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Interview

MC Rene

"Man kon­su­miert Musik lei­der teil­wei­se wie Fast Food." – MC Rene im Inter­view über Vor- und Nach­tei­le von Musik­platt­for­men im Inter­net, die aktu­el­le Rap­sze­ne, ein­drück­li­che Erleb­nis­se in Marok­ko wäh­rend der Pro­duk­ti­on von "Khaz­ra­je" sowie die mög­li­che Krea­ti­on eines Alter Egos.

Lan­ge Zeit war es musi­ka­lisch still um MC Rene, bevor im letz­ten Jahr etwas über­ra­schend mit "Renes­sance" sein ers­tes Album seit zehn Jah­ren ange­kün­digt wur­de. Das Rap-​Urgestein bewies auf dem Release nicht nur, dass es in der Sze­ne immer noch mit­mi­schen kann, son­dern auch, dass dafür kein sti­lis­ti­scher Umbruch erfol­gen muss­te. Ver­gleichs­wei­se schnell ver­öf­fent­lich­te Rene im Okto­ber die­ses Jah­res dann sein aktu­el­les Werk "Khaz­ra­je" – sein bis­lang bes­tes, wenn man den zahl­rei­chen Kri­ti­kern glau­ben darf. Für die Pro­duk­ti­on des Albums tat sich der Rap­per nicht nur mit Beatma­ker Figub Braz­le­vič zusam­men, son­dern reis­te auch zum ers­ten Mal nach Marok­ko – das Land sei­ner Vor­fah­ren. Im Inter­view mit MC Rene spra­chen wir des­halb nicht nur über die Ent­ste­hung von "Khaz­ra­je" und beson­de­re Momen­te wäh­rend der Auf­nah­men, son­dern auch über das Auf­ein­an­der­tref­fen mit sei­ner Fami­lie sowie die Suche nach der eige­nen Iden­ti­tät. Dar­über hin­aus woll­ten wir vom Sze­neve­te­ran auch wis­sen, wie er die Ent­wick­lung der hie­si­gen Rap­land­schaft bis heu­te wahr­ge­nom­men hat. In die­sem Zusam­men­hang begrün­de­te Rene nicht nur eini­ge inter­es­san­te Aus­sa­gen, die er im Vor­feld des Inter­views bezüg­lich der musi­ka­li­schen Aus­rich­tung sei­ner Kol­le­gen getrof­fen hat­te. Er offen­bar­te auch sei­ne Gedan­ken zu Por­ta­len wie Sound­Cloud und der Idee, mit einem Alter Ego neue musi­ka­li­sche Wege zu beschreiten …

MZEE​.com: Bevor wir über dein aktu­el­les Album "Khaz­ra­je" spre­chen, wür­den wir ger­ne auf dei­ne Ver­gan­gen­heit bli­cken. In die­sem Zusam­men­hang denkt man auto­ma­tisch an den Beef mit Azad sowie den Dis­strack von Kool Savas und Eko Fresh. Gibt es da Din­ge, die du heu­te anders machen würdest?

MC Rene: (denkt nach) … Gute Fra­ge. Aber ja, gibt es. Auf der einen Sei­te war ich Mode­ra­tor bei Mixery Raw Delu­xe, gleich­zei­tig aber auch MC, der Plat­ten ver­öf­fent­licht hat. Ich den­ke, so zwei­glei­sig wür­de ich, wenn ich Zeit­rei­sen­der wäre, heu­te nicht unbe­dingt noch mal fah­ren. Damit ich mich auf das, was ich momen­tan mache, bes­ser kon­zen­trie­ren kann oder ein­fach mehr Gewalt dar­über habe. Im Nach­hin­ein hät­te ich das ein­fach mehr getrennt. Durch die Art, wie ich das gemacht habe, bot ich letzt­lich auch viel Angriffs­flä­che, was dazu führ­te, dass ich im Generationen-​Übergang ganz gut unter die Räder gekom­men bin. Mode­ra­tor oder Rap­per, die Leu­te haben halt ihre Schubladen.

MZEE​.com: Wel­che Tätig­keit hät­test du eher zurück­ge­stellt? War dir das Mode­rie­ren zur dama­li­gen Zeit wich­ti­ger oder wärst du tat­säch­lich beim Rap­pen geblieben?

MC Rene: Mir hat bei­des Spaß gemacht. Aber ich den­ke, es wäre eher das Fern­seh­ding gewe­sen, das ich zurück­ge­stellt hät­te … "Schus­ter, bleib bei dei­nem Leis­ten", hät­te ich viel­leicht gesagt. Aber es ist immer schwie­rig, im Kon­junk­tiv über die Ver­gan­gen­heit zu spre­chen, weil jetzt halt alles gefärbt ist mit dem Blick von 2016 … Schwie­rig, sich in den dama­li­gen MC Rene hin­ein­zu­ver­set­zen. Wenn es damals schon so gei­le Beatma­ker wie heu­te gege­ben hät­te, wäre mein Album viel­leicht auch anders gewor­den. (lacht)

MZEE​.com: In dem Kon­text ist die nächs­te Fra­ge viel­leicht etwas leich­ter. 2005 erschien dein Album "Der letz­te Marok­ka­ner". Danach hat man in der Öffent­lich­keit nicht viel von dir mit­be­kom­men, bis du 2010 als Stand-​up-​Comedian auf­ge­tre­ten bist. Was ist in der Zwi­schen­zeit passiert?

MC Rene: Eigent­lich nicht so viel. Ich hat­te ein paar Auf­trit­te, aber zu der Zeit habe ich in Ber­lin gelebt und wuss­te selbst nicht wirk­lich, wo ich hin­woll­te. Das Rap­pen hat mir zwar Spaß gemacht, aber die Moti­va­ti­on, um Tracks zu schrei­ben, war nicht da. Zudem war ich auch noch sehr jung und habe eher vom Erspar­ten gelebt. 2008 hat­te ich aller­dings gar kein Geld mehr und habe ange­fan­gen, im Call Cen­ter zu arbei­ten. Dar­aus ist dann schi­zo­phre­ner­wei­se wie­der die­ser Hun­ger ent­stan­den, dem eige­nen Leben aus sich selbst her­aus eine neue Rich­tung zu geben. Im Grun­de bin ich also vor mir her­ge­trie­ben. Ich hat­te auch eine gute Zeit, war nicht depres­siv oder unglück­lich, son­dern habe mein Leben in Ber­lin ein­fach in vol­len Zügen genos­sen. (lacht) Was für ein dum­mer Ver­gleich … Rück­wir­kend betrach­tet war das schon schön.

MZEE​.com: Vor eini­ger Zeit hast du in einem Inter­view das Ver­hal­ten eini­ger Rap­per mit die­sen Wor­ten kri­ti­siert: "Lei­der neigt der deutsch­spra­chi­ge Rap­per dazu, Rap wie eine Rechen­auf­ga­be zu betrach­ten, die es zu lösen gilt, und ver­fällt dadurch in immer den­sel­ben Stan­dar­dflow und Rhyth­mus, wie es zu klin­gen hat, damit der Mainstreamdeutschrap-​Konsument es als Qua­li­tät wahr­nimmt." Ist das ein The­ma, an dem man als Rap­per 2016 nicht mehr vor­bei­kommt, wenn man auch kom­mer­zi­ell erfolg­reich sein möchte?

MC Rene: Das ist eine sehr berech­tig­te Fra­ge. Ich glau­be, es ist eine Sache, ob man das möch­te. Ob man es kann, ist noch mal eine ande­re. Und ob man es machen soll­te, um erfolg­reich zu sein, hal­te ich für sehr, sehr frag­wür­dig. Wenn man da die vie­len Gesich­ter und die Viel­falt sieht, die Rap anschei­nend hat, glau­be ich das eher nicht. Ich habe das eher gesagt, weil ich es lang­wei­lig fin­de, wenn Rap zur Rechen­auf­ga­be wird, weil das Gesamt­pa­ket dadurch mei­nes Erach­tens natür­lich etwas vor­her­seh­ba­rer ist.

MZEE​.com: Glaubst du, dass es des­we­gen bei man­chen Rap­pern kaum eine Ent­wick­lung gibt und vie­le den glei­chen Weg einschlagen?

MC Rene: Ja, das könn­te man so beant­wor­ten. Dadurch ent­ste­hen sicher­lich Abnut­zungs­er­schei­nun­gen. Wenn du ein Image über einen län­ge­ren Zeit­raum ver­kör­perst, hast du halt irgend­wann nicht mehr die Mög­lich­kei­ten, etwas Neu­es zu bringen.

MZEE​.com: Nun haben wir über das etwas nega­tiv behaf­te­te Rechen­spiel gespro­chen. Was gefällt dir als lang­jäh­ri­gem Mit­glied der Sze­ne dage­gen denn aktu­ell beson­ders gut an ihr und wie hat sie sich dei­ner Mei­nung nach entwickelt?

MC Rene: Die Beatmaker-​Szene fin­de ich geni­al, da gibt es vie­le Talen­te. Vor allem über Sound­Cloud ent­de­cke ich viel Neu­es für mich. Ich mach' auch öfter mal Live­streams, in denen ich Beats von Leu­ten picke, die man nicht unbe­dingt kennt. Das sind alles sehr gute Leu­te, die auch einen ande­ren Vibe trans­por­tie­ren oder ande­re Wege gehen, die für manch einen ver­sperr­ter klin­gen und in der heu­ti­gen Zeit nicht unbe­dingt üblich sind. Wei­ter­hin mer­ke ich bei Per­so­nen heut­zu­ta­ge eine Offen­heit gegen­über dem Gen­re. Es gibt rich­ti­ge Super­stars, die im Main­stream ange­kom­men sind, oder Leu­te, die im Under­ground rich­tig abge­fei­ert wer­den, bei­spiels­wei­se ein Mor­lockk Dilem­ma. Dass die­se Viel­falt par­al­lel exis­tiert, ist ober­ge­ni­al. Sich in die­sem Underground-​Kosmos zu bewe­gen, sein eige­nes Ding zu machen und sich ein Stück weit selbst zu eta­blie­ren – unab­hän­gig von den Mei­nun­gen gän­gi­ger HipHop-​Medien –, ist defi­ni­tiv etwas Posi­ti­ves. Man hat ein­fach total viel selbst in der Hand, ohne dass es auf eine Review in der JUICE ankommt.

MZEE​.com: Sind sol­che Platt­for­men wie Sound­Cloud nicht trotz­dem ein zwei­schnei­di­ges Schwert? Einer­seits kann man zwar viel für sich ent­de­cken, ande­rer­seits könn­te man aber nega­tiv argu­men­tie­ren, dass dadurch eine Markt­über­flu­tung unter­stützt wird …

MC Rene: Sowohl als auch. Es gibt schon mas­si­ven Out­put. Wenn man sich über­legt, wie vie­le Vide­os raus­kom­men – das kannst du gar nicht alles über­bli­cken. Des­halb gehen auch vie­le Sachen an mir vor­bei. Dahin­ge­hend hat sich mein Radi­us mitt­ler­wei­le wie­der etwas ver­klei­nert. Man kon­su­miert Musik lei­der teil­wei­se wie Fast Food. Da ist weni­ger manch­mal viel­leicht doch mehr. Für ein Maga­zin, das Reviews schreibt, stellt sich auch die Fra­ge: Was ist rele­vant und was nicht? Musik soll­te mei­ner Mei­nung nach eigent­lich etwas zum Abschal­ten sein und durch die­se Ent­wick­lung geht die­ser posi­ti­ve Aspekt ver­lo­ren. Ich hof­fe, dass ich es irgend­wann mal schaf­fe, die Leu­te mit mei­ner Musik zum Abschal­ten zu bewe­gen, aber viel­leicht benut­ze ich dafür ten­den­zi­ell zu viel Text …

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MZEE​.com: Deut­scher Rap genießt vor allem in der Außen­dar­stel­lung nicht immer den bes­ten Ruf. Eini­ge Leu­te sagen des­halb, dass sie sich, je älter sie wer­den, mehr und mehr von der Sze­ne distan­zie­ren. Du bist im Sep­tem­ber 40 Jah­re alt gewor­den. Hat­test du da schon mal den Gedan­ken: "Ich bin zu alt dafür, es reicht jetzt mit Rap für mich"?

MC Rene: Also, ich kann das nach­voll­zie­hen, auf jeden Fall. Es gibt jetzt auch nicht so viel Rap, von dem man sagen könn­te: Den Scheiß kann ich auch mit 40 noch hören. Umso älter man wird, des­to mehr Erfah­run­gen hat man gemacht. Und aus die­sen Erfah­run­gen schöpft manch einer neue Hori­zon­te oder – und das ist meis­tens der Fall – hält an jugend­li­chen Wer­ten fest. Ich weiß nicht … Mit dem Wort Deutschrap als sol­ches iden­ti­fi­zie­re ich mich sowie­so nicht, auch wenn mei­ne Musik unter die­ser Kate­go­rie auf­ge­führt wird. Ich mache ja deut­schen Rap, aber das ist mir nicht pein­lich. Es wäre trau­rig, wenn ich den Spaß hät­te, den ich gera­de habe – und ein­fach nicht mehr die­se Musik mache, weil ich 40 bin. Es ist nur pein­lich, etwas zu machen, wenn es wirk­lich pein­lich ist. Und das liegt immer noch im Auge des Betrach­ters und ist eine sub­jek­ti­ve Sache. Der Antrieb soll­te nicht die Fra­ge sein, ob es pein­lich für einen ist, son­dern ob es einem Spaß macht. Kickt dich das? Ist der Beat fresh? Hast du gei­le Lines? Das sind die Antriebs­mo­men­te eines MCs. Da ist es doch egal, ob der 50, 40 oder 20 ist.

MZEE​.com: Wenn du dei­ne Ver­öf­fent­li­chun­gen aus den 90ern mit dei­nem aktu­el­len Album ver­gleichst – inwie­fern hat sich die Her­an­ge­hens­wei­se und die Art der Album­pro­duk­ti­on verändert?

MC Rene: Ein tech­ni­scher Unter­schied ist ganz ein­fach, dass ich nur noch sel­ten auf einem Blatt Papier schrei­be. Ich schrei­be nur noch auf dem Computer.

MZEE​.com: Echt?

MC Rene: (beschämt) Ja, aber ich wür­de die Tex­te jetzt ganz ger­ne mal wie­der auf Papier brin­gen. Ich war halt schon so ein Kritz­ler, habe dadurch Unmen­gen an Papier ver­braucht. Und so hat­te ich das Gefühl, alles bes­ser zu sehen. Mei­ne Her­an­ge­hens­wei­se hat sich auch inso­fern ver­än­dert, als dass ich jetzt eher ver­su­che, die Din­ge asso­zia­ti­ver anzu­ge­hen. Frü­her hat­te ich ein The­ma und habe es mit einer gewis­sen Nai­vi­tät bear­bei­tet. Gera­de bei "Renevo­lu­ti­on" geschah da doch viel unbe­wusst. Man war bei Glam­mer­li­cious, Roe Bear­die, Fader Gla­dia­tor – alles super Leu­te, das hat damals ein­fach zusam­men­ge­passt … Und ich war dann mit einem Ruck­sack unter­wegs, habe immer die Kas­set­ten von den ein­zel­nen Stu­dio­ses­si­ons ein­ge­sam­melt und im Stu­dio den Text geschrie­ben. Beim jet­zi­gen und beim letz­ten Album habe ich mit nur einer Per­son zusam­men­ge­ar­bei­tet, die mich ein Stück weit wider­ge­spie­gelt hat. Da fan­ge ich zum Bei­spiel mit dem Dig­gen von Voka­beln und dem Recher­chie­ren an oder man wordet zusam­men. Ich suche auch Wor­te, die ich ken­ne, bei Wiki­pe­dia und ent­de­cke dafür viel­leicht eine neue Bedeu­tung. Viel­leicht schaf­fe ich es, Pfa­de zu ver­las­sen, die zuvor mit der Benut­zung des Wor­tes in Zusam­men­hang stan­den. Damit ver­bun­den ach­te ich auch mehr dar­auf, dass sich die Voka­beln geil anhö­ren. Und auch all­ge­mein lege ich mitt­ler­wei­le mehr Wert auf den Klang der Worte.

MZEE​.com: Mit "Renes­sance" hast du im letz­ten Jahr dein Solo-​Comeback gefei­ert. Die Erwar­tun­gen dürf­ten bei dei­ner Ver­gan­gen­heit nicht gera­de gering gewe­sen sein. Wel­chen Druck hast du damals aus dir selbst her­aus und von außen verspürt?

MC Rene: Das war eher ein schlei­chen­der Pro­zess, des­halb eigent­lich gar kei­nen. Es hat mir ein­fach Spaß gemacht, den Beat schät­zen zu wis­sen. Und mal ganz ehr­lich: Wer hat denn erwar­tet, dass ich noch mal an den Start kom­me? Das Posi­ti­ve dar­an war, dass ich dadurch auch ganz locker da ran­ge­hen konn­te, um mein Level lang­sam hoch­zu­fah­ren. Also, in dem Sin­ne habe ich kei­nen Druck gespürt. Im Gegen­teil: Schön, dass das auf so eine orga­ni­sche Wei­se wie­der zurück­ge­kom­men ist. Ten­den­zi­el­le Ambi­tio­nen konn­te ich auch nicht hegen, weil die Musik, die ich mache, nicht die Musik ist, die man machen muss, um einen super­kras­sen Mainstream-​Erfolg zu haben. Ich habe kei­ne mark­stra­te­gi­schen Zie­le dahin­ter­ge­setzt oder, wie ande­re Rap­per, von einer Kam­pa­gne gespro­chen. Ich habe ein­fach das gemacht, was mir Spaß gebracht hat. Und dafür habe ich von den Leu­ten, denen es gefal­len hat, Props bekommen.

MZEE​.com: Wo wir gera­de beim The­ma "Erfolg" sind: Heut­zu­ta­ge schei­nen Ver­kaufs­zah­len und Gol­de­ne Plat­ten von Bedeu­tung zu sein. Die­se Erfol­ge wer­den oft mit der Qua­li­tät eines Albums gleich­ge­setzt. Wie sehen dei­ne Zie­le dies­be­züg­lich aus? Oder lässt du Der­ar­ti­ges außer Acht?

MC Rene: Na ja, anschei­nend nicht. Ich inves­tie­re schließ­lich in die Pro­duk­ti­on. Da wer­den Plat­ten gepresst … Ich mache Pres­se­ar­beit, bin jetzt im Inter­view bei euch und will natür­lich durch mei­ne Aus­sa­gen ein posi­ti­ves Bild erzeu­gen. (lacht) Wenn ich es schaf­fen kann, authen­tisch zu ver­mit­teln, wel­chen Fla­vour wir rüber­brin­gen, bin ich zufrie­den. Wenn ich alles, was ich gepresst habe, ver­kau­fen wür­de, wäre das eben­falls ein super Erfolg. Ich rech­ne jetzt nicht damit, dass ich hun­dert­tau­send Plat­ten ver­kau­fe, aber ich weiß ja auch, dass sich das letz­te Album ganz gut ver­kauft hat. Dann wird sich ein Album, das ich für qua­li­ta­tiv bes­ser hal­te, ver­mut­lich nicht schlech­ter ver­kau­fen. Wenn es um die Charts geht, müss­te ich lügen, wenn ich sage, dass es mir scheiß­egal wäre, wenn es nicht für die Charts reicht. Wenn wir aber nur das ver­kau­fen, was wir gemacht haben, und trotz­dem einen guten Ein­druck hin­ter­las­sen, ist das für mich auch okay. Denn die Charts sind ohne­hin illu­so­risch. Es zählt nicht das, was du in der ers­ten Woche ver­kaufst, son­dern es zählt letzt­end­lich das, was über das Jahr abge­setzt wird. Es gibt auch Alben, die sind nicht so hoch in den Charts, ver­kau­fen sich aber über einen län­ge­ren Zeit­raum bes­ser. Ich glau­be auch, dass der Hörer von qua­li­ta­ti­vem, deutsch­spra­chi­gem Rap sich nicht so dar­auf fixiert. Ten­den­zi­ell ist es beim Musik­ma­chen immer so: Du machst etwas und hast dei­nen Spaß sowie dei­ne Gefüh­le dabei … aber wenn es raus­kommt, wird die Musik zum Pro­dukt. Zum Pro­dukt, das ande­re auch bewer­ten – damit muss man klar­kom­men. Ich habe ein paar kon­tro­ver­se Sachen ver­folgt … Dass ande­re Rap­per Medi­en ange­hen, weil sie eine schlech­te Review bekom­men haben und das per­sön­lich neh­men. Ich fin­de, in sol­chen Fäl­len soll­te man kei­ne Musik machen. Aber das Ziel, das ich mir bei mei­nem Album gesetzt habe, ist, dass die Plat­te so dope ankommt, wie ich sie sel­ber fin­de. (lacht) Und dass sie mir die Mög­lich­keit gibt, wei­ter gei­len Rap­scheiß zu machen. Wenn ich das schaf­fe, habe ich mein Ziel erreicht.

MZEE​.com: "In gewis­ser Wei­se stellt das Album eine Wie­der­ge­burt dar. Gelas­sen und sou­ve­rä­ner denn je …", heißt es in dem Pres­se­text zum Release. Dar­aus lässt sich fol­gern, dass wir auf "Khaz­ra­je" ver­mut­lich nicht zum letz­ten Mal von dir gehört haben wer­den. Gibt es schon Plä­ne für die Zeit nach dem Album?

MC Rene: Ich ver­mu­te nicht. Es ist natür­lich auch krass, wie die Zeit ver­geht. Wir waren im April in Marok­ko und haben die Pro­duk­ti­on in zwei Wochen durch­ge­zo­gen. Jetzt ist es Novem­ber und ich habe mich geis­tig inzwi­schen davon abge­na­belt. Es ist etwas ande­res, dar­über zu spre­chen. Aber aktu­ell habe ich Lust, die­se Lie­der auf­zu­füh­ren. Aller­dings stel­le ich mir jetzt schon die Fra­ge: Was kann man nächs­tes Jahr machen? Aus mei­ner Ver­gan­gen­heit habe ich gelernt, dass man die Pro­duk­ti­vi­tät auf­recht­hal­ten soll­te, so lan­ge man sie fühlt. Ich habe ein­fach auch viel Zeit ver­strei­chen las­sen, weil mir der Antrieb oder der Anschluss gefehlt hat. Den sehe ich jetzt durch die­ses natür­li­che Wach­sen und die Leu­te, mit denen ich gear­bei­tet habe. Und ich habe ein­fach auch Lust, mich nächs­tes Jahr neu aus­zu­pro­bie­ren, gera­de rap­t­ech­nisch. Ich will mei­ner Lie­be zu dem Sound treu blei­ben. Da gibt es auch vie­le Wege und Inspi­ra­tio­nen, die ich noch nicht aus­pro­biert habe. Bei den Leu­ten, mit denen ich arbei­te, kann ich viel­leicht der MC Rene sein, der ich immer sein woll­te. Viel­leicht hat mir aber immer das gewis­se Know-​how gefehlt, auf das ich jetzt einen ande­ren Wert lege. Also, ganz grob betrach­tet: Ich glau­be, ver­mut­lich mache ich wei­ter. (lacht)

MZEE​.com: Wie sieht denn der MC Rene aus, der du immer sein wolltest?

MC Rene: Ich weiß es nicht. Bei einem guten Free­style ist alles außer Kraft gesetzt. Das auf einen geschrie­be­nen Rap zu pro­ji­zie­ren, der halt ein­fach The­men­kom­ple­xe bear­bei­tet … Nicht so, dass ich jetzt ein Lied dar­über schrei­be, dass jemand mor­gens auf­steht und einen Kater hat. Ich mag Lie­der, in denen ver­schie­de­nen The­men ange­ris­sen wer­den und nicht ein ein­zel­nes durch­ge­zo­gen wird. Ich füh­le mich jetzt schon näher dran. Ich den­ke, jeder Rap­per sieht sich als eine 10 und ver­sucht immer wie­der, die­se 10 zu sein. Dann sag' ich ein­fach – auch um Platz zu las­sen für die Evo­lu­ti­on in mei­nem Hirn –, dass ich eine 7 bin. Und beim nächs­ten Mal bin ich viel­leicht eine 8. Wenn ich immer eine 10 bin, dann kom­me ich nicht mehr wei­ter. Wenn ich sage, ich bin eine 6 oder eine 7, dann kann ich noch den Sprung nach oben schaf­fen. Sich selbst nicht immer als Super­la­tiv zu sehen, wür­de vie­len Rap­pern auch helfen.

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MZEE​.com: Im Zuge der Album­pro­duk­ti­on bist du das ers­te Mal über­haupt in dein Hei­mat­land gereist. Was für Erfah­run­gen hast du dort gemacht? Wie hast du vor Ort Pro­ble­me gelöst, auf die du gesto­ßen bist?

MC Rene: Mit Gewalt. (lacht) Nein, es war wirk­lich kein Pro­blem. Es ist ja so, dass mein Vater in Marok­ko lebt. Im Grun­de war ich im Netz der Fami­lie, die ich ken­nen­ge­lernt habe. Mein Vater hat mich in Casa­blan­ca abge­holt und zu mei­nen Onkels und Tan­ten gebracht. Ich hat­te zwar noch rudi­men­tä­re Französisch-​Kenntnisse, aber oft hat er über­setzt. Teil­wei­se spra­chen die Cou­si­nen oder Cou­sins aber auch Eng­lisch. Von daher war das Prä­gends­te, sich selbst in den ande­ren zu erken­nen – vom Aus­se­hen her und dar­in, den­sel­ben Nach­na­men zu haben. Des Wei­te­ren war es toll, als Fami­li­en­mit­glied bedin­gungs­los akzep­tiert zu wer­den und die­se Fami­li­en­lie­be zu spü­ren. Da hat sich für mich auch ein Kreis geschlos­sen: Der rast­lo­se Typ mit der Bahn­card 100 ist in dem Moment end­gül­tig ange­kom­men. Vor­her war da nur eine wei­ße Kar­te und die­ses Gefühl, halb Deut­scher, halb Marok­ka­ner zu sein, ohne wirk­lich einen gro­ßen Back­ground der ara­bi­schen Kul­tur zu haben. Ich habe mich nie irgend­wo zuge­hö­rig gefühlt. Und dort war es zum ers­ten Mal so, dass ich vom Selbst­be­wusst­sein her das Gefühl hat­te, wirk­lich dazu­zu­ge­hö­ren. Da ist auf jeden Fall eine Krü­cke weg­ge­fal­len, aber auf eine ganz stil­le, medi­ta­ti­ve Wei­se. Ich hat­te die­ses Gefühl eines Ankom­mens für mich selbst und für die ande­ren, die eigent­lich Frem­de sind, aber gleich­zei­tig auch dein gan­zes Leben schon da waren, weil sie Fami­lie sind.

MZEE​.com: Du hast mit Figub Braz­le­vič vor Ort zwar inten­siv an dei­nem Album gear­bei­tet und auch viel Zeit mit dei­ner Fami­lie ver­bracht. Doch aus ande­ren Inter­views war zu ent­neh­men, dass ihr auch Zeit für das Land selbst hattet …

MC Rene: Zehn Tage war ich in Casa­blan­ca, da sind wir stun­den­lang durch die Stadt gefah­ren. Anschlie­ßend bin ich, natür­lich mit dem Zug, nach Mar­ra­kesch gefah­ren. Da gab es auf der Fahrt nicht so viel zu sehen, es war alles rela­tiv karg. Gut, in Mar­ra­kesch haben wir zwar vier­zehn Tage pro­du­ziert, aber auch nicht am Stück. Wir haben vie­le Aus­flü­ge gemacht, bei­spiels­wei­se waren wir oben auf einem Berg in drei­tau­send Metern Höhe bei drei­ßig Grad und Schnee – voll abge­fah­ren. Dann waren wir noch im Hamam. Die Zeit, das gan­ze Land zu berei­sen, blieb mir lei­der nicht. Marok­ko hat sich also für mich auch nur einen Spalt weit geöff­net. Aber als Ver­hei­ßung, dass ich noch mal hin­rei­se und mir dann mehr Zeit nehme.

MZEE​.com: Haben euch die­se Aus­flü­ge, die du gera­de ange­spro­chen hast, noch ein­mal zusätz­li­che Inspi­ra­ti­on für eure Arbeit geliefert?

MC Rene: Defi­ni­tiv! Der Text zum Song "Ein Tag im All" ist prak­tisch auf dem Weg hin und zurück ent­stan­den. Nur der Beat und die Hook waren schon vor­han­den. Teil­wei­se waren Beats und Hooks da, dann haben wir etwas erlebt und dadurch sind die Tex­te ent­stan­den. Wir waren auch völ­lig ent­kop­pelt. Alles, was ich geschrie­ben habe, war da. Ich muss­te nur die Augen auf­ma­chen. Natür­lich habe ich mich dann noch mal in unse­rer Woh­nung hin­ge­setzt. Figub hat die Beats auf der Couch gemacht. Ich lag hin­ten im Bett, dane­ben war der Schrank – der war dann die Booth. So ging das immer hin und her. Vor unse­rer Tür war direkt eine Moschee und da muss­ten wir auto­ma­tisch fünf­mal am Tag stop­pen. Du machst den Beat, willst ein­rap­pen und dann ertönt der Gebets­ge­sang. (lacht) Es war halt alles wie im Rausch.

MZEE​.com: Damit kom­men wir lang­sam zum Ende. Heut­zu­ta­ge gehen Rap­per par­al­lel zu ihrem sons­ti­gen Schaf­fen ger­ne neue bezie­hungs­wei­se ande­re Wege – zum Bei­spiel Samy Delu­xe und Chef­ket als Chef­baus. Gibt es Sti­le inner­halb der Rap­sze­ne, die du ger­ne aus­pro­bie­ren wür­dest? Reizt dich so etwas wie Trap?

MC Rene: Ist nicht aus­ge­schlos­sen, ich wür­de es nur nicht wie die genann­ten Künst­ler machen. Das fin­de ich nicht so cle­ver. Also, wenn ich mir ein Aka geben wür­de, dann wüss­te trotz­dem jeder, dass es MC Rene ist, der da rappt. Der Name an sich wür­de dem schon im Weg ste­hen, weil er behaf­tet ist. Ich wür­de das des­halb kom­plett anonym aus dem Off machen. Mit einem ganz neu­en Namen, einem ganz neu­en Bild. Dann hast du näm­lich die kom­plet­te künst­le­ri­sche Frei­heit. Und du hast auch die Mög­lich­keit, eine gewis­se Authen­ti­zi­tät zu schaf­fen und die Qua­li­tät als sol­che für sich spre­chen zu las­sen. Sonst hört sich die Musik doch kei­ner objek­tiv an. Die sagen doch sonst: "Guck mal, was MC Rene da gemacht hat".

MZEE​.com: Das ist auch wie­der mit der Gefahr ver­bun­den, einen Shit­s­torm aus­zu­lö­sen, weil die Leu­te fest­ge­fah­ren sind in dem Bild, das sie vor­her von dir hatten.

MC Rene: Genau. Dann gibst du der Musik aber kei­ne Chan­ce. Wenn man das groß ankün­digt, nimmt man sich so viel­leicht sel­ber den Flash, den man erzeu­gen will oder den das Gan­ze aus­lö­sen könn­te. Stell dir vor, ich wür­de etwas unter dem Namen XY machen, die Leu­te gehen dar­auf ab und sagen: "That's the shit." Wür­de das bekannt, könn­te ich sagen: "Ich hab's gemacht, aber anonym." Jetzt, wo es erfolg­reich ist, sage ich: "Ich hab's gemacht, damit ihr mal den Spie­gel vor den Augen habt." Ich glau­be, der Experten-​Raphörer kann das schon gut dif­fe­ren­zie­ren, weil er sich mit der Mate­rie beschäf­tigt. Aber das wirkt ganz schnell so, als ver­su­che man, auf den Zug auf­zu­sprin­gen – und das möch­te ich nicht. Viel­leicht möch­te ich auch nicht unbe­dingt damit asso­zi­iert wer­den. Also, wenn ich das machen wür­de, kom­plett under­co­ver. Wir haben auch schon mal dar­über nach­ge­dacht, aber wer weiß, ob das dann Trap oder so wird … Viel­leicht auch ein ganz neu­er Style, kei­ne Ahnung. Aber die Idee fin­de ich reizvoll.

MZEE​.com: Wenn du dir eine kom­plett neue Iden­ti­tät erschaf­fen wür­dest, stün­dest du ja wie­der vor dem Pro­blem, eine Anhän­ger­schaft gene­rie­ren zu müs­sen. Das außer Acht gelas­sen, wür­dest du eigent­lich einen Stim­men­ver­zer­rer ein­set­zen? Wenn du sagst, man soll die Iden­ti­tät nicht raus­hö­ren können …

MC Rene: Dar­über habe ich noch gar nicht nach­ge­dacht. (lacht) Da habt ihr ein Pro­blem erkannt. Mein Anspruch wäre, nicht mit Auto­tu­ne zu arbei­ten. Das ist mei­ner Mei­nung nach alt­ba­cken, Auto­tu­ne ist alt­ba­cken. (lacht) Es gibt bestimm­te Sequen­zen, die du im Stu­dio bear­bei­ten kannst, damit die Stim­me nicht wie eine künst­li­che Figur klingt. Aber das ist schon eine abso­lu­te Her­aus­for­de­rung. Und es ist auch eine Her­aus­for­de­rung, wie­der bei null anzu­fan­gen, aus dem Nichts zu star­ten. Das ein­zig Gute dar­an ist: Wenn es eh kei­nen inter­es­siert, kann ich ja auch ein­fach auf­hö­ren. (lacht)

MZEE​.com: Wir sind soweit mit den Fra­gen durch. Wir dan­ken dir für das Gespräch und, wenn du noch etwas los­wer­den möch­test, hast du nun die Mög­lich­keit dazu.

MC Rene: Schön, dass ich jetzt mal bei MZEE ein Inter­view gege­ben habe. Ich ken­ne MZEE noch als Zeit­schrift, die habe ich immer ger­ne gele­sen. Fin­de gut, dass ihr jetzt wie­der mehr redak­tio­nel­le Inhal­te macht … Und ja, ich hof­fe, dass sich die Leu­te das Album anhö­ren wer­den und sich an die­ser qua­li­ta­ti­ven HipHop-​Musik erfreu­en kön­nen. (lacht) Das war dann mein Wort zum Sonntag.

(Fabi­an Tho­mas & Lukas Rauer)
(Fotos von Noria Chaal)