der letz­ten Jah­re liegt. Doch in Zei­ten, in de­nen Sprech­ge­sang re­gel­mä­ßig die Charts an­führt, rückt der ur­sprüng­li­che Community-​Gedanke – zu­min­dest ober­fläch­lich be­trach­tet – zu­se­hends in den Hin­ter­grund. Dabei gibt es nach wie vor ge­nug Men­schen, de­ren Schaf­fen fern­ab von Booth und MPC statt­fin­det und die ih­rer­seits ei­nen nicht un­er­heb­li­chen Bei­trag zur HipHop-​Kultur leis­ten. In dem MZEE.com-Format "Das hat mit Hip­Hop was zu tun" wol­len wir eben­diese Leu­te zu Wort kom­men las­sen, die sich in ir­gend­ei­ner Form, viel­leicht so­gar aus ei­ner tat­säch­li­chen Lei­den­schaft her­aus, mit Hip­Hop aus­ein­an­der­set­zen, als "Nicht-​Rapper" je­doch sel­ten im Ram­pen­licht stehen.

 

Hip­Hop und das Gesetz, das war schon immer eine schwie­ri­ge Bezie­hung. Denn wie kaum eine ande­re ist die­se Sub­kul­tur mit einem gewis­sen Life­style ver­bun­den, der ab und an zu Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit der Staats­ge­walt füh­ren kann. Und das nicht nur nach dem Ver­tei­len von Zuhäl­ter­schel­len bei Kon­zer­ten. Die Musik selbst als aner­kann­te Kunst­form ist straf­recht­lich nur sel­ten rele­vant. Graf­fi­ti wird hin­ge­gen nicht nur als Sach­be­schä­di­gung kri­mi­na­li­siert und aus der Öffent­lich­keit ver­drängt, son­dern behörd­lich auch beson­ders scharf ver­folgt. So sehen sich Künst­ler meist mit poli­zei­li­chen Son­der­kom­mis­sio­nen, Staats­an­wäl­ten und Rich­tern sowie bürgerlich-​konservativen öffent­li­chen Mei­nun­gen kon­fron­tiert. In der Fol­ge büßen sie für ihre Arbeit nicht sel­ten mit Scha­dens­er­satz­stra­fen und lan­den in man­chen Fäl­len sogar in Haft. Es sei denn, sie haben jeman­den wie Dr. Patrick Gau an ihrer Seite.

Wer­bung des "Graffiti-​Anwalts" Dr. Patrick Gau.

Sei­nes Zei­chens Rechts­an­walt und Fach­an­walt für Straf­recht, besitzt die­ser Dok­tor eine Kanz­lei in Dort­mund und bear­bei­tet mit sei­nen Part­nern bun­des­weit Fäl­le. Doch dass Dr. Gau alles ande­re ist als der durch­schnitt­li­che Anwalt, wird bereits beim Lesen sei­ner Web­sei­te klar. Der Jurist schrieb näm­lich nicht nur bereits für das Strafverteidiger-​Forum, son­dern auch für das "Hanf​-Maga​zin​.com" und "Stop­The­Buff". Wei­te­re Gast­ar­ti­kel, bei­spiels­wei­se in dem Buch "INTERNATIONAL TOPSPRAYER: MOSES & TAPS", kom­men noch hin­zu. Das mag eini­gen viel­leicht unge­wöhn­lich erschei­nen – für ihn ist es jedoch eine logi­sche Ent­wick­lung gewe­sen. "Ich hat­te zu Anfang einen illus­tren Bekann­ten­kreis", erin­nert sich Dr. Gau. Dar­un­ter befan­den sich auch eini­ge Graffiti-​Writer. So kam der Rechts­an­walt bereits am Anfang sei­ner Kar­rie­re dazu, Straf­ver­fah­ren in die­sem Bereich zu bear­bei­ten – mit Erfolg. Dadurch wur­de der jun­ge Anwalt in der Sze­ne bun­des­weit bekannt als "einer, der dich mit Herz­blut ver­tei­digt", wes­halb er mitt­ler­wei­le seit rund zehn Jah­ren vor allem als "Graffiti-​Anwalt" im Ein­satz ist. Dabei pro­fi­tiert er einer­seits von sei­nem Fach­wis­sen als auch ande­rer­seits von der Kennt­nis über die Art und Wei­se, wie ille­ga­le Graf­fi­tis ent­ste­hen und in wel­chem Span­nungs­feld sich Wri­ter meist bewegen.

Die meis­ten Gerich­te und Staats­an­walt­schaf­ten sind in die­sem Fach­ge­biet nicht beson­ders bewan­dert – ver­ständ­li­cher­wei­se, da sowohl auf­grund der gerin­gen Grö­ße der Sze­ne als auch durch die Rei­se­freu­dig­keit der meis­ten Wri­ter vie­ler­orts Straf­ver­fah­ren wegen Graf­fi­ti nicht an der Tages­ord­nung sind. Auch die Geset­zes­tex­te zum The­ma Van­da­lis­mus sind alles ande­re als aus­sa­ge­kräf­tig. Dr. Gau beschreibt eine typi­sche Erfah­rung: "Letz­tens woll­te ich wis­sen, ob Krei­despray­graf­fi­tis auf Zügen eigent­lich straf­bar sind und habe 20 Staats­an­walt­schaf­ten ange­schrie­ben. Zurück kam ein­hel­lig: 'Wis­sen wir auch nicht.'" Da er also meist weit­aus sach­ge­mä­ßer mit den Fein­hei­ten sei­ner Fäl­le umge­hen kön­ne als die jewei­li­gen Gegen­spie­ler, lan­de­ten die meis­ten sei­ner Kli­en­ten gar nicht erst im Gerichts­saal. Bei Ver­ur­tei­lun­gen mit drü­cken­der Beweis­la­ge gelingt es Dr. Gau dann meist durch Erstrei­ten einer zwei­ten oder drit­ten Bewäh­rung, Haft­stra­fen zu ver­mei­den. So auch im Fall FOIM.

Dr. Gau ist beson­ders in der Graf­fi­ti­sze­ne bekannt als "einer, der dich mit Herz­blut verteidigt".

In die­sem wohl bekann­tes­ten der von Dr. Gau ver­tre­te­nen Fäl­le lau­te­te der Vor­wurf der Staats­an­walt­schaft, dass in den frü­hen 2010er Jah­ren welt­weit Züge bemalt und Vide­os der Aktio­nen ins Netz gestellt wor­den sei­en. Die Fahn­der betrie­ben einen außer­or­dent­li­chen Ermitt­lungs­auf­wand. So wur­den aus einer Flug­zeug­auf­nah­me in einem FOIM-​Video die Auf­nah­me­si­tua­ti­on und die Sitz­num­mer eines Fil­men­den rekon­stru­iert und ame­ri­ka­ni­sche SoKos kon­tak­tiert, um einen mög­li­chen Urhe­ber zu demas­kie­ren. Trotz­dem ende­te die Geschich­te mit einer Ein­stel­lung des Ver­fah­rens – nicht zuletzt, weil die geschätz­te Scha­dens­sum­me an Zügen der Deut­schen Bahn laut Dr. Gau bei nähe­rer Über­prü­fung "wie eine Sei­fen­bla­se zer­platzt" sei. Das Auf­bau­schen von Schä­den und deren Kos­ten wird der Deut­schen Bahn oft vor­ge­wor­fen. So betreibt das Unter­neh­men zwar Toch­ter­ge­sell­schaf­ten, die für die Rei­ni­gung der Züge zustän­dig sind, besitzt aber inzwi­schen diver­se Metho­den zur schnel­len Besei­ti­gung von Sprüh­lack. Beson­ders der Zulie­fe­rer TENSID besitzt nach eige­nen Anga­ben äußerst effek­ti­ve Schutz- und Rei­ni­gungs­mit­tel. Den­noch wird jähr­lich ein Mil­lio­nen­scha­den durch Graf­fi­ti bilan­ziert. Dr. Gaus Ein­schät­zung zu dem The­ma ist ein­deu­tig: "Hier wird künst­lich ein Feind­bild geschaf­fen, um von wah­ren Pro­ble­men abzu­len­ken." In einem Straf­ver­fah­ren in Müns­ter sei die vor­sit­zen­de Rich­te­rin sogar kurz davor gewe­sen, straf­recht­li­che Schrit­te gegen das Secu­ri­ty Manage­ment der Deut­schen Bahn ein­zu­lei­ten, weil die ursprüng­li­che Scha­dens­schät­zung mit dem letzt­end­lich in Rech­nung gestell­ten Betrag kaum noch etwas gemein­sam gehabt habe.

Fragt sich aller­dings, was Dr. Gau per­sön­lich von die­ser Kunst­form hält. Wür­de er Graf­fi­ti als Van­da­lis­mus bezeich­nen? "Van­da­lis­mus ist für mich Spaß am 'Kaputt­ma­chen'; Kunst will gestal­ten und die Umwelt ver­än­dern. Bei Scrat­chings oder Flusssäure-​Tags schwan­ke ich bei der Bewer­tung, ansons­ten ist Graf­fi­ti ganz klar Kunst", so sei­ne Mei­nung. "Dass einem jun­gen Men­schen die Zukunft durch eine Vor­stra­fe ver­baut wird, weil er zwei- oder drei­mal eine Wand bemalt hat, ist nicht in Ord­nung." Hin­zu kom­me, dass die Straf­an­dro­hung beim Bema­len eines Zuges genau­so hoch ist wie bei­spiels­wei­se bei man­chen Miss­brauchs­fäl­len. Und das, obwohl es nicht um mensch­li­ches Leid, son­dern um Sach­schä­den geht. Des­halb soll­te in den Augen von Dr. Gau Graf­fi­ti auch als Ord­nungs­wid­rig­keit ein­ge­ord­net werden.

Das kann man sicher­lich auch anders sehen. Man kann sich etwa über den Elan wun­dern, mit dem Dr. Gau sich schwe­ren Straf­tä­tern und Gewalt­ver­bre­chern als Ver­tei­di­ger anbie­tet. Denn die Moti­va­ti­on hin­ter sol­chen Delik­ten und der dabei ent­stan­de­ne Scha­den sind nicht ver­gleich­bar mit jenen bei ille­ga­lem Graf­fi­ti, so grenz­wer­tig die­se Sei­te der Kunst­form auch sein mag. Doch auch die­je­ni­gen, die einer Gewalt­tat beschul­digt wer­den, müs­sen in einem Rechts­staat gleich­be­rech­tigt juris­tisch ver­tre­ten wer­den. Des­sen unbe­se­hen mag es für ein­zel­ne, von staat­li­cher Repres­si­on betrof­fe­ne Künst­ler ent­schei­dend sein, dass es sol­che juris­ti­schen Gegen­ge­wich­te zu den Ver­tre­tern von Staat, Eigen­tü­mern und Unter­neh­men gibt.

(Jona­than Rogg)
(Fotos: Kanz­lei Dr. Gau)