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Interview

Wilczynski

"Man­che machen das, aber mir ist das scheiß­egal. Wenn der Beat am Ende fett ist – do your thang. Ich hab' für mich mei­ne For­mel ent­deckt und das ist mein Weg." – Wilc­zyn­ski im Inter­view über sei­ne Vor­lie­ben beim Pro­du­zie­ren, aktu­el­le Pro­jek­te und HipHop-​Journalismus in Deutschland.

Zuge­ge­ben: Die badi­sche Stadt Achern war in Sachen Beatma­king bis vor Kur­zem doch eher ein wei­ßer Fleck auf der Deutsch­land­kar­te. Bis vor Kur­zem – denn Wilc­zyn­ski ist mitt­ler­wei­le auf dem bes­ten Weg, dies zu ändern. Ange­fan­gen bei einem Instru­men­tal­re­lease im Jahr 2014, erar­bei­te­te sich der Pro­du­zent inner­halb von gut zwei Jah­ren durch sein ganz eige­nes Sound­kon­zept auf den Alben "Glück unter Pal­men" und "Anru­fe in Abwe­sen­heit" ein Stan­ding in der Unter­grund­sze­ne. Und immer dabei: sei­ne SP-​404. So auch bei sei­nem ers­ten Auf­tritt auf der Tape­fa­brik 2017, wo wir Wilc­zyn­ski zum Inter­view tra­fen. Für uns ließ der Beat­bau­er sei­nen bis­he­ri­gen Wer­de­gang Revue pas­sie­ren und wag­te einen Aus­blick auf anste­hen­de Pro­jek­te – dar­un­ter das Kollabo-​Album "Fil­me schie­ben" mit Johan­nes One­ta­ke und DJ Wild­Style. In die­sem Zusam­men­hang ver­riet er uns auch, wor­in sei­ner Mei­nung nach die Unter­schie­de zwi­schen den Pro­duk­tio­nen für "ihn selbst" und für ande­re Rap­per lie­gen. Außer­dem spra­chen wir mit Wilc­zyn­ski über sei­ne Vor­lie­be für Sample-​Beats, das Publi­kum bei Live Beat Sets und sei­ne Hal­tung zum HipHop-​Journalismus in Deutschland.

MZEE​.com: Ich habe hier auf der Tape­fa­brik von eini­gen Zuschau­ern gehört: "Okay, der Typ ist wirk­lich krass – aber wer ist das über­haupt?!" Fan­gen wir also ganz von vor­ne an, um dich mal vor­zu­stel­len: Was hast du bis heu­te so gemacht?

Wilc­zyn­ski: Ich fas­se das mal ganz grob zusam­men. Ende 2014 kam mein ers­tes Instru­men­tal­al­bum "Zwi­schen Küche und Couch" über Ran­dom Mind Sta­te, das ist ein klei­nes Hei­del­ber­ger Label. Danach kam 2015 "Glück unter Pal­men" – kom­plett instru­men­tal und über Vinyl Digi­tal. Es war eine EP, die dar­auf beruh­te, dass ich die ver­wen­de­ten Samples alle in mei­nem Urlaub in Valen­cia gesam­melt habe. Dazu kamen Geräu­sche und Sprach­samples. Einer der Beats beruht kom­plett auf 'ner Live­ses­si­on in Valen­ci­as Jazz­club – er heißt auch "La Rosa's Vor­schlag". 2016 kam dann "Anru­fe in Abwe­sen­heit", auf dem ver­schie­de­ne Rap­per gefea­tur­et sind. Zu der Zeit haben mich oft Leu­te ange­ru­fen und bei mir ging immer die Mail­box ran, was zu Ver­wir­run­gen führ­te. So kam ich irgend­wann auf die Idee, das auf­zu­ar­bei­ten. Ich hab' dann die­se Plat­te mit Leu­ten gemacht, bei denen es auch mensch­lich passt. Das ist ein­fach grund­sätz­lich mein Mind­set in Sachen Hip­Hop und mir sehr wich­tig. Weil ich ganz nor­mal arbei­ten geh', mein Ding mach' und Hip­Hop für mich qua­si die Kir­sche oben­drauf ist. Das Album von 2016 haben wir auch als Instru­men­tal­ver­si­on ver­öf­fent­licht, die aber schon sie­ben Tage vor Release aus­ver­kauft war. "Anru­fe in Abwe­sen­heit" und "Glück unter Pal­men" kamen bei­de über Vinyl Digi­tal … (über­legt) Das war so mein bis­he­ri­ger Wer­de­gang. Und es geht schon sehr kon­kret weiter.

MZEE​.com: Hast du mit dem Pro­du­zie­ren begon­nen, damit Rap­per dei­ne Beats ver­wen­den kön­nen? Oder ist das Gan­ze für dich eine eigen­stän­di­ge Kunst­form, mit der du dich aus­drü­cken kannst?

Wilc­zyn­ski: Also, für mich war das immer so: Ich drück' auf den Knopf der MPC und mach' das, wor­auf ich Bock habe. Für mich war der Grund­ge­dan­ke dahin­ter nie, das für MCs zu machen. Das war für mich nur ein Umkehr­schluss, nach­dem ich merk­te: Der Shit wird tight. Dann habe ich gesagt: "Okay, da kann jetzt jemand drü­ber rap­pen und ich frag' die Leu­te ein­fach mal." So ist dann auch "Anru­fe in Abwe­sen­heit" ent­stan­den. Aber grund­sätz­lich ist es für mich eine völ­lig ande­re Her­an­ge­hens­wei­se, ob ich einen Beat nur für einen Rap­per oder für mich allei­ne produziere.

MZEE​.com: Hast du das Gefühl, dass man sich als Pro­du­zent etwas zurück­hal­ten muss, wenn man für einen Rap­per produziert? 

Wilc­zyn­ski: Ich fin­de, man packt sich selbst in eine Struk­tur. Man ori­en­tiert sich an die­sem 16 Bars-​Hook-​16 Bars-​Hook-​Ding. Aber ich ver­such', das auch immer etwas auf­zu­bre­chen, wenn ich mit MCs arbei­te, weil ich dar­auf eigent­lich kei­nen Bock habe. Wenn mir MCs sagen, sie wol­len nur 12 Bars oder 4 Bars-​Hook, dann bin ich dafür immer offen. Ich beschränk' mich nicht auf die klas­si­sche Struk­tur von Songarrangements …

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MZEE​.com: War das "Anru­fe in Abwesenheit"-Album denn eine Aus­nah­me? Kom­men jetzt wie­der Instrumentalsachen? 

Wilc­zyn­ski: Also, das The­ma "Anru­fe in Abwe­sen­heit" ist für mich durch. Jetzt kom­men zwei ande­re Pro­jek­te für mich. Zunächst kommt die Ana­log Mechanics-​Scheibe. Da haben wir uns als Crew for­miert. Ich an den Beats, dann ist Johan­nes One­ta­ke von der MOoN Crew an den Raps und DJ Wild­Style, der auch die Cuts für das Haze-​Album gemacht hat, macht die Cuts. Wir sind so ein Drei­er­ge­spann. Und haben jetzt eine EP zusam­men­ge­schus­tert, die heißt "Film schie­ben". Der Titel beruht dar­auf, dass wir irgend­wann erkannt haben, dass vie­le Samples aus Sound­tracks sind. Und da dach­ten wir uns, wir blei­ben bei die­sem Kon­zept und das Gan­ze hat dadurch einen Rah­men. Die Plat­te kommt über Fruit Com­pa­ny, ein klei­nes Berliner/​Dessauer Label. Im Anschluss kommt noch ein Instrumental-​Tape, das wird geteilt: Die A-​Seite mach' ich, die B-​Seite macht Hydro­ge­nii aus Pforz­heim. Es heißt "Lost in Basics" und kommt über E1K. Das ist jetzt das ers­te Mal, dass ich das öffent­lich bekannt mache … Wir arbei­ten da mit einer sehr talen­tier­ten Künst­le­rin aus Offen­burg für das Art­work zusam­men, sie heißt eme­sa. Es ist echt krass, was sie macht – sie malt wun­der­schö­ne Wän­de mit sehr dopen Cha­rac­ters, oft auch an lost places. Ich bin all­ge­mein sehr froh, mit sol­chen Leu­ten zusammenzuarbeiten.

MZEE​.com: Kom­men wir mal auf etwas Grund­sätz­li­ches zu spre­chen: Wie bist du zum Pro­du­zie­ren gekom­men und was hat dich dazu inspiriert?

Wilc­zyn­ski: Ich hab' vor­her sehr aktiv Hand­ball gespielt, aber dann habe ich mir das Schlüs­sel­bein gebro­chen … Ich hab' hier so 'ne rich­ti­ge Street Credibility-​Narbe. (lacht) Ich hab' es vor­her schon mit irgend­wel­chen Pro­gram­men pro­biert, aber das war nie meins. Nach der Ver­let­zung hab' ich dann gesagt: "Ich kauf' mir jetzt ein­fach eine scheiß MPC!" Dann hab' ich mir die 2500er geholt und mich lang­sam rein­ge­ar­bei­tet. Und ich bin schon auch allei­ne wei­ter­ge­kom­men, aber wenn du dich mit ande­ren aus­tauschst, wirst du viel kras­ser. Und dann – ich bin ja Sozi­al­ar­bei­ter in einem Jugend­zen­trum – habe ich irgend­wann dude26 gefragt, ob er 'nen Beat-​Workshop mit den Kids machen will.

MZEE​.com: Und den hat er gemacht?

Wilc­zyn­ski: Ja, er hat fünf Tage bei mei­nen Eltern gepennt, in mei­nem alten Zim­mer. Er hat auch mei­ne Fami­lie noch voll lieb in einem Inter­view gegrüßt. Ich hab' von nie­man­dem so viel gelernt wie von dude26, wenn es um Mucke geht. Er war für mich ein Men­tor, er hat mei­ne ers­ten bei­den Plat­ten gemischt. Dabei hat er mir den gan­zen Vor­gang vom Mischen und Mas­tern ver­mit­telt. Ich bin ihm echt sehr, sehr dank­bar. Und dann kam irgend­wann der Punkt, an dem er gesagt hat: "Ste­fan, du hast dein Zeug daheim ste­hen – hau doch was raus, Mann, arbei­te dich rein." Und dann dach­te ich mir: "Ja, du wirst sehen." Das war der Dri­ve, auch etwas zu veröffentlichen.

MZEE​.com: Du hast gera­de schon gesagt, dass du mit der MPC pro­du­zierst. War­um ist dei­ne Wahl gera­de dar­auf gefal­len? Es gibt ja heut­zu­ta­ge die ver­schie­dens­ten Mög­lich­kei­ten, zu produzieren …

Wilc­zyn­ski: Con­trol­ler oder PC boten mir immer zu vie­le Mög­lich­kei­ten. Die MPC war für mich limi­tiert. Ich hab' das lie­ber so rudi­men­tär: Mach das, klatsch das Sam­ple drauf. Du hast genau die­se Mög­lich­kei­ten – mach dein Zeug dar­aus. So hat es dann auch ein­fach funk­tio­niert und das fand ich gut … Also hab' ich das für mich als mei­ne For­mel entdeckt.

MZEE​.com: Du bist auch ein gro­ßer Freund von Samples.

Wilc­zyn­ski: Mein Sound basiert nur auf Samples. Nur.

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MZEE​.com: Das ist heu­te ja gar nicht mehr so üblich.

Wilc­zyn­ski: Ja, aber du musst wis­sen: Das ist mir kom­plett egal. (grinst) Ich mach' das, wor­auf ich Bock hab'. Auch wenn ande­re das anders machen. Ich ver­ur­tei­le auch nie­man­den, der Samples von You­Tube nimmt oder so. Man­che machen das, aber mir ist das scheiß­egal. Wenn der Beat am Ende fett ist – do your thang. Ich hab' für mich mei­ne For­mel ent­deckt und das ist mein Weg … Ich ver­fol­ge auch kei­nen gro­ßen Plan. Allein, dass ich hier heu­te spie­len durf­te (auf der Tape­fa­brik, Anm. d. Red.), ist für mich voll die Ehre. Dass das so eine gei­le Stim­mung war und ich mit euch ein Inter­view machen darf. Ich hab' null Erwar­tun­gen und wenn was pas­siert, passiert's.

MZEE​.com: Heu­te ist es für dich also wie Geburts­tag und Weih­nach­ten zusammen.

Wilc­zyn­ski: Ja, schon. Und weißt du auch, war­um? Guck mal: Ich war drei Mal als Besu­cher hier und jetzt bin ich auf ein­mal als Artist da, darf in den Back­stage und kann mei­nen Jungs 'ne Fla­sche Hen­nes­sy rein­schmug­geln … (lacht)

MZEE​.com: Lass uns mal kon­kre­ter über dei­ne Pro­duk­tio­nen spre­chen: Sie haben eini­ge Ein­flüs­se aus Jazz und Soul. Wie kommt es dazu?

Wilc­zyn­ski: Also, Jazz-​Samples haben natür­lich 'ne rie­sen­gro­ße HipHop-​Tradition. Und ich bin ein gro­ßer Fan vom Dig­gen. Ich geh' wirk­lich durch den Plat­ten­la­den und auf Floh­märk­te und grab' mich durch irgend­wel­chen Shit durch. Für mich sind dann die Plat­ten inter­es­sant, die noch nicht jeder Ami durch­ge­sam­plet hat. Mein Hör­ver­hal­ten hat sich durch Leu­te wie dude26 und dadurch, dass ich selbst aktiv wur­de, auch total ver­än­dert. Ich höre lan­ge nicht mehr so vie­le Sachen, die im Main­stream oder an der unte­ren Schwel­le zum Main­stream ver­or­tet sind. Mitt­ler­wei­le hör' ich wirk­lich nur noch die­se unter­grun­di­gen Sachen … Aber es kommt wirk­lich durch äuße­re Ein­flüs­se und Inter­es­se. Und ich find' sie auch ein­fach schön, die­se Jazz-​Sachen. Ich fin­de die­ses Impro­vi­sie­ren total beru­hi­gend. Da wird mir warm ums Herz. Ich höre das, leg' mich auf den Boden und … woah!

MZEE​.com: Wenn du in jeg­li­cher Dimen­si­on den­ken darfst: Mit wel­chem Künst­ler wür­dest du in Zukunft ger­ne mal zusammenarbeiten?

Wilc­zyn­ski: Mit Kamp. Weil er mein abso­lu­ter Lieblings-​MC ist. Und mit Mäd­ness. Ich hab' ihn schon sehr früh ver­folgt. Ich hab' in Darm­stadt stu­diert und er war mir immer sehr sym­pa­thisch, wenn ich ihn getrof­fen hab'.

MZEE​.com: Ande­res The­ma, das uns heu­te auch zusam­men­ge­führt hat: Live-​Auftritte. Falk Schacht hat mal gesagt, es pas­siert, dass ihn Leu­te anstar­ren, wenn er auf­legt. Bei Rap­pern aber gehen die Arme hoch oder alle rap­pen mit. Wie erlebst du als Pro­du­zent dei­ne Auf­trit­te und was hast du für Erwar­tun­gen an das Publikum?

Wilc­zyn­ski: Grund­sätz­lich hab' ich erst mal gar kei­ne Erwar­tun­gen an die Leu­te. Ich geh' da hoch, hab' mei­ne SP dabei und mach' mei­nen Kram so, wie ich ihn vor­be­rei­tet habe. Ich lege auch nicht auf, ich spie­le ein Beat Set. Was die Leu­te dar­aus machen, ist immer noch ihr Ding. Wenn es so gut läuft wie heu­te, ist das natür­lich echt toll. Ich denk' dabei nicht, dass mich Leu­te anstar­ren. (grinst) Ich hab' zehn Jah­re hoch­klas­sig Hand­ball gespielt und mir ist scheiß­egal, wer mich anschaut.

MZEE​.com: Zum Abschluss eine Fra­ge zu dei­nem Track "Bou­le­vard­pres­se" mit Kko­ma aus Leip­zig: Dar­auf kri­ti­siert er den deut­schen HipHop-​Journalismus. Er sagt, es wür­de in ers­ter Linie um Geld gehen, inhalt­li­cher Non­sens und Lügen wür­den pro­du­ziert, wäh­rend gute Kunst kei­ne Chan­ce hät­te. Was ist dei­ne Sicht auf den HipHop-​Journalismus in Deutschland?

Wilc­zyn­ski: (lacht) Also, ich weiß natür­lich, dass die Print­me­di­en viel weni­ger wer­den. Ich weiß, dass dadurch das meis­te mehr an Klick­zah­len ori­en­tiert ist. Vie­le unse­riö­se For­ma­te lau­fen so den seriö­sen For­ma­ten den Rang ab. Das fin­de ich sehr scha­de. Des­halb gibt es auch nur sehr weni­ge Maga­zi­ne, die für mich rele­vant sind. Eins davon ist zum Bei­spiel, ohne zu schlei­men, MZEE, ein ande­res ist Hera­tik oder The Mes­sa­ge. Musik kon­su­mier' ich ansons­ten durch Tei­lun­gen in mei­ner Time­line … Ich beweg' mich dabei in 'nem Bereich, der sehr sub­kul­tu­rell und under­groun­dig ist, das ande­re ist für mich nicht relevant.

MZEE​.com: Wir sind am Ende des Inter­views ange­kom­men. Du kannst ger­ne noch etwas ergän­zen, falls wir dich unver­schäm­ter­wei­se ver­ges­sen haben, etwas Bestimm­tes zu fragen …

Wilc­zyn­ski: Alles ist gesagt. (grinst)

MZEE​.com: Du bist glücklich?

Wilc­zyn­ski: Ich bin hap­py, Mann. Ich kann auch mor­gen noch in den Spie­gel schau­en und sagen: "Okay, das war dope, was ich gesagt hab'." Alles gut.

(Flo­rence Bader und Lai­la Drewes)
(Fotos von eme­sa (Bild 1 & 3) und Mar­kus Diet­ze /​ mad­pho­tos)