Kaum eine Szene hierzulande scheint so facettenreich zu sein wie die Deutschrapszene. Während es bereits jetzt schon fast unmöglich erscheint, jeden einzelnen, etablierten Vertreter zu kennen, steigt die Zahl neuer, noch unbekannter Künstler exponentiell weiter an. Den Überblick zu behalten, gleicht einer Herkulesaufgabe: Hat man sich ein Gesicht der HipHop-Hydra gemerkt, tauchen schon wieder mindestens zwei neue auf. Gleichzeitig ist es für unbekannte, junge Talente überaus schwer, aus der überwältigenden Masse an Musikern herauszutreten und sich einen Namen zu machen.
Beiden Seiten soll unser Mic Check eine Hilfestellung bieten. Rappern, die bisher noch in den Tiefen des Untergrunds untergegangen sind, eine Plattform geben, auf der sie sich kurz, aber prägnant präsentieren können. Und Hörern und Fans ermöglichen, sich einen schnellen Überblick über nennenswerte Künstler zu verschaffen, die sie bisher vielleicht noch gar nicht auf dem Schirm hatten.
MZEE.com: Dein Debütalbum trägt den Titel "antebellum", also "Vorkriegszeit". Aus der Zeit vor welchem Krieg möchtest du deinen Hörern denn erzählen? Welche Botschaft steckt dahinter?
Jolle: Dazu muss ich erst einmal sagen, dass wir zu Beginn der Aufnahmen noch gar nicht wussten, dass wir ein ganzes Album herausbringen würden. Wir, das sind Sebeats, mein Produzent und Kumpel, und ich. Da Sebeats die Raps, die ich bei verschiedenen Gelegenheiten und immer unter Alkoholeinfluss zum Besten gegeben habe, ziemlich zusagten, bot er mir an, dass man ja mal ein paar Sachen aufnehmen könnte. Also haben wir uns an einem Wochenende im Studio von Perspektive Music in Osnabrück getroffen, ein paar Bier getrunken und meine Raps auf seinen Beats aufgenommen. Am zweiten Tag hatte er dann seine Kamera dabei und wir haben Teile von "W. I. R." gedreht. So wurden dann aus ein paar Sachen, die wir aufnehmen wollten, erst eine kleine EP und am Ende dann ein komplettes Album samt Videos, Merchandise und digitalem Vertrieb. Das war alles sehr spontan, konzeptlos und unüberlegt, aber nichtsdestotrotz oder vielleicht auch gerade deswegen eine richtig gute Zeit, aus der ein authentisches Stück Musik hervorgegangen ist. In diesem Zeitraum habe ich mir dann auch erstmals Gedanken zum Titel unseres Projekts gemacht und bin dann irgendwann auf "antebellum" gekommen. Ich hab' nicht bewusst darüber nachgedacht, es kam mir einfach irgendwie in den Sinn. Und nach ein paar Tagen des Überlegens sagte mir der Titel mit meiner Intention dahinter vollkommen zu, obwohl mir viele Freunde davon abrieten. "Klingt nach Savas", oder "Latein? Langweiliger Studentenrap also!" – das und Ähnliches waren die ersten negativen Reaktionen zum Titel. War mir dann aber auch relativ schnell egal, da am Ende ich damit glücklich sein muss. Aber kommen wir zurück zur eigentlichen Frage: Mit "Krieg" meine ich gewissermaßen die deutsche Rapszene, von der ich immer ein Teil sein wollte. Und das Ganze gerne auch erfolgreich, wie auch immer man das jetzt verstehen mag. Es geht um das Überleben in diesem Haifischbecken, von dem alle immer reden. Ein Überleben im Krieg also, der einen Zeitraum in der – hoffentlich nahen – Zukunft beschreibt, in dem ich etwas bekannter bin, relativ regelmäßig Auftritte habe, also ein relevanter Rapper bin. Einen Zeitabschnitt, der hoffentlich genau jetzt vor mir liegt. Das Album zeigt dem Hörer in ein paar Jahren, wie Jolle so drauf war und was ihn beschäftigt hat, bevor er die Hauptbühne auf dem Splash! abgerissen hat. Was natürlich eine utopische Vorstellung ist, worüber ich mir völlig im Klaren bin. Nichtsdestotrotz hat der Titel also im Idealfall eine prophezeite retrospektive Funktion für die Zukunft.
MZEE.com: Neben der Vermittlung von Inhalten hat jeder Künstler meist noch andere Ziele, die er mit seiner Musik verfolgt. Welche wären das bei dir?
Jolle: Ich will mir damit einfach mein perfektes Leben ermöglichen. Und ich meine das nicht auf finanzielle Weise. In den nächsten Jahren werde ich mein Studium abschließen und dann als Lehrer an Schulen tätig sein. Daher ist der mögliche finanzielle Aspekt des Rapper-Daseins nicht Teil meiner Motivation. Ich will Auftritte in allen Städten in Deutschland haben, herumkommen und einfach viel sehen. Ich möchte zu den Besten gehören bei dem, was ich tue, und Dinge zustande bringen, die es so vorher nicht gab. Das Vermitteln von Inhalten hat bei mir außerdem einen besonderen Stellenwert, da ich meine Inhalte für etwas relevanter halte als die anderer Künstler. Das tun einige Kritiker als Öko- oder Studentenrap ab. Aber viele Leute kommen auch auf mich zu und sagen, dass sie mich zwar nicht kennen, mir aber alles, was ich so erzähle, vollkommen abkaufen. Das würde ich gerne nutzen, um wichtige Inhalte zu transportieren, ohne dabei jetzt großartig mit dem Zeigefinger herumzuwedeln oder Gesellschaftskritik in peinlichen Songs unterzubringen. Das sollte ich auf dem Album – speziell in "Raucherpause" und "Liberate Me" – zufriedenstellend umgesetzt haben.
MZEE.com: Auf dem Titeltrack zu "antebellum" sagst du, dass du mit sechzehn Jahren schon der Beste sein wolltest – die Liebe zu Rap war also schon relativ früh da. Wann und wie bist du HipHop denn erstmals begegnet?
Jolle: Die Liebe zu Rap war sogar so früh da, dass ich mit zwölf das Ziel ausgesprochen habe, mit sechzehn der Beste sein zu wollen. Das Ganze kam durch meinen großen Bruder zustande. Er hat viel Rap gehört, ist sechs Jahre älter als ich und hat mir jedes Wochenende neue Mucke auf meinen MP3-Player gespielt, welche ich dann rauf und runter gehört habe. Da war wirklich alles dabei: Beatnuts, Dilated Peoples, Method Man und Redman … Aber eben auch viele deutsche Sachen, die es mir besonders angetan haben, wie beispielsweise Flowin IMMO, F.R., MaRio Grande, Nico Suave, Eins Zwo und Blumentopf. Blumentopf war für mich immer der krasseste Scheiß und ich weiß noch, wie ich auf Klassen- oder Mannschaftsfahrten vom Fußball den ganzen Bus mit meinen auswendig gelernten Raps vom Topf entertaint und/oder genervt habe.
MZEE.com: Auf deinem Debüt finden sich zwölf Anspielstationen, mit denen du einem Hörer deine Musik präsentieren kannst. Mal angenommen, du hättest aber nur einen einzigen deiner Tracks, um jemandem deine Kunst zu zeigen, welchen Track würdest du wählen? Warum diesen?
Jolle: Das ist eine unglaublich schwierige Frage, da ich ja – wie man im Steckbrief sehen kann – "Omnipotenz-Rap" mache. (grinst) Ich beherrsche meiner Meinung nach verschiedene Stile ganz gut und das macht meine Musik auch zu großen Teilen aus. Ich würde es also vom Hörer abhängig machen. Einem achtzehnjährigen Trap-Fan würde ich meinen Track "E. I. N. S." empfehlen. Jemandem, der sagt, dass er keinen Rap hört, "antebellum". Einem vierunddreißigjährigen Oldschool-Fan "W. I. R." oder "Iota Omikron". Und einem vierundzwanzigjährigen Joey Bada$$-Fan "Voll im Rahmen". Meiner Schwester, die gerne Radio hört, tendenziell eher "High" mit Dizzy. Es klingt ziemlich abgedroschen, aber jeder, der mein Album hört, findet ohne Weiteres einen oder zwei Songs, die ihm gefallen werden. Manch einer bestimmt auch zehn oder elf. Außer natürlich der "Ich hate alles aus Prinzip"-Typ.
MZEE.com: Noch stehst du am Anfang deiner Karriere, bekommst hier und da aus der Szene ersten Zuspruch und hast sicherlich noch so einiges vor dir. Glaubst du aber, dass du eines Tages zu alt sein könntest für Rap? Kann man für Rap überhaupt zu alt sein?
Jolle: Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich eines Tages zu alt für Rap bin. Für das Rappen an sich vielleicht, aber für das Konsumieren der Mucke niemals. Ich war ja auch nie zu jung dafür und bin auch nicht Rap, sondern HipHop. Ich bin damit aufgewachsen und habe zum Erschrecken meiner Eltern Baggy Pants getragen, seit ich vierzehn war. Es ist ja nicht so, dass ich beim VBT mitmache, zwei 16er schreibe, ein Video abdrehe und dann das Ganze hinter mir lasse und wieder einen Alltag ohne Berührungspunkte mit HipHop verlebe. HipHop ist immer da. Ob in den Kopfhörern, in der Redensart oder beim Freestylen mit anderen. Das Einzige, was ich mir vorstellen kann, ist, dass ich mit fünfzig womöglich nicht mehr auf Freestyle Jams abhänge und mich gegen hungrige und talentierte Achtzehnjährige behaupten werde. Aber vielleicht wird doch genau das passieren und dann werd' ich diesen Hosenscheißern mal zeigen, dass Oldschool auch verdammt dope sein kann! (grinst)
Ein Exclusive von Jolle könnt Ihr Euch ab sofort auf dem YouTube-Channel von MZEE.com ansehen:
(Daniel Fersch & Lukas Päckert)
(Grafiken von Puffy Punchlines, Logo von KL52)
(Fotos von Sebeats)
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