HipHop gleich Rap – oder? Zugegeben: Rapmusik nimmt einen großen Teil der Subkultur ein, was wohl auch ein Stück weit am stark angestiegenen "medialen Hype" der letzten Jahre liegt. Doch in Zeiten, in denen Sprechgesang regelmäßig die Charts anführt, rückt der ursprüngliche Community-Gedanke – zumindest oberflächlich betrachtet – zusehends in den Hintergrund. Dabei gibt es nach wie vor genug Menschen, deren Schaffen fernab von Booth und MPC stattfindet und die ihrerseits einen nicht unerheblichen Beitrag zur HipHop-Kultur leisten. In dem MZEE.com-Format "Das hat mit HipHop was zu tun" wollen wir ebendiese Leute zu Wort kommen lassen, die sich in irgendeiner Form, vielleicht sogar aus einer tatsächlichen Leidenschaft heraus, mit HipHop auseinandersetzen, als "Nicht-Rapper" jedoch selten im Rampenlicht stehen.
Von frühester Kindheit an wird einem eingetrichtert, wie wichtig doch der erste Eindruck sei. Ob nun beim Vorstellungsgespräch für den Traumjob, beim ersten Aufeinandertreffen mit den künftigen Schwiegereltern oder beim Blind Date: Ein Stück weit zählt immer das Bild am meisten, das man beim Gegenüber als Erstes hinterlässt. Das gilt vorwiegend für die menschliche Interaktion, aber auch für banalere Aktivitäten wie beispielsweise das Shoppen. Wenn einen aus dem Regal des hiesigen Multimedia-Geschäfts der muskelbepackte Vollblut-Rapper anlacht, hat man schließlich andere Ansprüche an die Musik, als wenn die Beatles über die Abbey Road stolzieren. Zwischen oberkörperfreier Selbstdarstellung und schmuckloser Landschaftsinszenierung findet sich unter den ersten Eindrücken auch hin und wieder ein Rapper, der sich bei seinem tatsächlichen Job ablichten lässt: dem Rappen. So stolpert man vielleicht sogar über die "Aura Live"-Pressung, die einen leidenschaftlich performenden Kool Savas am Mic zeigt. Es ist das vielleicht nachhaltigste Cover, das Eric Ullrich je schuf, wie er uns später selbst erzählt.
Eric ist einer, der mit diesen ersten Eindrücken spielt. Seine Arbeiten für Xavier Naidoo, Kool Savas und weitere hiesige Künstler prägen das Bild einiger CD-Regale mit. Die ersten Cover-Entwürfe fertigte er schon 2006 an, designte beispielsweise das Artwork zu Franky Kubricks "Mein Moneyfest". In der Branche ist er daher schon lange Jahre tätig; mittlerweile arbeitet er hauptberuflich als Grafikdesigner und entwirft Cover quasi nur noch nebenbei. Der klassische Quereinsteiger, ähnlich wie Jacob Roschinski.
"Die Gestaltung von CD-Covern war nie etwas, was ich mir für mich vorgestellt hätte. Tatsächlich war es einfach die logische Konsequenz, wenn man der einzige im Freundes- und Bekanntenkreis ist, der in der Lage ist, Designs und Layouts auf einem gewissen gestalterischen Level in einem vorgegebenen Zeitfenster zu erstellen", so Jacob, der seit fünf Jahren hauptberuflich als Designer und Fotograf arbeitet. Auch er machte sein Hobby zum Beruf, designte er doch vor der Professionalisierung ausschließlich für Freunde und Bekannte. Zuletzt stellten sich über 100 000 Menschen sein Cover vom "Zuhältertape Vol. 4" in den heimischen CD-Schrank.
All das geschieht, obwohl "führende Online- und Video-Redakteure deinen Namen noch nie gehört haben", wie er selbst ergänzt. Die Design-Abteilung ist eben nicht geeignet für jene, die das große Rampenlicht suchen. Zwar finden sich ihre Namen auf den Innenseiten der Hüllen, doch große Anerkennung ernten sie für ihre Arbeit in der breiten Öffentlichkeit eher selten. Für beide ist das aber sowieso irrelevant: "Ich finde nicht, dass diese Sparte besonders gewürdigt werden muss, ohne jetzt meine Arbeitsleistung minimieren zu wollen. Letztendlich zählt ja die Musik", befindet Eric. Das macht den Job jedoch keinesfalls leichter, denn das Cover bestimmt schlussendlich große Teile der Außenwirkung. Ein ideales Frontbild sollte den Vibe der Musik einfangen können – leidenschaftlich und emotional bei Kool Savas, verspielt und spaßig bei den 257ers. Dabei steht bereits vor dem Album-Mastering das Konzept-Design. Eine komplette Vorabversion der Musik bekommen Jacob und Eric daher nie zu hören, sie haben allenfalls Zugriff auf einzelne Songs oder vorangegangene Fotosessions. "Da bei mir aber meistens mit Fotos aus dazugehörigen Shootings gearbeitet wird, bekommt man recht schnell einen Eindruck davon, was der Artist sich vorstellt", so Eric.
Häufig muss dieser Eindruck dann mit den Rappern abgesprochen werden, die natürlich stets das letzte Wort bei Design-Fragen haben. Jacob sieht sich da selbst eher in der Rolle des Dienstleisters, für den die Wünsche des Kunden eben vorgehen müssen – auch wenn ihm natürlich Musiker lieber sind, "die produktiv mitarbeiten und mir im Zweifelsfall dennoch das letzte Wort lassen". So gestaltet sich die Arbeit an jedem Cover anders. Mal gibt es Pre-Listening-Sessions, in denen zumindest ungemasterte Tracks einen Ersteindruck festigen, mal kommt der Rapper selbst mit einer Idee auf den Grafiker zu – oder ihm wird einfach komplett freie Hand gelassen. "Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt Rapper, die haben keinen blassen Schimmer von Design, Kunst und Gestaltung. Dann gibt es wiederum Rapper, die wissen ganz genau, was funktioniert und was nicht", erklärt Jacob. Erschwerend kommen Marketing-Abteilungen hinzu, die "natürlich ganz andere Vorstellungen und Vorgaben im Kopf haben als ein Designer". Doch die größte Hürde ist der Zeitdruck, das bestätigen beide.
Als geneigter Rap-Hörer kennt man das Prozedere: Noch bevor die erste Auskopplung eines Tonträgers auf YouTube landet, gibt es den Vorbestellungs-Link zur Deluxe Box auf Amazon und das kommende Cover wird ganz schnell zum Profilbild bei Facebook. Dies führt dazu, dass der Großteil aller visuellen Arbeiten noch vor der eigentlichen Musik entstanden sein muss. Timing-Probleme und Zeitnot sind vorprogrammiert, wie Jacob berichtet: "Mein Projekt-Rekord liegt bei circa 500 Arbeitsstunden in vier Wochen. Der Tagesablauf setzte sich aus Arbeiten, Fast Food bestellen, etwas Schlaf und sehr viel Stress zusammen." Auch Eric würde sich eine frühzeitigere Einbindung ins Geschehen und mehr Zeit im Arbeitsablauf wünschen. Kein Wunder, bedenkt man den enormen Druck, unter dem ein Cover-Artist steht. Was ist, wenn die Masse seine Arbeit nicht für gut befindet? Schließlich ist speziell in der heutigen Zeit negatives Feedback schnell gesammelt. Den Geschmack aller kann man nicht treffen, doch nicht selten finden sich nur wenige unter Tausenden, denen das Cover auf Anhieb taugen will. Jeder Grafiker muss wohl seinen eigenen Weg finden, damit umzugehen. Eric gibt sich in dieser Hinsicht gelassen: "Negative Kommentare gibt es immer, Design ist halt Geschmackssache und jedem kann man es nicht recht machen, das muss man ignorieren." Das Feedback von anderen Designern ist beiden da wichtiger als das in den "YouTube-Kommentaren irgendwelcher Kids", wie Jacob es benennt.
Sie selbst beäugen ebenfalls die Arbeit ihrer Kollegen genau, wenn auch oft positiv: "Was ich zuletzt sehr gut fand, war das Cover von Shindys 'FVCKB!TCHE$GETMONE¥'", verrät Eric, "vor allem, weil es sich so schön farblich für die unterschiedlichen Editionen anpassen ließ." Eine wichtige Neuerung für ihn, da seine Arbeiten mittlerweile öfter auf dem Smartphone angesehen werden als auf tatsächlichen Tonträgern. "Durch den starken Rückgang der physischen Verkäufe gibt es bei den Covern inzwischen andere Anforderungen. Sie müssen auch in kleinen Größen erkennbar, lesbar und einzigartig sein, um sich in der Masse der Onlineportale ausreichend abzuheben." An genau dieser Einzigartigkeit erkennt man die Erfahrung und Professionalität beider Grafiker. Sei es nun die Zusammenarbeit von Eric Ullrich mit dem Maler Onur Dinc für das XAVAS-Artwork oder die Studio-Ausstattung von Jacob Roschinski, um die "hundertprozentige Kontrolle über die Ausleuchtung" zu gewährleisten. Eine eigene Note fließt in die Arbeit dabei laut Jacob sowieso immer ein: "Ich glaube, das passiert automatisch. Zumindest dann, wenn man nicht den Auftrag bekommt, eins zu eins Ideen von jemand anderem zu übernehmen."
Was beide teilen, ist der große Respekt vor den Kollegen und der allgemeinen Artwork-Arbeit hierzulande: "Wir haben absolut hervorragende Cover in Deutschland! Gefühlt allerdings weitaus häufiger im Untergrundsegment als im Mainstream", so Jacob. Eric schließt sich dem an: "Obwohl es viel gibt, was man schon woanders gesehen hat oder lieblos umgesetzt wurde, so gibt es wirklich immer wieder schöne Ideen und grandiose Designs." Zu ergänzen gibt es dazu eigentlich wenig. Die Szene präsentiert sich so farbenfroh, kreativ und einfallsreich wie nie, auch wenn sich verschiedene Muster für ebenso verschiedene Subgenres abbilden. Sei es nun die Zurschaustellung der körperlichen Vorzüge oder gar die Visualisierung der Musik in Form eines simplen Bildes – dank Künstlern wie Jacob oder Eric spiegelt sich alles bereits beim ersten Anblick wider.
(Sven Aumiller)
(Fotos: Eric Ullrich & Jacob Roschinski)