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Interview

Sadi Gent

"Mich wun­dert es nicht, dass lau­te und aso­zia­le The­men mehr Erfolg in Bezug auf Absatz ha­ben, aber das ist nicht der Grund, wes­we­gen ich Musik ma­che." – Sadi Gent im Inter­view über Inhal­te im deut­schen Rap, sein neu­es Pro­jekt "Off" und den Mate­ria­lis­mus in unse­rer heu­ti­gen Gesellschaft.

Sadi Gent nimmt eine gewis­se Aus­nah­me­stel­lung in der deut­schen Rap­sze­ne ein: Sein eige­ner, inno­va­ti­ver Sound hebt sich von dem vie­ler Kol­le­gen ab. Gera­de des­halb konn­te er mit sei­nem letz­ten Album "Mint­gold" eini­ge Auf­merk­sam­keit auf sich zie­hen. Neben sei­nem indi­vi­du­el­len Sound über­zeugt der Ber­li­ner vor allem the­ma­tisch mit inhalts­star­ken und gesell­schafts­kri­ti­schen Tex­ten. Die­ser Weg soll auch auf Sadis neu­es­tem Werk, der "Off"-EP, fort­ge­führt wer­den. Für die­ses Kollabo-​Projekt hat sich der Ber­li­ner nun mit Mo! und dem Pro­du­zen­ten Yani­çar zusam­men­ge­tan. In unse­rem Inter­view woll­ten wir von Sadi Gent wis­sen, wie die Zusam­men­ar­beit zustan­de kam und wie sie sich auf ihr gemein­sa­mes Werk aus­ge­wirkt hat. Außer­dem erklär­te uns der Rap­per, wel­che per­sön­li­che Bedeu­tung es für ihn hat­te, die­ses Jahr als Sup­port­act bei der "Feu­er­was­ser"-Jubi­lä­ums­tour von Cur­se zu spie­len. Da er aber nicht nur bezüg­lich sei­ner Musik viel zu berich­ten hat, wur­de aus dem Inter­view schnell ein 60-​minütiges Gespräch, das neben den musi­ka­li­schen auch gesell­schaft­li­che The­men umfass­te. Dabei offen­bar­te uns Sadi unter ande­rem auch sei­ne Hal­tung zu Mate­ria­lis­mus und per­sön­li­chem Reichtum. 

MZEE​.com: Für dein neu­es­tes Werk, die "Off"-EP, hast du mit Mo! und dem Pro­du­zen­ten Yani­çar zusam­men­ge­ar­bei­tet. Zu Beginn des Inter­views wür­de ich ger­ne wis­sen, wie die Idee ent­stand, eine gemein­sa­me Plat­te zu machen?

Sadi Gent: Mo! ist ein jah­re­lan­ger Freund von mir und all­ge­mein ein Musi­ker, den ich für das schät­ze, was er macht. Eini­ge ken­nen ihn von den gemein­sa­men Sachen mit Mach One und Mosh36. Auf mei­nen letz­ten bei­den Alben hat er auch schon hier und da Back­ing Vocals ein­ge­sun­gen und war begeis­tert von mei­ner Musik. Er hat das gefei­ert und sich dar­in wie­der­ge­fun­den. Irgend­wann kam er auf mich zu und schlug die Idee vor, eine gemein­sa­me EP zu machen, weil sich das sei­ner Mei­nung nach gut ergän­zen und ein gei­ler Sound dabei raus­kom­men könn­te. Da ich sei­nen musi­ka­li­schen Out­put schät­ze, dach­te ich mir, dass das inter­es­sant wer­den könn­te und dies nach einem coo­len Pro­jekt klingt.

MZEE​.com: Und wie kam dann noch der Pro­du­zent Yani­çar mit ins Boot?

Sadi Gent: Yani­çar ist ein befreun­de­ter Pro­du­zent, mit dem ich gemein­sam Musik mache. Durch ihn habe ich all­ge­mein sehr viel gelernt – ich mach' ja auch selbst Beats. Er hat auf mei­nen letz­ten Alben hier und da mal was mit­pro­du­ziert. Ich habe ihn dann irgend­wann gefragt, ob er Lust auf die­ses Pro­jekt hät­te. Und er war sehr ange­tan davon. Wir haben uns also immer öfter zu irgend­wel­chen Ses­si­ons getrof­fen, rum­ge­spon­nen, Beat­skiz­zen ange­hört und das alles zusam­men ent­ste­hen las­sen – wir saßen immer gemein­sam im Stu­dio und haben gemein­sam die gan­zen Songs erar­bei­tet. Am Anfang waren es auch mehr als die sechs, die letzt­end­lich auf der EP gelan­det sind, aber wir haben ein biss­chen aus­sor­tiert und die schöns­ten Stü­cke zusammengestellt.

MZEE​.com: Beschreib mir doch mal kurz den Sound der EP …

Sadi Gent: Leu­te, die mich und mei­ne Mucke auf dem Schirm haben, wis­sen, dass mei­ne Musik sehr syn­the­tisch mit vie­len elek­tro­ni­schen Flä­chen und psy­che­de­li­schen Sounds bestückt ist. Wir legen viel Wert auf das Sound­de­sign und die Atmo­sphä­re, da wer­den wir von der Electro- und Minimal-​Schiene beein­flusst. Rap ist unser Haupt­ein­fluss, aber wir las­sen auch jede Men­ge ande­rer Gen­res mit­ein­flie­ßen. Bei dem Pro­jekt woll­ten wir auch Yani­çars Visi­on ver­fol­gen, damit er sich aus­to­ben kann. Vom Sound her geht es also schon in die Rich­tung mei­ner letz­ten Alben, aber es ist ein biss­chen trei­ben­der und ins­ge­samt geht es mehr nach vor­ne. Ich find's all­ge­mein schwie­rig, über Sound zu reden … Man soll­te sich selbst mal ein Bild davon machen und sich dar­auf einlassen.

MZEE​.com: Bist du denn jemand, der außer­halb von Rap viel elek­tro­ni­sche Musik hört?

Sadi Gent: Ich bin extrem open min­ded in Sachen Musik und zie­he mir mei­ne Ein­flüs­se aus eigent­lich allen Musik­rich­tun­gen. Ich hör' mir echt alles Mög­li­che an, aber ich muss sagen, dass ich ein Fai­ble für elek­tro­ni­sche Hybrid-​Musik habe, gera­de für die­se plas­ti­schen, psy­che­de­li­schen Sounds in Kom­bi­na­ti­on mit war­men, orga­ni­schen Samples. Es gibt eini­ge gute Künst­ler, die damit expe­ri­men­tie­ren. Das spricht mich und auch Yani­çar ein­fach an, da sind wir immer auf einer Wellenlänge.

MZEE​.com: Eure Kollabo-​EP trägt den Namen "Off". Was genau soll denn auf Off gestellt werden?

Sadi Gent: "Off" ist ein sehr kur­zes, star­kes Wort, gera­de in der heu­ti­gen Zeit kann jeder dafür sei­ne eige­ne Asso­zia­ti­on mit­brin­gen. Die EP befasst sich mit eini­ger­ma­ßen nega­ti­ven Sachen, die sich aus dem Groß­stadt­le­ben erge­ben. Ein gro­ßer Punkt ist das hek­ti­sche, reiz­über­flu­ten­de, anony­me Trei­ben der Groß­stadt, das sich mit der Flucht dar­aus schnei­det. Man sucht sich etwas, um da irgend­wie aus­zu­bre­chen, weil man nicht immer die Mög­lich­keit hat, einen ruhi­gen Ort zu fin­den. Der Wunsch oder auch die Lösung für all die­se Pro­ble­me ist ein­fach das "Off" – und das stel­len wir als gro­ßes Mys­te­ri­um dar … Was ist denn das "Off"? Viel­leicht ist es, sich der gan­zen digi­ta­len Welt zu ent­zie­hen. Oder viel­leicht ist es das Gefühl, an die Gren­ze getrie­ben zu wer­den, weil man so viel ackert. Es gibt auch einen Song, der sich mit Burn­out beschäf­tigt, der aber über­spitzt ist und in den wir viel Selbst­iro­nie mit­ein­ge­bracht haben. Viel­leicht ist das "Off" aber auch die Musik, mit der man in sei­ne eige­ne Welt flüch­tet, so wie es auf dem Song "Repeat" behan­delt wird. Man kann da viel hin­ein­in­ter­pre­tie­ren, aber ich will auch ein biss­chen was offen­las­sen. (grinst) Ich glau­be, jeder wird sei­ne eige­ne Asso­zia­ti­on zu der Musik und den The­men, die wir anspre­chen, haben. Wir haben das des­halb nicht ganz so krass ein­ge­grenzt. Es ist ja auch alles irgend­wie Kunst und die hat meh­re­re Perspektiven.

MZEE​.com: Ich fin­de die­sen Großstadt-​Aspekt sehr interessant …

Sadi Gent: Du kennst das, oder?

MZEE​.com: Ich ken­ne das rich­tig gut und kann das abso­lut nach­emp­fin­den. Glaubst du denn, dass man als Groß­stadt­mensch manch­mal ein­fach aus Bequem­lich­keit zu faul ist, ins Off zu gelangen?

Sadi Gent: Voll! Ich wür­de es Faul­heit oder viel­leicht eher Bewusst­sein nen­nen, denn man ist in einem Pool vol­ler Men­schen, Ideen, Wer­bung, Arbeit und Reiz­über­flu­tung. Man ist da so sehr drin, dass man das Gan­ze oft­mals nicht von außen betrach­ten kann und viel­leicht auch gar nicht merkt, was einen stört oder ein­engt. Jeder hat sein eige­nes Off. Man­che holen es sich mit­hil­fe von Dro­gen, um sich der Welt zu ent­zie­hen. Ande­re sehen das in der Musik und flüch­ten damit in ihre eige­ne Welt. Und wie­der ande­re wol­len aus dem Trott raus­kom­men mit dem Wunsch, ein­fach nur reich zu wer­den. Das idea­le Off hat jeder für sich im Kopf. Viel­leicht ist es die Faul­heit, weil man alles schnell und ein­fach ohne gro­ßen Stress hat. Viel­leicht ist es auch das Bewusst­sein, dass einem nicht klar ist, wie sehr man die­ses Off braucht oder suchen soll­te. Die Fra­ge ist auch, wie oft man sich das ver­meint­li­che fal­sche Off sucht – zum Bei­spiel, indem man sich in exzes­si­ve Par­ty­näch­te mit Alko­hol und ande­ren Sub­stan­zen stürzt. Klar schießt das einen zunächst raus, aber auf Dau­er kann es kein Aus­gleich sein.

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MZEE​.com: Und was ist dein Off?



Sadi Gent: In jedem Song auf der EP steckt Real­talk drin. Alles ist sehr per­sön­lich, auch wenn wir gele­gent­lich in Rol­len geschlüpft sind, Sachen über­trie­ben haben oder iro­nisch unter­wegs waren. Zum einen suche ich mir mein Off in der Musik und der Kunst. Das ist die Welt, in die ich flüch­te, um aus dem stres­si­gen All­tag raus­zu­kom­men. Dann gibt es auch den Fakt, dass ich gele­gent­lich Glücks­spie­le mache und man mit dem Gedan­ken spielt, dass wenn man im Lot­to gewinnt, es einen viel­leicht aus dem gan­zen Stress raus­ho­len wür­de, wie es im Song "Jack­pot" the­ma­ti­siert wird. In "Nur die Nacht" ver­sper­ren wir uns dem Tag: In dem Track wol­len wir gar nicht, dass die Nacht auf­hört und es wie­der hell wird, son­dern dass die Nacht eine eige­ne Magie hat und man sich in ihr ver­lie­ren kann, indem man Par­ty macht und mit Leu­ten unter­wegs ist. Jeder kennt das … Ich habe das idea­le Off viel­leicht noch nicht gefun­den – viel­leicht ist es die Musik, die finan­zi­el­le Unab­hän­gig­keit, das Raus­kom­men aus der Groß­stadt oder auch ein biss­chen von allem. Ich sehe das für mich auch nicht ganz klar, des­we­gen beschäf­tigt es mich viel­leicht auch so sehr.

MZEE​.com: Aus dem Pres­se­text geht her­vor, dass ihr euch auch der Gesell­schafts­kri­tik wid­met. Was gibt es ganz beson­ders zu kritisieren?

Sadi Gent: Mei­nes Erach­tens nach fängt das Gan­ze bei der Gesell­schaft an sich an. Ich mer­ke, die Leu­te wol­len flüch­ten, kom­men nicht klar oder bekom­men einen Burn­out, weil sie einem gesell­schaft­li­chen Druck aus­ge­setzt sind. Das hängt damit zusam­men, was man als jun­ger Mensch bis zum Erwach­se­nen­al­ter vom Sys­tem ein­ge­trich­tert bekommt. Gera­de als Künst­ler fühlt man sich, als wür­de man nie da rein­pas­sen. Ich füh­le mich, als wäre das alles ein rie­si­ges Puz­zle, wäh­rend ich zu einem ande­ren Puz­zle gehö­re … Ich glau­be aber, dass man in sich hin­ein­hö­ren und gege­be­nen­falls auch mal gewis­se Risi­ken ein­ge­hen soll­te. Natür­lich muss man gucken, wo man bleibt, aber man soll­te sich nicht zu sehr in eine Scha­blo­ne pres­sen las­sen, in die man viel­leicht gar nicht rein will. Im Ide­al­fall soll­te jeder gucken, dass er sei­nen Platz fin­det und eine Lei­den­schaft für etwas ent­wi­ckelt oder eben Sachen macht, die einen erfül­len. Ich quat­sche immer mehr mit Leu­ten, die gar kei­ne rich­ti­gen Hob­bys haben. Sie üben nur noch ihren Beruf aus und haben nie erfah­ren, was sie wirk­lich wol­len – weil sie schon einem Weg gefolgt sind, der vor­ge­schrie­ben war. Dabei haben sie ver­ges­sen, an gewis­sen Stel­len des Lebens in sich zu gehen, um zu che­cken, was sie selbst wirk­lich wol­len. Dann wer­den sie unglück­lich und wun­dern sich irgend­wann, woher das kommt …

MZEE​.com: Ich habe ganz oft das Gefühl, dass Men­schen einen als anders und dumm emp­fin­den, sobald man etwas macht, das nicht zu ihren Scha­blo­nen passt.

Sadi Gent: Ich kenn' das! Ich werd' mein Leben lang von Leu­ten dafür belä­chelt, dass ich mei­nem Her­zen fol­ge. Vor allem, wenn ich sage, dass ich Musik lie­be und so viel Zeit da rein­in­ves­tie­re, weil ich weiß, dass es meins ist. Ich bin jetzt schon an einem Punkt, an dem ich mich freue, dass es Leu­te gibt, die das fei­ern, was ich mache. Die mei­ne Musik ger­ne hören und mir in der Hin­sicht auch Bestä­ti­gung geben. Aber ich habe so vie­le Leu­te ken­nen­ge­lernt, die einen gera­de beim The­ma "Rap" belä­cheln. Viel­leicht haben die­se Leu­te sich in ihrem Leben nie etwas getraut oder sie haben kein Gefühl für das, was dahin­ter­steckt und dazu­ge­hört. Für mich ist es auch ein Beruf. (über­legt) Nein, für mich ist das Künstler-​Dasein eine Beru­fung und ich kann mich gar nicht ument­schei­den. Ich spü­re was und das muss raus, ich kann nichts ande­res machen. Des­we­gen ärgert es mich noch mehr, wenn Leu­te einen des­halb nicht ernst neh­men. Man hört stän­dig von allen Sei­ten die­se gan­zen Rat­schlä­ge, dass man dem Plan A fol­gen oder lie­ber etwas ande­res machen soll­te, wo man mehr Geld kriegt. Ich lass' mich nicht beir­ren und mach' das, was ich am liebs­ten mache. Weil ich weiß, dass alles ande­re viel­leicht zu einem Burn­out füh­ren wür­de oder mich ein­fach nicht glück­lich machen kann. Das ist alles nur eine Idee, denn ich bin auch noch ein jun­ger Mensch, der Erfah­run­gen macht, auf die Schnau­ze fällt und aus Feh­lern lernt.

MZEE​.com: Dein Free Track "Reich" beschäf­tigt sich mit Reich­tum. An was genau wärst du denn ger­ne reich?

Sadi Gent: In dem Song habe ich das ja nicht gesagt, aber durch ein­zel­ne Stro­phen kann sich jeder hier und da ein eige­nes Bild machen. Ich sag' ganz ehr­lich, dass für mich Reich­tum nicht das Finan­zi­el­le ist. Dar­um geht es mir über­haupt nicht. Reich­tü­mer sind für mich die Erfah­run­gen und die Erleb­nis­se, die man macht, und der Erfolg, den man zu ver­bu­chen hat. Erfolg ist ja auch rela­tiv und hat in ers­ter Linie nicht unbe­dingt mit etwas Finan­zi­el­lem zu tun. Ich hab' das Gefühl, dass ich jetzt schon reich bin, denn ich bin ein meist aus­ge­gli­che­ner Mensch, der sich über all die Leu­te in sei­nem Umfeld und das Feed­back sei­ner Fans freut. Allein, dass ich das Leben füh­ren kann, das ich füh­re, ist für mich schon rie­si­ger Reich­tum. Und mei­ne Freun­din zum Bei­spiel bedeu­tet für mich auch einen rie­si­gen Reich­tum. Wie vie­le Sto­rys habe ich schon von Leu­ten gehört, die einen Hau­fen Geld hat­ten, aber dadurch nicht erfüllt und glück­lich waren? Oder den Hau­fen Geld ver­prasst haben und am Ende wie­der bei null ste­hen, weil sie ein­fach die Erfah­rung, die sie gemacht haben, nicht aner­ken­nen und das nicht als Reich­tum sehen. Das ist auch eine Ein­stel­lungs­sa­che. Jeder muss dar­auf ach­ten, dass man sei­ne Mie­te zah­len kann und über die Run­den kommt, aber ich bin auch ein Mensch, der nicht viel auf Mate­ri­el­les gibt. Ich bin sehr genüg­sam und die Freu­de, die ein ande­rer Mensch emp­fin­det, wenn er sich ein neu­es Luxus-​Auto kauft, könn­te ich nie­mals ver­spü­ren, weil ich da ein ganz ande­res Ide­al habe. Jeder soll­te sich dar­über mal Gedan­ken machen, was Reich­tum eigent­lich ist. Für mich bedeu­tet es, Zeit zu haben, um das zu tun, was man will. Zum Bei­spiel, mich mit mei­nen Freun­den an einen Tisch zu set­zen und ein gutes Gespräch zu haben oder auch eine schö­ne Rei­se zu erle­ben. Egal, ob wir in einem Bun­ga­low gelebt haben: Die Haupt­sa­che ist, dass wir ein paar coo­le Tage hat­ten. Ich den­ke, ich wür­de eine Welt­rei­se machen, wenn ich einen Hau­fen Geld hät­te, anstatt mir ein teu­res Auto oder ande­re Luxus­gü­ter zu kaufen.

MZEE​.com: War­um sehnt sich der Mensch dei­ner Mei­nung nach viel­leicht mehr nach mate­ri­el­lem Wohl­stand anstatt die klei­nen, aber wesent­li­chen Din­ge im Leben wert­zu­schät­zen?

Sadi Gent: Ich glau­be, vie­le hören gar nicht auf ihre inne­re Stim­me. Sie hören gar nicht in sich hin­ein, was sie tat­säch­lich glück­lich machen könn­te. Das ist alles sehr viel Refle­xi­on, was ich mache. Was bringt es mir, was macht das mit mir und mit ande­ren Leu­ten, was hat das für eine Wir­kung? Ich den­ke, es ver­sper­ren sich vie­le Leu­te davor, das alles mit­ein­zu­be­zie­hen. Und gera­de die­ses Gucken nach links und rechts … Über­all wird einem vor­ge­gau­kelt, dass Geld das höchs­te Glück und es ganz toll ist, reich zu sein. Damit kann man sich Frau­en, Autos, Yach­ten und alles wei­te­re leis­ten. Das ist alles Kon­di­tio­nie­rung. Man sieht bei ande­ren, was man für ein Leben mit Geld haben kann. Und das führt oft zu einem Trug­schluss. Man denkt, wenn man mit sei­nem Zeug ande­re Leu­te beein­dru­cken kann, ist man auto­ma­tisch belieb­ter und mehr wert.

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MZEE​.com: Alex­an­der von Hum­boldt hat mal gesagt: "Wohl­stand ist, wenn man mit Geld, das man nicht hat, Din­ge kauft, die man nicht braucht, um damit Leu­te zu beein­dru­cken, die man nicht mag." – Woher, denkst du, kommt der Drang man­cher Men­schen, ande­re durch mate­ri­el­le Güter zu beeindrucken?

Sadi Gent: Das ist ein sehr kras­ses Zitat, das ich sehr zutref­fend fin­de. Da steckt so viel Trau­ri­ges, aber auch so viel Wah­res mit drin. Der Wunsch, Leu­ten gefal­len zu wol­len, um sich dadurch bes­ser zu füh­len. Die­ses Den­ken haben sehr vie­le im Kopf, aber ich glau­be, je älter man wird oder je mehr Erfah­run­gen man macht, des­to eher merkt man, dass es dar­auf eben nicht ankommt. Es ist alles Akti­on und Reak­ti­on: Man sieht eine Per­son, die etwas Tol­les hat und zehn ande­re, die die­se Per­son bestau­nen … Das zeigt ja, dass wir immer weni­ger dar­auf ach­ten, was einen Men­schen eigent­lich aus­macht – und damit ver­liert sich das Wort "Mensch­lich­keit" ein biss­chen. Jedes Indi­vi­du­um hat beson­de­re Makel und Eigen­schaf­ten, aber der Gedan­ke, dass alle gleich und reich sein wol­len, ist unheim­lich. Ich will nicht dazu gehö­ren und muss Leu­te nicht mit Ober­fläch­lich­keit beein­dru­cken. Das beschäf­tigt mich schon. Und auch Mo! ist ein Mensch, der vie­les ähn­lich sieht wie ich, des­halb haben wir uns auf der EP auch the­ma­tisch so gut ergänzt. Bei jeder The­ma­tik haben wir gebrain­stormt, ob wir eine ähn­li­che Ansicht dazu haben. Und gera­de zu den The­men, bei denen unse­re Mei­nun­gen über­ein­ge­stimmt haben, haben wir einen Song gemacht.

MZEE​.com: Ich könn­te stun­den­lang über die­se The­men sprechen …

Sadi Gent: Ey, ich auch! (grinst)

MZEE​.com: Ich weiß nicht, ob du das ame­ri­ka­ni­sche Sprich­wort "Keep up with the Jone­ses" kennst. Das heißt so viel wie "mit dem Nach­barn mit­hal­ten". Ich per­sön­lich fin­de, das ist eine ganz schlim­me Eigen­art des Men­schen. Man schaut, was der Nach­bar hat, will ihn über­trump­fen, um selbst bes­ser dazu­ste­hen. Und am Ende redet man viel­leicht noch schlecht über ihn, um sein Selbst­wert­ge­fühl stei­gen zu lassen.

Sadi Gent: Abso­lut! Jeder von uns kennt es doch, Leu­ten dabei zuzu­hö­ren, wie sie über ande­re Leu­te läs­tern. Genau des­halb liebt die Gesell­schaft auch Klatsch und Tratsch so sehr … Wie leben unse­re Stars und wel­che Feh­ler machen sie? Sobald jemand einen Feh­ler hat, stürzt man sich dar­auf – aber das sind auch nur Men­schen. Bevor man ande­re Leu­te kri­ti­siert, soll­te man vor sei­ner eige­nen Haus­tür keh­ren. Die Leu­te haben das gar nicht mehr auf dem Schirm, weil sie so geblen­det sind und auf alles ande­re ach­ten außer auf sich selbst. Ist ja auch viel ein­fa­cher … Im Rap haben wir das ganz krass und damit bin ich auch bewusst ein Gegen­pol. Ich will kei­nem erzäh­len, wie cool ich bin oder wie viel ich ver­die­ne. Ich geb' nicht an und ich fin­de, im Rap muss man das nicht machen. Ich bin irgend­wo ein Conscious-​Rapper und für mich kommt es inhalt­lich immer auf was ande­res an. Was ist cool? Für mich ist jemand cool, der mir sagt, dass er auf sein Gehalt und sei­ne Chart­plat­zie­rung scheißt. Jemand, der dar­auf scheißt, einen auf hart zu machen und den Leu­ten erzäh­len zu wol­len, der kras­ses­te Play­boy zu sein, der zehn Hoes bangt. Für mich ist man nicht cool, wenn man sich hin­stellt und sagt: "Ich fick' dei­ne Mut­ter." Das find' ich eher ein biss­chen hän­gen­ge­blie­ben und ziem­lich ein­falls­los … Für mich ist es da coo­ler, die Eier zu haben und zu sagen, dass man Gefüh­le hat und sich Feh­ler ein­ge­steht. Aber das Wort "cool" sagt es ja auch schon: kalt sein, kei­ne Emo­tio­nen nach außen tra­gen. Ich habe da ein­fach eine ande­re Auf­fas­sung von, denn manch­mal muss man auch dar­über­ste­hen. Man ist viel­leicht angreif­bar, aber am Ende des Tages auch ein­fach Mensch.

MZEE​.com: Fin­dest du es nicht inter­es­sant, dass die Alben mit den von dir erwähn­ten Inhal­ten genau die sind, die meis­tens weit oben in Charts landen?

Sadi Gent: Das sagt ein­fach sehr viel über die Gesell­schaft aus. Ich bin da oft etwas vor­sich­tig, weil Rap im Gegen­satz zu ande­ren Gen­res eine sehr jun­ge Hörer­schaft hat. Der Groß­teil der Kon­su­men­ten ist viel­leicht zwölf bis acht­zehn Jah­re alt. In dem jun­gen Alter stürzt man sich auf das Lau­te und mit zwölf ist es auch noch cool, sei­nen Klas­sen­ka­me­ra­den zu mob­ben, weil der schlech­te Schu­he anhat. Aber drei Jah­re spä­ter merkt man dann, dass es voll arm­se­lig ist. Mich wun­dert es nicht, dass lau­te und aso­zia­le The­men mehr Erfolg in Bezug auf Absatz haben, aber das ist nicht der Grund, wes­we­gen ich Musik mache. Wenn ich mer­ke, dass ein Künst­ler wirk­lich durch und durch so ist, dann ist das auch legi­tim und ich fei­er' das. Vie­le ver­stel­len sich halt und man sieht, dass man­che bewusst etwas aso­zia­ler sind, um ein paar Plat­ten mehr zu ver­kau­fen. Damit betrü­gen sie sich nur selbst, weil sie dem eigent­lich gar nicht ent­spre­chen. Das fin­de ich extrem schwach und es hat für mich auch nichts mehr mit Kunst zu tun, son­dern ist ein trau­ri­ger Mar­ke­ting­ent­wurf. Ich bin mir zum Bei­spiel bewusst, dass ich hier und da eine gewis­se Vor­bild­funk­ti­on habe und krass dar­auf schei­ßen kann ich auch nicht. Klar sag' ich Sachen, die ich sagen möch­te, auch wenn ich mir den­ke, dass es nicht der idea­le Ein­fluss ist. Aber ich ver­such' immer, im Hin­ter­kopf zu behal­ten, was für eine rie­si­ge Macht die Musik hat. Letzt­end­lich hat aber alles, was einen unter­hält, eine gro­ße Macht, um zu beein­flus­sen – und das ist ein sehr schma­ler Grat. Ich bin nur so authen­tisch wie der Mensch, der ich bin. Ich wür­de nie­mals auf die Idee kom­men, den Hörern etwas ande­res von mir preis­zu­ge­ben, um viel­leicht hun­dert Plat­ten mehr zu verkaufen.

MZEE​.com: Kurz vor Ende des Inter­views wür­de ich ger­ne noch auf die "Feu­er­was­ser"-Jubi­lä­ums­tour von Cur­se zu spre­chen kom­men. Erzähl mir doch mal von dei­ner Ver­bin­dung zu Cur­se und der Plat­te: Hast du beson­de­re Erin­ne­run­gen an "Feu­er­was­ser"?

Sadi Gent: Als die Plat­te raus­kam, war ich noch ein biss­chen jung, des­halb habe ich das nur bei­läu­fig mit­be­kom­men. Es gab Tracks wie "Hass­lie­be", "Wah­re Lie­be" oder "Unter 4 Augen", die einem viel gege­ben haben und an denen du nicht vor­bei­ge­kom­men bist. Tat­säch­lich bin ich auf sei­ne Musik erst durch das Album danach, "Von Innen nach Außen", rich­tig auf­merk­sam gewor­den. Das ist für mich einer der Deutschrap-​Klassiker aller Zei­ten und ich bin heu­te noch von dem gan­zen Werk begeis­tert. Mit der Musik von Cur­se bin ich auf jeden Fall auf­ge­wach­sen, sie hat mich beein­flusst und ich habe sie sehr gefei­ert. Vie­les habe ich auch erst Jah­re spä­ter ver­stan­den, weil noch Aus­sa­gen zwi­schen den Zei­len steck­ten, die ich als jun­ger Hörer gar nicht so wahr­ge­nom­men habe. Für mich ist der Titel "Ver­ant­wor­tung" auf dem Album "Von Innen nach Außen" inhalt­lich sehr wert­voll und er gibt einem so viel, über das man nach­denkt. Ich fand es sehr krass, bei sei­ner Tour dabei gewe­sen zu sein. Der Kon­takt ent­stand durch mei­nen dama­li­gen Boo­ker Adnan von Essah Enter­tain­ment, bei dem Cur­se auch im Boo­king ist. So kam eins zum ande­ren und ich war plötz­lich Sup­port sei­ner letz­ten Tour. Ich habe mich mies dar­über gefreut und wir haben uns pri­ma ver­stan­den. Er hat­te vor­her schon von mei­ner Musik gehört und mein­te, dass er sie für sehr gut befin­det. Das ehrt mich natür­lich sehr.

MZEE​.com: Wir haben jetzt rela­tiv viel über Musik und die Musik­in­dus­trie gere­det. Zum Abschluss des Inter­views wür­de ich ger­ne von dir wis­sen, wel­che Künst­ler sich denn in dei­nen Play­lis­ten wie­der­fin­den und ob es da viel­leicht den ein oder ande­ren Geheim­tipp gibt?

Sadi Gent: Inner­halb Deutsch­lands muss ich natür­lich sagen, dass unse­re Künst­ler von Bom­ben­pro­dukt lei­der alle ein biss­chen under­ra­ted sind. (grinst) Also, checkt auch mal die Sachen von PTK, Tay­ler, Said, 86Kiloherz und Her­zog ab! Ansons­ten fin­de ich Tua inter­es­sant, weil er aus die­sem typi­schen Rap­ding aus­bricht und dabei immer sehr viel Krea­ti­ves raus­kommt. Auch wenn es eigent­lich nicht ganz mei­ne Musik ist, fin­de ich Bal­bi­na super – das hat was Beson­de­res. Inter­na­tio­nal sind es Artists wie Mode­rat, Jamie XX, Sbtrkt und James Bla­ke, Fever Ray, San­ti­gold, FKA twigs. Die haben kras­se Sachen gemacht, die ich mir immer wie­der anhö­re. Eigent­lich echt zu vie­le, um sie hier alle zu nen­nen. Aus dem Rap­be­reich hör' ich aktu­ell wie­der viel Russ, Vic Men­sa, Isai­ah Ras­had. Kanye und Kid Cudi sind auch immer mit dabei. (lacht) Du merkst, es ist ein­fach ganz viel Ver­schie­de­nes dabei und alle Künst­ler zu nen­nen, wür­de den Rah­men hier jetzt mies sprengen.

(Lai­la Drewes)